Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Nochmals die Reichswgswahleil Während alle andern Parteien nur das Interesse des Unternehmers, des Hat sich diese erfolgreiche Agitation bis jetzt in der Hauptsache auf die Nochmals die Reichswgswahleil Während alle andern Parteien nur das Interesse des Unternehmers, des Hat sich diese erfolgreiche Agitation bis jetzt in der Hauptsache auf die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240828"/> <fw type="header" place="top"> Nochmals die Reichswgswahleil</fw><lb/> <p xml:id="ID_2245" prev="#ID_2244"> Während alle andern Parteien nur das Interesse des Unternehmers, des<lb/> Kapitalisten im Auge haben. Wie nun der Tropfen den Stein höhlt, so übt<lb/> auch dieses jeden Tag wiederholte Wort endlich seine Wirkung aus, und trotz<lb/> allem, was der Staat seit dreißig Jahren getan hat, wachsen die Unzufrieden¬<lb/> heit und der Glaube, daß es nur die Sozialdemokratie sei, die für die Interessen<lb/> der Arbeiter, d. h. für die auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen eintrete. Es<lb/> liegt in der Natur des Menschen, daß man der Partei, ans deren Unterstützung<lb/> man angewiesen zu sein meint, schließlich selbst beitritt und sich dann auch den<lb/> von dieser Partei verkündeten und vertretnen Grundsätzen anschließen muß.<lb/> Hierher gehört die Entfremdung von der christlichen Religion, von der Vater¬<lb/> landsliebe, von der Treue und Anhänglichkeit an Kaiser und Landessttrsten,<lb/> vielfach auch an die Familie. Vergessen wird dann alles, was Deutschland,<lb/> allen andern Ländern vvranschreitend, für die arbeitenden Klassen, namentlich im<lb/> Alter und bei Arbeitsunfähigkeit, tut, vergessen die Liebe und die Anhänglich¬<lb/> keit an das Vaterland, vergessen die glorreiche Zeit vor dreißig Jahren, wo<lb/> sich unser Volk uuter der Führung seiner Fürsten das geeinte Vaterland er¬<lb/> kämpfte. Wir haben noch viele Tausende von Landsleuten, die an den Kriegen<lb/> der Jahre 1864, 1866 und 1870 teilgenommen haben, wir haben Hundert-<lb/> tausende, die dem Verbände der Militürvercinc angehören, wir haben viele<lb/> Tausende von Arbeitern, die sich in ihren Arbeitverhältnisscn nach jeder<lb/> Richtung hin wohl und glücklich fühlen — und trotzdem nehmen die Stimmen,<lb/> die bei den Wahlen für die sozialdemokratischen Kandidaten abgegeben werden,<lb/> von Jahr zu Jahr zu. Der gute Einfluß der bürgerlichen Parteien, der<lb/> Arbeitgeber und der gutgesinnten Arbeiter schwindet mehr und mehr vor dem<lb/> Einfluß der sozialdemokratischen Agitatoren, obgleich namentlich die ältern<lb/> Arbeiter wohl einsehen, daß deren Lehren ihnen kein Heil bringen, daß ohne<lb/> Religion, ohne Vaterlandsliebe, ohne treue, auf Arbeitsamkeit und Sparsamkeit<lb/> begründete Sorge für Weib und Kind kein irdisches Glück erreicht und bewahrt<lb/> werden kann. Die Macht der Sozialdemokratie und ihrer Lehren liegt aber<lb/> darin, daß diese einen guten Kern haben, daß es wirklich in den sogenannten<lb/> untern, auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen Klassen viel Not und Elend gibt,<lb/> und daß der sozialdemokratischen Initiative ohne allen Zweifel manche Ver¬<lb/> besserung im Dasein der arbeitenden Klasse, manche Errungenschaften in der<lb/> Gesetzgebung und in sozialen Einrichtungen zu danken sind. Dieser gute Kern<lb/> wird aber überwuchert und zwar hoch überwuchert durch die Auswüchse der<lb/> sozialdemokratischen Lehren, durch die Verbreitung des Klassenhasses, die Be¬<lb/> kämpfung von Religion und Vaterlandsliebe, die geflissentliche Einimpfung von<lb/> Unzufriedenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2246" next="#ID_2247"> Hat sich diese erfolgreiche Agitation bis jetzt in der Hauptsache auf die<lb/> Kreise der industriellen Arbeiter beschränkt, so sind das nächste Ziel die länd¬<lb/> lichen Arbeiter und endlich die Armee. Ist es eines Tages gelungen, hier<lb/> Fuß zu fassen, die Armee zu unterwühlen, dann darf die Sozialdemokratie ihr<lb/> Werk als nahezu vollendet betrachten, und es bedarf alsdann nur eines<lb/> geringen Anstoßes, unser Stantswesen zu stürzen und den Zukunftsstnat der<lb/> Sozialdemokratie zu errichten. Daß dieser Zukunftsstaat, wenn er wirklich je</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
Nochmals die Reichswgswahleil
Während alle andern Parteien nur das Interesse des Unternehmers, des
Kapitalisten im Auge haben. Wie nun der Tropfen den Stein höhlt, so übt
auch dieses jeden Tag wiederholte Wort endlich seine Wirkung aus, und trotz
allem, was der Staat seit dreißig Jahren getan hat, wachsen die Unzufrieden¬
heit und der Glaube, daß es nur die Sozialdemokratie sei, die für die Interessen
der Arbeiter, d. h. für die auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen eintrete. Es
liegt in der Natur des Menschen, daß man der Partei, ans deren Unterstützung
man angewiesen zu sein meint, schließlich selbst beitritt und sich dann auch den
von dieser Partei verkündeten und vertretnen Grundsätzen anschließen muß.
Hierher gehört die Entfremdung von der christlichen Religion, von der Vater¬
landsliebe, von der Treue und Anhänglichkeit an Kaiser und Landessttrsten,
vielfach auch an die Familie. Vergessen wird dann alles, was Deutschland,
allen andern Ländern vvranschreitend, für die arbeitenden Klassen, namentlich im
Alter und bei Arbeitsunfähigkeit, tut, vergessen die Liebe und die Anhänglich¬
keit an das Vaterland, vergessen die glorreiche Zeit vor dreißig Jahren, wo
sich unser Volk uuter der Führung seiner Fürsten das geeinte Vaterland er¬
kämpfte. Wir haben noch viele Tausende von Landsleuten, die an den Kriegen
der Jahre 1864, 1866 und 1870 teilgenommen haben, wir haben Hundert-
tausende, die dem Verbände der Militürvercinc angehören, wir haben viele
Tausende von Arbeitern, die sich in ihren Arbeitverhältnisscn nach jeder
Richtung hin wohl und glücklich fühlen — und trotzdem nehmen die Stimmen,
die bei den Wahlen für die sozialdemokratischen Kandidaten abgegeben werden,
von Jahr zu Jahr zu. Der gute Einfluß der bürgerlichen Parteien, der
Arbeitgeber und der gutgesinnten Arbeiter schwindet mehr und mehr vor dem
Einfluß der sozialdemokratischen Agitatoren, obgleich namentlich die ältern
Arbeiter wohl einsehen, daß deren Lehren ihnen kein Heil bringen, daß ohne
Religion, ohne Vaterlandsliebe, ohne treue, auf Arbeitsamkeit und Sparsamkeit
begründete Sorge für Weib und Kind kein irdisches Glück erreicht und bewahrt
werden kann. Die Macht der Sozialdemokratie und ihrer Lehren liegt aber
darin, daß diese einen guten Kern haben, daß es wirklich in den sogenannten
untern, auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen Klassen viel Not und Elend gibt,
und daß der sozialdemokratischen Initiative ohne allen Zweifel manche Ver¬
besserung im Dasein der arbeitenden Klasse, manche Errungenschaften in der
Gesetzgebung und in sozialen Einrichtungen zu danken sind. Dieser gute Kern
wird aber überwuchert und zwar hoch überwuchert durch die Auswüchse der
sozialdemokratischen Lehren, durch die Verbreitung des Klassenhasses, die Be¬
kämpfung von Religion und Vaterlandsliebe, die geflissentliche Einimpfung von
Unzufriedenheit.
Hat sich diese erfolgreiche Agitation bis jetzt in der Hauptsache auf die
Kreise der industriellen Arbeiter beschränkt, so sind das nächste Ziel die länd¬
lichen Arbeiter und endlich die Armee. Ist es eines Tages gelungen, hier
Fuß zu fassen, die Armee zu unterwühlen, dann darf die Sozialdemokratie ihr
Werk als nahezu vollendet betrachten, und es bedarf alsdann nur eines
geringen Anstoßes, unser Stantswesen zu stürzen und den Zukunftsstnat der
Sozialdemokratie zu errichten. Daß dieser Zukunftsstaat, wenn er wirklich je
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