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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Sprengung der Dresdner Brücke durch Oavoust am ^9- März ^8^2

17. oder am 18. selbst), sondern, und dus ist für uns das Entscheidende, die
Sprengung lag ganz und gar nicht im Sinne seiner Intentionen. Wäre es
nach ihm gegangen, wären seine Anordnungen ausgeführt worden, so hatte
sich Neunter bei der Annäherung der Russen auf dem rechten Ellenser still¬
schweigend auf dem linken nach Torgau gezogen, eine Brückensprengung wäre
gar nicht in Frage gekommen. Es ist möglich, daß, wie Napoleon hoffte, als¬
dann die drohende Anhäufung französischer Truppen bei Magdeburg den Vor¬
marsch der Verbündeten Russen und Preußen auf Dresden gehemmt Hütte.
Man hat oft behauptet, das; Napoleon im Feldzug von 1813 nicht mehr der
alte gewesen sei. Wir machen an dieser Stelle die entgegengesetzte Erfahrung.
Sein klarer und nüchterner strategischer Blick sticht imponierend von dem
Dilettantismus seiner Generale ab. Seine Kritik ihres Vorgehens liefert uns
zugleich die besten Maßstäbe für unser eignes Urteil. Wenn nach seiner An¬
sicht eine Verteidigung der offnen Stadt mit den Mitteln, die ihnen zu Ge¬
bote standen, ein militärisches Unding war, so dürfen wir uns dieses Urteil
unbedenklich aneignen, ganz abgesehen davon, daß der Erfolg es bestätigt hat.




Als General Reynier sofort nach seiner Ankunft in Dresden am Morgen
des 7. März Vorbereitungen für die Sprengung eines Bogens der Brücke traf,
da nahm man zunächst an, daß es sich nur um eine militärische Demonstration
handle. Man konnte sich eben nicht denken, daß Reynier wirklich die offne
Stadt gegen einen überlegnen Feind werde verteidigen wollen. Aber bald
stellte sich heraus, daß seine Vorbereitungen doch ernst gemeint seien. Und
dn brach nun die lang zurückgehaltn": Erbitterung gegen die Franzosen mit
einem Ungestüm und einem Nachdruck zutage, dein gegenüber es keinen
Widerstand gab, und vor dem auch der französische General wohl oder übel
zurückweiche" mußte.

Man hat behauptet -- und gerade ein geborner Sachse, Treitschke, hat
das in seiner Deutschen Geschichte mit besonderm Nachdruck getan --, daß die
Sachsen an der großen patriotischen Erhebung des Jahres 1813 nur einen
verhältnismäßig geringen innern Anteil genommen Hütten. In Wirklichkeit hat
in dem Vaterlande des Sängers von Leier und Schwert die nationale Be-
wegung genau so tiefe und kräftige Wurzeln geschlagen wie in irgend einem
andern Teile unsers Vaterlandes. Ich hoffe dafür in weiteren Zusammenhange
noch den Erweis bringen zu können. Aber auch schon das Ereignis, das
uns heute beschäftigt, spricht, wie ich meine, gegen die Treitschkische Auffassung.

Es ist ein eignes Ding um die Ausbrüche des Volksempfindeus. Sie
sind unberechenbar wie die Wollen des Himmels. Sie sind plötzlich da und
fegen wie der Sturmwind daher. Ebenso plötzlich und völlig sind sie wieder
verschwunden. Ju ihnen kommen die Gemütsbewegungen der Völker zum Aus¬
druck. Eine solche historische Stunde war es, die sich am 10. März 1813 auf
der Dresdner Brücke und in ihrer Umgebung abspielte. Den Hergang schildert
ausführlich die anonyme, von einem Augenzeugen verfaßte und schon im Jahre
1316 erschienene "Darstellung der Ereignisse im Jahre 1813." Ich habe sie


Die Sprengung der Dresdner Brücke durch Oavoust am ^9- März ^8^2

17. oder am 18. selbst), sondern, und dus ist für uns das Entscheidende, die
Sprengung lag ganz und gar nicht im Sinne seiner Intentionen. Wäre es
nach ihm gegangen, wären seine Anordnungen ausgeführt worden, so hatte
sich Neunter bei der Annäherung der Russen auf dem rechten Ellenser still¬
schweigend auf dem linken nach Torgau gezogen, eine Brückensprengung wäre
gar nicht in Frage gekommen. Es ist möglich, daß, wie Napoleon hoffte, als¬
dann die drohende Anhäufung französischer Truppen bei Magdeburg den Vor¬
marsch der Verbündeten Russen und Preußen auf Dresden gehemmt Hütte.
Man hat oft behauptet, das; Napoleon im Feldzug von 1813 nicht mehr der
alte gewesen sei. Wir machen an dieser Stelle die entgegengesetzte Erfahrung.
Sein klarer und nüchterner strategischer Blick sticht imponierend von dem
Dilettantismus seiner Generale ab. Seine Kritik ihres Vorgehens liefert uns
zugleich die besten Maßstäbe für unser eignes Urteil. Wenn nach seiner An¬
sicht eine Verteidigung der offnen Stadt mit den Mitteln, die ihnen zu Ge¬
bote standen, ein militärisches Unding war, so dürfen wir uns dieses Urteil
unbedenklich aneignen, ganz abgesehen davon, daß der Erfolg es bestätigt hat.




Als General Reynier sofort nach seiner Ankunft in Dresden am Morgen
des 7. März Vorbereitungen für die Sprengung eines Bogens der Brücke traf,
da nahm man zunächst an, daß es sich nur um eine militärische Demonstration
handle. Man konnte sich eben nicht denken, daß Reynier wirklich die offne
Stadt gegen einen überlegnen Feind werde verteidigen wollen. Aber bald
stellte sich heraus, daß seine Vorbereitungen doch ernst gemeint seien. Und
dn brach nun die lang zurückgehaltn«: Erbitterung gegen die Franzosen mit
einem Ungestüm und einem Nachdruck zutage, dein gegenüber es keinen
Widerstand gab, und vor dem auch der französische General wohl oder übel
zurückweiche» mußte.

Man hat behauptet — und gerade ein geborner Sachse, Treitschke, hat
das in seiner Deutschen Geschichte mit besonderm Nachdruck getan —, daß die
Sachsen an der großen patriotischen Erhebung des Jahres 1813 nur einen
verhältnismäßig geringen innern Anteil genommen Hütten. In Wirklichkeit hat
in dem Vaterlande des Sängers von Leier und Schwert die nationale Be-
wegung genau so tiefe und kräftige Wurzeln geschlagen wie in irgend einem
andern Teile unsers Vaterlandes. Ich hoffe dafür in weiteren Zusammenhange
noch den Erweis bringen zu können. Aber auch schon das Ereignis, das
uns heute beschäftigt, spricht, wie ich meine, gegen die Treitschkische Auffassung.

Es ist ein eignes Ding um die Ausbrüche des Volksempfindeus. Sie
sind unberechenbar wie die Wollen des Himmels. Sie sind plötzlich da und
fegen wie der Sturmwind daher. Ebenso plötzlich und völlig sind sie wieder
verschwunden. Ju ihnen kommen die Gemütsbewegungen der Völker zum Aus¬
druck. Eine solche historische Stunde war es, die sich am 10. März 1813 auf
der Dresdner Brücke und in ihrer Umgebung abspielte. Den Hergang schildert
ausführlich die anonyme, von einem Augenzeugen verfaßte und schon im Jahre
1316 erschienene „Darstellung der Ereignisse im Jahre 1813." Ich habe sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/152>, abgerufen am 23.07.2024.