Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Amlstbetrnchtmlgen

weckt, daneben aber auch durch tiefe, sinnreiche Andeutungen, eine Art Rätsel¬
raten oder Nebnslösen, verstandesmäßige Bewunderung hervorrufen möchte.
Der Symbolismus stellt eine Verschmelzung der romantischen und der alle¬
gorischen Richtung dar, hat aber ihre beiden Komponenten potenziert und stellt
an das Naive und Kindliche in uns noch größere Anforderungen als die
Romantik selbst. Es gehört schon der Stand der Unschuld dazu, wenn man
sich von einer mystischen Jungfrau, die auf einem fabelhaften Einhorn durch
einen Zauberwald reitet, in unerklärliche Schauer tuller läßt, oder von alten
Burgen in unglaublichen Klippeulandschasten bei nie gesehener Beleuchtung,
oder von andern Zumutungen Böcklins und Klingers an unser Nervensystem. Auf
der andern Seite verlangt der Symbolismus intensivere Bewunderung als
die alte Allegorie wegen seiner Dunkelheit und Unerklürlichkeit, gegen die die
Rätsel der Allegorie gar nicht aufkommen können. Das sicherste Mittel, in
den Ruf großer Gedankentiefe zu kommen, ist. sich so ausdrücken, daß eigent¬
lich niemand recht weiß, was gemeint ist. Genau wie in der Kunst liegt die
Sache in der Poesie, bei Ibsen oder bei Maeterlinck. Man kann dem reflek¬
tierenden Publikum, das über das literarische Kindesalter hinaus ist, nicht
mehr die schlichten, unkomplizierten Affekte der alten Romantik vorsetzen, die
kettenrasselnden Gespenster oder die träumerisch schmachtenden Mondscheiu-
stimmungen; der neue Kunstgriff stellt für die dichterische Darstellung gewisser¬
maßen einen doppelten Boden her: der Symbolismus schildert nicht Affekte
als einfache Ergebnisse natürlicher oder übernatürlicher Einwirkungen, sondern
er läßt sie aus einem Hintergrunde herauswachsen, der mehr zu ahnen als zu
sehen ist, und für den sie ein Symbol sind, während er ihnen dafür das
Oberflächliche der alten Romantik nimmt und ihnen eine Tiefe gibt, die um
so wirkungsvoller ist, als sie sich immer schwer und manchmal gar nicht er¬
gründen läßt. "Ich bin mir wohl bewußt, daß sich meine Definition von
dem Charakter des Symbolismus nicht gerade dnrch Klarheit auszeichnet, aber
es ist eine schwierige Sache, Dinge klar zu machen, die ihrem ganzen Charakter
nach unklar sind und sein sollen." Aber wir müssen nun, um unsern Artikel
abzuschließen, von dem interessanten Buche Abschied nehmen. Den Künstlern
wird manches an dieser Kritik nicht gefallen. Sie mögen sich noch zum
Schluß ein kluges Wort gesagt sei" lassen. Es sei in der Regel für das
Verhältnis der Künstler zum Publikum nicht gut, wenn ein Kritiker selbst
Künstler sei, weil dieser meist etwas für das Entscheidende halten werde,
was außerhalb der Küustlertreise kaum ganz gewürdigt werden könne.




Amlstbetrnchtmlgen

weckt, daneben aber auch durch tiefe, sinnreiche Andeutungen, eine Art Rätsel¬
raten oder Nebnslösen, verstandesmäßige Bewunderung hervorrufen möchte.
Der Symbolismus stellt eine Verschmelzung der romantischen und der alle¬
gorischen Richtung dar, hat aber ihre beiden Komponenten potenziert und stellt
an das Naive und Kindliche in uns noch größere Anforderungen als die
Romantik selbst. Es gehört schon der Stand der Unschuld dazu, wenn man
sich von einer mystischen Jungfrau, die auf einem fabelhaften Einhorn durch
einen Zauberwald reitet, in unerklärliche Schauer tuller läßt, oder von alten
Burgen in unglaublichen Klippeulandschasten bei nie gesehener Beleuchtung,
oder von andern Zumutungen Böcklins und Klingers an unser Nervensystem. Auf
der andern Seite verlangt der Symbolismus intensivere Bewunderung als
die alte Allegorie wegen seiner Dunkelheit und Unerklürlichkeit, gegen die die
Rätsel der Allegorie gar nicht aufkommen können. Das sicherste Mittel, in
den Ruf großer Gedankentiefe zu kommen, ist. sich so ausdrücken, daß eigent¬
lich niemand recht weiß, was gemeint ist. Genau wie in der Kunst liegt die
Sache in der Poesie, bei Ibsen oder bei Maeterlinck. Man kann dem reflek¬
tierenden Publikum, das über das literarische Kindesalter hinaus ist, nicht
mehr die schlichten, unkomplizierten Affekte der alten Romantik vorsetzen, die
kettenrasselnden Gespenster oder die träumerisch schmachtenden Mondscheiu-
stimmungen; der neue Kunstgriff stellt für die dichterische Darstellung gewisser¬
maßen einen doppelten Boden her: der Symbolismus schildert nicht Affekte
als einfache Ergebnisse natürlicher oder übernatürlicher Einwirkungen, sondern
er läßt sie aus einem Hintergrunde herauswachsen, der mehr zu ahnen als zu
sehen ist, und für den sie ein Symbol sind, während er ihnen dafür das
Oberflächliche der alten Romantik nimmt und ihnen eine Tiefe gibt, die um
so wirkungsvoller ist, als sie sich immer schwer und manchmal gar nicht er¬
gründen läßt. „Ich bin mir wohl bewußt, daß sich meine Definition von
dem Charakter des Symbolismus nicht gerade dnrch Klarheit auszeichnet, aber
es ist eine schwierige Sache, Dinge klar zu machen, die ihrem ganzen Charakter
nach unklar sind und sein sollen." Aber wir müssen nun, um unsern Artikel
abzuschließen, von dem interessanten Buche Abschied nehmen. Den Künstlern
wird manches an dieser Kritik nicht gefallen. Sie mögen sich noch zum
Schluß ein kluges Wort gesagt sei» lassen. Es sei in der Regel für das
Verhältnis der Künstler zum Publikum nicht gut, wenn ein Kritiker selbst
Künstler sei, weil dieser meist etwas für das Entscheidende halten werde,
was außerhalb der Küustlertreise kaum ganz gewürdigt werden könne.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0796" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241178"/>
          <fw type="header" place="top"> Amlstbetrnchtmlgen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3639" prev="#ID_3638"> weckt, daneben aber auch durch tiefe, sinnreiche Andeutungen, eine Art Rätsel¬<lb/>
raten oder Nebnslösen, verstandesmäßige Bewunderung hervorrufen möchte.<lb/>
Der Symbolismus stellt eine Verschmelzung der romantischen und der alle¬<lb/>
gorischen Richtung dar, hat aber ihre beiden Komponenten potenziert und stellt<lb/>
an das Naive und Kindliche in uns noch größere Anforderungen als die<lb/>
Romantik selbst. Es gehört schon der Stand der Unschuld dazu, wenn man<lb/>
sich von einer mystischen Jungfrau, die auf einem fabelhaften Einhorn durch<lb/>
einen Zauberwald reitet, in unerklärliche Schauer tuller läßt, oder von alten<lb/>
Burgen in unglaublichen Klippeulandschasten bei nie gesehener Beleuchtung,<lb/>
oder von andern Zumutungen Böcklins und Klingers an unser Nervensystem. Auf<lb/>
der andern Seite verlangt der Symbolismus intensivere Bewunderung als<lb/>
die alte Allegorie wegen seiner Dunkelheit und Unerklürlichkeit, gegen die die<lb/>
Rätsel der Allegorie gar nicht aufkommen können. Das sicherste Mittel, in<lb/>
den Ruf großer Gedankentiefe zu kommen, ist. sich so ausdrücken, daß eigent¬<lb/>
lich niemand recht weiß, was gemeint ist. Genau wie in der Kunst liegt die<lb/>
Sache in der Poesie, bei Ibsen oder bei Maeterlinck. Man kann dem reflek¬<lb/>
tierenden Publikum, das über das literarische Kindesalter hinaus ist, nicht<lb/>
mehr die schlichten, unkomplizierten Affekte der alten Romantik vorsetzen, die<lb/>
kettenrasselnden Gespenster oder die träumerisch schmachtenden Mondscheiu-<lb/>
stimmungen; der neue Kunstgriff stellt für die dichterische Darstellung gewisser¬<lb/>
maßen einen doppelten Boden her: der Symbolismus schildert nicht Affekte<lb/>
als einfache Ergebnisse natürlicher oder übernatürlicher Einwirkungen, sondern<lb/>
er läßt sie aus einem Hintergrunde herauswachsen, der mehr zu ahnen als zu<lb/>
sehen ist, und für den sie ein Symbol sind, während er ihnen dafür das<lb/>
Oberflächliche der alten Romantik nimmt und ihnen eine Tiefe gibt, die um<lb/>
so wirkungsvoller ist, als sie sich immer schwer und manchmal gar nicht er¬<lb/>
gründen läßt. &#x201E;Ich bin mir wohl bewußt, daß sich meine Definition von<lb/>
dem Charakter des Symbolismus nicht gerade dnrch Klarheit auszeichnet, aber<lb/>
es ist eine schwierige Sache, Dinge klar zu machen, die ihrem ganzen Charakter<lb/>
nach unklar sind und sein sollen." Aber wir müssen nun, um unsern Artikel<lb/>
abzuschließen, von dem interessanten Buche Abschied nehmen. Den Künstlern<lb/>
wird manches an dieser Kritik nicht gefallen. Sie mögen sich noch zum<lb/>
Schluß ein kluges Wort gesagt sei» lassen. Es sei in der Regel für das<lb/>
Verhältnis der Künstler zum Publikum nicht gut, wenn ein Kritiker selbst<lb/>
Künstler sei, weil dieser meist etwas für das Entscheidende halten werde,<lb/>
was außerhalb der Küustlertreise kaum ganz gewürdigt werden könne.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0796] Amlstbetrnchtmlgen weckt, daneben aber auch durch tiefe, sinnreiche Andeutungen, eine Art Rätsel¬ raten oder Nebnslösen, verstandesmäßige Bewunderung hervorrufen möchte. Der Symbolismus stellt eine Verschmelzung der romantischen und der alle¬ gorischen Richtung dar, hat aber ihre beiden Komponenten potenziert und stellt an das Naive und Kindliche in uns noch größere Anforderungen als die Romantik selbst. Es gehört schon der Stand der Unschuld dazu, wenn man sich von einer mystischen Jungfrau, die auf einem fabelhaften Einhorn durch einen Zauberwald reitet, in unerklärliche Schauer tuller läßt, oder von alten Burgen in unglaublichen Klippeulandschasten bei nie gesehener Beleuchtung, oder von andern Zumutungen Böcklins und Klingers an unser Nervensystem. Auf der andern Seite verlangt der Symbolismus intensivere Bewunderung als die alte Allegorie wegen seiner Dunkelheit und Unerklürlichkeit, gegen die die Rätsel der Allegorie gar nicht aufkommen können. Das sicherste Mittel, in den Ruf großer Gedankentiefe zu kommen, ist. sich so ausdrücken, daß eigent¬ lich niemand recht weiß, was gemeint ist. Genau wie in der Kunst liegt die Sache in der Poesie, bei Ibsen oder bei Maeterlinck. Man kann dem reflek¬ tierenden Publikum, das über das literarische Kindesalter hinaus ist, nicht mehr die schlichten, unkomplizierten Affekte der alten Romantik vorsetzen, die kettenrasselnden Gespenster oder die träumerisch schmachtenden Mondscheiu- stimmungen; der neue Kunstgriff stellt für die dichterische Darstellung gewisser¬ maßen einen doppelten Boden her: der Symbolismus schildert nicht Affekte als einfache Ergebnisse natürlicher oder übernatürlicher Einwirkungen, sondern er läßt sie aus einem Hintergrunde herauswachsen, der mehr zu ahnen als zu sehen ist, und für den sie ein Symbol sind, während er ihnen dafür das Oberflächliche der alten Romantik nimmt und ihnen eine Tiefe gibt, die um so wirkungsvoller ist, als sie sich immer schwer und manchmal gar nicht er¬ gründen läßt. „Ich bin mir wohl bewußt, daß sich meine Definition von dem Charakter des Symbolismus nicht gerade dnrch Klarheit auszeichnet, aber es ist eine schwierige Sache, Dinge klar zu machen, die ihrem ganzen Charakter nach unklar sind und sein sollen." Aber wir müssen nun, um unsern Artikel abzuschließen, von dem interessanten Buche Abschied nehmen. Den Künstlern wird manches an dieser Kritik nicht gefallen. Sie mögen sich noch zum Schluß ein kluges Wort gesagt sei» lassen. Es sei in der Regel für das Verhältnis der Künstler zum Publikum nicht gut, wenn ein Kritiker selbst Künstler sei, weil dieser meist etwas für das Entscheidende halten werde, was außerhalb der Küustlertreise kaum ganz gewürdigt werden könne.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/796
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/796>, abgerufen am 22.07.2024.