Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Das englische Rechtswesen reich bereisen und die Streitfülle in den Grafschaften selbst hören zu lassen. Die Form der Vollmacht, mit der die Richter hinausgehn, ist noch fast El"? besondres Kennzeichen des englischen Verfahrens ist von jeher die Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Streite um Geld und Der Titel Lina's c!o"nsol, .Königsanwalt, entspricht dem deutschen Justizrnt, ist aber
seltener und darum höher. Seine Träger zeichnen sich durch einen seidnen Talar aus, während sich der gewöhnliche Barrister mit Wollstoff begnügen mich. Das englische Rechtswesen reich bereisen und die Streitfülle in den Grafschaften selbst hören zu lassen. Die Form der Vollmacht, mit der die Richter hinausgehn, ist noch fast El»? besondres Kennzeichen des englischen Verfahrens ist von jeher die Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Streite um Geld und Der Titel Lina's c!o»nsol, .Königsanwalt, entspricht dem deutschen Justizrnt, ist aber
seltener und darum höher. Seine Träger zeichnen sich durch einen seidnen Talar aus, während sich der gewöhnliche Barrister mit Wollstoff begnügen mich. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240584"/> <fw type="header" place="top"> Das englische Rechtswesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_988" prev="#ID_987"> reich bereisen und die Streitfülle in den Grafschaften selbst hören zu lassen.<lb/> Dafür erhielten die Richter verschiedne Vollmachten oder Auftrüge, je nachdem<lb/> sie bürgerliche Streitigkeiten zu erledigen oder Verbrecher abzuurteilen hatten.<lb/> Diese Einrichtung besteht noch heute mit einiger Abweichung. Denn wahrend<lb/> die alten Assisen selbständige Gerichtshöfe waren mit der Aufgabe, durch eine<lb/> Jury die Tatsachen für die spätere Entscheidung durch das Gericht in London<lb/> feststellen zu lassen, gelten die Assisen von heute als das Reichsgericht selbst,<lb/> und der Richter spricht dort schon das Urteil des Reichsgerichts. Viermal im<lb/> Jahre bereisen die Richter das Land, und überall, mit Ausnahme einiger stark<lb/> bevölkerter Teile, werden bürgerliche Rechtshändel nur im Sommer und im<lb/> Winter entschieden.</p><lb/> <p xml:id="ID_989"> Die Form der Vollmacht, mit der die Richter hinausgehn, ist noch fast<lb/> dieselbe wie vor alters, und mit gleicher Vollmacht werden ihnen eine An¬<lb/> zahl älterer Anwälte, die Rang und Titel eines LmZ's Lcmnsel*) erlangt<lb/> haben, beigesellt, sodas; bei etwa eintretender Verhinderung des Richters, oder<lb/> wenn die Masse der vorliegenden Fälle seine Kräfte übersteigt, einer von diesen<lb/> seine Stelle einnehmen kann, und in der Abwicklung der Geschäfte keine Ver¬<lb/> zögerung entsteht.</p><lb/> <p xml:id="ID_990"> El»? besondres Kennzeichen des englischen Verfahrens ist von jeher die<lb/> Verwendung einer Geschwornenbank auch in bürgerlichen Nechtshändeln ge¬<lb/> wesen. Nötig sind die Geschwornen nicht. Sie werden nur auf Antrag einer<lb/> der beiden Parteien einberufen, und die Kanzleiabteilung kennt sie überhaupt<lb/> nicht. In bürgerlichen Sachen haben sie auch nicht die Bedeutung wie in der<lb/> Strafrechtspflege.</p><lb/> <p xml:id="ID_991" next="#ID_992"> Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Streite um Geld und<lb/> Geldeswert der rcchtsgelehrte Richter überwiegen muß, und da der Richter<lb/> in seiner Entscheidung nicht an den Spruch der Geschwornen gebunden ist,<lb/> sondern ihm entgegen entscheiden kann, so müssen sich die Geschwornen manch¬<lb/> mal recht überflüssig vorkommen. In verwickelten Sachen wird eine besondre<lb/> Geschwvrnenbank tspoeml ju,^) aus Mitgliedern der gebildeten Stände mit<lb/> höhern Gebühren eingerichtet, doch im allgemeinen ist die Vorliebe für die Ge¬<lb/> schwornen schon der Kosten wegen nicht sehr groß und, wie es scheint, im Schwinden<lb/> begriffen. Nur bei gewissen Klassen von Klagen ist es anders. Eine hübsche<lb/> junge Dame, die ihren ehemaligen Anbeter auf Schadenersatz wegen Bruch<lb/> des Eheversprechcns verklagt, würde mit der Abschaffung der Geschwornen<lb/> nicht einverstanden sein. Ein Dutzend der „guten und treuen Männer," be¬<lb/> sonders wenn sie verheiratet sind, werden den Bericht von ihrem Liebesjammer<lb/> mit größerer Rührung annehmen und ihr ein besseres Schmerzensgeld auf die<lb/> Herzenswunde legen, als ein grauer Menschenkenner von Richter. Die Buße,<lb/> die der Treulose der Verlassenen zu zahlen hat, wird nach seiner Stellung<lb/> bemessen und beschränkt sich keineswegs bloß ans den nachweisbaren Schaden.<lb/> Ein edler Lord hat einen solchen zerronnenen Licbcstraum mit der kleinen</p><lb/> <note xml:id="FID_17" place="foot"> Der Titel Lina's c!o»nsol, .Königsanwalt, entspricht dem deutschen Justizrnt, ist aber<lb/> seltener und darum höher. Seine Träger zeichnen sich durch einen seidnen Talar aus, während<lb/> sich der gewöhnliche Barrister mit Wollstoff begnügen mich.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Das englische Rechtswesen
reich bereisen und die Streitfülle in den Grafschaften selbst hören zu lassen.
Dafür erhielten die Richter verschiedne Vollmachten oder Auftrüge, je nachdem
sie bürgerliche Streitigkeiten zu erledigen oder Verbrecher abzuurteilen hatten.
Diese Einrichtung besteht noch heute mit einiger Abweichung. Denn wahrend
die alten Assisen selbständige Gerichtshöfe waren mit der Aufgabe, durch eine
Jury die Tatsachen für die spätere Entscheidung durch das Gericht in London
feststellen zu lassen, gelten die Assisen von heute als das Reichsgericht selbst,
und der Richter spricht dort schon das Urteil des Reichsgerichts. Viermal im
Jahre bereisen die Richter das Land, und überall, mit Ausnahme einiger stark
bevölkerter Teile, werden bürgerliche Rechtshändel nur im Sommer und im
Winter entschieden.
Die Form der Vollmacht, mit der die Richter hinausgehn, ist noch fast
dieselbe wie vor alters, und mit gleicher Vollmacht werden ihnen eine An¬
zahl älterer Anwälte, die Rang und Titel eines LmZ's Lcmnsel*) erlangt
haben, beigesellt, sodas; bei etwa eintretender Verhinderung des Richters, oder
wenn die Masse der vorliegenden Fälle seine Kräfte übersteigt, einer von diesen
seine Stelle einnehmen kann, und in der Abwicklung der Geschäfte keine Ver¬
zögerung entsteht.
El»? besondres Kennzeichen des englischen Verfahrens ist von jeher die
Verwendung einer Geschwornenbank auch in bürgerlichen Nechtshändeln ge¬
wesen. Nötig sind die Geschwornen nicht. Sie werden nur auf Antrag einer
der beiden Parteien einberufen, und die Kanzleiabteilung kennt sie überhaupt
nicht. In bürgerlichen Sachen haben sie auch nicht die Bedeutung wie in der
Strafrechtspflege.
Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Streite um Geld und
Geldeswert der rcchtsgelehrte Richter überwiegen muß, und da der Richter
in seiner Entscheidung nicht an den Spruch der Geschwornen gebunden ist,
sondern ihm entgegen entscheiden kann, so müssen sich die Geschwornen manch¬
mal recht überflüssig vorkommen. In verwickelten Sachen wird eine besondre
Geschwvrnenbank tspoeml ju,^) aus Mitgliedern der gebildeten Stände mit
höhern Gebühren eingerichtet, doch im allgemeinen ist die Vorliebe für die Ge¬
schwornen schon der Kosten wegen nicht sehr groß und, wie es scheint, im Schwinden
begriffen. Nur bei gewissen Klassen von Klagen ist es anders. Eine hübsche
junge Dame, die ihren ehemaligen Anbeter auf Schadenersatz wegen Bruch
des Eheversprechcns verklagt, würde mit der Abschaffung der Geschwornen
nicht einverstanden sein. Ein Dutzend der „guten und treuen Männer," be¬
sonders wenn sie verheiratet sind, werden den Bericht von ihrem Liebesjammer
mit größerer Rührung annehmen und ihr ein besseres Schmerzensgeld auf die
Herzenswunde legen, als ein grauer Menschenkenner von Richter. Die Buße,
die der Treulose der Verlassenen zu zahlen hat, wird nach seiner Stellung
bemessen und beschränkt sich keineswegs bloß ans den nachweisbaren Schaden.
Ein edler Lord hat einen solchen zerronnenen Licbcstraum mit der kleinen
Der Titel Lina's c!o»nsol, .Königsanwalt, entspricht dem deutschen Justizrnt, ist aber
seltener und darum höher. Seine Träger zeichnen sich durch einen seidnen Talar aus, während
sich der gewöhnliche Barrister mit Wollstoff begnügen mich.
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