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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Das Lmporkommen Lonapartes

Allerdings, man darf Frankreich nicht allein verdammen: es gab noch eine
Macht, die von unersättlichen Eroberungsdnrst getrieben war: das war die
Monarchie der Habsburger. Diese, deren auswärtige Politik 1799 durch den
Baron Thugut geleitet wurde, ging nicht nur auf die Herrschaft in Deutsch¬
land aus, zu der Kaiser Franz der Zweite durch seine Würde ein Recht zu
haben glaubte, die durch die Erwerbung Bayerns neu befestigt werden sollte;
sie trachtete auch nach der Unterwerfung Italiens: mit einem Fuß wollte man
nördlich, mit einem südlich von den Alpen auftreten und so Europas Geschicke
leiten. Thugut hat den Engländern gesagt, sein Kaiser müsse für die zweite
polnische Teilung, für den Verlust der Niederlande, für seine Kriegskosten ent¬
schädigt werden; er beanspruche die Alpenpässe, sodaß die Franzosen nicht mehr
nach Italien herüber gelangen könnten, also ein großes Stück von Piemont.
Dieses mit der Lombardei vereinigt, beide zusammenhängend mit Venedig, dazu
gefügt die päpstlichen Legationen, alles flankiert von Toscana, einer Art
habsburgischen Lehen -- so würde Österreich eine Stellung erhalten, vor der der
Rest Italiens, Parma, Modena, der auf Rom beschränkte Papst und Neapel
zittern würden: 1814 hat Metternich Thuguts Gedanken nochmals aufge¬
nommen. Man mußte sich sagen, daß der Papst gutwillig dazu nicht Ja sagen
werde; das hatte aber für die Staatsmänner, die von Josephs des Zweiten Geist
beeinflußt waren, nichts Erschreckendes. "Man kann den Papst beseitigen, sagte
Thugut (Sorel, Seite 431) zu Lord Minto; jeder Souverän kann sich zum
Herrn der Nationalkirche erklären, ans eigner Autorität, wie das in England
geschehn ist." "Der Heilige Stuhl, sagt Sorel mit Recht, zwischen die katho¬
lischen Mächte Frankreich und Österreich geklemmt, ist bloß durch das ketze¬
rische England und das schismatische Rußland verteidigt worden." Zar Paul
selbst erschrak vor der Begehrlichkeit seines Verbündeten, "der alles, sogar
den Papst, aufessen will; ich war entschlossen, den französischen Koloß zu ver¬
nichten; aber deshalb wollte ich nicht eine andre Macht an seine Stelle treten
sehen, damit sie der Schrecken der benachbarten Fürsten werde und sie mit
Einfällen bedrohe." Es ist bemerkenswert, daß Europa erst Ruhe bekam, als
die Nationalstaaten Deutschland und Italien zwischen 1859 und 1871 er¬
standen, und Frankreich sowohl als Österreich durch das Schwert gezwungen
wurden, ihre Machtgelüste über Mitteleuropa für immer zu begraben.


2

Die innern Verhältnisse Frankreichs im Herbst 1799 werden von Sorel
und Venden ziemlich übereinstimmend beurteilt; Vcmdal, dessen Rahmen zeitlich
enger gespannt ist, der deshalb dem Einzelnen mehr nachgehn kann, bringt
zu dem Grundton des Gemäldes, der bei beiden im wesentlichen gleich ist, die
mannigfaltigem Schattierungen bei. Das Direktorium war allgemein ver¬
achtet, und mit-Recht; die Direktoren rafften alles an sich, was sie erraffen
konnten, und waren doch nicht imstande, den Staat würdig und erfolgreich zu
leiten; was in dieser Richtung geschah, kam nicht auf ihre Rechnung. Alle
Welt sah es als notwendig an, daß ein Ausweg aus der Verwirrung ge¬
funden werde; aber niemand hielt das auf andre Weise für möglich, als durch


Das Lmporkommen Lonapartes

Allerdings, man darf Frankreich nicht allein verdammen: es gab noch eine
Macht, die von unersättlichen Eroberungsdnrst getrieben war: das war die
Monarchie der Habsburger. Diese, deren auswärtige Politik 1799 durch den
Baron Thugut geleitet wurde, ging nicht nur auf die Herrschaft in Deutsch¬
land aus, zu der Kaiser Franz der Zweite durch seine Würde ein Recht zu
haben glaubte, die durch die Erwerbung Bayerns neu befestigt werden sollte;
sie trachtete auch nach der Unterwerfung Italiens: mit einem Fuß wollte man
nördlich, mit einem südlich von den Alpen auftreten und so Europas Geschicke
leiten. Thugut hat den Engländern gesagt, sein Kaiser müsse für die zweite
polnische Teilung, für den Verlust der Niederlande, für seine Kriegskosten ent¬
schädigt werden; er beanspruche die Alpenpässe, sodaß die Franzosen nicht mehr
nach Italien herüber gelangen könnten, also ein großes Stück von Piemont.
Dieses mit der Lombardei vereinigt, beide zusammenhängend mit Venedig, dazu
gefügt die päpstlichen Legationen, alles flankiert von Toscana, einer Art
habsburgischen Lehen — so würde Österreich eine Stellung erhalten, vor der der
Rest Italiens, Parma, Modena, der auf Rom beschränkte Papst und Neapel
zittern würden: 1814 hat Metternich Thuguts Gedanken nochmals aufge¬
nommen. Man mußte sich sagen, daß der Papst gutwillig dazu nicht Ja sagen
werde; das hatte aber für die Staatsmänner, die von Josephs des Zweiten Geist
beeinflußt waren, nichts Erschreckendes. „Man kann den Papst beseitigen, sagte
Thugut (Sorel, Seite 431) zu Lord Minto; jeder Souverän kann sich zum
Herrn der Nationalkirche erklären, ans eigner Autorität, wie das in England
geschehn ist." „Der Heilige Stuhl, sagt Sorel mit Recht, zwischen die katho¬
lischen Mächte Frankreich und Österreich geklemmt, ist bloß durch das ketze¬
rische England und das schismatische Rußland verteidigt worden." Zar Paul
selbst erschrak vor der Begehrlichkeit seines Verbündeten, „der alles, sogar
den Papst, aufessen will; ich war entschlossen, den französischen Koloß zu ver¬
nichten; aber deshalb wollte ich nicht eine andre Macht an seine Stelle treten
sehen, damit sie der Schrecken der benachbarten Fürsten werde und sie mit
Einfällen bedrohe." Es ist bemerkenswert, daß Europa erst Ruhe bekam, als
die Nationalstaaten Deutschland und Italien zwischen 1859 und 1871 er¬
standen, und Frankreich sowohl als Österreich durch das Schwert gezwungen
wurden, ihre Machtgelüste über Mitteleuropa für immer zu begraben.


2

Die innern Verhältnisse Frankreichs im Herbst 1799 werden von Sorel
und Venden ziemlich übereinstimmend beurteilt; Vcmdal, dessen Rahmen zeitlich
enger gespannt ist, der deshalb dem Einzelnen mehr nachgehn kann, bringt
zu dem Grundton des Gemäldes, der bei beiden im wesentlichen gleich ist, die
mannigfaltigem Schattierungen bei. Das Direktorium war allgemein ver¬
achtet, und mit-Recht; die Direktoren rafften alles an sich, was sie erraffen
konnten, und waren doch nicht imstande, den Staat würdig und erfolgreich zu
leiten; was in dieser Richtung geschah, kam nicht auf ihre Rechnung. Alle
Welt sah es als notwendig an, daß ein Ausweg aus der Verwirrung ge¬
funden werde; aber niemand hielt das auf andre Weise für möglich, als durch


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[0536] Das Lmporkommen Lonapartes Allerdings, man darf Frankreich nicht allein verdammen: es gab noch eine Macht, die von unersättlichen Eroberungsdnrst getrieben war: das war die Monarchie der Habsburger. Diese, deren auswärtige Politik 1799 durch den Baron Thugut geleitet wurde, ging nicht nur auf die Herrschaft in Deutsch¬ land aus, zu der Kaiser Franz der Zweite durch seine Würde ein Recht zu haben glaubte, die durch die Erwerbung Bayerns neu befestigt werden sollte; sie trachtete auch nach der Unterwerfung Italiens: mit einem Fuß wollte man nördlich, mit einem südlich von den Alpen auftreten und so Europas Geschicke leiten. Thugut hat den Engländern gesagt, sein Kaiser müsse für die zweite polnische Teilung, für den Verlust der Niederlande, für seine Kriegskosten ent¬ schädigt werden; er beanspruche die Alpenpässe, sodaß die Franzosen nicht mehr nach Italien herüber gelangen könnten, also ein großes Stück von Piemont. Dieses mit der Lombardei vereinigt, beide zusammenhängend mit Venedig, dazu gefügt die päpstlichen Legationen, alles flankiert von Toscana, einer Art habsburgischen Lehen — so würde Österreich eine Stellung erhalten, vor der der Rest Italiens, Parma, Modena, der auf Rom beschränkte Papst und Neapel zittern würden: 1814 hat Metternich Thuguts Gedanken nochmals aufge¬ nommen. Man mußte sich sagen, daß der Papst gutwillig dazu nicht Ja sagen werde; das hatte aber für die Staatsmänner, die von Josephs des Zweiten Geist beeinflußt waren, nichts Erschreckendes. „Man kann den Papst beseitigen, sagte Thugut (Sorel, Seite 431) zu Lord Minto; jeder Souverän kann sich zum Herrn der Nationalkirche erklären, ans eigner Autorität, wie das in England geschehn ist." „Der Heilige Stuhl, sagt Sorel mit Recht, zwischen die katho¬ lischen Mächte Frankreich und Österreich geklemmt, ist bloß durch das ketze¬ rische England und das schismatische Rußland verteidigt worden." Zar Paul selbst erschrak vor der Begehrlichkeit seines Verbündeten, „der alles, sogar den Papst, aufessen will; ich war entschlossen, den französischen Koloß zu ver¬ nichten; aber deshalb wollte ich nicht eine andre Macht an seine Stelle treten sehen, damit sie der Schrecken der benachbarten Fürsten werde und sie mit Einfällen bedrohe." Es ist bemerkenswert, daß Europa erst Ruhe bekam, als die Nationalstaaten Deutschland und Italien zwischen 1859 und 1871 er¬ standen, und Frankreich sowohl als Österreich durch das Schwert gezwungen wurden, ihre Machtgelüste über Mitteleuropa für immer zu begraben. 2 Die innern Verhältnisse Frankreichs im Herbst 1799 werden von Sorel und Venden ziemlich übereinstimmend beurteilt; Vcmdal, dessen Rahmen zeitlich enger gespannt ist, der deshalb dem Einzelnen mehr nachgehn kann, bringt zu dem Grundton des Gemäldes, der bei beiden im wesentlichen gleich ist, die mannigfaltigem Schattierungen bei. Das Direktorium war allgemein ver¬ achtet, und mit-Recht; die Direktoren rafften alles an sich, was sie erraffen konnten, und waren doch nicht imstande, den Staat würdig und erfolgreich zu leiten; was in dieser Richtung geschah, kam nicht auf ihre Rechnung. Alle Welt sah es als notwendig an, daß ein Ausweg aus der Verwirrung ge¬ funden werde; aber niemand hielt das auf andre Weise für möglich, als durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/536>, abgerufen am 25.07.2024.