Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Deutschland vor der Reichstagswcchl einstimmig beschlossene Nvrlage als Schmach Ilttd als Schande für Deutschland Nun soll ja die Abhilfe offenbarer Mißstä"de keineswegs vom Staate Deutschland vor der Reichstagswcchl einstimmig beschlossene Nvrlage als Schmach Ilttd als Schande für Deutschland Nun soll ja die Abhilfe offenbarer Mißstä»de keineswegs vom Staate <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240511"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland vor der Reichstagswcchl</fw><lb/> <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683"> einstimmig beschlossene Nvrlage als Schmach Ilttd als Schande für Deutschland<lb/> zu bezeichnen, ohne daß ihm ein Ordnungsruf des Präsidenten zu teil wurde,<lb/> das Zentrum machte gemeinsame Sache mit der Sozialdemokratin nachdem diese in<lb/> geschickter Weise das Wort „Ausnahmegesetz" in die Debatte geworfen hatte, und<lb/> Herr Bassermann erfand die schöne Wendung von den „zwei Weltanschauungen,"<lb/> die sich in der Behandlung der Sozialdemokratie gegenübe-rstüiideii. Die Arbeiter<lb/> wurde« mit einem solchen Gesetz den Glanben an die Monarchie verlieren!<lb/> Im Gegenteil, jeder Arbeiter, dem der Staat den Streitern und Hetzern gegen¬<lb/> über den Schutz versagt, muß notwendig den Glauben an die Monarchie ver¬<lb/> lieren, die ihn dem Terrorismus gegenüber schutzlos läßt! Das monarchische<lb/> Empfinden der breiten Massen wird jederzeit wachsen bei einer starken, ver¬<lb/> ständigen Betätigung der Monarchie; es wird nachlassen, wo diese fehlt oder<lb/> versagt. Bleibt der Reichstag dabei, den einsichtigen und verständigen Arbeitern<lb/> nach wie vor deu Schlitz und die Hilfe des Staats zu versagen — hat doch<lb/> der verstorbne Abgeordnete Dr. Lieber bei dieser Gelegenheit sogar die deutschen<lb/> Gerichte unter der lebhafteste» Zustimmung der Sozinldemokraten „einer<lb/> himmelschreienden Parteilichkeit" geziehen —, so schafft er damit nur ein<lb/> „Bahn frei!" für die Sozialdemokratie, gibt er die Massen immer mehr in<lb/> die Hand der Führer, die nie ein Hehl daraus gemacht haben noch mache»<lb/> werden, daß die wirtschaftlichen Kämpfe politische Kämpfe, politische<lb/> Machtfragen sind. Glaubt Herr Basserman» wirklich, daß zwei Dienstjahre<lb/> un Heere nachher genügen werden, die junge» Leute, die sozialdemokratischen<lb/> Eltern entstammen, in einer entsprechenden Häuslichkeit herangewachsen sind,<lb/> dann jahrelang den svzialdemokratisch organisierten Massen angehört und<lb/> blindlings dem Wort dieser Führer zu gehorche» gelernt haben — mit mvnav<lb/> chischem, nationalem Sinn zu erfüllen und sie zu starken Stütze» des Staats<lb/> >,u mache»? Es steht im Gegenteil zu befürchten, das; das erziehende Gegen¬<lb/> gewicht des Heeres gleichfalls von Jahr zu Jahr schwächer wird, wie dies<lb/> leider bei der Schule heute schon der Fall ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Nun soll ja die Abhilfe offenbarer Mißstä»de keineswegs vom Staate<lb/> allein geleistet werde». Auch die Selbsthilfe kau» gewiß viel tun. Wenn sich<lb/> das Bürgertum aufrafft und sich auf die eig»e Kraft besinnt, wird es immerhin<lb/> noch manches vermöge». El» glänzendes Beispiel, vorbildlich für alle dentschen<lb/> Unternehmer und Arbeitgebcrgrnppen, hat soeben der norddeutsche Lloyd geboten,<lb/> als er i» Bremerhaven den Verband der Hafemirbeitcr »»d de» von diesen<lb/> begonnene» Streik zerbrach. Wenn sich die Unternehmer zu großen kapital¬<lb/> kräftigen Verbände» zusammenschließen — sie sind ja durch die Versicherungs-<lb/> Kerbäude schon organisiert —, müßte es ihnen verhältnismäßig leicht werden,<lb/> unberechtigte Arbeitseinstellungen niederzuhalten. Wenn der ans 80000 Maurern<lb/> bestehende „Deutsche Maurerbund" ans den Beiträge» der Arbeiter mehr als<lb/> ^4 Millionen für seinen Kricgsschatz angesammelt hat. welche Leistung müßten<lb/> die Unternehmer, die diese 80 000° Maurer beschäftigen, aufbringen könne»,<lb/> wenn sic von den Gegnern lernen wollte», wie stark Eintracht macht!^ ki-o gut<lb/> wie der norddeutsche Lloyd würde» mit einer entsprechend dotierten Pensionskasse,<lb/> bei reichlichen Leistungen, noch viele deutsche Unternehmer und Unternehmer-<lb/> vereinigunge» die sozialdemokratischen Verbände sprenge» könne»; sie käme»<lb/> mit dergleichen Taten jedenfalls sehr viel weiter als und dem migstlichc» Aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
Deutschland vor der Reichstagswcchl
einstimmig beschlossene Nvrlage als Schmach Ilttd als Schande für Deutschland
zu bezeichnen, ohne daß ihm ein Ordnungsruf des Präsidenten zu teil wurde,
das Zentrum machte gemeinsame Sache mit der Sozialdemokratin nachdem diese in
geschickter Weise das Wort „Ausnahmegesetz" in die Debatte geworfen hatte, und
Herr Bassermann erfand die schöne Wendung von den „zwei Weltanschauungen,"
die sich in der Behandlung der Sozialdemokratie gegenübe-rstüiideii. Die Arbeiter
wurde« mit einem solchen Gesetz den Glanben an die Monarchie verlieren!
Im Gegenteil, jeder Arbeiter, dem der Staat den Streitern und Hetzern gegen¬
über den Schutz versagt, muß notwendig den Glauben an die Monarchie ver¬
lieren, die ihn dem Terrorismus gegenüber schutzlos läßt! Das monarchische
Empfinden der breiten Massen wird jederzeit wachsen bei einer starken, ver¬
ständigen Betätigung der Monarchie; es wird nachlassen, wo diese fehlt oder
versagt. Bleibt der Reichstag dabei, den einsichtigen und verständigen Arbeitern
nach wie vor deu Schlitz und die Hilfe des Staats zu versagen — hat doch
der verstorbne Abgeordnete Dr. Lieber bei dieser Gelegenheit sogar die deutschen
Gerichte unter der lebhafteste» Zustimmung der Sozinldemokraten „einer
himmelschreienden Parteilichkeit" geziehen —, so schafft er damit nur ein
„Bahn frei!" für die Sozialdemokratie, gibt er die Massen immer mehr in
die Hand der Führer, die nie ein Hehl daraus gemacht haben noch mache»
werden, daß die wirtschaftlichen Kämpfe politische Kämpfe, politische
Machtfragen sind. Glaubt Herr Basserman» wirklich, daß zwei Dienstjahre
un Heere nachher genügen werden, die junge» Leute, die sozialdemokratischen
Eltern entstammen, in einer entsprechenden Häuslichkeit herangewachsen sind,
dann jahrelang den svzialdemokratisch organisierten Massen angehört und
blindlings dem Wort dieser Führer zu gehorche» gelernt haben — mit mvnav
chischem, nationalem Sinn zu erfüllen und sie zu starken Stütze» des Staats
>,u mache»? Es steht im Gegenteil zu befürchten, das; das erziehende Gegen¬
gewicht des Heeres gleichfalls von Jahr zu Jahr schwächer wird, wie dies
leider bei der Schule heute schon der Fall ist.
Nun soll ja die Abhilfe offenbarer Mißstä»de keineswegs vom Staate
allein geleistet werde». Auch die Selbsthilfe kau» gewiß viel tun. Wenn sich
das Bürgertum aufrafft und sich auf die eig»e Kraft besinnt, wird es immerhin
noch manches vermöge». El» glänzendes Beispiel, vorbildlich für alle dentschen
Unternehmer und Arbeitgebcrgrnppen, hat soeben der norddeutsche Lloyd geboten,
als er i» Bremerhaven den Verband der Hafemirbeitcr »»d de» von diesen
begonnene» Streik zerbrach. Wenn sich die Unternehmer zu großen kapital¬
kräftigen Verbände» zusammenschließen — sie sind ja durch die Versicherungs-
Kerbäude schon organisiert —, müßte es ihnen verhältnismäßig leicht werden,
unberechtigte Arbeitseinstellungen niederzuhalten. Wenn der ans 80000 Maurern
bestehende „Deutsche Maurerbund" ans den Beiträge» der Arbeiter mehr als
^4 Millionen für seinen Kricgsschatz angesammelt hat. welche Leistung müßten
die Unternehmer, die diese 80 000° Maurer beschäftigen, aufbringen könne»,
wenn sic von den Gegnern lernen wollte», wie stark Eintracht macht!^ ki-o gut
wie der norddeutsche Lloyd würde» mit einer entsprechend dotierten Pensionskasse,
bei reichlichen Leistungen, noch viele deutsche Unternehmer und Unternehmer-
vereinigunge» die sozialdemokratischen Verbände sprenge» könne»; sie käme»
mit dergleichen Taten jedenfalls sehr viel weiter als und dem migstlichc» Aus-
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