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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger Dramaturgie

selbstgefälligen Predigens vermieden. Einen schwerfälligen, eckigen Pedanten hätte
ja Elisabeths Günstling, Graf Leicester, längst in die Tasche gesteckt: mit einem
aalglatten Welt-, Hof- und Staatsmann dagegen, dem das Gewissen des Philisters
keine Sorge macht, wird ihm jedes in die Tasche stecken unmöglich, und das Duell
auf Leben und Tod, das die beiden uuter den korrektesten Formen Tag für Tag
ausfechten, hat gerade dadurch besondern Reiz, daß beide mit spielender Leichtigkeit
eine seine und doch furchtbare Klinge führen, und dem einen Unterschiede freilich,
daß Burleigh ein großer Staatsmann war, und Leicester ein Höfling von außer¬
gewöhnlich elendem und verächtlichem Charakter. Wenn man aus Cecil einen schwer¬
fälligen, ins Bureaukratische übersetzten Alba macht, so geht damit der hauptsäch¬
lichste Reiz der Rolle verloren. Freilich muß, wie schon gesagt worden ist, der
Schauspieler allerersten Ranges sein, wenn er die Rolle in diesem Sinne wieder¬
geben soll, aber wenn er das ist, und wenn er den Cecil leicht, gelassen, ruhig
überlegen und als vollendet glatten Aal spielt, so kommt das allen Szenen, bei
denen er eine der Hauptpersonen ist, zugute, und das Wortgefecht mit Maria,
das leicht etwas Schwerfälliges, ja geradezu Philiströses annimmt, wenn Cecil den
steifleinenen Bureaukraten heraussteckt, schreibt sich auch für die gefangne Königin
gleichsam von selbst in die rechte Tonart um, wenn sie es statt und einem schwer¬
fälligen Pedanten mit einem gewandten Weltmann zu tun hat.

Es bliebe noch, damit aller Personen des ersten Akts Erwähnung getan wäre,
die Rolle Mortimers zu besprechen. Sie ist auch in Leipzig sachgemäß dem xrimo
-unol'oso zugefallen, der, ein hochaufgeschossener temperamentvoller Jüngling, mir
ans der Bühne bisher nie einen andern Eindruck gemacht hat als den eines feurigen
Naturburschen. Ich lege beide Hände auf die Platte des Altars und schwöre feierlich
bei Schillers und Goethes Manen, daß ich gegen den ersten Leipziger Liebhaber keinen
Haß, sondern nur Groll hege; ich stelle sein natürliches Feuer, sein Talent, seinen
Fleiß und seinen Eifer nicht in Abrede; wenn ich ihn persönlich kennte, würde ich
wahrscheinlich Gelegenheit haben, im Privatleben seine Einsicht, seinen guten Willen
und seine Bescheidenheit zu bewundern. Er ist mir nur auf der Bühne schrecklich,
weil er da ungewöhnlich burschikose Manieren hat, weil er ein arger Kulissenreißer
und ein gefährlicher Versverschlucker ist. Wer das von vornherein auf dem Ge¬
wissen hat, ist mir unbekannt: an seiner gegenwärtigen Dnrstellungsweise ist offenbar
das Leipziger Publikum zu einem sehr großen Teil selbst schuld. Er verdirbt das
Publikum, und das Publikum verdirbt ihn. Je dicker er die Farbe aufträgt, um so
größer ist der Jubel, und je schneller er mit einem Paket Verse fertig wird, um
so gemütlicher lachen sich Herr Käßmodel und Madame Piepenbrink ins Fäustchen:
es wird auch heute pünktlich alle werden.

Wie sehr dasselbe Leipzig, das doch in frühern Zeiten den ehrenden Bei¬
namen des kunstsinnigen Pleißenathens verdient hatte, modern geworden ist und
unter dem Zeichen des diuo is mons> steht, wird dein Leser folgender der jüngsten
Vergangenheit angehörender Vorfall zeigen. Bei einer der in letzter Zeit gegebnen
Vorstellungen der Wildente war das Publikum wirklich zur Besinnung gekommen.
Es hatte endlich das Stück für das erkannt, was es ist, eine fidele Farce, in der
sich Ibsen, ein echter pineo-san8-riro, selbstironisiert, und es hatte im letzten Akt
an deu "tragisch scheinenden" Stellen herzlich gelacht. Der Rezensent, hoch er¬
freut, aber ebenso eilig und gehetzt wie die Setzer und die Korrektoren, damit
Herr K. und Madame P. zur bestimmten Stunde nicht ans die frische Ware zu
warten brauchten, berichtete den Fall, und jedermann las am nächsten Tage beim
Kaffee, daß da, wo von Zandern und Hasen die Rede gewesen sei, große Heiter¬
keit im Hanse geherrscht habe. Wer den Vorzug hatte, Ibsen und speziell die
Wildente zu kennen, schob das Blatt und die Kaffeetasse ein wenig zurück und
suchte sich die denkwürdige Stelle wieder zu vergegenwärtigen, wo in einem
Jbsenschcn Stücke von zwei so vergnügten und genießbaren Dingen wie von Hasen
und Zandern die Rede gewesen sein sollte, aber ohne sich dieser besondern


Leipziger Dramaturgie

selbstgefälligen Predigens vermieden. Einen schwerfälligen, eckigen Pedanten hätte
ja Elisabeths Günstling, Graf Leicester, längst in die Tasche gesteckt: mit einem
aalglatten Welt-, Hof- und Staatsmann dagegen, dem das Gewissen des Philisters
keine Sorge macht, wird ihm jedes in die Tasche stecken unmöglich, und das Duell
auf Leben und Tod, das die beiden uuter den korrektesten Formen Tag für Tag
ausfechten, hat gerade dadurch besondern Reiz, daß beide mit spielender Leichtigkeit
eine seine und doch furchtbare Klinge führen, und dem einen Unterschiede freilich,
daß Burleigh ein großer Staatsmann war, und Leicester ein Höfling von außer¬
gewöhnlich elendem und verächtlichem Charakter. Wenn man aus Cecil einen schwer¬
fälligen, ins Bureaukratische übersetzten Alba macht, so geht damit der hauptsäch¬
lichste Reiz der Rolle verloren. Freilich muß, wie schon gesagt worden ist, der
Schauspieler allerersten Ranges sein, wenn er die Rolle in diesem Sinne wieder¬
geben soll, aber wenn er das ist, und wenn er den Cecil leicht, gelassen, ruhig
überlegen und als vollendet glatten Aal spielt, so kommt das allen Szenen, bei
denen er eine der Hauptpersonen ist, zugute, und das Wortgefecht mit Maria,
das leicht etwas Schwerfälliges, ja geradezu Philiströses annimmt, wenn Cecil den
steifleinenen Bureaukraten heraussteckt, schreibt sich auch für die gefangne Königin
gleichsam von selbst in die rechte Tonart um, wenn sie es statt und einem schwer¬
fälligen Pedanten mit einem gewandten Weltmann zu tun hat.

Es bliebe noch, damit aller Personen des ersten Akts Erwähnung getan wäre,
die Rolle Mortimers zu besprechen. Sie ist auch in Leipzig sachgemäß dem xrimo
-unol'oso zugefallen, der, ein hochaufgeschossener temperamentvoller Jüngling, mir
ans der Bühne bisher nie einen andern Eindruck gemacht hat als den eines feurigen
Naturburschen. Ich lege beide Hände auf die Platte des Altars und schwöre feierlich
bei Schillers und Goethes Manen, daß ich gegen den ersten Leipziger Liebhaber keinen
Haß, sondern nur Groll hege; ich stelle sein natürliches Feuer, sein Talent, seinen
Fleiß und seinen Eifer nicht in Abrede; wenn ich ihn persönlich kennte, würde ich
wahrscheinlich Gelegenheit haben, im Privatleben seine Einsicht, seinen guten Willen
und seine Bescheidenheit zu bewundern. Er ist mir nur auf der Bühne schrecklich,
weil er da ungewöhnlich burschikose Manieren hat, weil er ein arger Kulissenreißer
und ein gefährlicher Versverschlucker ist. Wer das von vornherein auf dem Ge¬
wissen hat, ist mir unbekannt: an seiner gegenwärtigen Dnrstellungsweise ist offenbar
das Leipziger Publikum zu einem sehr großen Teil selbst schuld. Er verdirbt das
Publikum, und das Publikum verdirbt ihn. Je dicker er die Farbe aufträgt, um so
größer ist der Jubel, und je schneller er mit einem Paket Verse fertig wird, um
so gemütlicher lachen sich Herr Käßmodel und Madame Piepenbrink ins Fäustchen:
es wird auch heute pünktlich alle werden.

Wie sehr dasselbe Leipzig, das doch in frühern Zeiten den ehrenden Bei¬
namen des kunstsinnigen Pleißenathens verdient hatte, modern geworden ist und
unter dem Zeichen des diuo is mons> steht, wird dein Leser folgender der jüngsten
Vergangenheit angehörender Vorfall zeigen. Bei einer der in letzter Zeit gegebnen
Vorstellungen der Wildente war das Publikum wirklich zur Besinnung gekommen.
Es hatte endlich das Stück für das erkannt, was es ist, eine fidele Farce, in der
sich Ibsen, ein echter pineo-san8-riro, selbstironisiert, und es hatte im letzten Akt
an deu „tragisch scheinenden" Stellen herzlich gelacht. Der Rezensent, hoch er¬
freut, aber ebenso eilig und gehetzt wie die Setzer und die Korrektoren, damit
Herr K. und Madame P. zur bestimmten Stunde nicht ans die frische Ware zu
warten brauchten, berichtete den Fall, und jedermann las am nächsten Tage beim
Kaffee, daß da, wo von Zandern und Hasen die Rede gewesen sei, große Heiter¬
keit im Hanse geherrscht habe. Wer den Vorzug hatte, Ibsen und speziell die
Wildente zu kennen, schob das Blatt und die Kaffeetasse ein wenig zurück und
suchte sich die denkwürdige Stelle wieder zu vergegenwärtigen, wo in einem
Jbsenschcn Stücke von zwei so vergnügten und genießbaren Dingen wie von Hasen
und Zandern die Rede gewesen sein sollte, aber ohne sich dieser besondern


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[0482] Leipziger Dramaturgie selbstgefälligen Predigens vermieden. Einen schwerfälligen, eckigen Pedanten hätte ja Elisabeths Günstling, Graf Leicester, längst in die Tasche gesteckt: mit einem aalglatten Welt-, Hof- und Staatsmann dagegen, dem das Gewissen des Philisters keine Sorge macht, wird ihm jedes in die Tasche stecken unmöglich, und das Duell auf Leben und Tod, das die beiden uuter den korrektesten Formen Tag für Tag ausfechten, hat gerade dadurch besondern Reiz, daß beide mit spielender Leichtigkeit eine seine und doch furchtbare Klinge führen, und dem einen Unterschiede freilich, daß Burleigh ein großer Staatsmann war, und Leicester ein Höfling von außer¬ gewöhnlich elendem und verächtlichem Charakter. Wenn man aus Cecil einen schwer¬ fälligen, ins Bureaukratische übersetzten Alba macht, so geht damit der hauptsäch¬ lichste Reiz der Rolle verloren. Freilich muß, wie schon gesagt worden ist, der Schauspieler allerersten Ranges sein, wenn er die Rolle in diesem Sinne wieder¬ geben soll, aber wenn er das ist, und wenn er den Cecil leicht, gelassen, ruhig überlegen und als vollendet glatten Aal spielt, so kommt das allen Szenen, bei denen er eine der Hauptpersonen ist, zugute, und das Wortgefecht mit Maria, das leicht etwas Schwerfälliges, ja geradezu Philiströses annimmt, wenn Cecil den steifleinenen Bureaukraten heraussteckt, schreibt sich auch für die gefangne Königin gleichsam von selbst in die rechte Tonart um, wenn sie es statt und einem schwer¬ fälligen Pedanten mit einem gewandten Weltmann zu tun hat. Es bliebe noch, damit aller Personen des ersten Akts Erwähnung getan wäre, die Rolle Mortimers zu besprechen. Sie ist auch in Leipzig sachgemäß dem xrimo -unol'oso zugefallen, der, ein hochaufgeschossener temperamentvoller Jüngling, mir ans der Bühne bisher nie einen andern Eindruck gemacht hat als den eines feurigen Naturburschen. Ich lege beide Hände auf die Platte des Altars und schwöre feierlich bei Schillers und Goethes Manen, daß ich gegen den ersten Leipziger Liebhaber keinen Haß, sondern nur Groll hege; ich stelle sein natürliches Feuer, sein Talent, seinen Fleiß und seinen Eifer nicht in Abrede; wenn ich ihn persönlich kennte, würde ich wahrscheinlich Gelegenheit haben, im Privatleben seine Einsicht, seinen guten Willen und seine Bescheidenheit zu bewundern. Er ist mir nur auf der Bühne schrecklich, weil er da ungewöhnlich burschikose Manieren hat, weil er ein arger Kulissenreißer und ein gefährlicher Versverschlucker ist. Wer das von vornherein auf dem Ge¬ wissen hat, ist mir unbekannt: an seiner gegenwärtigen Dnrstellungsweise ist offenbar das Leipziger Publikum zu einem sehr großen Teil selbst schuld. Er verdirbt das Publikum, und das Publikum verdirbt ihn. Je dicker er die Farbe aufträgt, um so größer ist der Jubel, und je schneller er mit einem Paket Verse fertig wird, um so gemütlicher lachen sich Herr Käßmodel und Madame Piepenbrink ins Fäustchen: es wird auch heute pünktlich alle werden. Wie sehr dasselbe Leipzig, das doch in frühern Zeiten den ehrenden Bei¬ namen des kunstsinnigen Pleißenathens verdient hatte, modern geworden ist und unter dem Zeichen des diuo is mons> steht, wird dein Leser folgender der jüngsten Vergangenheit angehörender Vorfall zeigen. Bei einer der in letzter Zeit gegebnen Vorstellungen der Wildente war das Publikum wirklich zur Besinnung gekommen. Es hatte endlich das Stück für das erkannt, was es ist, eine fidele Farce, in der sich Ibsen, ein echter pineo-san8-riro, selbstironisiert, und es hatte im letzten Akt an deu „tragisch scheinenden" Stellen herzlich gelacht. Der Rezensent, hoch er¬ freut, aber ebenso eilig und gehetzt wie die Setzer und die Korrektoren, damit Herr K. und Madame P. zur bestimmten Stunde nicht ans die frische Ware zu warten brauchten, berichtete den Fall, und jedermann las am nächsten Tage beim Kaffee, daß da, wo von Zandern und Hasen die Rede gewesen sei, große Heiter¬ keit im Hanse geherrscht habe. Wer den Vorzug hatte, Ibsen und speziell die Wildente zu kennen, schob das Blatt und die Kaffeetasse ein wenig zurück und suchte sich die denkwürdige Stelle wieder zu vergegenwärtigen, wo in einem Jbsenschcn Stücke von zwei so vergnügten und genießbaren Dingen wie von Hasen und Zandern die Rede gewesen sein sollte, aber ohne sich dieser besondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/482>, abgerufen am 23.07.2024.