Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Die englische Strafrechtspflege In der guten alten Zeit wurde in England ein Verurteilter wie bei uns Die Hinrichtung ist Sache des Sheriffs der betreffenden Grafschaft, der Im Gegensatz zu frühern Jahrhunderten ist es jetzt in England nicht oft, ^enzboten II 1908 76
Die englische Strafrechtspflege In der guten alten Zeit wurde in England ein Verurteilter wie bei uns Die Hinrichtung ist Sache des Sheriffs der betreffenden Grafschaft, der Im Gegensatz zu frühern Jahrhunderten ist es jetzt in England nicht oft, ^enzboten II 1908 76
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240971"/> <fw type="header" place="top"> Die englische Strafrechtspflege</fw><lb/> <p xml:id="ID_2809"> In der guten alten Zeit wurde in England ein Verurteilter wie bei uns<lb/> w feierlichem Zuge zum Richtplntz geleitet. Die Hochverräter im Tower von<lb/> London hatten nicht weit; das Schafott, auf dem der maskierte Scharfrichter<lb/> mit der Axt ihrer wartete, war dicht vor dem Tore der alten Feste. Gewöhn¬<lb/> liche Verbrecher dagegen hatten einen weiten Weg vom Gefängnisse in Newgate<lb/> bis Tyburn. Seeräuber wurden an der untern Themse innerhalb des Be¬<lb/> reichs der Flutwelle gehängt, und dreimal mußte die Flut über die Leichname<lb/> spülen. Um die wüsten und widerlichen Auftritte zu vermeiden, die von einem<lb/> -6uge armer Sünder unzertrennlich schienen, wählte man 1783 den Platz vor<lb/> dem Gefängnisse als Nichtstütte; doch erst 1868 sah man das Unnütze' und<lb/> Schädliche öffentlicher Hinrichtungen ein. Seitdem findet die Tötung inner¬<lb/> halb des Gefängnisses statt mit Ausschluß aller, die nicht amtlich zugegen sein<lb/> uwssen oder besonders zugelassen sind. Dem draußen versammelten Publikum<lb/> hat man noch bis zum August 1902 das Vergnügen gemacht, im Augenblick<lb/> der Hinrichtung eine schwarze Flagge ans dem Gefänguisgebäude bissen zu<lb/> sehen. Jetzt ist auch das eingestellt, und die Herrschaften draußen müssen<lb/> sich an dem Gruseln erregenden Tone des Armsünderglöckleins Genüge sein<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2810"> Die Hinrichtung ist Sache des Sheriffs der betreffenden Grafschaft, der<lb/> uach dem Gesetze das Hängen mit eigner Hand besorgen muß, wenn er keinen<lb/> Henker findet. Den neuern Anschauungen entsprechend ist die Hinrichtung mög¬<lb/> lichst wenig qualvoll. Dn man nicht mehr an die wohltätige abschreckende<lb/> Wirkung der Öffentlichkeit glaubt, hätte es auch keinen Zweck, den Todeskampf<lb/> in die Länge zu ziehn. Die alte Weise war, den armen Sünder durch Weg¬<lb/> wehn des Schinderkarrens am Galgen schweben zu lassen und den Tod durch<lb/> Zusammenschnüren der Luftröhre herbeizuführen. Jetzt wird der Verurteilte<lb/> auf eine Falltür gestellt. Wenn ihm der Strick um den Hals gelegt ist, löst<lb/> wi Hebel die Tür, er fällt hinunter, und die Wucht des Falles, die dem<lb/> Körpergewicht entsprechend durch die Länge des Strickes geregelt wird, bricht<lb/> ihm das Genick. Über die vielerlei Arten der Hinrichtung, die es noch unter<lb/> zivilisierten Völkern gibt, läßt sich streiten. Im Vergleich zu dem in Deutsch¬<lb/> land gesetzlichen Köpfen hat das englische Hunger jedenfalls den Vorzug, daß<lb/> ^ reinlicher ist und weniger widerlich für die zur Anwesenheit verpflichteten<lb/> Beamten. Auch ohne den Anblick von Blut ist eine Hinrichtung peinlich<lb/> genug für die Zuschauer.</p><lb/> <p xml:id="ID_2811" next="#ID_2812"> Im Gegensatz zu frühern Jahrhunderten ist es jetzt in England nicht oft,<lb/> aß der Henker seines Amtes zu walten hat. Im Durchschnitt werden jetzt<lb/> dn einer Bevölkerung von 32 Millionen nur 24 Todesurteile im Jahre ge-<lb/> di^ ^"inn werde» etwa 15 vollstreckt, und die treffen immer Mörder, für<lb/> ^e auch nicht der geringste mildernde Umstand angeführt werden kann. Der<lb/> ^ob dnrch Henkershand spielt also heute nnr noch eine geringe Rolle. Er<lb/> edeutet, daß die menschliche Gesellschaft ein Mitglied ausstößt, von dem sie<lb/> wie Besserung mehr erwartet. Als eine Strafe im neuern Sinne kann<lb/> ? nicht angesehen werden; denn der Zweck der Strafe ist Besserung. In<lb/> Mer amtlichen Eigenschaft wissen die englischen Richter davon noch nichts,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ^enzboten II 1908 76</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0589]
Die englische Strafrechtspflege
In der guten alten Zeit wurde in England ein Verurteilter wie bei uns
w feierlichem Zuge zum Richtplntz geleitet. Die Hochverräter im Tower von
London hatten nicht weit; das Schafott, auf dem der maskierte Scharfrichter
mit der Axt ihrer wartete, war dicht vor dem Tore der alten Feste. Gewöhn¬
liche Verbrecher dagegen hatten einen weiten Weg vom Gefängnisse in Newgate
bis Tyburn. Seeräuber wurden an der untern Themse innerhalb des Be¬
reichs der Flutwelle gehängt, und dreimal mußte die Flut über die Leichname
spülen. Um die wüsten und widerlichen Auftritte zu vermeiden, die von einem
-6uge armer Sünder unzertrennlich schienen, wählte man 1783 den Platz vor
dem Gefängnisse als Nichtstütte; doch erst 1868 sah man das Unnütze' und
Schädliche öffentlicher Hinrichtungen ein. Seitdem findet die Tötung inner¬
halb des Gefängnisses statt mit Ausschluß aller, die nicht amtlich zugegen sein
uwssen oder besonders zugelassen sind. Dem draußen versammelten Publikum
hat man noch bis zum August 1902 das Vergnügen gemacht, im Augenblick
der Hinrichtung eine schwarze Flagge ans dem Gefänguisgebäude bissen zu
sehen. Jetzt ist auch das eingestellt, und die Herrschaften draußen müssen
sich an dem Gruseln erregenden Tone des Armsünderglöckleins Genüge sein
lassen.
Die Hinrichtung ist Sache des Sheriffs der betreffenden Grafschaft, der
uach dem Gesetze das Hängen mit eigner Hand besorgen muß, wenn er keinen
Henker findet. Den neuern Anschauungen entsprechend ist die Hinrichtung mög¬
lichst wenig qualvoll. Dn man nicht mehr an die wohltätige abschreckende
Wirkung der Öffentlichkeit glaubt, hätte es auch keinen Zweck, den Todeskampf
in die Länge zu ziehn. Die alte Weise war, den armen Sünder durch Weg¬
wehn des Schinderkarrens am Galgen schweben zu lassen und den Tod durch
Zusammenschnüren der Luftröhre herbeizuführen. Jetzt wird der Verurteilte
auf eine Falltür gestellt. Wenn ihm der Strick um den Hals gelegt ist, löst
wi Hebel die Tür, er fällt hinunter, und die Wucht des Falles, die dem
Körpergewicht entsprechend durch die Länge des Strickes geregelt wird, bricht
ihm das Genick. Über die vielerlei Arten der Hinrichtung, die es noch unter
zivilisierten Völkern gibt, läßt sich streiten. Im Vergleich zu dem in Deutsch¬
land gesetzlichen Köpfen hat das englische Hunger jedenfalls den Vorzug, daß
^ reinlicher ist und weniger widerlich für die zur Anwesenheit verpflichteten
Beamten. Auch ohne den Anblick von Blut ist eine Hinrichtung peinlich
genug für die Zuschauer.
Im Gegensatz zu frühern Jahrhunderten ist es jetzt in England nicht oft,
aß der Henker seines Amtes zu walten hat. Im Durchschnitt werden jetzt
dn einer Bevölkerung von 32 Millionen nur 24 Todesurteile im Jahre ge-
di^ ^"inn werde» etwa 15 vollstreckt, und die treffen immer Mörder, für
^e auch nicht der geringste mildernde Umstand angeführt werden kann. Der
^ob dnrch Henkershand spielt also heute nnr noch eine geringe Rolle. Er
edeutet, daß die menschliche Gesellschaft ein Mitglied ausstößt, von dem sie
wie Besserung mehr erwartet. Als eine Strafe im neuern Sinne kann
? nicht angesehen werden; denn der Zweck der Strafe ist Besserung. In
Mer amtlichen Eigenschaft wissen die englischen Richter davon noch nichts,
^enzboten II 1908 76
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |