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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Aantoreigesellschast zu <!)sei>atz

letzer von Pflichten gegen die Herrschaft nicht so leicht weg wie der oben er¬
wähnte Ausgetniffne. Besonders Frauenspersonen werden ziemlich roh be¬
handelt; von Strafwerkzeugeu, die sie zu erdulden haben, werden mehrere mit
wunderlichen Namen angeführt: sie werden in die Geige geschlagen, in den
Gänsbcchru gesperrt, der Schnarragages wird ihnen angelegt. Selbstverständ¬
lich wird bei der Untersuchung wegen schwerer Vergeh" der Delinquent pein¬
lich befragt. Dagegen erfahre" Totschläger eine verhältnismäßig milde Be¬
handlung, was sich Wohl daraus erklärt, daß die altdeutsche oompoMio, d. h.
die Abfindung der Verwandten des Erschlagnen mit einer Geldentschädigung,
noch bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein hie und da vorgekommen ist. Die
Rechtsgelehrten haben 1620 einmal gegen einen Totschläger in Haunsheim
auf Hinrichtung durchs Schwert erkannt, der gnädige Herr aber verurteilt ihn
aus angeborner Milde auf sechs Jahre nach Ulm in das Schellenwerk zur
Arbeit.

Das grundherrliche Verhältnis hat, wie man sich leicht vorstellen kann,
auf die Besitzverteilung, auf Zersplitterung und Zusammenlegung weit mehr
Einfluß geübt als die andern beiden Abhängigkeitsverhältnisse, meist natür¬
lich in dem Sinne, daß der Grundherr die Zersplitterung zu verhindern suchte.
Knapp stellt die Wandlungen, die das ländliche Eigentum nach Umfang und
nach Abstnfuna.er des Vesitzrcchts im südwestlichen Deutschland erfahren hat,
ausführlich dar, doch dürften die verwickelten Einzelheiten des Wandlungs¬
prozesses wohl nur die Juristen und die Nationalökonomen von Fach interessieren.
Wir beschränken uns deshalb auf die Bemerkung, daß doch sogar auch in Bildern
der Grundherr niemals so vollständig anerkannter Eigentümer des ganzen
Banernlandes geworden ist wie in Ostelbien, und daß auch die Leistungen an
den Grundherrn gleich denen an den Leibherrn hie und da zu bloßen Sym¬
bolen zusammengeschrumpft sind. So hatte ein bayrischer Bauer zuletzt der
Herrschaft nur noch ein El jährlich zu liefern; das mußte er freilich ans einem
vierspännigen Wagen zu Hofe fahren.


Die Kantoreigesellschaft zu Gschatz
Gin Beitrag zur Geschichte der Aantoreigesellschaften Sachsens*)
Johannes Rautenstrcinch ( von

le katholische Kirche des sechsten Jahrhunderts legte den Grund
zur Pflege der kirchlichen Tonkunst. Der gregorianische Choral-
oder Meßgesang -- bekanntlich eine Schvpftmg Gregors des
Großen -- fand, gefördert durch die von Gregor gestifteten
römischen Singschulen, eine rasche Verbreitung in der Kirche des
Abendlandes. Nach dem Vorbilde der römischen erhoben sich baldWM
auch in deutschen Landen allenthalben Singschulen. Ihre Blütezeit füllt in das
achte und das neunte Jahrhundert. Doch schon im zehnten Jahrhundert erlosch



") Die obigen Ausführungen stützen sich vornehmlich auf die im Oschatzer Ratsarchiv in
einer Lade aufbewahrten Kantoreiakten, die mir durch Herrn Bürgermeister Hartwig zu einer
genauern Einsicht freundlichst überlassen wurden. Außerdem wurden benutzt ein Kantorei-
Die Aantoreigesellschast zu <!)sei>atz

letzer von Pflichten gegen die Herrschaft nicht so leicht weg wie der oben er¬
wähnte Ausgetniffne. Besonders Frauenspersonen werden ziemlich roh be¬
handelt; von Strafwerkzeugeu, die sie zu erdulden haben, werden mehrere mit
wunderlichen Namen angeführt: sie werden in die Geige geschlagen, in den
Gänsbcchru gesperrt, der Schnarragages wird ihnen angelegt. Selbstverständ¬
lich wird bei der Untersuchung wegen schwerer Vergeh» der Delinquent pein¬
lich befragt. Dagegen erfahre» Totschläger eine verhältnismäßig milde Be¬
handlung, was sich Wohl daraus erklärt, daß die altdeutsche oompoMio, d. h.
die Abfindung der Verwandten des Erschlagnen mit einer Geldentschädigung,
noch bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein hie und da vorgekommen ist. Die
Rechtsgelehrten haben 1620 einmal gegen einen Totschläger in Haunsheim
auf Hinrichtung durchs Schwert erkannt, der gnädige Herr aber verurteilt ihn
aus angeborner Milde auf sechs Jahre nach Ulm in das Schellenwerk zur
Arbeit.

Das grundherrliche Verhältnis hat, wie man sich leicht vorstellen kann,
auf die Besitzverteilung, auf Zersplitterung und Zusammenlegung weit mehr
Einfluß geübt als die andern beiden Abhängigkeitsverhältnisse, meist natür¬
lich in dem Sinne, daß der Grundherr die Zersplitterung zu verhindern suchte.
Knapp stellt die Wandlungen, die das ländliche Eigentum nach Umfang und
nach Abstnfuna.er des Vesitzrcchts im südwestlichen Deutschland erfahren hat,
ausführlich dar, doch dürften die verwickelten Einzelheiten des Wandlungs¬
prozesses wohl nur die Juristen und die Nationalökonomen von Fach interessieren.
Wir beschränken uns deshalb auf die Bemerkung, daß doch sogar auch in Bildern
der Grundherr niemals so vollständig anerkannter Eigentümer des ganzen
Banernlandes geworden ist wie in Ostelbien, und daß auch die Leistungen an
den Grundherrn gleich denen an den Leibherrn hie und da zu bloßen Sym¬
bolen zusammengeschrumpft sind. So hatte ein bayrischer Bauer zuletzt der
Herrschaft nur noch ein El jährlich zu liefern; das mußte er freilich ans einem
vierspännigen Wagen zu Hofe fahren.


Die Kantoreigesellschaft zu Gschatz
Gin Beitrag zur Geschichte der Aantoreigesellschaften Sachsens*)
Johannes Rautenstrcinch ( von

le katholische Kirche des sechsten Jahrhunderts legte den Grund
zur Pflege der kirchlichen Tonkunst. Der gregorianische Choral-
oder Meßgesang — bekanntlich eine Schvpftmg Gregors des
Großen — fand, gefördert durch die von Gregor gestifteten
römischen Singschulen, eine rasche Verbreitung in der Kirche des
Abendlandes. Nach dem Vorbilde der römischen erhoben sich baldWM
auch in deutschen Landen allenthalben Singschulen. Ihre Blütezeit füllt in das
achte und das neunte Jahrhundert. Doch schon im zehnten Jahrhundert erlosch



") Die obigen Ausführungen stützen sich vornehmlich auf die im Oschatzer Ratsarchiv in
einer Lade aufbewahrten Kantoreiakten, die mir durch Herrn Bürgermeister Hartwig zu einer
genauern Einsicht freundlichst überlassen wurden. Außerdem wurden benutzt ein Kantorei-
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[0272] Die Aantoreigesellschast zu <!)sei>atz letzer von Pflichten gegen die Herrschaft nicht so leicht weg wie der oben er¬ wähnte Ausgetniffne. Besonders Frauenspersonen werden ziemlich roh be¬ handelt; von Strafwerkzeugeu, die sie zu erdulden haben, werden mehrere mit wunderlichen Namen angeführt: sie werden in die Geige geschlagen, in den Gänsbcchru gesperrt, der Schnarragages wird ihnen angelegt. Selbstverständ¬ lich wird bei der Untersuchung wegen schwerer Vergeh» der Delinquent pein¬ lich befragt. Dagegen erfahre» Totschläger eine verhältnismäßig milde Be¬ handlung, was sich Wohl daraus erklärt, daß die altdeutsche oompoMio, d. h. die Abfindung der Verwandten des Erschlagnen mit einer Geldentschädigung, noch bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein hie und da vorgekommen ist. Die Rechtsgelehrten haben 1620 einmal gegen einen Totschläger in Haunsheim auf Hinrichtung durchs Schwert erkannt, der gnädige Herr aber verurteilt ihn aus angeborner Milde auf sechs Jahre nach Ulm in das Schellenwerk zur Arbeit. Das grundherrliche Verhältnis hat, wie man sich leicht vorstellen kann, auf die Besitzverteilung, auf Zersplitterung und Zusammenlegung weit mehr Einfluß geübt als die andern beiden Abhängigkeitsverhältnisse, meist natür¬ lich in dem Sinne, daß der Grundherr die Zersplitterung zu verhindern suchte. Knapp stellt die Wandlungen, die das ländliche Eigentum nach Umfang und nach Abstnfuna.er des Vesitzrcchts im südwestlichen Deutschland erfahren hat, ausführlich dar, doch dürften die verwickelten Einzelheiten des Wandlungs¬ prozesses wohl nur die Juristen und die Nationalökonomen von Fach interessieren. Wir beschränken uns deshalb auf die Bemerkung, daß doch sogar auch in Bildern der Grundherr niemals so vollständig anerkannter Eigentümer des ganzen Banernlandes geworden ist wie in Ostelbien, und daß auch die Leistungen an den Grundherrn gleich denen an den Leibherrn hie und da zu bloßen Sym¬ bolen zusammengeschrumpft sind. So hatte ein bayrischer Bauer zuletzt der Herrschaft nur noch ein El jährlich zu liefern; das mußte er freilich ans einem vierspännigen Wagen zu Hofe fahren. Die Kantoreigesellschaft zu Gschatz Gin Beitrag zur Geschichte der Aantoreigesellschaften Sachsens*) Johannes Rautenstrcinch ( von le katholische Kirche des sechsten Jahrhunderts legte den Grund zur Pflege der kirchlichen Tonkunst. Der gregorianische Choral- oder Meßgesang — bekanntlich eine Schvpftmg Gregors des Großen — fand, gefördert durch die von Gregor gestifteten römischen Singschulen, eine rasche Verbreitung in der Kirche des Abendlandes. Nach dem Vorbilde der römischen erhoben sich baldWM auch in deutschen Landen allenthalben Singschulen. Ihre Blütezeit füllt in das achte und das neunte Jahrhundert. Doch schon im zehnten Jahrhundert erlosch ") Die obigen Ausführungen stützen sich vornehmlich auf die im Oschatzer Ratsarchiv in einer Lade aufbewahrten Kantoreiakten, die mir durch Herrn Bürgermeister Hartwig zu einer genauern Einsicht freundlichst überlassen wurden. Außerdem wurden benutzt ein Kantorei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/272>, abgerufen am 26.08.2024.