Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Im Lazarett Die beiden leeren Betten wurden von einem ostpreußischen Jäger und einem Der fränkische Pionier war vom ersten Tag an beliebt im ganzen Saale, Es war jetzt Dezember geworden, und der frühe Winter angebrochen, der den Man hätte glauben sollen, in diesem Kreise habe der Krieg mit seinen Wechsel- Im Lazarett Die beiden leeren Betten wurden von einem ostpreußischen Jäger und einem Der fränkische Pionier war vom ersten Tag an beliebt im ganzen Saale, Es war jetzt Dezember geworden, und der frühe Winter angebrochen, der den Man hätte glauben sollen, in diesem Kreise habe der Krieg mit seinen Wechsel- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240549"/> <fw type="header" place="top"> Im Lazarett</fw><lb/> <p xml:id="ID_814" prev="#ID_813"> Die beiden leeren Betten wurden von einem ostpreußischen Jäger und einem<lb/> bayrischen Pionier besetzt; der erste war infolge eines Säbelhiebes in den Kais<lb/> einseitig gelähmt gewesen und war nnn nach Monaten soweit genesen, daß er bald<lb/> zu seiner Truppe zurückkehren konnte; der andre, ein blonder, schwerfällig gut¬<lb/> mütiger Ostfrnnke, war durch eine Pulverexplosion der Hälfte seiner Kvpfschwcirte<lb/> verlustig gegangen, wodurch ihm eine lächerliche einseitige Glatze, umgeben von<lb/> einem Krnuze weißer Härchen, ans seinem blondgelockten Langschädel entstanden war.<lb/> Der Ostpreuße war das reine Quecksilber und von der Manie des Theaterspielens<lb/> in solchem Grade besessen, daß er des Abends, wenn die Lichter vorschriftsmäßig<lb/> gelöscht waren, aus dem Bette aufstand und unter Monologen auf und ab wanderte,<lb/> wobei er vor dem Bette von denen Halt machte, denen er zutraute, daß sie seiue<lb/> Kunst würdigten. Wie oft habe ich den Ritter Baudrieourt vou Vaueouleurs und<lb/> Wallensteins düstre Reden von ihm schnarren und gröhlen hören!</p><lb/> <p xml:id="ID_815"> Der fränkische Pionier war vom ersten Tag an beliebt im ganzen Saale,<lb/> freundlich und hilfreich gegen jeden, dabei aber von einer so komischen Verchrnngs-<lb/> sucht befallen, daß er sogar für „den letzten Trainsoldat" komisch wurde. Vou<lb/> Offizieren, angefangen vom portcpeetragenden Vizefeldwebel, sprach er in einem<lb/> ganz andern Ton, als von der ganzen übrigen Welt, und zwischen einem Korps-<lb/> kommandanten und dem lieben Herrgott war in seinem Urteil kaum ein merklicher<lb/> Unterschied. War gar von Fürstlichkeiten die Rede, so legte sich sein ganzes Ge¬<lb/> sicht in tiefe Falten, verlängerte sich, die Augenlider sanken herab, und seine jungen<lb/> Härchen schienen sich rings um die Glatze ehrfurchtsvoll zu erheben. Ein badischer<lb/> Unteroffizier, der nach ihm verwundet hereinkam, fühlte sich allein, als Mann der<lb/> Autorität, eng mit ihm verwandt und nahm ihn in Schutz, wenn seine Fürsten¬<lb/> verehrung durch Erzählungen von angeblichen Begegnungen mit Hoheiten und<lb/> Durchlnnchten künstlich wachgerufen und verspottet werden wollte. In dem Mann<lb/> steckt soviel Disziplin, daß man aus euch allen gute Soldaten damit machen<lb/> könnte . , . nein, verbesserte er sich, als ihm unwillige Proteste und Ho! und Holla!<lb/> entgegenbangen, daß man die ganze französische Armee damit impfen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_816"> Es war jetzt Dezember geworden, und der frühe Winter angebrochen, der den<lb/> Soldaten beider Seiten namenlose Strapazen auferlegt, den deutschen Feldherren<lb/> über sicherlich ganz wesentlichen Vorteil gebracht hat. Die Sehnsucht, hinaus¬<lb/> zukommen, wurde etwas gemildert durch das Behagen, mit dem man vom warmen<lb/> Zinnner aus die Schneeflocken wirbeln und die kalten Stürme brausen hörte. Der<lb/> Aufenthalt in diesem Siechenheim hatte zu Zeiten sogar etwas Anheimelndes. Des<lb/> Morgens, wenn der große schäumende Kessel Liebcskakao in die halbkugligen zwei¬<lb/> jährigen Tassen ausgeschenkt und die laugen, knusprigen französischen Brote zer¬<lb/> kochen und ausgeteilt waren, und wenn dann alle, die das Bett uicht verlassen<lb/> durften, mit Arznei versehen oder verbunden waren, setzten wir „Mohne" uns um<lb/> den eisernen Ofen, starrten in die Glut und erzählten uns vom Regiment, von<lb/> Hans und Heimat und besonders von unsern Hoffnungen auf baldige Evakuation<lb/> und Rückkehr, sei es zu der Truppe, sei es nach dem Ende des Kriegs in die<lb/> Heimat. Es war eine bunte Gesellschaft; der trug seiue Uniform, der einen Lazarett-<lb/> uiantcl, der deu abgeschossenen Sommerrock eines Schleswig-holsteinischen Marketenders,<lb/> der im Lazarett gestorben war: eine gelbe Joppe mit einem wunderschönen grünen<lb/> Miigen Streifen über die Brust, der von dem Bande der Provianttnsche des<lb/> Marketenders herrührte, das diesen Teil vor den Sonnenstrahlen geschützt hatte;<lb/> 7^ gi"g an Krücken, der am Stock, ein dritter trug den Arm in der Schlinge,<lb/> 'es selbst sMe den Kopf noch mit Binden und Watte bis zur Größe eines be¬<lb/> achtlicher Kürbisses umwunden. Mütze und Uniformrock hatte ich schon am dritten<lb/> ^age wieder angelegt, nachdem die auffallend glänzenden steifen Blutflecke mit warmem<lb/> Nasser erweicht und etwas weggesäubert waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_817" next="#ID_818"> Man hätte glauben sollen, in diesem Kreise habe der Krieg mit seinen Wechsel-<lb/> fällen das Tagesgespräch abgegeben. Das war aber nicht so. Der Einzelne sprach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
Im Lazarett
Die beiden leeren Betten wurden von einem ostpreußischen Jäger und einem
bayrischen Pionier besetzt; der erste war infolge eines Säbelhiebes in den Kais
einseitig gelähmt gewesen und war nnn nach Monaten soweit genesen, daß er bald
zu seiner Truppe zurückkehren konnte; der andre, ein blonder, schwerfällig gut¬
mütiger Ostfrnnke, war durch eine Pulverexplosion der Hälfte seiner Kvpfschwcirte
verlustig gegangen, wodurch ihm eine lächerliche einseitige Glatze, umgeben von
einem Krnuze weißer Härchen, ans seinem blondgelockten Langschädel entstanden war.
Der Ostpreuße war das reine Quecksilber und von der Manie des Theaterspielens
in solchem Grade besessen, daß er des Abends, wenn die Lichter vorschriftsmäßig
gelöscht waren, aus dem Bette aufstand und unter Monologen auf und ab wanderte,
wobei er vor dem Bette von denen Halt machte, denen er zutraute, daß sie seiue
Kunst würdigten. Wie oft habe ich den Ritter Baudrieourt vou Vaueouleurs und
Wallensteins düstre Reden von ihm schnarren und gröhlen hören!
Der fränkische Pionier war vom ersten Tag an beliebt im ganzen Saale,
freundlich und hilfreich gegen jeden, dabei aber von einer so komischen Verchrnngs-
sucht befallen, daß er sogar für „den letzten Trainsoldat" komisch wurde. Vou
Offizieren, angefangen vom portcpeetragenden Vizefeldwebel, sprach er in einem
ganz andern Ton, als von der ganzen übrigen Welt, und zwischen einem Korps-
kommandanten und dem lieben Herrgott war in seinem Urteil kaum ein merklicher
Unterschied. War gar von Fürstlichkeiten die Rede, so legte sich sein ganzes Ge¬
sicht in tiefe Falten, verlängerte sich, die Augenlider sanken herab, und seine jungen
Härchen schienen sich rings um die Glatze ehrfurchtsvoll zu erheben. Ein badischer
Unteroffizier, der nach ihm verwundet hereinkam, fühlte sich allein, als Mann der
Autorität, eng mit ihm verwandt und nahm ihn in Schutz, wenn seine Fürsten¬
verehrung durch Erzählungen von angeblichen Begegnungen mit Hoheiten und
Durchlnnchten künstlich wachgerufen und verspottet werden wollte. In dem Mann
steckt soviel Disziplin, daß man aus euch allen gute Soldaten damit machen
könnte . , . nein, verbesserte er sich, als ihm unwillige Proteste und Ho! und Holla!
entgegenbangen, daß man die ganze französische Armee damit impfen könnte.
Es war jetzt Dezember geworden, und der frühe Winter angebrochen, der den
Soldaten beider Seiten namenlose Strapazen auferlegt, den deutschen Feldherren
über sicherlich ganz wesentlichen Vorteil gebracht hat. Die Sehnsucht, hinaus¬
zukommen, wurde etwas gemildert durch das Behagen, mit dem man vom warmen
Zinnner aus die Schneeflocken wirbeln und die kalten Stürme brausen hörte. Der
Aufenthalt in diesem Siechenheim hatte zu Zeiten sogar etwas Anheimelndes. Des
Morgens, wenn der große schäumende Kessel Liebcskakao in die halbkugligen zwei¬
jährigen Tassen ausgeschenkt und die laugen, knusprigen französischen Brote zer¬
kochen und ausgeteilt waren, und wenn dann alle, die das Bett uicht verlassen
durften, mit Arznei versehen oder verbunden waren, setzten wir „Mohne" uns um
den eisernen Ofen, starrten in die Glut und erzählten uns vom Regiment, von
Hans und Heimat und besonders von unsern Hoffnungen auf baldige Evakuation
und Rückkehr, sei es zu der Truppe, sei es nach dem Ende des Kriegs in die
Heimat. Es war eine bunte Gesellschaft; der trug seiue Uniform, der einen Lazarett-
uiantcl, der deu abgeschossenen Sommerrock eines Schleswig-holsteinischen Marketenders,
der im Lazarett gestorben war: eine gelbe Joppe mit einem wunderschönen grünen
Miigen Streifen über die Brust, der von dem Bande der Provianttnsche des
Marketenders herrührte, das diesen Teil vor den Sonnenstrahlen geschützt hatte;
7^ gi"g an Krücken, der am Stock, ein dritter trug den Arm in der Schlinge,
'es selbst sMe den Kopf noch mit Binden und Watte bis zur Größe eines be¬
achtlicher Kürbisses umwunden. Mütze und Uniformrock hatte ich schon am dritten
^age wieder angelegt, nachdem die auffallend glänzenden steifen Blutflecke mit warmem
Nasser erweicht und etwas weggesäubert waren.
Man hätte glauben sollen, in diesem Kreise habe der Krieg mit seinen Wechsel-
fällen das Tagesgespräch abgegeben. Das war aber nicht so. Der Einzelne sprach
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