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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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er war, dem Kriege entronnen zu sein. Man brauchte nicht eben Phhsiognomikcr
dazu zu sein, ihm am Gesicht abzulesen, daß er keine Faser von Soldatennatur in
sich hatte. Ein Kopf so rund wie eine Kegelkugel, glatt geschoren, ein Gesicht,
das dazu bestimmt zu sein schien, unter günstigen Verhältnissen ebenso rund zu
werden, rundliche Lippen, weit offne Augen mit herabsinkenden obern Augen¬
lidern -- kurz ein Kopf, den die Natur in einer heitern Laune aus lauter Kugcl-
und Kreisabschnitten zusammengesetzt zu haben schien. Und nichts im übrigen Bau
des Körpers widersprach der Auffassung, daß der ganze Mensch, unter der Herr¬
schaft eines Kugel- und Kreisstils i"s Leben gerufen, bestimmt sei, auf der ebnen
Bahn des von Urahnen ererbten Berufs durchs Dasein zu Walten. Und dieser
leichten Bewegung lagen keine Hemmnisse ans feiten des Charakters im Wege; er
hatte sich eine ungemein freundliche Manier in Fragen und Antworten, Bescheiden¬
heit und Zuvorkommenheit im Tu" jeder Art angeeignet, die seiner natürlichen
Gutmütigkeit wohl zu Gesicht stand. Unsre Leute hielten thu deswegen zuerst für
dumm, aber seine Anstelligkeit belehrte sie bald eines Bessern. Des Morgens und
des Abends las er in einem zerleseuen Gebetbüchlein kurze Gebete, und die barm¬
herzige Schwester empfahl ihn uns als "guten, frommen Jungen."

Seine Svldatenlaufbahu erzählte er mir in den Stunden, die wir zusammen
vor dem Ofen des Krankensaals saßen, etwa folgendermaßen: Ihr seid Soldaten, und
in eurer Mitte bin auch ich Soldat, weil ihr mich als solchen gelten laßt. In
Wirklichkeit bin ich nichts weniger als das, war anch nicht Soldat, als man mich
in Reih und Glied stellte. Ich wurde es eigentlich erst in dein Augenblick, wo wir
uns in La Tuilerie verteidigt und verschossen hatten und später dann von euer"
Leuten gefangen genommen wurden. Da fühlte ich etwas von Liebe zur Waffe in
nur, just dn, wo sie mir genommen wurde. Im Grunde bin ich nur ein simpler
Landmann und wäre es auch geblieben, wenn man mich nicht gezwungen hätte, in
den Krieg zu ziehn. Ich bin wahrhaftig nicht von selbst gegangen. Eines Tages
holte mich der Maire, der nicht mein Freund ist, aus meinem Schafstall -- ich
bin nämlich mit Leidenschaft Züchter -- und sagte zu mir: Bring deine Sachen
in Ordnung, in drei Tagen mußt dn dich in Reimes stellen, dn kommst zur Mobil¬
garde. -- Ich war wie vom Donner gerührt. Ich soll Mvbilgardist werden?
Maire, dn scherzest, das ist ja unmöglich, es ist lächerlich. -- Nicht im geringsten.
Du weißt doch, daß alle gerufen werden, die die Flinte tragen können? -- Ja,
ich habe so etwas gehört. Aber ein Soldat muß Mut haben, Maire, und ich habe
nicht eine Spur davon. Ich sage das dir und werde es jedem sagen, der es hören
null: beim ersten Schuß werfe ich mein Gewehr weg und laufe, was ich kann.
Ich bin ans einer ganz unmilitärischen Familie, mein Vater und mein Großvater
waren Hnmmelzüchter, wie ich es bin; macht das nicht zum Kriegsdienst untaug¬
lich? -- Mein lieber Mathieu, reden hilft hier nichts. Wir wissen genau, daß du
weder dein Gewehr wegwerfen noch weglaufen wirst. -- Ich schweige von den
drei Tagen vor dem Abmarsch. Drei Tage darauf gingen wir nach Rennes, zehn
meiner Nachbarn, die dasselbe Los getroffen hatte, nahmen denselben Weg, einige von
Weibern, Kindern und Verwandten begleitet; es war eine traurige Karawane; kein
einziger ging gern. An der großen Straße angekommen, sagten die Männer: Es
taugt nichts, daß wir mit Weib und Kind in Rennes einziehn, senden wir sie zurück,
sie müssen lernen ohne uns auszukommen; wer weiß, wer von uns zurückkehrt? --
Da wir nun allein waren, hob sich die Stimmung, wir teilten einander aus der
Feldflasche mit, und einige begannen zu rauchen, andre zu singen. Einer sagte:
Mir ahnt so etwas, als ob wir bald zurückkehrten. Uns fallt es so schwer, nach
Rennes zu gehn, und das sind doch nur 25 Kilometer, nun bedenke, die Prussiens
sind hundertmal so weit hergekommen und sollten nicht die erste Gelegenheit er¬
greifen, nach Haus zurückzukehren? -- Wir hörten das gern, glaubten es aber
nicht. Ich dachte: Franzosen sind nicht Preußen, und Frankreich ist nicht Deutsch¬
land; wer in Frankreich ist, bleibt gern darin.


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er war, dem Kriege entronnen zu sein. Man brauchte nicht eben Phhsiognomikcr
dazu zu sein, ihm am Gesicht abzulesen, daß er keine Faser von Soldatennatur in
sich hatte. Ein Kopf so rund wie eine Kegelkugel, glatt geschoren, ein Gesicht,
das dazu bestimmt zu sein schien, unter günstigen Verhältnissen ebenso rund zu
werden, rundliche Lippen, weit offne Augen mit herabsinkenden obern Augen¬
lidern — kurz ein Kopf, den die Natur in einer heitern Laune aus lauter Kugcl-
und Kreisabschnitten zusammengesetzt zu haben schien. Und nichts im übrigen Bau
des Körpers widersprach der Auffassung, daß der ganze Mensch, unter der Herr¬
schaft eines Kugel- und Kreisstils i»s Leben gerufen, bestimmt sei, auf der ebnen
Bahn des von Urahnen ererbten Berufs durchs Dasein zu Walten. Und dieser
leichten Bewegung lagen keine Hemmnisse ans feiten des Charakters im Wege; er
hatte sich eine ungemein freundliche Manier in Fragen und Antworten, Bescheiden¬
heit und Zuvorkommenheit im Tu» jeder Art angeeignet, die seiner natürlichen
Gutmütigkeit wohl zu Gesicht stand. Unsre Leute hielten thu deswegen zuerst für
dumm, aber seine Anstelligkeit belehrte sie bald eines Bessern. Des Morgens und
des Abends las er in einem zerleseuen Gebetbüchlein kurze Gebete, und die barm¬
herzige Schwester empfahl ihn uns als „guten, frommen Jungen."

Seine Svldatenlaufbahu erzählte er mir in den Stunden, die wir zusammen
vor dem Ofen des Krankensaals saßen, etwa folgendermaßen: Ihr seid Soldaten, und
in eurer Mitte bin auch ich Soldat, weil ihr mich als solchen gelten laßt. In
Wirklichkeit bin ich nichts weniger als das, war anch nicht Soldat, als man mich
in Reih und Glied stellte. Ich wurde es eigentlich erst in dein Augenblick, wo wir
uns in La Tuilerie verteidigt und verschossen hatten und später dann von euer»
Leuten gefangen genommen wurden. Da fühlte ich etwas von Liebe zur Waffe in
nur, just dn, wo sie mir genommen wurde. Im Grunde bin ich nur ein simpler
Landmann und wäre es auch geblieben, wenn man mich nicht gezwungen hätte, in
den Krieg zu ziehn. Ich bin wahrhaftig nicht von selbst gegangen. Eines Tages
holte mich der Maire, der nicht mein Freund ist, aus meinem Schafstall — ich
bin nämlich mit Leidenschaft Züchter — und sagte zu mir: Bring deine Sachen
in Ordnung, in drei Tagen mußt dn dich in Reimes stellen, dn kommst zur Mobil¬
garde. — Ich war wie vom Donner gerührt. Ich soll Mvbilgardist werden?
Maire, dn scherzest, das ist ja unmöglich, es ist lächerlich. — Nicht im geringsten.
Du weißt doch, daß alle gerufen werden, die die Flinte tragen können? — Ja,
ich habe so etwas gehört. Aber ein Soldat muß Mut haben, Maire, und ich habe
nicht eine Spur davon. Ich sage das dir und werde es jedem sagen, der es hören
null: beim ersten Schuß werfe ich mein Gewehr weg und laufe, was ich kann.
Ich bin ans einer ganz unmilitärischen Familie, mein Vater und mein Großvater
waren Hnmmelzüchter, wie ich es bin; macht das nicht zum Kriegsdienst untaug¬
lich? — Mein lieber Mathieu, reden hilft hier nichts. Wir wissen genau, daß du
weder dein Gewehr wegwerfen noch weglaufen wirst. — Ich schweige von den
drei Tagen vor dem Abmarsch. Drei Tage darauf gingen wir nach Rennes, zehn
meiner Nachbarn, die dasselbe Los getroffen hatte, nahmen denselben Weg, einige von
Weibern, Kindern und Verwandten begleitet; es war eine traurige Karawane; kein
einziger ging gern. An der großen Straße angekommen, sagten die Männer: Es
taugt nichts, daß wir mit Weib und Kind in Rennes einziehn, senden wir sie zurück,
sie müssen lernen ohne uns auszukommen; wer weiß, wer von uns zurückkehrt? —
Da wir nun allein waren, hob sich die Stimmung, wir teilten einander aus der
Feldflasche mit, und einige begannen zu rauchen, andre zu singen. Einer sagte:
Mir ahnt so etwas, als ob wir bald zurückkehrten. Uns fallt es so schwer, nach
Rennes zu gehn, und das sind doch nur 25 Kilometer, nun bedenke, die Prussiens
sind hundertmal so weit hergekommen und sollten nicht die erste Gelegenheit er¬
greifen, nach Haus zurückzukehren? — Wir hörten das gern, glaubten es aber
nicht. Ich dachte: Franzosen sind nicht Preußen, und Frankreich ist nicht Deutsch¬
land; wer in Frankreich ist, bleibt gern darin.


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[0285] Jm Lazcitttt er war, dem Kriege entronnen zu sein. Man brauchte nicht eben Phhsiognomikcr dazu zu sein, ihm am Gesicht abzulesen, daß er keine Faser von Soldatennatur in sich hatte. Ein Kopf so rund wie eine Kegelkugel, glatt geschoren, ein Gesicht, das dazu bestimmt zu sein schien, unter günstigen Verhältnissen ebenso rund zu werden, rundliche Lippen, weit offne Augen mit herabsinkenden obern Augen¬ lidern — kurz ein Kopf, den die Natur in einer heitern Laune aus lauter Kugcl- und Kreisabschnitten zusammengesetzt zu haben schien. Und nichts im übrigen Bau des Körpers widersprach der Auffassung, daß der ganze Mensch, unter der Herr¬ schaft eines Kugel- und Kreisstils i»s Leben gerufen, bestimmt sei, auf der ebnen Bahn des von Urahnen ererbten Berufs durchs Dasein zu Walten. Und dieser leichten Bewegung lagen keine Hemmnisse ans feiten des Charakters im Wege; er hatte sich eine ungemein freundliche Manier in Fragen und Antworten, Bescheiden¬ heit und Zuvorkommenheit im Tu» jeder Art angeeignet, die seiner natürlichen Gutmütigkeit wohl zu Gesicht stand. Unsre Leute hielten thu deswegen zuerst für dumm, aber seine Anstelligkeit belehrte sie bald eines Bessern. Des Morgens und des Abends las er in einem zerleseuen Gebetbüchlein kurze Gebete, und die barm¬ herzige Schwester empfahl ihn uns als „guten, frommen Jungen." Seine Svldatenlaufbahu erzählte er mir in den Stunden, die wir zusammen vor dem Ofen des Krankensaals saßen, etwa folgendermaßen: Ihr seid Soldaten, und in eurer Mitte bin auch ich Soldat, weil ihr mich als solchen gelten laßt. In Wirklichkeit bin ich nichts weniger als das, war anch nicht Soldat, als man mich in Reih und Glied stellte. Ich wurde es eigentlich erst in dein Augenblick, wo wir uns in La Tuilerie verteidigt und verschossen hatten und später dann von euer» Leuten gefangen genommen wurden. Da fühlte ich etwas von Liebe zur Waffe in nur, just dn, wo sie mir genommen wurde. Im Grunde bin ich nur ein simpler Landmann und wäre es auch geblieben, wenn man mich nicht gezwungen hätte, in den Krieg zu ziehn. Ich bin wahrhaftig nicht von selbst gegangen. Eines Tages holte mich der Maire, der nicht mein Freund ist, aus meinem Schafstall — ich bin nämlich mit Leidenschaft Züchter — und sagte zu mir: Bring deine Sachen in Ordnung, in drei Tagen mußt dn dich in Reimes stellen, dn kommst zur Mobil¬ garde. — Ich war wie vom Donner gerührt. Ich soll Mvbilgardist werden? Maire, dn scherzest, das ist ja unmöglich, es ist lächerlich. — Nicht im geringsten. Du weißt doch, daß alle gerufen werden, die die Flinte tragen können? — Ja, ich habe so etwas gehört. Aber ein Soldat muß Mut haben, Maire, und ich habe nicht eine Spur davon. Ich sage das dir und werde es jedem sagen, der es hören null: beim ersten Schuß werfe ich mein Gewehr weg und laufe, was ich kann. Ich bin ans einer ganz unmilitärischen Familie, mein Vater und mein Großvater waren Hnmmelzüchter, wie ich es bin; macht das nicht zum Kriegsdienst untaug¬ lich? — Mein lieber Mathieu, reden hilft hier nichts. Wir wissen genau, daß du weder dein Gewehr wegwerfen noch weglaufen wirst. — Ich schweige von den drei Tagen vor dem Abmarsch. Drei Tage darauf gingen wir nach Rennes, zehn meiner Nachbarn, die dasselbe Los getroffen hatte, nahmen denselben Weg, einige von Weibern, Kindern und Verwandten begleitet; es war eine traurige Karawane; kein einziger ging gern. An der großen Straße angekommen, sagten die Männer: Es taugt nichts, daß wir mit Weib und Kind in Rennes einziehn, senden wir sie zurück, sie müssen lernen ohne uns auszukommen; wer weiß, wer von uns zurückkehrt? — Da wir nun allein waren, hob sich die Stimmung, wir teilten einander aus der Feldflasche mit, und einige begannen zu rauchen, andre zu singen. Einer sagte: Mir ahnt so etwas, als ob wir bald zurückkehrten. Uns fallt es so schwer, nach Rennes zu gehn, und das sind doch nur 25 Kilometer, nun bedenke, die Prussiens sind hundertmal so weit hergekommen und sollten nicht die erste Gelegenheit er¬ greifen, nach Haus zurückzukehren? — Wir hörten das gern, glaubten es aber nicht. Ich dachte: Franzosen sind nicht Preußen, und Frankreich ist nicht Deutsch¬ land; wer in Frankreich ist, bleibt gern darin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/285>, abgerufen am 27.08.2024.