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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Auf Befehl des Zaren

130 Kopeken. Der russische Staat gewann also an jedem Taler nahe an
80 Kopeken oder 160 Prozent.

Unablässig ergingen Ukase des Zaren, die den Aufschwung der neuen
Residenz bezweckten. Aus allen Gegenden des Reiches mußten Handwerker
nach Petersburg kommen, die sich dort dauernd niederließen. Mehrere hundert
adliche Familien erhielten den Befehl, sich an der Newa anzubauen und dort
die Wintermonate zu verbringen. Peter wußte nicht, daß diese gewaltsame
Begründung einer großstädtischen Aristokratie die allmähliche Entwnrzlung des
russische" Adels aus der Heimntscholle anbahnte. Er legte ferner Schulen an,
und alle Einwohner wurden verpflichtet, ihre Kinder hineinzugehen unter der
Drohung, daß jeder Sohn, dessen Vater 500 Rubel Einkommen und darüber
habe, seines Erbteils verlustig gehn solle, wenn der Bater ihn nicht im
Lesen, Schreiben und Rechnen und im Lateinischen oder in andern Sprachen
unterrichten lasse. Eine Buchdruckerei wurde augelegt. Ihre erste Arbeit
war der Druck des Wörterbuchs des Butans, das vier Prager Mönche im
Auftrage des Zaren ius Slawonische übersetzt hatten. Die slawonische Bibel
wurde mit einem Kostenaufwand von 15000 Dukaten gedruckt, und jeder Haus¬
wirt mußte ein Exemplar kaufen, wobei die Reichen mehr als die Armen zu
zahlen hatten. Im Jahre 1713 begründete der Zar die Naturalien- und die
Kunstsammlung, für die alles, was es an Merkwürdigkeiten im Privatbesitz
gab, einfach auf höhern Befehl mit Beschlag belegt wurde. Den Anfang
machte eine aus 25000 Bänden bestehende Bibliothek, die Peter aus Kurland,
einem Vasallenstaat des ihm verbündeten Polens, weggeschleppt hatte. Am
4- April 1714 erging ein Mas, daß alle Hänser auf der Petersburger und
der Admiralitätsseite nach preußischer Art in zwei Stockwerken aus Fachwerk
erbaut und mit Dachpfannen versehen werden sollten. Bis zur Vollendung
der großen Bauten in Petersburg dürfte im ganzen übrigen Reiche kein ge¬
mauertes Haus gebaut werden. Jedes aus dein Innern ans der Newa an¬
kommende Schiff, jeder Fuhr- oder Baueruwagen mußte eine Anzahl von
Mauersteinen mitbringen und an bestimmten Stellen abladen.

Am wunderlichsten waren die fieberhaften Versuche, aus den Russen mit
einem Schlage ein seetüchtiges Volk zu machen. Wie auf ein Zauberwort
war eine mächtige Kriegsflotte entstanden, die die weiße Flagge mit dem blauen
Andrenskrenz an allen Ostseegcstaden zeigte. Unter der Regierung Peters wurden
auf russischen Werften 8 Dreidecker von 88 bis 110 Geschützen, 27 Zweidecker
von 50 bis 88 Geschützen, 5 Fregatten und 2 Bvmbardierschiffc erbaut und ver¬
schiedene Kriegsschiffe im Ausland angekauft. Zwei Fregatte" wurden für die
Unterhaltung eines regelmäßigen PostvertchrS mit Lübeck bestimmt. Befehls¬
haber und Mannschaften dieser aus dem Nichts hcrvorgernfnen Flotte waren
zum großen Teil Ausländer. Peter hatte gehört, daß Kyros seine Perser,
die als Gebirgsbewohner wenig Gelegenheit zum Reiten hatten, gezwungen
hatte, sich täglich dem Rücken eiues Rosses anzuvertrauen. und dasselbe Er-
ziehungsmittel suchte er um ins nautische zu übertragen. Veun Übersetzen
Wer die Newa durften nicht Nuder. sondern, sobald ein leises Lüftchen wehte,
""r Segel bennM werden. Da die Fahrleute mit diesen acht umzugehn ver-


Auf Befehl des Zaren

130 Kopeken. Der russische Staat gewann also an jedem Taler nahe an
80 Kopeken oder 160 Prozent.

Unablässig ergingen Ukase des Zaren, die den Aufschwung der neuen
Residenz bezweckten. Aus allen Gegenden des Reiches mußten Handwerker
nach Petersburg kommen, die sich dort dauernd niederließen. Mehrere hundert
adliche Familien erhielten den Befehl, sich an der Newa anzubauen und dort
die Wintermonate zu verbringen. Peter wußte nicht, daß diese gewaltsame
Begründung einer großstädtischen Aristokratie die allmähliche Entwnrzlung des
russische» Adels aus der Heimntscholle anbahnte. Er legte ferner Schulen an,
und alle Einwohner wurden verpflichtet, ihre Kinder hineinzugehen unter der
Drohung, daß jeder Sohn, dessen Vater 500 Rubel Einkommen und darüber
habe, seines Erbteils verlustig gehn solle, wenn der Bater ihn nicht im
Lesen, Schreiben und Rechnen und im Lateinischen oder in andern Sprachen
unterrichten lasse. Eine Buchdruckerei wurde augelegt. Ihre erste Arbeit
war der Druck des Wörterbuchs des Butans, das vier Prager Mönche im
Auftrage des Zaren ius Slawonische übersetzt hatten. Die slawonische Bibel
wurde mit einem Kostenaufwand von 15000 Dukaten gedruckt, und jeder Haus¬
wirt mußte ein Exemplar kaufen, wobei die Reichen mehr als die Armen zu
zahlen hatten. Im Jahre 1713 begründete der Zar die Naturalien- und die
Kunstsammlung, für die alles, was es an Merkwürdigkeiten im Privatbesitz
gab, einfach auf höhern Befehl mit Beschlag belegt wurde. Den Anfang
machte eine aus 25000 Bänden bestehende Bibliothek, die Peter aus Kurland,
einem Vasallenstaat des ihm verbündeten Polens, weggeschleppt hatte. Am
4- April 1714 erging ein Mas, daß alle Hänser auf der Petersburger und
der Admiralitätsseite nach preußischer Art in zwei Stockwerken aus Fachwerk
erbaut und mit Dachpfannen versehen werden sollten. Bis zur Vollendung
der großen Bauten in Petersburg dürfte im ganzen übrigen Reiche kein ge¬
mauertes Haus gebaut werden. Jedes aus dein Innern ans der Newa an¬
kommende Schiff, jeder Fuhr- oder Baueruwagen mußte eine Anzahl von
Mauersteinen mitbringen und an bestimmten Stellen abladen.

Am wunderlichsten waren die fieberhaften Versuche, aus den Russen mit
einem Schlage ein seetüchtiges Volk zu machen. Wie auf ein Zauberwort
war eine mächtige Kriegsflotte entstanden, die die weiße Flagge mit dem blauen
Andrenskrenz an allen Ostseegcstaden zeigte. Unter der Regierung Peters wurden
auf russischen Werften 8 Dreidecker von 88 bis 110 Geschützen, 27 Zweidecker
von 50 bis 88 Geschützen, 5 Fregatten und 2 Bvmbardierschiffc erbaut und ver¬
schiedene Kriegsschiffe im Ausland angekauft. Zwei Fregatte» wurden für die
Unterhaltung eines regelmäßigen PostvertchrS mit Lübeck bestimmt. Befehls¬
haber und Mannschaften dieser aus dem Nichts hcrvorgernfnen Flotte waren
zum großen Teil Ausländer. Peter hatte gehört, daß Kyros seine Perser,
die als Gebirgsbewohner wenig Gelegenheit zum Reiten hatten, gezwungen
hatte, sich täglich dem Rücken eiues Rosses anzuvertrauen. und dasselbe Er-
ziehungsmittel suchte er um ins nautische zu übertragen. Veun Übersetzen
Wer die Newa durften nicht Nuder. sondern, sobald ein leises Lüftchen wehte,
»»r Segel bennM werden. Da die Fahrleute mit diesen acht umzugehn ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/97>, abgerufen am 24.11.2024.