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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

beworben hatte, zu erhalten, vielleicht weil der Prttfekt und die Professoren
-- Jesuiten, die nach der Aufhebung des Ordens ihre Erzichertätigkeit als Weltgeist-
ltche fortsetzten -- in dem jungen Franzosen etwas von dem Geiste einer neuen Zeit
witterten. So war er denn auf die kargen Einnahmen angewiesen, die ihm einige
Lektionen brachten, für die er nach mancherlei vergeblichen Bemühungen unter den
kurfürstlichen Hofjunkern und Offizieren Schüler fand. Sie reichten gerade ans,
ihn selbst vor dem Verhungern zu schützen, führten ihm zugleich aber ans das ein¬
dringlichste vor Augen, wie schwer es unter den gegebnen Verhältnissen sein müsse,
eine Familie zu ernähren.

Zum Glück besann er sich noch rechtzeitig auf eine Kunst, die er früher, nament¬
lich in den zahlreichen Mußestunden seiner Offizierszeit, wenn auch uur zu seiner
Liebhaberei, so doch mit schönem Erfolge getrieben hatte: auf die Miniaturmalerei.
Er hatte hierfür eine mehr als mittelmäßige Begabung und hatte es durch Übung
soweit gebracht, daß er Bildnisse, besonders männliche, ähnlich und in saubrer Aus¬
führung auf Pergamentblättchen, Elfenbeintäfelchen oder kleine Kupferplatten malen
konnte. Er sagte sich, für Porträts dieser Art müsse in Koblenz jetzt Bedarf vor¬
handen sein, da der Zusammenfluß so vieler Menschen die Anknüpfung freund-
schaftlicher und galanter Beziehungen begünstige, und unter den Dingen, die man als
Unterpfand seiner Neigung zu verschenken Pflege, kaum ein andres so gern entgegen¬
genommen und vielleicht noch lieber gegeben würde, wie ein wohlgelungnes Bildnis.

Er porträtierte zunächst ein paar seiner Landsleute und stellte die Bildchen
in dem vielbesuchten Quineaillerieladeu der Herren Ballier und Lacomparte zur Be¬
sichtigung aus. Sie fanden Beifall und führten ihm bald eine ganze Auzahl von
Kavalieren zu, unter diesen den Herzog von Guiche, der mit der Ausführung seines
Bildnisses so zufrieden war, daß er sofort vier Kopien bestellte, die alle, in goldne
Medaillons untergebracht und mit zierlichen Kettchen versehen, bei den von den lebens¬
lustigen Herren um diese Zeit gerade begünstigten Schönen die freundlichste Auf¬
nahme fanden.

So kam Henri von Villeroi buchstäblich über Nacht in Mode, und wer etwas
auf sich hielt, beeilte sich, sein liebes Ich entweder mit der künstlich aufgebauten
Puderfrisur der Mode von gestern oder in dein von den verhaßten Demokraten
willig übernommenen Schmucke wirrer Locken von der kunstfertigen Hand des
xoiutrk-Aölltildomilro verewigen zu lassen.

Herr und Frau von Gramont, die anfangs mit dem fo wenig standesgemäßen
Broterwerb ihres Freundes nicht recht einverstanden gewesen waren, bekannten sich
jetzt, da sie den Erfolg seiner Tätigkeit sahen, zu der Ansicht, in der Not sei auch
einem Edelmanns jede Beschäftigung erlaubt, und ermahnten ihn, endlich Schritte
zu seiner Verbindung mit Marguerite zu tun. Aber Henri glaubte hiermit noch
zögern zu müssen, weil es ihm unverantwortlich schien, die Geliebte den wenn
auch uicht glänzenden, so doch anscheinend gesicherten Verhältnissen, in denen sie
an der Seite des Vaters lebte, zu entreißen und ihr dafür ein Dasein voller Ent¬
behrungen zu bieten.

So verging der Winter. Aus Paris kamen immer ernstere Nachrichten. Er¬
eignisse von ungeahnter Tragweite waren mit überraschender Schnelligkeit aufein¬
ander gefolgt. Die Revolution holte von Tag zu Tag zu wuchtigem Schlägen
gegen das Bestehende aus. Die Abschaffung des Adels, die Konstitution des Klerus,
die Verfolgungen, denen die den Eid verweigernden Geistlichen ausgesetzt waren,
die Aufhebung der Parlamente und Behörden, der steigende Einfluß der Jakobiner
und der schwächliche Widerstand der monarchischen Klubs -- das waren Zeiche"
der Zeit, die auch deu hoffnungsvollsten der Emigranten verraten mußten, daß
auf eine friedliche Lösung der Wirrnisse uicht mehr zu rechnen sei.

Einer der wenigen, die sich beharrlich dieser Erkenntnis verschlossen, war der
Marquis von Marigny. Aber eben deshalb hatte das Schicksal für ihn einen
Beweisgrund bei der Hand, der bittrer war als alle Zeitungsnachrichten zusammen¬
genommen: die Einkünfte von seinem Gute blieben aus. Woran das lag, ließ sich


Der Marquis von Marigny

beworben hatte, zu erhalten, vielleicht weil der Prttfekt und die Professoren
— Jesuiten, die nach der Aufhebung des Ordens ihre Erzichertätigkeit als Weltgeist-
ltche fortsetzten — in dem jungen Franzosen etwas von dem Geiste einer neuen Zeit
witterten. So war er denn auf die kargen Einnahmen angewiesen, die ihm einige
Lektionen brachten, für die er nach mancherlei vergeblichen Bemühungen unter den
kurfürstlichen Hofjunkern und Offizieren Schüler fand. Sie reichten gerade ans,
ihn selbst vor dem Verhungern zu schützen, führten ihm zugleich aber ans das ein¬
dringlichste vor Augen, wie schwer es unter den gegebnen Verhältnissen sein müsse,
eine Familie zu ernähren.

Zum Glück besann er sich noch rechtzeitig auf eine Kunst, die er früher, nament¬
lich in den zahlreichen Mußestunden seiner Offizierszeit, wenn auch uur zu seiner
Liebhaberei, so doch mit schönem Erfolge getrieben hatte: auf die Miniaturmalerei.
Er hatte hierfür eine mehr als mittelmäßige Begabung und hatte es durch Übung
soweit gebracht, daß er Bildnisse, besonders männliche, ähnlich und in saubrer Aus¬
führung auf Pergamentblättchen, Elfenbeintäfelchen oder kleine Kupferplatten malen
konnte. Er sagte sich, für Porträts dieser Art müsse in Koblenz jetzt Bedarf vor¬
handen sein, da der Zusammenfluß so vieler Menschen die Anknüpfung freund-
schaftlicher und galanter Beziehungen begünstige, und unter den Dingen, die man als
Unterpfand seiner Neigung zu verschenken Pflege, kaum ein andres so gern entgegen¬
genommen und vielleicht noch lieber gegeben würde, wie ein wohlgelungnes Bildnis.

Er porträtierte zunächst ein paar seiner Landsleute und stellte die Bildchen
in dem vielbesuchten Quineaillerieladeu der Herren Ballier und Lacomparte zur Be¬
sichtigung aus. Sie fanden Beifall und führten ihm bald eine ganze Auzahl von
Kavalieren zu, unter diesen den Herzog von Guiche, der mit der Ausführung seines
Bildnisses so zufrieden war, daß er sofort vier Kopien bestellte, die alle, in goldne
Medaillons untergebracht und mit zierlichen Kettchen versehen, bei den von den lebens¬
lustigen Herren um diese Zeit gerade begünstigten Schönen die freundlichste Auf¬
nahme fanden.

So kam Henri von Villeroi buchstäblich über Nacht in Mode, und wer etwas
auf sich hielt, beeilte sich, sein liebes Ich entweder mit der künstlich aufgebauten
Puderfrisur der Mode von gestern oder in dein von den verhaßten Demokraten
willig übernommenen Schmucke wirrer Locken von der kunstfertigen Hand des
xoiutrk-Aölltildomilro verewigen zu lassen.

Herr und Frau von Gramont, die anfangs mit dem fo wenig standesgemäßen
Broterwerb ihres Freundes nicht recht einverstanden gewesen waren, bekannten sich
jetzt, da sie den Erfolg seiner Tätigkeit sahen, zu der Ansicht, in der Not sei auch
einem Edelmanns jede Beschäftigung erlaubt, und ermahnten ihn, endlich Schritte
zu seiner Verbindung mit Marguerite zu tun. Aber Henri glaubte hiermit noch
zögern zu müssen, weil es ihm unverantwortlich schien, die Geliebte den wenn
auch uicht glänzenden, so doch anscheinend gesicherten Verhältnissen, in denen sie
an der Seite des Vaters lebte, zu entreißen und ihr dafür ein Dasein voller Ent¬
behrungen zu bieten.

So verging der Winter. Aus Paris kamen immer ernstere Nachrichten. Er¬
eignisse von ungeahnter Tragweite waren mit überraschender Schnelligkeit aufein¬
ander gefolgt. Die Revolution holte von Tag zu Tag zu wuchtigem Schlägen
gegen das Bestehende aus. Die Abschaffung des Adels, die Konstitution des Klerus,
die Verfolgungen, denen die den Eid verweigernden Geistlichen ausgesetzt waren,
die Aufhebung der Parlamente und Behörden, der steigende Einfluß der Jakobiner
und der schwächliche Widerstand der monarchischen Klubs — das waren Zeiche»
der Zeit, die auch deu hoffnungsvollsten der Emigranten verraten mußten, daß
auf eine friedliche Lösung der Wirrnisse uicht mehr zu rechnen sei.

Einer der wenigen, die sich beharrlich dieser Erkenntnis verschlossen, war der
Marquis von Marigny. Aber eben deshalb hatte das Schicksal für ihn einen
Beweisgrund bei der Hand, der bittrer war als alle Zeitungsnachrichten zusammen¬
genommen: die Einkünfte von seinem Gute blieben aus. Woran das lag, ließ sich


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[0748] Der Marquis von Marigny beworben hatte, zu erhalten, vielleicht weil der Prttfekt und die Professoren — Jesuiten, die nach der Aufhebung des Ordens ihre Erzichertätigkeit als Weltgeist- ltche fortsetzten — in dem jungen Franzosen etwas von dem Geiste einer neuen Zeit witterten. So war er denn auf die kargen Einnahmen angewiesen, die ihm einige Lektionen brachten, für die er nach mancherlei vergeblichen Bemühungen unter den kurfürstlichen Hofjunkern und Offizieren Schüler fand. Sie reichten gerade ans, ihn selbst vor dem Verhungern zu schützen, führten ihm zugleich aber ans das ein¬ dringlichste vor Augen, wie schwer es unter den gegebnen Verhältnissen sein müsse, eine Familie zu ernähren. Zum Glück besann er sich noch rechtzeitig auf eine Kunst, die er früher, nament¬ lich in den zahlreichen Mußestunden seiner Offizierszeit, wenn auch uur zu seiner Liebhaberei, so doch mit schönem Erfolge getrieben hatte: auf die Miniaturmalerei. Er hatte hierfür eine mehr als mittelmäßige Begabung und hatte es durch Übung soweit gebracht, daß er Bildnisse, besonders männliche, ähnlich und in saubrer Aus¬ führung auf Pergamentblättchen, Elfenbeintäfelchen oder kleine Kupferplatten malen konnte. Er sagte sich, für Porträts dieser Art müsse in Koblenz jetzt Bedarf vor¬ handen sein, da der Zusammenfluß so vieler Menschen die Anknüpfung freund- schaftlicher und galanter Beziehungen begünstige, und unter den Dingen, die man als Unterpfand seiner Neigung zu verschenken Pflege, kaum ein andres so gern entgegen¬ genommen und vielleicht noch lieber gegeben würde, wie ein wohlgelungnes Bildnis. Er porträtierte zunächst ein paar seiner Landsleute und stellte die Bildchen in dem vielbesuchten Quineaillerieladeu der Herren Ballier und Lacomparte zur Be¬ sichtigung aus. Sie fanden Beifall und führten ihm bald eine ganze Auzahl von Kavalieren zu, unter diesen den Herzog von Guiche, der mit der Ausführung seines Bildnisses so zufrieden war, daß er sofort vier Kopien bestellte, die alle, in goldne Medaillons untergebracht und mit zierlichen Kettchen versehen, bei den von den lebens¬ lustigen Herren um diese Zeit gerade begünstigten Schönen die freundlichste Auf¬ nahme fanden. So kam Henri von Villeroi buchstäblich über Nacht in Mode, und wer etwas auf sich hielt, beeilte sich, sein liebes Ich entweder mit der künstlich aufgebauten Puderfrisur der Mode von gestern oder in dein von den verhaßten Demokraten willig übernommenen Schmucke wirrer Locken von der kunstfertigen Hand des xoiutrk-Aölltildomilro verewigen zu lassen. Herr und Frau von Gramont, die anfangs mit dem fo wenig standesgemäßen Broterwerb ihres Freundes nicht recht einverstanden gewesen waren, bekannten sich jetzt, da sie den Erfolg seiner Tätigkeit sahen, zu der Ansicht, in der Not sei auch einem Edelmanns jede Beschäftigung erlaubt, und ermahnten ihn, endlich Schritte zu seiner Verbindung mit Marguerite zu tun. Aber Henri glaubte hiermit noch zögern zu müssen, weil es ihm unverantwortlich schien, die Geliebte den wenn auch uicht glänzenden, so doch anscheinend gesicherten Verhältnissen, in denen sie an der Seite des Vaters lebte, zu entreißen und ihr dafür ein Dasein voller Ent¬ behrungen zu bieten. So verging der Winter. Aus Paris kamen immer ernstere Nachrichten. Er¬ eignisse von ungeahnter Tragweite waren mit überraschender Schnelligkeit aufein¬ ander gefolgt. Die Revolution holte von Tag zu Tag zu wuchtigem Schlägen gegen das Bestehende aus. Die Abschaffung des Adels, die Konstitution des Klerus, die Verfolgungen, denen die den Eid verweigernden Geistlichen ausgesetzt waren, die Aufhebung der Parlamente und Behörden, der steigende Einfluß der Jakobiner und der schwächliche Widerstand der monarchischen Klubs — das waren Zeiche» der Zeit, die auch deu hoffnungsvollsten der Emigranten verraten mußten, daß auf eine friedliche Lösung der Wirrnisse uicht mehr zu rechnen sei. Einer der wenigen, die sich beharrlich dieser Erkenntnis verschlossen, war der Marquis von Marigny. Aber eben deshalb hatte das Schicksal für ihn einen Beweisgrund bei der Hand, der bittrer war als alle Zeitungsnachrichten zusammen¬ genommen: die Einkünfte von seinem Gute blieben aus. Woran das lag, ließ sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/748>, abgerufen am 24.08.2024.