Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

In alle" diese" Dingen wollte der Prinz Preußens Stellung, Preußens
Interesse, das sich vollständig mit den Interessen Deutschlands und mit dein
nationalen Empfinden deckte, nachdrücklichst zur Geltung gebracht sehen. Fern
von allen Phantastereien und Uberschivänglichkeite" übersah er klaren, verstän¬
digen Sinnes, daß Preußen durch eine feste, entschlossene Haltung auch auf
friedlichem Wege viel von dem seit 1850 Verlornen Ansehen zurückgewinnen
könne, aber für alle Fälle sollte es im Besitz einer seiner Stellung und seineu
Aufgaben entsprechenden Rüstung sein. Gleich als ob ein höheres Walten die
Mängel der vorhandnen Rüstung noch einmal im ganzen Umfange klar zeigen
wollte, veranlaßten die Ereignisse des Jahres 1859 abermals eine Mobil¬
machung des ganzen Heeres, abermals ein opferreiches Aufgebot der gesamten
Volkskraft, ohne daß es zum Kriege kam. Aber mit diesem Aufgebot war zu¬
gleich etwas unter die Waffen gerufen worden, was als ein völlig neues
Gewicht schwer in die Wage der politischen Entscheidungen siel: die neue
Ära hatte die Hoffnungen auf Preußen in Deutschland wieder neu belebt,
durch sie war das nationale Empfinden, war der Neichsgedanke wieder erweckt
worden. Die französische Bedrohung hatte daran einen großen Anteil. Ans
den erlauchten Regenten, der im Begriff stand, an der Spitze Deutschlands
das Schwert zu ziehn, hatten sich aller Blicke gerichtet, fast wäre dem Kaiser
Napoleon schon 1859 gelungen, was ihm dann 1870 so wider Erwarten ge¬
lingen sollte: Deutschland einig zu machen.

Die Krisis von 1859 hatte für Preußen von neuem drei große Lehre"
ergeben: die Unzulänglichkeit des Heeres in Zahl, Znsammensetzung, Ausrüstung
und Mobilmachung, damit die Notwendigkeit sofortiger Abhilfe; sodann die
Unzulänglichkeit der Bnndeskriegsverfassnng nicht nur, sondern der gesamten
Bundesverfassung überhaupt; endlich die tiefgehende Abneigung und Rivalität
Österreichs gegen Preußen, die darin zutage trat, daß es lieber einen de¬
mütigender Frieden schloß, als daß es die Hilfe Preußens unter Umständen
annahm, die dieses auch nur militärisch an die Spitze des außerösterreichischcn
Deutschlands gestellt hätten.

Die Wegweiser in die Zukunft waren ausgerichtet. Der Umgestaltung des
preußischen Heerwesens sofort näher zu treten, bot die politische Sachlage mehr
als ausreichende Handhaben, die denn auch alsbald mit großer Geschicklichkeit
benutzt wurden. Die Demobilmachung nusznsvrechen war aus politischen und
finanziellen Gründen geboten, die Rüstung abzulegen wäre angesichts der
politischen Lage ein schwerer Fehler, eine Versuchung für die Gegner gewesen.
Es erfolgte die Formierung der sogenannten Landwehrstammbataillone, ein
Modus, der ebenso das Beibehalten einer stärkern Rüstung sichern wie den
Übergang zu der gesetzlich festzulegenden Reorganisation der Armee bilden
sollte. Die Gestalt, in der die Reorganisation endgiltig ins Leben zu rufen
war, blieb noch fortgesetzt der Gegenstand der Beratung. In der Muße der
Koblenzer Zurückgezogenheit, während der fünfziger Jahre, hatte sich der
Prinz von Preußen die Mängel des Heerwesens klar gemacht, wie sie seit dem
Jahre 1848 zutage getreten waren. Die nächsten Mittel zur Abhilfe inmitten einer
ungünstige" Fiucuizlage erkannte er in der Wiederherstellung der dreijährige"


In alle» diese» Dingen wollte der Prinz Preußens Stellung, Preußens
Interesse, das sich vollständig mit den Interessen Deutschlands und mit dein
nationalen Empfinden deckte, nachdrücklichst zur Geltung gebracht sehen. Fern
von allen Phantastereien und Uberschivänglichkeite» übersah er klaren, verstän¬
digen Sinnes, daß Preußen durch eine feste, entschlossene Haltung auch auf
friedlichem Wege viel von dem seit 1850 Verlornen Ansehen zurückgewinnen
könne, aber für alle Fälle sollte es im Besitz einer seiner Stellung und seineu
Aufgaben entsprechenden Rüstung sein. Gleich als ob ein höheres Walten die
Mängel der vorhandnen Rüstung noch einmal im ganzen Umfange klar zeigen
wollte, veranlaßten die Ereignisse des Jahres 1859 abermals eine Mobil¬
machung des ganzen Heeres, abermals ein opferreiches Aufgebot der gesamten
Volkskraft, ohne daß es zum Kriege kam. Aber mit diesem Aufgebot war zu¬
gleich etwas unter die Waffen gerufen worden, was als ein völlig neues
Gewicht schwer in die Wage der politischen Entscheidungen siel: die neue
Ära hatte die Hoffnungen auf Preußen in Deutschland wieder neu belebt,
durch sie war das nationale Empfinden, war der Neichsgedanke wieder erweckt
worden. Die französische Bedrohung hatte daran einen großen Anteil. Ans
den erlauchten Regenten, der im Begriff stand, an der Spitze Deutschlands
das Schwert zu ziehn, hatten sich aller Blicke gerichtet, fast wäre dem Kaiser
Napoleon schon 1859 gelungen, was ihm dann 1870 so wider Erwarten ge¬
lingen sollte: Deutschland einig zu machen.

Die Krisis von 1859 hatte für Preußen von neuem drei große Lehre»
ergeben: die Unzulänglichkeit des Heeres in Zahl, Znsammensetzung, Ausrüstung
und Mobilmachung, damit die Notwendigkeit sofortiger Abhilfe; sodann die
Unzulänglichkeit der Bnndeskriegsverfassnng nicht nur, sondern der gesamten
Bundesverfassung überhaupt; endlich die tiefgehende Abneigung und Rivalität
Österreichs gegen Preußen, die darin zutage trat, daß es lieber einen de¬
mütigender Frieden schloß, als daß es die Hilfe Preußens unter Umständen
annahm, die dieses auch nur militärisch an die Spitze des außerösterreichischcn
Deutschlands gestellt hätten.

Die Wegweiser in die Zukunft waren ausgerichtet. Der Umgestaltung des
preußischen Heerwesens sofort näher zu treten, bot die politische Sachlage mehr
als ausreichende Handhaben, die denn auch alsbald mit großer Geschicklichkeit
benutzt wurden. Die Demobilmachung nusznsvrechen war aus politischen und
finanziellen Gründen geboten, die Rüstung abzulegen wäre angesichts der
politischen Lage ein schwerer Fehler, eine Versuchung für die Gegner gewesen.
Es erfolgte die Formierung der sogenannten Landwehrstammbataillone, ein
Modus, der ebenso das Beibehalten einer stärkern Rüstung sichern wie den
Übergang zu der gesetzlich festzulegenden Reorganisation der Armee bilden
sollte. Die Gestalt, in der die Reorganisation endgiltig ins Leben zu rufen
war, blieb noch fortgesetzt der Gegenstand der Beratung. In der Muße der
Koblenzer Zurückgezogenheit, während der fünfziger Jahre, hatte sich der
Prinz von Preußen die Mängel des Heerwesens klar gemacht, wie sie seit dem
Jahre 1848 zutage getreten waren. Die nächsten Mittel zur Abhilfe inmitten einer
ungünstige» Fiucuizlage erkannte er in der Wiederherstellung der dreijährige»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240638"/>
          <p xml:id="ID_1302"> In alle» diese» Dingen wollte der Prinz Preußens Stellung, Preußens<lb/>
Interesse, das sich vollständig mit den Interessen Deutschlands und mit dein<lb/>
nationalen Empfinden deckte, nachdrücklichst zur Geltung gebracht sehen. Fern<lb/>
von allen Phantastereien und Uberschivänglichkeite» übersah er klaren, verstän¬<lb/>
digen Sinnes, daß Preußen durch eine feste, entschlossene Haltung auch auf<lb/>
friedlichem Wege viel von dem seit 1850 Verlornen Ansehen zurückgewinnen<lb/>
könne, aber für alle Fälle sollte es im Besitz einer seiner Stellung und seineu<lb/>
Aufgaben entsprechenden Rüstung sein. Gleich als ob ein höheres Walten die<lb/>
Mängel der vorhandnen Rüstung noch einmal im ganzen Umfange klar zeigen<lb/>
wollte, veranlaßten die Ereignisse des Jahres 1859 abermals eine Mobil¬<lb/>
machung des ganzen Heeres, abermals ein opferreiches Aufgebot der gesamten<lb/>
Volkskraft, ohne daß es zum Kriege kam. Aber mit diesem Aufgebot war zu¬<lb/>
gleich etwas unter die Waffen gerufen worden, was als ein völlig neues<lb/>
Gewicht schwer in die Wage der politischen Entscheidungen siel: die neue<lb/>
Ära hatte die Hoffnungen auf Preußen in Deutschland wieder neu belebt,<lb/>
durch sie war das nationale Empfinden, war der Neichsgedanke wieder erweckt<lb/>
worden. Die französische Bedrohung hatte daran einen großen Anteil. Ans<lb/>
den erlauchten Regenten, der im Begriff stand, an der Spitze Deutschlands<lb/>
das Schwert zu ziehn, hatten sich aller Blicke gerichtet, fast wäre dem Kaiser<lb/>
Napoleon schon 1859 gelungen, was ihm dann 1870 so wider Erwarten ge¬<lb/>
lingen sollte: Deutschland einig zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303"> Die Krisis von 1859 hatte für Preußen von neuem drei große Lehre»<lb/>
ergeben: die Unzulänglichkeit des Heeres in Zahl, Znsammensetzung, Ausrüstung<lb/>
und Mobilmachung, damit die Notwendigkeit sofortiger Abhilfe; sodann die<lb/>
Unzulänglichkeit der Bnndeskriegsverfassnng nicht nur, sondern der gesamten<lb/>
Bundesverfassung überhaupt; endlich die tiefgehende Abneigung und Rivalität<lb/>
Österreichs gegen Preußen, die darin zutage trat, daß es lieber einen de¬<lb/>
mütigender Frieden schloß, als daß es die Hilfe Preußens unter Umständen<lb/>
annahm, die dieses auch nur militärisch an die Spitze des außerösterreichischcn<lb/>
Deutschlands gestellt hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1304" next="#ID_1305"> Die Wegweiser in die Zukunft waren ausgerichtet. Der Umgestaltung des<lb/>
preußischen Heerwesens sofort näher zu treten, bot die politische Sachlage mehr<lb/>
als ausreichende Handhaben, die denn auch alsbald mit großer Geschicklichkeit<lb/>
benutzt wurden. Die Demobilmachung nusznsvrechen war aus politischen und<lb/>
finanziellen Gründen geboten, die Rüstung abzulegen wäre angesichts der<lb/>
politischen Lage ein schwerer Fehler, eine Versuchung für die Gegner gewesen.<lb/>
Es erfolgte die Formierung der sogenannten Landwehrstammbataillone, ein<lb/>
Modus, der ebenso das Beibehalten einer stärkern Rüstung sichern wie den<lb/>
Übergang zu der gesetzlich festzulegenden Reorganisation der Armee bilden<lb/>
sollte. Die Gestalt, in der die Reorganisation endgiltig ins Leben zu rufen<lb/>
war, blieb noch fortgesetzt der Gegenstand der Beratung. In der Muße der<lb/>
Koblenzer Zurückgezogenheit, während der fünfziger Jahre, hatte sich der<lb/>
Prinz von Preußen die Mängel des Heerwesens klar gemacht, wie sie seit dem<lb/>
Jahre 1848 zutage getreten waren. Die nächsten Mittel zur Abhilfe inmitten einer<lb/>
ungünstige» Fiucuizlage erkannte er in der Wiederherstellung der dreijährige»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] In alle» diese» Dingen wollte der Prinz Preußens Stellung, Preußens Interesse, das sich vollständig mit den Interessen Deutschlands und mit dein nationalen Empfinden deckte, nachdrücklichst zur Geltung gebracht sehen. Fern von allen Phantastereien und Uberschivänglichkeite» übersah er klaren, verstän¬ digen Sinnes, daß Preußen durch eine feste, entschlossene Haltung auch auf friedlichem Wege viel von dem seit 1850 Verlornen Ansehen zurückgewinnen könne, aber für alle Fälle sollte es im Besitz einer seiner Stellung und seineu Aufgaben entsprechenden Rüstung sein. Gleich als ob ein höheres Walten die Mängel der vorhandnen Rüstung noch einmal im ganzen Umfange klar zeigen wollte, veranlaßten die Ereignisse des Jahres 1859 abermals eine Mobil¬ machung des ganzen Heeres, abermals ein opferreiches Aufgebot der gesamten Volkskraft, ohne daß es zum Kriege kam. Aber mit diesem Aufgebot war zu¬ gleich etwas unter die Waffen gerufen worden, was als ein völlig neues Gewicht schwer in die Wage der politischen Entscheidungen siel: die neue Ära hatte die Hoffnungen auf Preußen in Deutschland wieder neu belebt, durch sie war das nationale Empfinden, war der Neichsgedanke wieder erweckt worden. Die französische Bedrohung hatte daran einen großen Anteil. Ans den erlauchten Regenten, der im Begriff stand, an der Spitze Deutschlands das Schwert zu ziehn, hatten sich aller Blicke gerichtet, fast wäre dem Kaiser Napoleon schon 1859 gelungen, was ihm dann 1870 so wider Erwarten ge¬ lingen sollte: Deutschland einig zu machen. Die Krisis von 1859 hatte für Preußen von neuem drei große Lehre» ergeben: die Unzulänglichkeit des Heeres in Zahl, Znsammensetzung, Ausrüstung und Mobilmachung, damit die Notwendigkeit sofortiger Abhilfe; sodann die Unzulänglichkeit der Bnndeskriegsverfassnng nicht nur, sondern der gesamten Bundesverfassung überhaupt; endlich die tiefgehende Abneigung und Rivalität Österreichs gegen Preußen, die darin zutage trat, daß es lieber einen de¬ mütigender Frieden schloß, als daß es die Hilfe Preußens unter Umständen annahm, die dieses auch nur militärisch an die Spitze des außerösterreichischcn Deutschlands gestellt hätten. Die Wegweiser in die Zukunft waren ausgerichtet. Der Umgestaltung des preußischen Heerwesens sofort näher zu treten, bot die politische Sachlage mehr als ausreichende Handhaben, die denn auch alsbald mit großer Geschicklichkeit benutzt wurden. Die Demobilmachung nusznsvrechen war aus politischen und finanziellen Gründen geboten, die Rüstung abzulegen wäre angesichts der politischen Lage ein schwerer Fehler, eine Versuchung für die Gegner gewesen. Es erfolgte die Formierung der sogenannten Landwehrstammbataillone, ein Modus, der ebenso das Beibehalten einer stärkern Rüstung sichern wie den Übergang zu der gesetzlich festzulegenden Reorganisation der Armee bilden sollte. Die Gestalt, in der die Reorganisation endgiltig ins Leben zu rufen war, blieb noch fortgesetzt der Gegenstand der Beratung. In der Muße der Koblenzer Zurückgezogenheit, während der fünfziger Jahre, hatte sich der Prinz von Preußen die Mängel des Heerwesens klar gemacht, wie sie seit dem Jahre 1848 zutage getreten waren. Die nächsten Mittel zur Abhilfe inmitten einer ungünstige» Fiucuizlage erkannte er in der Wiederherstellung der dreijährige»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/256>, abgerufen am 25.08.2024.