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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Bibel gewußt. Daß ein solcher Kulturstaat nicht ohne Gesetze besteh" kann,
die das Eigentumsrecht, den Gewerbebetrieb und den Handel, die Pflichten der
Untertanen, das Eherecht und das Erbrecht regeln, steht von vornherein fest. Und zwar
fallen aus innerer Notwendigkeit alle solche Regelungen ähnlich aus. Daß das auf
eine Stele eiugegrabne Gesetz des babylonischen Königs die Regel bestätigt, kann
nicht überraschen, und höchst interessant ist es, daß wir darin auch manche Be¬
sonderheiten des mosaischen Gesetzes wiederfinden, wie die, daß Bußen festgesetzt
werden für den von einem stößigen Ochsen angerichteten Schaden. Aber von dem,
was das mosaische Gesetz und die Propheten vor allen Gesetzbüchern der Alten Welt
auszeichnet, finden wir mich in dein babylonischen Gesetzbuch keine Spur, vielmehr
in einigen Stücken ausdrücklich das Gegenteil. Von den drei wunderbaren Vor¬
zügen des biblischen Gesetzes ist der erste seine Humanität, an die auch die griechische
Humanität, wenn man in diesem Begriff das Gewicht auf allgemeine Menschenliebe
und Erbarmen legt, bei weitem nicht hinanreicht. Die Pflicht, für die Armen, für
Witwen und Waisen, für die Fremdlinge zu sorgen, die Sklaven und sogar das
Vieh menschlich zu behandeln, wird unzähligemal eingeschärft, jedes Vergehen gegen
den Schwachen als ein abscheulicher Frevel gebrandmarkt, der eine strengere Be¬
strafung von Gott zu erwarten habe als jeder andre; und in der auch dem Sklaven
zu gewährenden Sabbathruhe wird eine Institution eingesetzt, deren segensreiche
Wirkungen erst in unsrer Zeit der wahnsinnigen Arbeithetze in ihrer ganzen Größe
und Bedeutung erkannt werden, und mit der sich keine andre soziale und humane
Einrichtung irgend eines Volkes oder irgend einer Zeit vergleichen läßt. (Alle
Assyriologen, die sich bis jetzt haben vernehmen lassen, erklären die Zurückführung
des Sabbaths auf Babel für einen der ärgsten Irrtümer des Professor Delitzsch,
der, sagen sie, nur als Philologe unbestreitbar große Verdienste habe; so der
Pariser Professor Julius Oppert in Ur. 128 der Wiener Zeit, der die Kritik der
Sabbathableitung mit den Worten schließt: "Der Nachweis des sogenannten baby¬
lonischen Ursprungs der jüdischen Kultur läust auf folgendes hinaus: Wir können
beweisen, daß die Chaldner die Nasen mitten im Gesicht hatten, die Juden eines,
also stammen die Nasen der Juden aus Babylon.") Der zweite Vorzug des jü¬
dischen Gesetzes war sei" Monotheismus. Dieser war schon deswegen Lebens¬
bedingung jeder höhern Kultur in Vorderasien, weil Menschenopfer und Prostitution
(sowohl weibliche als männliche) wesentliche Bestandteile aller vorderasiatischen Kulte
waren. (In den Gesetzen Hammurabis erscheinen die aus Herodot und aus der
Bibel bekannten "gottgeweihten" Tempeldirnen und Buhlen als ein Stand, der
sein besondres Recht hat; "eben ihnen werden Tempeljungfrauen erwähnt, die also
gleich den Vestalinnen zur Keuschheit verpflichtet gewesen zu sein scheinen.) Außer¬
dem ist der Monotheismus die Grundbedingung der Wissenschaft, denn so lange
einige Dutzend Götter einander die Weltherrschaft streitig machen, so lange nicht
alle Erscheinungen auf eine gemeinsame Wurzel alles Daseins zurückgeführt werdeu,
kann von Natnrkausalität keine Rede sein. Bei deu Griechen hat die Philosophie,
die in Vorderasien fehlte, diese Bedingung geschaffen. Der heutige Atheismus ist
nur ein verstümmelter Monotheismus, der zwar deu Verlauf der physikalische" Er¬
scheinungen rationell darzustellen vermag, aber schon bei den organischen versagt
und dem Geistesleben gegenüber, also in der Hauptsache, ganz ratlos ist. Der
dritte Vorzug der mosaischen Religion ist ihr prophetischer Charakter. In einem
liberalen Blatte glaubte jüngst ein moderner Babylonier einen Haupttrumpf aus¬
zuspielen, indem er seinen Triumphgesang ungefähr mit den Worten schloß: Gott
sei Dank! (nein, so kann er ja nicht geschrieben haben! Also vielleicht Delitzsch sei
Dank!), der Aberglaube von der sogenannten Offenbarung ist jetit endgiltig ab¬
getan! Die Bibel ist nichts als ein Abklatsch babylonischer Mythen und Gesetze!
Und diese ganze babylonische Herrlichkeit ist der Vernichtung anheimgefallen, ob¬
wohl der hochmütige Hammnrabi sich einbildete, er und seiue Nachfolger würden
ewig herrschen. (Dieser Hammnrabi, von dem die Assyriologeu sagen, daß er der
1. Mose 14 in der Geschichte Abrahams erwähnte Amrnphel' sei, hat in der Ein-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Bibel gewußt. Daß ein solcher Kulturstaat nicht ohne Gesetze besteh» kann,
die das Eigentumsrecht, den Gewerbebetrieb und den Handel, die Pflichten der
Untertanen, das Eherecht und das Erbrecht regeln, steht von vornherein fest. Und zwar
fallen aus innerer Notwendigkeit alle solche Regelungen ähnlich aus. Daß das auf
eine Stele eiugegrabne Gesetz des babylonischen Königs die Regel bestätigt, kann
nicht überraschen, und höchst interessant ist es, daß wir darin auch manche Be¬
sonderheiten des mosaischen Gesetzes wiederfinden, wie die, daß Bußen festgesetzt
werden für den von einem stößigen Ochsen angerichteten Schaden. Aber von dem,
was das mosaische Gesetz und die Propheten vor allen Gesetzbüchern der Alten Welt
auszeichnet, finden wir mich in dein babylonischen Gesetzbuch keine Spur, vielmehr
in einigen Stücken ausdrücklich das Gegenteil. Von den drei wunderbaren Vor¬
zügen des biblischen Gesetzes ist der erste seine Humanität, an die auch die griechische
Humanität, wenn man in diesem Begriff das Gewicht auf allgemeine Menschenliebe
und Erbarmen legt, bei weitem nicht hinanreicht. Die Pflicht, für die Armen, für
Witwen und Waisen, für die Fremdlinge zu sorgen, die Sklaven und sogar das
Vieh menschlich zu behandeln, wird unzähligemal eingeschärft, jedes Vergehen gegen
den Schwachen als ein abscheulicher Frevel gebrandmarkt, der eine strengere Be¬
strafung von Gott zu erwarten habe als jeder andre; und in der auch dem Sklaven
zu gewährenden Sabbathruhe wird eine Institution eingesetzt, deren segensreiche
Wirkungen erst in unsrer Zeit der wahnsinnigen Arbeithetze in ihrer ganzen Größe
und Bedeutung erkannt werden, und mit der sich keine andre soziale und humane
Einrichtung irgend eines Volkes oder irgend einer Zeit vergleichen läßt. (Alle
Assyriologen, die sich bis jetzt haben vernehmen lassen, erklären die Zurückführung
des Sabbaths auf Babel für einen der ärgsten Irrtümer des Professor Delitzsch,
der, sagen sie, nur als Philologe unbestreitbar große Verdienste habe; so der
Pariser Professor Julius Oppert in Ur. 128 der Wiener Zeit, der die Kritik der
Sabbathableitung mit den Worten schließt: „Der Nachweis des sogenannten baby¬
lonischen Ursprungs der jüdischen Kultur läust auf folgendes hinaus: Wir können
beweisen, daß die Chaldner die Nasen mitten im Gesicht hatten, die Juden eines,
also stammen die Nasen der Juden aus Babylon.") Der zweite Vorzug des jü¬
dischen Gesetzes war sei» Monotheismus. Dieser war schon deswegen Lebens¬
bedingung jeder höhern Kultur in Vorderasien, weil Menschenopfer und Prostitution
(sowohl weibliche als männliche) wesentliche Bestandteile aller vorderasiatischen Kulte
waren. (In den Gesetzen Hammurabis erscheinen die aus Herodot und aus der
Bibel bekannten „gottgeweihten" Tempeldirnen und Buhlen als ein Stand, der
sein besondres Recht hat; »eben ihnen werden Tempeljungfrauen erwähnt, die also
gleich den Vestalinnen zur Keuschheit verpflichtet gewesen zu sein scheinen.) Außer¬
dem ist der Monotheismus die Grundbedingung der Wissenschaft, denn so lange
einige Dutzend Götter einander die Weltherrschaft streitig machen, so lange nicht
alle Erscheinungen auf eine gemeinsame Wurzel alles Daseins zurückgeführt werdeu,
kann von Natnrkausalität keine Rede sein. Bei deu Griechen hat die Philosophie,
die in Vorderasien fehlte, diese Bedingung geschaffen. Der heutige Atheismus ist
nur ein verstümmelter Monotheismus, der zwar deu Verlauf der physikalische» Er¬
scheinungen rationell darzustellen vermag, aber schon bei den organischen versagt
und dem Geistesleben gegenüber, also in der Hauptsache, ganz ratlos ist. Der
dritte Vorzug der mosaischen Religion ist ihr prophetischer Charakter. In einem
liberalen Blatte glaubte jüngst ein moderner Babylonier einen Haupttrumpf aus¬
zuspielen, indem er seinen Triumphgesang ungefähr mit den Worten schloß: Gott
sei Dank! (nein, so kann er ja nicht geschrieben haben! Also vielleicht Delitzsch sei
Dank!), der Aberglaube von der sogenannten Offenbarung ist jetit endgiltig ab¬
getan! Die Bibel ist nichts als ein Abklatsch babylonischer Mythen und Gesetze!
Und diese ganze babylonische Herrlichkeit ist der Vernichtung anheimgefallen, ob¬
wohl der hochmütige Hammnrabi sich einbildete, er und seiue Nachfolger würden
ewig herrschen. (Dieser Hammnrabi, von dem die Assyriologeu sagen, daß er der
1. Mose 14 in der Geschichte Abrahams erwähnte Amrnphel' sei, hat in der Ein-


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[0178] Maßgebliches und Unmaßgebliches der Bibel gewußt. Daß ein solcher Kulturstaat nicht ohne Gesetze besteh» kann, die das Eigentumsrecht, den Gewerbebetrieb und den Handel, die Pflichten der Untertanen, das Eherecht und das Erbrecht regeln, steht von vornherein fest. Und zwar fallen aus innerer Notwendigkeit alle solche Regelungen ähnlich aus. Daß das auf eine Stele eiugegrabne Gesetz des babylonischen Königs die Regel bestätigt, kann nicht überraschen, und höchst interessant ist es, daß wir darin auch manche Be¬ sonderheiten des mosaischen Gesetzes wiederfinden, wie die, daß Bußen festgesetzt werden für den von einem stößigen Ochsen angerichteten Schaden. Aber von dem, was das mosaische Gesetz und die Propheten vor allen Gesetzbüchern der Alten Welt auszeichnet, finden wir mich in dein babylonischen Gesetzbuch keine Spur, vielmehr in einigen Stücken ausdrücklich das Gegenteil. Von den drei wunderbaren Vor¬ zügen des biblischen Gesetzes ist der erste seine Humanität, an die auch die griechische Humanität, wenn man in diesem Begriff das Gewicht auf allgemeine Menschenliebe und Erbarmen legt, bei weitem nicht hinanreicht. Die Pflicht, für die Armen, für Witwen und Waisen, für die Fremdlinge zu sorgen, die Sklaven und sogar das Vieh menschlich zu behandeln, wird unzähligemal eingeschärft, jedes Vergehen gegen den Schwachen als ein abscheulicher Frevel gebrandmarkt, der eine strengere Be¬ strafung von Gott zu erwarten habe als jeder andre; und in der auch dem Sklaven zu gewährenden Sabbathruhe wird eine Institution eingesetzt, deren segensreiche Wirkungen erst in unsrer Zeit der wahnsinnigen Arbeithetze in ihrer ganzen Größe und Bedeutung erkannt werden, und mit der sich keine andre soziale und humane Einrichtung irgend eines Volkes oder irgend einer Zeit vergleichen läßt. (Alle Assyriologen, die sich bis jetzt haben vernehmen lassen, erklären die Zurückführung des Sabbaths auf Babel für einen der ärgsten Irrtümer des Professor Delitzsch, der, sagen sie, nur als Philologe unbestreitbar große Verdienste habe; so der Pariser Professor Julius Oppert in Ur. 128 der Wiener Zeit, der die Kritik der Sabbathableitung mit den Worten schließt: „Der Nachweis des sogenannten baby¬ lonischen Ursprungs der jüdischen Kultur läust auf folgendes hinaus: Wir können beweisen, daß die Chaldner die Nasen mitten im Gesicht hatten, die Juden eines, also stammen die Nasen der Juden aus Babylon.") Der zweite Vorzug des jü¬ dischen Gesetzes war sei» Monotheismus. Dieser war schon deswegen Lebens¬ bedingung jeder höhern Kultur in Vorderasien, weil Menschenopfer und Prostitution (sowohl weibliche als männliche) wesentliche Bestandteile aller vorderasiatischen Kulte waren. (In den Gesetzen Hammurabis erscheinen die aus Herodot und aus der Bibel bekannten „gottgeweihten" Tempeldirnen und Buhlen als ein Stand, der sein besondres Recht hat; »eben ihnen werden Tempeljungfrauen erwähnt, die also gleich den Vestalinnen zur Keuschheit verpflichtet gewesen zu sein scheinen.) Außer¬ dem ist der Monotheismus die Grundbedingung der Wissenschaft, denn so lange einige Dutzend Götter einander die Weltherrschaft streitig machen, so lange nicht alle Erscheinungen auf eine gemeinsame Wurzel alles Daseins zurückgeführt werdeu, kann von Natnrkausalität keine Rede sein. Bei deu Griechen hat die Philosophie, die in Vorderasien fehlte, diese Bedingung geschaffen. Der heutige Atheismus ist nur ein verstümmelter Monotheismus, der zwar deu Verlauf der physikalische» Er¬ scheinungen rationell darzustellen vermag, aber schon bei den organischen versagt und dem Geistesleben gegenüber, also in der Hauptsache, ganz ratlos ist. Der dritte Vorzug der mosaischen Religion ist ihr prophetischer Charakter. In einem liberalen Blatte glaubte jüngst ein moderner Babylonier einen Haupttrumpf aus¬ zuspielen, indem er seinen Triumphgesang ungefähr mit den Worten schloß: Gott sei Dank! (nein, so kann er ja nicht geschrieben haben! Also vielleicht Delitzsch sei Dank!), der Aberglaube von der sogenannten Offenbarung ist jetit endgiltig ab¬ getan! Die Bibel ist nichts als ein Abklatsch babylonischer Mythen und Gesetze! Und diese ganze babylonische Herrlichkeit ist der Vernichtung anheimgefallen, ob¬ wohl der hochmütige Hammnrabi sich einbildete, er und seiue Nachfolger würden ewig herrschen. (Dieser Hammnrabi, von dem die Assyriologeu sagen, daß er der 1. Mose 14 in der Geschichte Abrahams erwähnte Amrnphel' sei, hat in der Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/178>, abgerufen am 22.07.2024.