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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Frömmigkeit und Religionsunterricht

fand Schaefer nach den Akten nur bei dem Postsekretär Becker, wohlwollende
Anerkennung seines Strebens. die jedoch mit Voreingenommenheit gegen die
Erfindung verbunden war. bei dem Landrat Schier. bereitwillige, vorurteils¬
freie Aufnahme und gewissenhafte Förderung seines Gedankens beim Kömg.
Friedrich der Große hat das Seine getan, die mit den Versuchen beauf¬
tragten Behörden hätten mehr tun können. Zunftstolz dürfte die Kolbcrger
Seeleute, Mangel an Teilnahme für die Bedürfnisse der seefahrenden Be¬
völkerung und Stnndeshochmnt die Berliner Baubeamten und die Kolbcrger
Artillerieoffiziere bei der Beurteilung des Verfahrens beeinflußt haben. Doch
mag sein, daß mich der Eifer, mit dein die preußischen Artillerieoffiziere späterer
Zeiten das Rettnngswescn förderten, verwöhnt hat. Denn was die Garnison-
nnd Feldartillerieoffiziere des Jahres 1784 versäumt haben, das hat ihr
Nachwuchs vierzig Jahre später ant gemacht. Offiziere der ersten Brigade
"ahmen mit Begeisterung die inzwischen in England wiedergeborne Idee auf,
bildeten im Verein mit den Küstenbcamten das auf ihr beruhende Rettungs-
verfnhren durch sorgfältige Versuche zu Neufahrwasser. Weichselmünde, Pillau
und Memel aus und wandten die ultima. i'Mo n-Mr-^ornin um Jahre 1828
zum erstenmal auf dem europäischen Festlande bei einer Strandung auf der
Frischer Nehrung mit Erfolg an.




Frömmigkeit und Religionsunterricht
Heinrich Basser manu von

ist mitunter heilsam, ganz selbstverständliche und alltägliche
Behauptungen von neuem durchzudenken und auf ihre Wahrheit
zu prüfen. Die Entwicklung des menschlichen Geisteslebens voll¬
zieht sich auch so, daß sie auf den verschiedensten Gebieten zeitweise
eben hierzu auffordert, indem sie bei gewissen Wendepunkten gerade
^che selbstverständlichen Wahrheiten in Frage stellt und dadurch zu ihrer er¬
neuten Prüfung Veranlassung gibt. Zu den alltäglichen Wahrheiten, die heute
^uf einmal bezweifelt werden, scheint mir nun auch die zu gehören, daß der
Religionsunterricht um der Frömmigkeit willen da sei, daß Pflanzung, Pflege
und Förderung der Frömmigkeit sein Zweck, er selbst aber Mittel für diesen
Zweck sei. Ist dem wirklich so? Es ist der anerkannt ungeheure Mißerfolg,
er diese Frage auf die Lippen drängt. Wozu geben wir eigentlich Religions-
"utcrricht? was wolle" wir damit bezwecke", was könne" wir damit erreichen?
lese Fragen werden in pädagogischen und in theologischen Kreisen heute ziemlich
Schaft behandelt. Und ich meine, sie sind auch für die Laien, d. h. vor allem
sur Eltern, die ihre Kinder in den Religionsunterricht schicken, so wichtig, daß
verdienen, mit Aufmerksamkeit erwogen zu werden.

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Ganz ohne allen Wahrheitsgehalt pflegen nun solche alltäglichen Sätze
ausgemachten Behauptungen in der Regel nicht zu sein. Nicht ihre Um-


Frömmigkeit und Religionsunterricht

fand Schaefer nach den Akten nur bei dem Postsekretär Becker, wohlwollende
Anerkennung seines Strebens. die jedoch mit Voreingenommenheit gegen die
Erfindung verbunden war. bei dem Landrat Schier. bereitwillige, vorurteils¬
freie Aufnahme und gewissenhafte Förderung seines Gedankens beim Kömg.
Friedrich der Große hat das Seine getan, die mit den Versuchen beauf¬
tragten Behörden hätten mehr tun können. Zunftstolz dürfte die Kolbcrger
Seeleute, Mangel an Teilnahme für die Bedürfnisse der seefahrenden Be¬
völkerung und Stnndeshochmnt die Berliner Baubeamten und die Kolbcrger
Artillerieoffiziere bei der Beurteilung des Verfahrens beeinflußt haben. Doch
mag sein, daß mich der Eifer, mit dein die preußischen Artillerieoffiziere späterer
Zeiten das Rettnngswescn förderten, verwöhnt hat. Denn was die Garnison-
nnd Feldartillerieoffiziere des Jahres 1784 versäumt haben, das hat ihr
Nachwuchs vierzig Jahre später ant gemacht. Offiziere der ersten Brigade
"ahmen mit Begeisterung die inzwischen in England wiedergeborne Idee auf,
bildeten im Verein mit den Küstenbcamten das auf ihr beruhende Rettungs-
verfnhren durch sorgfältige Versuche zu Neufahrwasser. Weichselmünde, Pillau
und Memel aus und wandten die ultima. i'Mo n-Mr-^ornin um Jahre 1828
zum erstenmal auf dem europäischen Festlande bei einer Strandung auf der
Frischer Nehrung mit Erfolg an.




Frömmigkeit und Religionsunterricht
Heinrich Basser manu von

ist mitunter heilsam, ganz selbstverständliche und alltägliche
Behauptungen von neuem durchzudenken und auf ihre Wahrheit
zu prüfen. Die Entwicklung des menschlichen Geisteslebens voll¬
zieht sich auch so, daß sie auf den verschiedensten Gebieten zeitweise
eben hierzu auffordert, indem sie bei gewissen Wendepunkten gerade
^che selbstverständlichen Wahrheiten in Frage stellt und dadurch zu ihrer er¬
neuten Prüfung Veranlassung gibt. Zu den alltäglichen Wahrheiten, die heute
^uf einmal bezweifelt werden, scheint mir nun auch die zu gehören, daß der
Religionsunterricht um der Frömmigkeit willen da sei, daß Pflanzung, Pflege
und Förderung der Frömmigkeit sein Zweck, er selbst aber Mittel für diesen
Zweck sei. Ist dem wirklich so? Es ist der anerkannt ungeheure Mißerfolg,
er diese Frage auf die Lippen drängt. Wozu geben wir eigentlich Religions-
"utcrricht? was wolle» wir damit bezwecke», was könne» wir damit erreichen?
lese Fragen werden in pädagogischen und in theologischen Kreisen heute ziemlich
Schaft behandelt. Und ich meine, sie sind auch für die Laien, d. h. vor allem
sur Eltern, die ihre Kinder in den Religionsunterricht schicken, so wichtig, daß
verdienen, mit Aufmerksamkeit erwogen zu werden.

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Ganz ohne allen Wahrheitsgehalt pflegen nun solche alltäglichen Sätze
ausgemachten Behauptungen in der Regel nicht zu sein. Nicht ihre Um-


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[0655] Frömmigkeit und Religionsunterricht fand Schaefer nach den Akten nur bei dem Postsekretär Becker, wohlwollende Anerkennung seines Strebens. die jedoch mit Voreingenommenheit gegen die Erfindung verbunden war. bei dem Landrat Schier. bereitwillige, vorurteils¬ freie Aufnahme und gewissenhafte Förderung seines Gedankens beim Kömg. Friedrich der Große hat das Seine getan, die mit den Versuchen beauf¬ tragten Behörden hätten mehr tun können. Zunftstolz dürfte die Kolbcrger Seeleute, Mangel an Teilnahme für die Bedürfnisse der seefahrenden Be¬ völkerung und Stnndeshochmnt die Berliner Baubeamten und die Kolbcrger Artillerieoffiziere bei der Beurteilung des Verfahrens beeinflußt haben. Doch mag sein, daß mich der Eifer, mit dein die preußischen Artillerieoffiziere späterer Zeiten das Rettnngswescn förderten, verwöhnt hat. Denn was die Garnison- nnd Feldartillerieoffiziere des Jahres 1784 versäumt haben, das hat ihr Nachwuchs vierzig Jahre später ant gemacht. Offiziere der ersten Brigade "ahmen mit Begeisterung die inzwischen in England wiedergeborne Idee auf, bildeten im Verein mit den Küstenbcamten das auf ihr beruhende Rettungs- verfnhren durch sorgfältige Versuche zu Neufahrwasser. Weichselmünde, Pillau und Memel aus und wandten die ultima. i'Mo n-Mr-^ornin um Jahre 1828 zum erstenmal auf dem europäischen Festlande bei einer Strandung auf der Frischer Nehrung mit Erfolg an. Frömmigkeit und Religionsunterricht Heinrich Basser manu von ist mitunter heilsam, ganz selbstverständliche und alltägliche Behauptungen von neuem durchzudenken und auf ihre Wahrheit zu prüfen. Die Entwicklung des menschlichen Geisteslebens voll¬ zieht sich auch so, daß sie auf den verschiedensten Gebieten zeitweise eben hierzu auffordert, indem sie bei gewissen Wendepunkten gerade ^che selbstverständlichen Wahrheiten in Frage stellt und dadurch zu ihrer er¬ neuten Prüfung Veranlassung gibt. Zu den alltäglichen Wahrheiten, die heute ^uf einmal bezweifelt werden, scheint mir nun auch die zu gehören, daß der Religionsunterricht um der Frömmigkeit willen da sei, daß Pflanzung, Pflege und Förderung der Frömmigkeit sein Zweck, er selbst aber Mittel für diesen Zweck sei. Ist dem wirklich so? Es ist der anerkannt ungeheure Mißerfolg, er diese Frage auf die Lippen drängt. Wozu geben wir eigentlich Religions- "utcrricht? was wolle» wir damit bezwecke», was könne» wir damit erreichen? lese Fragen werden in pädagogischen und in theologischen Kreisen heute ziemlich Schaft behandelt. Und ich meine, sie sind auch für die Laien, d. h. vor allem sur Eltern, die ihre Kinder in den Religionsunterricht schicken, so wichtig, daß verdienen, mit Aufmerksamkeit erwogen zu werden. 1 Ganz ohne allen Wahrheitsgehalt pflegen nun solche alltäglichen Sätze ausgemachten Behauptungen in der Regel nicht zu sein. Nicht ihre Um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/655>, abgerufen am 22.07.2024.