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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Villa Glori

zusammen, ihre verschlafnen und erschrocknen Gefangnen mit sich führend. Es
war ein Uhr Nachts, und man war kaum noch eine Stunde von Rom entfernt.
Kurz danach hielten die Fahrzeuge abermals an; gespannt, ungeduldig er¬
wartete mau Signale von Rom, aber es war nichts zu sehen, und ein dichter
Nebel hüllte bald alles wieder in undurchdringliche Finsternis. Endlich, als
ein fernes schwaches Zwielicht das Nahen des Tages, des 23. Oktobers, ver¬
kündete, wurde eine der Barken mit einem Freiwilligen, einem Römer, auf Re¬
kognoszierung vorausgeschickt. Sie kam nicht zurück.

Man beschloß, an Land zu gehn, kaum eine Viertelstunde oberhalb des
Ponte Molle, ganz in der Nähe der Acqua Aeetosa, die Goethe im Sommer
des Jnhres 1737 jeden Morgen zu besuchen pflegte, und die auch jetzt noch
von vielen besucht wird. Um von solchen Wandrern nicht entdeckt zu werden,
verbargen sich die Freiwilligen in einem Röhricht. Da sie aber hier doch
nicht lange bleiben konnten, so schickte Enrieo Cairoli seinen Bruder Giovanni
mit dem dritten Zuge den hohen steilen Uferrand hinauf, daß er eine bessere
Position suchen sollte. Dieser entdeckte dort oben ein kastellartiges Landhaus,
das durch einen Weg mit einem kleinern, nach der Stadt zu liegenden Hanse ver¬
bunden und mit Weinpslanzungen umgeben war. Es war die Villa Glori, das
Eigentum eines römischen Klerikalen vom reinsten Wasser. Sie wurde vom
dritten Zuge sofort besetzt, auch das Haus des Winzers, und wo es nötig schien,
ein Posten aufgestellt. Seit dein Abend des 20. Oktobers, seit achtundfunfzig
Stunden waren die Freiwilligen fast ununterbrochen und bei dürftigster Ver¬
pflegung Tag und Nacht in Bewegung gewesen; kein Wunder, daß sie sofort
über einen Vorrat von Granatäpfeln und Weinflaschen Hersielen, die der Be¬
sitzer zurückzulassen die Güte gehabt hatte. Ein Kriegsrat beschloß, hier zunächst
das Weitere abzuwarten, im Notfall verzweifelten Widerstand zu leisten. Gegen
einen ernsten Angriff war die Stellung freilich nur nordwärts gegen den Tiber
hin haltbar, wo dieses Hügelland der Monti Parioli steil nach dem Flusse zu
abfüllt; nach Süden, nach der Stadt zu dacht es sich flach ab, und hier führt
eine Fahrstraße nach dem Areo vscuro bei der Villa ti Papa Giulio hinunter,
die dann in die Via Flciminia mündet. Da noch jede Nachricht aus Rom fehlte,
so erhielt Muratti den Auftrag, dorthin zu gehn. Seinen Paß überließ er dabei
als unnütz dem Triestiner Mosettig, seinem Landsmann. Aber er wurde an der
Porta bei Popolo verhaftet und kehrte nicht zurück. Denn der verabredete An¬
schlag in Rom war schon am Tage vorher mißlungen. Am 22. Oktober war
-- zu früh -- der Versuch gemacht worden, die Serristorikaserne im Trastevere
durch eine Mine in die Luft zu sprengen, und etwa hundert junge Leute hatten
sich der Porta San Paolo bemächtigen wollen, doch die päpstlichen Truppen
hatten diese Bewegungen rasch erstickt und waren auf ihrer Hut.

(Schluss folgt)




Villa Glori

zusammen, ihre verschlafnen und erschrocknen Gefangnen mit sich führend. Es
war ein Uhr Nachts, und man war kaum noch eine Stunde von Rom entfernt.
Kurz danach hielten die Fahrzeuge abermals an; gespannt, ungeduldig er¬
wartete mau Signale von Rom, aber es war nichts zu sehen, und ein dichter
Nebel hüllte bald alles wieder in undurchdringliche Finsternis. Endlich, als
ein fernes schwaches Zwielicht das Nahen des Tages, des 23. Oktobers, ver¬
kündete, wurde eine der Barken mit einem Freiwilligen, einem Römer, auf Re¬
kognoszierung vorausgeschickt. Sie kam nicht zurück.

Man beschloß, an Land zu gehn, kaum eine Viertelstunde oberhalb des
Ponte Molle, ganz in der Nähe der Acqua Aeetosa, die Goethe im Sommer
des Jnhres 1737 jeden Morgen zu besuchen pflegte, und die auch jetzt noch
von vielen besucht wird. Um von solchen Wandrern nicht entdeckt zu werden,
verbargen sich die Freiwilligen in einem Röhricht. Da sie aber hier doch
nicht lange bleiben konnten, so schickte Enrieo Cairoli seinen Bruder Giovanni
mit dem dritten Zuge den hohen steilen Uferrand hinauf, daß er eine bessere
Position suchen sollte. Dieser entdeckte dort oben ein kastellartiges Landhaus,
das durch einen Weg mit einem kleinern, nach der Stadt zu liegenden Hanse ver¬
bunden und mit Weinpslanzungen umgeben war. Es war die Villa Glori, das
Eigentum eines römischen Klerikalen vom reinsten Wasser. Sie wurde vom
dritten Zuge sofort besetzt, auch das Haus des Winzers, und wo es nötig schien,
ein Posten aufgestellt. Seit dein Abend des 20. Oktobers, seit achtundfunfzig
Stunden waren die Freiwilligen fast ununterbrochen und bei dürftigster Ver¬
pflegung Tag und Nacht in Bewegung gewesen; kein Wunder, daß sie sofort
über einen Vorrat von Granatäpfeln und Weinflaschen Hersielen, die der Be¬
sitzer zurückzulassen die Güte gehabt hatte. Ein Kriegsrat beschloß, hier zunächst
das Weitere abzuwarten, im Notfall verzweifelten Widerstand zu leisten. Gegen
einen ernsten Angriff war die Stellung freilich nur nordwärts gegen den Tiber
hin haltbar, wo dieses Hügelland der Monti Parioli steil nach dem Flusse zu
abfüllt; nach Süden, nach der Stadt zu dacht es sich flach ab, und hier führt
eine Fahrstraße nach dem Areo vscuro bei der Villa ti Papa Giulio hinunter,
die dann in die Via Flciminia mündet. Da noch jede Nachricht aus Rom fehlte,
so erhielt Muratti den Auftrag, dorthin zu gehn. Seinen Paß überließ er dabei
als unnütz dem Triestiner Mosettig, seinem Landsmann. Aber er wurde an der
Porta bei Popolo verhaftet und kehrte nicht zurück. Denn der verabredete An¬
schlag in Rom war schon am Tage vorher mißlungen. Am 22. Oktober war
— zu früh — der Versuch gemacht worden, die Serristorikaserne im Trastevere
durch eine Mine in die Luft zu sprengen, und etwa hundert junge Leute hatten
sich der Porta San Paolo bemächtigen wollen, doch die päpstlichen Truppen
hatten diese Bewegungen rasch erstickt und waren auf ihrer Hut.

(Schluss folgt)




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[0716] Villa Glori zusammen, ihre verschlafnen und erschrocknen Gefangnen mit sich führend. Es war ein Uhr Nachts, und man war kaum noch eine Stunde von Rom entfernt. Kurz danach hielten die Fahrzeuge abermals an; gespannt, ungeduldig er¬ wartete mau Signale von Rom, aber es war nichts zu sehen, und ein dichter Nebel hüllte bald alles wieder in undurchdringliche Finsternis. Endlich, als ein fernes schwaches Zwielicht das Nahen des Tages, des 23. Oktobers, ver¬ kündete, wurde eine der Barken mit einem Freiwilligen, einem Römer, auf Re¬ kognoszierung vorausgeschickt. Sie kam nicht zurück. Man beschloß, an Land zu gehn, kaum eine Viertelstunde oberhalb des Ponte Molle, ganz in der Nähe der Acqua Aeetosa, die Goethe im Sommer des Jnhres 1737 jeden Morgen zu besuchen pflegte, und die auch jetzt noch von vielen besucht wird. Um von solchen Wandrern nicht entdeckt zu werden, verbargen sich die Freiwilligen in einem Röhricht. Da sie aber hier doch nicht lange bleiben konnten, so schickte Enrieo Cairoli seinen Bruder Giovanni mit dem dritten Zuge den hohen steilen Uferrand hinauf, daß er eine bessere Position suchen sollte. Dieser entdeckte dort oben ein kastellartiges Landhaus, das durch einen Weg mit einem kleinern, nach der Stadt zu liegenden Hanse ver¬ bunden und mit Weinpslanzungen umgeben war. Es war die Villa Glori, das Eigentum eines römischen Klerikalen vom reinsten Wasser. Sie wurde vom dritten Zuge sofort besetzt, auch das Haus des Winzers, und wo es nötig schien, ein Posten aufgestellt. Seit dein Abend des 20. Oktobers, seit achtundfunfzig Stunden waren die Freiwilligen fast ununterbrochen und bei dürftigster Ver¬ pflegung Tag und Nacht in Bewegung gewesen; kein Wunder, daß sie sofort über einen Vorrat von Granatäpfeln und Weinflaschen Hersielen, die der Be¬ sitzer zurückzulassen die Güte gehabt hatte. Ein Kriegsrat beschloß, hier zunächst das Weitere abzuwarten, im Notfall verzweifelten Widerstand zu leisten. Gegen einen ernsten Angriff war die Stellung freilich nur nordwärts gegen den Tiber hin haltbar, wo dieses Hügelland der Monti Parioli steil nach dem Flusse zu abfüllt; nach Süden, nach der Stadt zu dacht es sich flach ab, und hier führt eine Fahrstraße nach dem Areo vscuro bei der Villa ti Papa Giulio hinunter, die dann in die Via Flciminia mündet. Da noch jede Nachricht aus Rom fehlte, so erhielt Muratti den Auftrag, dorthin zu gehn. Seinen Paß überließ er dabei als unnütz dem Triestiner Mosettig, seinem Landsmann. Aber er wurde an der Porta bei Popolo verhaftet und kehrte nicht zurück. Denn der verabredete An¬ schlag in Rom war schon am Tage vorher mißlungen. Am 22. Oktober war — zu früh — der Versuch gemacht worden, die Serristorikaserne im Trastevere durch eine Mine in die Luft zu sprengen, und etwa hundert junge Leute hatten sich der Porta San Paolo bemächtigen wollen, doch die päpstlichen Truppen hatten diese Bewegungen rasch erstickt und waren auf ihrer Hut. (Schluss folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/716>, abgerufen am 26.07.2024.