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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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^arlauieularische Lxperime"wljurisvrudenz

Die Haftpflichtversicherung ist kein bloßes Geschäft, sondern erfüllt mich,
was sich die gesagt sein lassen mögen, die diese Versichernngsart als gegen
die guten Sitten verstoßend betrachten, eine hohe soziale Mission, indem sie
einerseits dem durch eine strenge Gesetzgebung und Rechtsprechung haftpflichtig
Gewordnen finanzielle Hilfe bringt, ihn manchmal sogar vom Untergange rettet,
andrerseits vielen an Gesundheit und Vermögen Geschädigten sowie Hinter-
bliebnen von Getöteten ihre rettende Hand entgegenstreckt.


Alfred von Weinrich


parlamentarische (Lxperimentaljurisprudenz
Josef in Freiburg i von Lügenm
(Schluß)
3.

cum in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder im Strafverfahren
die Partei, der Beschuldigte oder der Zeuge erklärt, der deutschen
Sprache nicht mächtig ("sprachfremd") zu sein, so begründet diese
bloße Erklärung für den Richter noch nicht die Verpflichtung,
einen Dolmetscher zuznziehn; der Richter hat vielmehr selbständig
zu prüfen, ob die Erklärung der Wahrheit entspricht; bloße Laune oder Un¬
Wahrhaftigkeit der Beteiligten können nicht bestimmend sein für die Art der
Erledigung einer dem Richter obliegenden Amtshandlung; dieser zieht folglich
den Dolmetscher nur zu, wenn er die Angabe des Beteiligten, sprachfremd
zu sein, für wahr hält. Eine Ausnahme gilt natürlich für Testamente; da
diese häufig von Kranken, also unter Umständen, die keinen Aufschub zulassen,
errichtet werden, so verpflichtet schon die bloße Erklärung des Erblassers,
sprachfremd zu sein, den Richter zur Zuziehung des Dolmetschers. Doch be¬
werten die Motive zum ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Selbst¬
verständlich habe der Richter sich zu überzeugen, daß die Erklärung des Erb¬
lassers glaubhaft sei. Also sogar hier, wo es sich um ein nnaufschiebbares
Geschäft handelt und grundsätzlich die bloße Erklärung des Erblassers ge¬
fügt, soll -- dies ist wenigstens die Meinung der Motive -- der Richter die
Zuziehung des Dolmetschers ablehnen, wenn die Erklärung bewußt wahr¬
heitswidrig ist. Es war deshalb auch nur sachgemäß, daß der Entwurf des
Neichsgesctzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit für die gerichtliche Beur¬
kundung sonstiger rechtsgeschäftlicher Erklärungen (wie z. B. Kauf-, Pacht-,
Auseinandersetzungsvertrüge, Auslassungen, Eintraguugsbewilligungen) in Para¬
graph 179, Absatz 1 vorschlug: die Zuziehung des Dolmetschers solle nur
dann erfolgen, wenn ein Beteiligter nach der Überzeugung des Richters
sprachfremd ist, und in Absatz 3 weiter vorschrieb: "Im Protokoll muß fest¬
gestellt werden, daß der Beteiligte der dentschen Sprache nicht mächtig ist,"
h. in Wahrheit nicht mächtig ist, nicht bloß sprachfremd zu sein er¬
wart hat. Auch in der Kommission des Reichstags erfuhr diese Bestimmung


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Die Haftpflichtversicherung ist kein bloßes Geschäft, sondern erfüllt mich,
was sich die gesagt sein lassen mögen, die diese Versichernngsart als gegen
die guten Sitten verstoßend betrachten, eine hohe soziale Mission, indem sie
einerseits dem durch eine strenge Gesetzgebung und Rechtsprechung haftpflichtig
Gewordnen finanzielle Hilfe bringt, ihn manchmal sogar vom Untergange rettet,
andrerseits vielen an Gesundheit und Vermögen Geschädigten sowie Hinter-
bliebnen von Getöteten ihre rettende Hand entgegenstreckt.


Alfred von Weinrich


parlamentarische (Lxperimentaljurisprudenz
Josef in Freiburg i von Lügenm
(Schluß)
3.

cum in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder im Strafverfahren
die Partei, der Beschuldigte oder der Zeuge erklärt, der deutschen
Sprache nicht mächtig („sprachfremd") zu sein, so begründet diese
bloße Erklärung für den Richter noch nicht die Verpflichtung,
einen Dolmetscher zuznziehn; der Richter hat vielmehr selbständig
zu prüfen, ob die Erklärung der Wahrheit entspricht; bloße Laune oder Un¬
Wahrhaftigkeit der Beteiligten können nicht bestimmend sein für die Art der
Erledigung einer dem Richter obliegenden Amtshandlung; dieser zieht folglich
den Dolmetscher nur zu, wenn er die Angabe des Beteiligten, sprachfremd
zu sein, für wahr hält. Eine Ausnahme gilt natürlich für Testamente; da
diese häufig von Kranken, also unter Umständen, die keinen Aufschub zulassen,
errichtet werden, so verpflichtet schon die bloße Erklärung des Erblassers,
sprachfremd zu sein, den Richter zur Zuziehung des Dolmetschers. Doch be¬
werten die Motive zum ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Selbst¬
verständlich habe der Richter sich zu überzeugen, daß die Erklärung des Erb¬
lassers glaubhaft sei. Also sogar hier, wo es sich um ein nnaufschiebbares
Geschäft handelt und grundsätzlich die bloße Erklärung des Erblassers ge¬
fügt, soll — dies ist wenigstens die Meinung der Motive — der Richter die
Zuziehung des Dolmetschers ablehnen, wenn die Erklärung bewußt wahr¬
heitswidrig ist. Es war deshalb auch nur sachgemäß, daß der Entwurf des
Neichsgesctzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit für die gerichtliche Beur¬
kundung sonstiger rechtsgeschäftlicher Erklärungen (wie z. B. Kauf-, Pacht-,
Auseinandersetzungsvertrüge, Auslassungen, Eintraguugsbewilligungen) in Para¬
graph 179, Absatz 1 vorschlug: die Zuziehung des Dolmetschers solle nur
dann erfolgen, wenn ein Beteiligter nach der Überzeugung des Richters
sprachfremd ist, und in Absatz 3 weiter vorschrieb: „Im Protokoll muß fest¬
gestellt werden, daß der Beteiligte der dentschen Sprache nicht mächtig ist,"
h. in Wahrheit nicht mächtig ist, nicht bloß sprachfremd zu sein er¬
wart hat. Auch in der Kommission des Reichstags erfuhr diese Bestimmung


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[0773] ^arlauieularische Lxperime»wljurisvrudenz Die Haftpflichtversicherung ist kein bloßes Geschäft, sondern erfüllt mich, was sich die gesagt sein lassen mögen, die diese Versichernngsart als gegen die guten Sitten verstoßend betrachten, eine hohe soziale Mission, indem sie einerseits dem durch eine strenge Gesetzgebung und Rechtsprechung haftpflichtig Gewordnen finanzielle Hilfe bringt, ihn manchmal sogar vom Untergange rettet, andrerseits vielen an Gesundheit und Vermögen Geschädigten sowie Hinter- bliebnen von Getöteten ihre rettende Hand entgegenstreckt. Alfred von Weinrich parlamentarische (Lxperimentaljurisprudenz Josef in Freiburg i von Lügenm (Schluß) 3. cum in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder im Strafverfahren die Partei, der Beschuldigte oder der Zeuge erklärt, der deutschen Sprache nicht mächtig („sprachfremd") zu sein, so begründet diese bloße Erklärung für den Richter noch nicht die Verpflichtung, einen Dolmetscher zuznziehn; der Richter hat vielmehr selbständig zu prüfen, ob die Erklärung der Wahrheit entspricht; bloße Laune oder Un¬ Wahrhaftigkeit der Beteiligten können nicht bestimmend sein für die Art der Erledigung einer dem Richter obliegenden Amtshandlung; dieser zieht folglich den Dolmetscher nur zu, wenn er die Angabe des Beteiligten, sprachfremd zu sein, für wahr hält. Eine Ausnahme gilt natürlich für Testamente; da diese häufig von Kranken, also unter Umständen, die keinen Aufschub zulassen, errichtet werden, so verpflichtet schon die bloße Erklärung des Erblassers, sprachfremd zu sein, den Richter zur Zuziehung des Dolmetschers. Doch be¬ werten die Motive zum ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Selbst¬ verständlich habe der Richter sich zu überzeugen, daß die Erklärung des Erb¬ lassers glaubhaft sei. Also sogar hier, wo es sich um ein nnaufschiebbares Geschäft handelt und grundsätzlich die bloße Erklärung des Erblassers ge¬ fügt, soll — dies ist wenigstens die Meinung der Motive — der Richter die Zuziehung des Dolmetschers ablehnen, wenn die Erklärung bewußt wahr¬ heitswidrig ist. Es war deshalb auch nur sachgemäß, daß der Entwurf des Neichsgesctzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit für die gerichtliche Beur¬ kundung sonstiger rechtsgeschäftlicher Erklärungen (wie z. B. Kauf-, Pacht-, Auseinandersetzungsvertrüge, Auslassungen, Eintraguugsbewilligungen) in Para¬ graph 179, Absatz 1 vorschlug: die Zuziehung des Dolmetschers solle nur dann erfolgen, wenn ein Beteiligter nach der Überzeugung des Richters sprachfremd ist, und in Absatz 3 weiter vorschrieb: „Im Protokoll muß fest¬ gestellt werden, daß der Beteiligte der dentschen Sprache nicht mächtig ist," h. in Wahrheit nicht mächtig ist, nicht bloß sprachfremd zu sein er¬ wart hat. Auch in der Kommission des Reichstags erfuhr diese Bestimmung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/773>, abgerufen am 25.08.2024.