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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

siegerprobten Heere, von den Wogen der Begeisterung getrogen, our dos Handeln
ungleich leichter und auch ungleich verantwortungsfreier; es vollzog sich, was Bismarck
ein Jahr zuvor gegen Bebel im Reichstag ausgesprochen hatte: Wir werden mit
ehernen Tritten zermalmen, was sich der Vollendung unsrer nationalen Macht und
Einheit entgegenstellt!

Die Feldzugsbriefe umfasse" 79 Nummern (88 Seiten), darunter eine kleine
Anzahl Telegramme und fünf Briefe an seinen Sohn Herbert. Gleich der erste ist
außerordentlich bezeichnend. Sicherlich hat damals jeder gute Deutsche angenommen,
daß der Bundeskanzler mit allem sorglich ausgerüstet in das Feld gezogen sei.
Aber nach schier endloser Fahrt in Mainz angekommen, sieht sich Bismarck lediglich
im Besitz eines Nachthemdes; alle seine Sachen sind aus Versehen zurückgeblieben,
und der Schöpfer der deutschen Einheit kam ans Mangel um einem Hemd und
an Kleidern nicht zum Könige. Wie außerordentlich komisch nimmt sich mitunter
die Tragik der Weltgeschichte vou der Rückseite aus! Am 6. August ernährt er
seine bei den ersten Gnrdedragonern stehenden Söhne fürsorglich, im Falle einer
Verwundung erst an ihn zu telegraphieren, der Mutter aber erst später Nach¬
richt zu geben. Dann kommen die Klagen über die Mangelhaftigkeit der Unter¬
kunft, mit der er und Roon bedacht wird, zugleich aber die tiefe Bewunderung für
den Heldenmut unsrer Soldaten. "Eiserne Kreuze noch keine ausgegeben, wahr¬
scheinlich nicht fertig. Es ist vielleicht recht gut, denn wenn erst einige damit gehn,
sind die andern gar nicht mehr zu halten und stecken die Köpfe in die Mün¬
dungen der französischen Kanonen, sie sind so schon wie die Verserker." (14. August.)
Zwei Tage später: "Die Leute müssen mich hier für einen Bluthund halten, die
alten Weiber, wenn sie meinen Namen hören, fallen ans die Kniee und bitten mich
um ihr Leben. Attila war ein Lamm gegen mich." Überhaupt ist die Mischung
von Herzlichkeit und Verdrießlichkeit innerhalb weniger Zeilen meist außerordentlich
fesselnd. Die Fürsorge für Gattin und Kiuder, die Mahnung an die Frau fast
in jedem Briefe, nach Nauheim zu gehn, dann die Sorge um die Söhne, die
Mitteilung, daß Herbert gar keine Hosen habe, die Klage aus Clermont: Ich
beim Schulmeister, Lager an der Erde, ein Strvhstnhl, kleiner finsterer Tisch zum
Waschen, Schreiben, Essen. Am andern Tage: "Noch immer um der Erde liegend
beim Schulmeister. Baycrudurchmarsch seit vier Stunden, blasen falsch." Noch
drastischer ist der Brief vom folgenden Tage, gleichfalls ans Clermont, wo er über
den Mangel eines sehr notwendigen Geräth klagt. Der zweite Brief aus Ven-
drcsse 3. September, den die Franzosen nicht erwischten, sagt unter anderm: "Ich
bin gestern früh um sechs zu Pferde gestiegen, um Mitternacht herunter, zehn bis
elf Meilen geritten, zweimal naß und trocken geworden und hatte seit dem dritten
Tage nichts Warmes genossen, als ich zu besagter Mitternacht über einen Schmor¬
braten geriet, wie ein Wolf davon aß, dann sechs Stunden sehr fest schlief."
Eigentlich war dieser "Schmorbraten" ein Kalbsbraten, für den Schlachtenmaler
Georg Bleibtreu und Gustav Frehtag aufgetragen, die damals das kronprinzliche
Hauptquartier begleiteten und sehr froh gewesen waren, spät am Abend etwas zu essen
aufzutreiben. Die Suppe hatten sie eben verspeist, als zugleich mit dem Kalbs¬
braten Graf Bismnrck-Bohlen eintrat und "etwas zu essen" für deu ihm folgenden
Bundeskanzler suchte. Die beiden gleichfalls recht hungrigen Freunde mußten nun
zusehen, wie der Braten, dessen Duft ihren Appetit uoch mehr gereizt hatte, vor
ihren Blicken verschwand. Es war, wenn wir nicht irren, dasselbe Haus, wo am
Abend vorher die von Bleibtreus Pinsel verewigte (später hat A. von Werner
denselben Gegenstand behandelt) Kavitulationsverhaudluug stattgefunden hatte.

Am frühen Morgen nach dieser Mahlzeit war Bismarck dann dnrch den von
Napoleon entsandten General Rente geweckt worden und "ungewaschen und unge¬
frühstückt" zum Kaiser geritten, den er auf der Scdaner Landstraße traf. Dem
Briefe liegt ein Zettel bei von der Hand der Gattin: "Bleibts dabei, daß erste
Friedcnsbedingung: ewiges Verbleibe" von L. N. auf Franzosen-Thron?" Bis-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

siegerprobten Heere, von den Wogen der Begeisterung getrogen, our dos Handeln
ungleich leichter und auch ungleich verantwortungsfreier; es vollzog sich, was Bismarck
ein Jahr zuvor gegen Bebel im Reichstag ausgesprochen hatte: Wir werden mit
ehernen Tritten zermalmen, was sich der Vollendung unsrer nationalen Macht und
Einheit entgegenstellt!

Die Feldzugsbriefe umfasse» 79 Nummern (88 Seiten), darunter eine kleine
Anzahl Telegramme und fünf Briefe an seinen Sohn Herbert. Gleich der erste ist
außerordentlich bezeichnend. Sicherlich hat damals jeder gute Deutsche angenommen,
daß der Bundeskanzler mit allem sorglich ausgerüstet in das Feld gezogen sei.
Aber nach schier endloser Fahrt in Mainz angekommen, sieht sich Bismarck lediglich
im Besitz eines Nachthemdes; alle seine Sachen sind aus Versehen zurückgeblieben,
und der Schöpfer der deutschen Einheit kam ans Mangel um einem Hemd und
an Kleidern nicht zum Könige. Wie außerordentlich komisch nimmt sich mitunter
die Tragik der Weltgeschichte vou der Rückseite aus! Am 6. August ernährt er
seine bei den ersten Gnrdedragonern stehenden Söhne fürsorglich, im Falle einer
Verwundung erst an ihn zu telegraphieren, der Mutter aber erst später Nach¬
richt zu geben. Dann kommen die Klagen über die Mangelhaftigkeit der Unter¬
kunft, mit der er und Roon bedacht wird, zugleich aber die tiefe Bewunderung für
den Heldenmut unsrer Soldaten. „Eiserne Kreuze noch keine ausgegeben, wahr¬
scheinlich nicht fertig. Es ist vielleicht recht gut, denn wenn erst einige damit gehn,
sind die andern gar nicht mehr zu halten und stecken die Köpfe in die Mün¬
dungen der französischen Kanonen, sie sind so schon wie die Verserker." (14. August.)
Zwei Tage später: „Die Leute müssen mich hier für einen Bluthund halten, die
alten Weiber, wenn sie meinen Namen hören, fallen ans die Kniee und bitten mich
um ihr Leben. Attila war ein Lamm gegen mich." Überhaupt ist die Mischung
von Herzlichkeit und Verdrießlichkeit innerhalb weniger Zeilen meist außerordentlich
fesselnd. Die Fürsorge für Gattin und Kiuder, die Mahnung an die Frau fast
in jedem Briefe, nach Nauheim zu gehn, dann die Sorge um die Söhne, die
Mitteilung, daß Herbert gar keine Hosen habe, die Klage aus Clermont: Ich
beim Schulmeister, Lager an der Erde, ein Strvhstnhl, kleiner finsterer Tisch zum
Waschen, Schreiben, Essen. Am andern Tage: „Noch immer um der Erde liegend
beim Schulmeister. Baycrudurchmarsch seit vier Stunden, blasen falsch." Noch
drastischer ist der Brief vom folgenden Tage, gleichfalls ans Clermont, wo er über
den Mangel eines sehr notwendigen Geräth klagt. Der zweite Brief aus Ven-
drcsse 3. September, den die Franzosen nicht erwischten, sagt unter anderm: „Ich
bin gestern früh um sechs zu Pferde gestiegen, um Mitternacht herunter, zehn bis
elf Meilen geritten, zweimal naß und trocken geworden und hatte seit dem dritten
Tage nichts Warmes genossen, als ich zu besagter Mitternacht über einen Schmor¬
braten geriet, wie ein Wolf davon aß, dann sechs Stunden sehr fest schlief."
Eigentlich war dieser „Schmorbraten" ein Kalbsbraten, für den Schlachtenmaler
Georg Bleibtreu und Gustav Frehtag aufgetragen, die damals das kronprinzliche
Hauptquartier begleiteten und sehr froh gewesen waren, spät am Abend etwas zu essen
aufzutreiben. Die Suppe hatten sie eben verspeist, als zugleich mit dem Kalbs¬
braten Graf Bismnrck-Bohlen eintrat und „etwas zu essen" für deu ihm folgenden
Bundeskanzler suchte. Die beiden gleichfalls recht hungrigen Freunde mußten nun
zusehen, wie der Braten, dessen Duft ihren Appetit uoch mehr gereizt hatte, vor
ihren Blicken verschwand. Es war, wenn wir nicht irren, dasselbe Haus, wo am
Abend vorher die von Bleibtreus Pinsel verewigte (später hat A. von Werner
denselben Gegenstand behandelt) Kavitulationsverhaudluug stattgefunden hatte.

Am frühen Morgen nach dieser Mahlzeit war Bismarck dann dnrch den von
Napoleon entsandten General Rente geweckt worden und „ungewaschen und unge¬
frühstückt" zum Kaiser geritten, den er auf der Scdaner Landstraße traf. Dem
Briefe liegt ein Zettel bei von der Hand der Gattin: „Bleibts dabei, daß erste
Friedcnsbedingung: ewiges Verbleibe» von L. N. auf Franzosen-Thron?" Bis-


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[0369] Maßgebliches und Unmaßgebliches siegerprobten Heere, von den Wogen der Begeisterung getrogen, our dos Handeln ungleich leichter und auch ungleich verantwortungsfreier; es vollzog sich, was Bismarck ein Jahr zuvor gegen Bebel im Reichstag ausgesprochen hatte: Wir werden mit ehernen Tritten zermalmen, was sich der Vollendung unsrer nationalen Macht und Einheit entgegenstellt! Die Feldzugsbriefe umfasse» 79 Nummern (88 Seiten), darunter eine kleine Anzahl Telegramme und fünf Briefe an seinen Sohn Herbert. Gleich der erste ist außerordentlich bezeichnend. Sicherlich hat damals jeder gute Deutsche angenommen, daß der Bundeskanzler mit allem sorglich ausgerüstet in das Feld gezogen sei. Aber nach schier endloser Fahrt in Mainz angekommen, sieht sich Bismarck lediglich im Besitz eines Nachthemdes; alle seine Sachen sind aus Versehen zurückgeblieben, und der Schöpfer der deutschen Einheit kam ans Mangel um einem Hemd und an Kleidern nicht zum Könige. Wie außerordentlich komisch nimmt sich mitunter die Tragik der Weltgeschichte vou der Rückseite aus! Am 6. August ernährt er seine bei den ersten Gnrdedragonern stehenden Söhne fürsorglich, im Falle einer Verwundung erst an ihn zu telegraphieren, der Mutter aber erst später Nach¬ richt zu geben. Dann kommen die Klagen über die Mangelhaftigkeit der Unter¬ kunft, mit der er und Roon bedacht wird, zugleich aber die tiefe Bewunderung für den Heldenmut unsrer Soldaten. „Eiserne Kreuze noch keine ausgegeben, wahr¬ scheinlich nicht fertig. Es ist vielleicht recht gut, denn wenn erst einige damit gehn, sind die andern gar nicht mehr zu halten und stecken die Köpfe in die Mün¬ dungen der französischen Kanonen, sie sind so schon wie die Verserker." (14. August.) Zwei Tage später: „Die Leute müssen mich hier für einen Bluthund halten, die alten Weiber, wenn sie meinen Namen hören, fallen ans die Kniee und bitten mich um ihr Leben. Attila war ein Lamm gegen mich." Überhaupt ist die Mischung von Herzlichkeit und Verdrießlichkeit innerhalb weniger Zeilen meist außerordentlich fesselnd. Die Fürsorge für Gattin und Kiuder, die Mahnung an die Frau fast in jedem Briefe, nach Nauheim zu gehn, dann die Sorge um die Söhne, die Mitteilung, daß Herbert gar keine Hosen habe, die Klage aus Clermont: Ich beim Schulmeister, Lager an der Erde, ein Strvhstnhl, kleiner finsterer Tisch zum Waschen, Schreiben, Essen. Am andern Tage: „Noch immer um der Erde liegend beim Schulmeister. Baycrudurchmarsch seit vier Stunden, blasen falsch." Noch drastischer ist der Brief vom folgenden Tage, gleichfalls ans Clermont, wo er über den Mangel eines sehr notwendigen Geräth klagt. Der zweite Brief aus Ven- drcsse 3. September, den die Franzosen nicht erwischten, sagt unter anderm: „Ich bin gestern früh um sechs zu Pferde gestiegen, um Mitternacht herunter, zehn bis elf Meilen geritten, zweimal naß und trocken geworden und hatte seit dem dritten Tage nichts Warmes genossen, als ich zu besagter Mitternacht über einen Schmor¬ braten geriet, wie ein Wolf davon aß, dann sechs Stunden sehr fest schlief." Eigentlich war dieser „Schmorbraten" ein Kalbsbraten, für den Schlachtenmaler Georg Bleibtreu und Gustav Frehtag aufgetragen, die damals das kronprinzliche Hauptquartier begleiteten und sehr froh gewesen waren, spät am Abend etwas zu essen aufzutreiben. Die Suppe hatten sie eben verspeist, als zugleich mit dem Kalbs¬ braten Graf Bismnrck-Bohlen eintrat und „etwas zu essen" für deu ihm folgenden Bundeskanzler suchte. Die beiden gleichfalls recht hungrigen Freunde mußten nun zusehen, wie der Braten, dessen Duft ihren Appetit uoch mehr gereizt hatte, vor ihren Blicken verschwand. Es war, wenn wir nicht irren, dasselbe Haus, wo am Abend vorher die von Bleibtreus Pinsel verewigte (später hat A. von Werner denselben Gegenstand behandelt) Kavitulationsverhaudluug stattgefunden hatte. Am frühen Morgen nach dieser Mahlzeit war Bismarck dann dnrch den von Napoleon entsandten General Rente geweckt worden und „ungewaschen und unge¬ frühstückt" zum Kaiser geritten, den er auf der Scdaner Landstraße traf. Dem Briefe liegt ein Zettel bei von der Hand der Gattin: „Bleibts dabei, daß erste Friedcnsbedingung: ewiges Verbleibe» von L. N. auf Franzosen-Thron?" Bis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/369>, abgerufen am 24.08.2024.