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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Arbeiter und der Gctreidezoll

geschickt geprägtes Schlagwort fiir die innere Wirtschaftspolitik hat. Und heute
wiederholt sich, wenn auch in andrer Parteigruppiernng, wenn auch in andern
Zielpunkten, doch derselbe Kampf um den Kornzoll, Im Grunde genommen
steht aber nicht in Frage, ob der Kornzoll höher oder niedriger sein soll, nicht
uni die etwaige Preishöhe des Zolles stehn die wirtschaftlichen Parteien unsers
Vaterlandes im Widerspruch, es handelt sich vielmehr um das Aufeinander¬
stoßen zweier wirtschaftlicher Grundanschauungen, die um den Sieg miteinander
in unserm Volke ringen. Und der Ausgang dieses Kampfes ist nicht davon
abhängig, welche der Parteien im nächsten Reichstage die Mehrheit haben
wird. Weder nach der einen noch nach der andern Seite, nach der gehofften
oder nach der gefürchteten, wird sich die Entwicklung unsrer Wirtschaft so schnell
vollziehn. Als in England in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahr¬
hunderts die Grundlage!! zu der heute herrschenden Freihandelstheorie gelegt
wurden, dauerte es doch mehr als zwei Menschenalter, ehe sie sich aus der
Theorie in die Praxis umsetzten, und so wird auch der Kampf, worin wir
mitten drin stehen, nicht an einem Wahltage ausgefochten werden.

Das soll nun aber nicht etwa heißen, daß wir der kommenden Wahlschlacht
keine Bedeutung zumessen wollten. Die Sozialdemokratie, die so viele ihrer
Ideen aus England entlehnt hat, hat auch geglaubt, sich das Rüstzeug für die
kommende Wahlschlacht von dort holen zu müssen. Ihr Ruf vom Brotwucher
der hungernden Agrarier ist nichts andres als eine Karikatur der Cobdenschen
Worte. Immerhin nötigt dieser Ruf vom Brotwucher alle, sich die Frage
nahe zu legen: Wie steht es damit, was ist daran wahr, was ist falsch?

Um es gleich vorauszuschicken: wenn wir diese Frage zu beantworten ver¬
suchen, so gehn wir auf die prinzipielle Frage, ob ein Kornzoll an sich gerecht¬
fertigt ist, uicht mehr ein. Wir "vollen keine theoretische Untersuchung führen,
wir "vollen nur mit gegebnen Tatsachen rechnen. Wir nehmen also den KorN-
zoll, wie ihn die Regierungsvorlage enthält, als maßgebend für die nächsten
Handelsverträge an. Wir rechnen damit, daß auch im nächsten Reichstage
Handelsverträge nur mit erhöhten Koriizöllen durchgehn werden.

Was werden nun diese erhöhten Kornzölle der Landwirtschaft bringen?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir unsre Untersuchung nach zwei ge¬
trennten Richtungen zu führen. Zuerst handelt es sich darum, festzustellen'
Wie groß ist die Einfuhr an Getreide, und wie groß ist der vorhcmdne Inlands-
Vorrat?

1894/951895/961896/971897/981898/99
in Tonnen zu 1000 Kilogramm
Roggen
Inlandsvorrat731545667229917Q1706571561598021493
Zuschuß vom Ausland'"
Weizen589887827 068579379590307432584
Jnlandsvorrat2997 8152841061309016929345513270838
Zuschuß vom Ausland1171546146521713452961020 0291428436



Jnlandsvorrat: gleich der Ernte abzüglich des Aussaatquantums,
Zuschuß vom Ausland: gleich Einfuhr abzüglich der Ausfuhr; eingeführtes Mehl ist
auf die betreffende Körnerfrucht ungerechnet.
Der Arbeiter und der Gctreidezoll

geschickt geprägtes Schlagwort fiir die innere Wirtschaftspolitik hat. Und heute
wiederholt sich, wenn auch in andrer Parteigruppiernng, wenn auch in andern
Zielpunkten, doch derselbe Kampf um den Kornzoll, Im Grunde genommen
steht aber nicht in Frage, ob der Kornzoll höher oder niedriger sein soll, nicht
uni die etwaige Preishöhe des Zolles stehn die wirtschaftlichen Parteien unsers
Vaterlandes im Widerspruch, es handelt sich vielmehr um das Aufeinander¬
stoßen zweier wirtschaftlicher Grundanschauungen, die um den Sieg miteinander
in unserm Volke ringen. Und der Ausgang dieses Kampfes ist nicht davon
abhängig, welche der Parteien im nächsten Reichstage die Mehrheit haben
wird. Weder nach der einen noch nach der andern Seite, nach der gehofften
oder nach der gefürchteten, wird sich die Entwicklung unsrer Wirtschaft so schnell
vollziehn. Als in England in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahr¬
hunderts die Grundlage!! zu der heute herrschenden Freihandelstheorie gelegt
wurden, dauerte es doch mehr als zwei Menschenalter, ehe sie sich aus der
Theorie in die Praxis umsetzten, und so wird auch der Kampf, worin wir
mitten drin stehen, nicht an einem Wahltage ausgefochten werden.

Das soll nun aber nicht etwa heißen, daß wir der kommenden Wahlschlacht
keine Bedeutung zumessen wollten. Die Sozialdemokratie, die so viele ihrer
Ideen aus England entlehnt hat, hat auch geglaubt, sich das Rüstzeug für die
kommende Wahlschlacht von dort holen zu müssen. Ihr Ruf vom Brotwucher
der hungernden Agrarier ist nichts andres als eine Karikatur der Cobdenschen
Worte. Immerhin nötigt dieser Ruf vom Brotwucher alle, sich die Frage
nahe zu legen: Wie steht es damit, was ist daran wahr, was ist falsch?

Um es gleich vorauszuschicken: wenn wir diese Frage zu beantworten ver¬
suchen, so gehn wir auf die prinzipielle Frage, ob ein Kornzoll an sich gerecht¬
fertigt ist, uicht mehr ein. Wir »vollen keine theoretische Untersuchung führen,
wir »vollen nur mit gegebnen Tatsachen rechnen. Wir nehmen also den KorN-
zoll, wie ihn die Regierungsvorlage enthält, als maßgebend für die nächsten
Handelsverträge an. Wir rechnen damit, daß auch im nächsten Reichstage
Handelsverträge nur mit erhöhten Koriizöllen durchgehn werden.

Was werden nun diese erhöhten Kornzölle der Landwirtschaft bringen?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir unsre Untersuchung nach zwei ge¬
trennten Richtungen zu führen. Zuerst handelt es sich darum, festzustellen'
Wie groß ist die Einfuhr an Getreide, und wie groß ist der vorhcmdne Inlands-
Vorrat?

1894/951895/961896/971897/981898/99
in Tonnen zu 1000 Kilogramm
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Inlandsvorrat731545667229917Q1706571561598021493
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Jnlandsvorrat: gleich der Ernte abzüglich des Aussaatquantums,
Zuschuß vom Ausland: gleich Einfuhr abzüglich der Ausfuhr; eingeführtes Mehl ist
auf die betreffende Körnerfrucht ungerechnet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/638>, abgerufen am 22.07.2024.