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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Literatur

Abhandlung in keinem rechten Verhältnis z"in behandelten Stoffe steht. Wenigstens
versichert er ausdrücklich, daß es ihm um eine möglichst erschöpfende Behandlung
seines Gegenstandes zu tun gewesen sei. Und wenn unermüdlicher Fleiß, der auch
dem Kleinsten eine hingebende Aufmerksamkeit schenkt und liebevoll in seine Scheuern
sammelt, was ihm erreichbar ist, allein eine einwandsfreie Leistung verbürgte, müßte
dem Verfasser der Preis zugesprochen werden. Denn sogar der vorliegende starke
Band genügt ihm noch nicht für seinen Zweck, sondern auch Sauers Euphorion
und Max Kochs Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte bringen weitere Nach¬
träge. Aber auch hier heißt es wieder: Weniger wäre entschieden mehr gewesen,
d. h. statt der nicht selten ungebührlich überwuchernden Einzelheiten sähe man lieber
eine gedrängte Zusammenfassung, statt des Strebens nach absoluter Vollständigkeit
lieber eine Betonung des Charakteristischen und Wertvollen. Schon die in der
Vorrede gegebne bibliographische Aufzählung, wo Gutes und Schlechtes, Selbstän¬
diges und Kompiliertes nachbarlich nebeneinander genannt wird, ist recht bezeichnend.
Aber auch in der Darstellung selbst werden die Breite und die Umständlichkeit
stellenweis fast unerträglich. Man erhält zwar eine Summe lehrreicher Einzel¬
beobachtungen vorgelegt; aber zu einem wirklichen Gesamtbild der dichterischen Per¬
sönlichkeit kommt es trotz wiederholter Rekapitulationen eben doch nicht recht. Das
muß sich der Leser erst Schüffen. Sieht mau aber von diesem Grundmängel in der
Anlage der Arbeit ub, so muß man anerkennen, daß man viel daraus lernen kann.
Denn der Verfasser kennt nicht nur die einschlägige Literatur genau, sondern hat
auch das Archiv des "Tunnels über der Spree" genau durchforscht. Am ge¬
lungensten erscheinen mir die Darlegungen über die episch-lyrische Poesie des
Grafen von Strachwitz, sowie die Hinweise auf literarische Anregungen und Nach¬
wirkungen auf zeitgenössische und spätere Dichter. Überhaupt zeigt der Verfasser
im Stoffgeschichtlichen eine anerkennuugswerte Belesenheit, die ihn freilich auch zu
unverhältnismäßig zahlreichen Abschweifungen verleitet. Auch der chronologische
und textkritische Anhang, der zugleich ein paar ungedruckte Gedichte mit enthält,
verdient Beachtung.

Eine durchaus beifallswerte Leistung sehe ich in der Abhandlung von Hartwig
Jeß über August Friedrich Ernst Langbein und seine Verserzählungen,
die das XXI. Heft bietet (VIII, 181 S.). Ihn interessiert der Nadeberger Belletrist
vor allem als eine nicht unwichtige Übergangserscheinung in der Entwicklungs-
geschichte der deutschen Verserzählung. Aber er bringt noch weit mehr. Nicht nur,
daß er zum erstenmal in straffer Konzentrierung eine wirklich kritische Skizze von
Langbeins Leben und Charakter entwirft, die Bibliographie seiner Schriften sorg¬
fältigst revidiert und durch ein überaus reichhaltiges Quellenverzeichnis über den
kompilatorischen Charakter der Langbeinschen Dichtung aufklärt, soudern er gibt zugleich
auch eine eindringende Darstellung seiner poetischen Technik im weitesten Sinne,
indem er dabei in erfreulichem Gegensatz zu Tielo den Blick immer auf das
Wesentliche richtet. Nur das Kapitel, wo er Langbein als Dichter seiner Zeit be¬
trachtet, gibt mir zu ein paar Bemerkungen Anlaß. Einmal unterschätzt er ent¬
schieden Langbeins kulturgeschichtliche Bedeutung, der doch in der Gesellschaftskritik
des obersächsischen Publikums manche sehr charakteristischen Beobachtungen zum besten
gibt. Er knüpft da unmittelbar an Rabener an. Anderseits vermisse ich einen
Hinweis auf die ausgiebige Polemik gegen Heinrich Campes Sprachncnerungen,
von der die Prosaschriften Langbeins allerorten Zeugnis ablegen. Ja, er hat ge¬
radezu ebenso wie Jean Paul eine nicht unbeträchtliche Zahl von Campes Ver¬
deutschungsvorschlägen mit in Kurs gesetzt durch seine satirischen Glossen. Über¬
haupt sei bei der Gelegenheit zugleich darauf hingewiesen, welche Fundgrube für
obersächsische Vulgarismen und volkstümliche Redensarten Langbeins Schriften sind.
<x>. T. Der Verfasser gibt selbst eine Reihe Proben davon.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Lerlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig
Literatur

Abhandlung in keinem rechten Verhältnis z»in behandelten Stoffe steht. Wenigstens
versichert er ausdrücklich, daß es ihm um eine möglichst erschöpfende Behandlung
seines Gegenstandes zu tun gewesen sei. Und wenn unermüdlicher Fleiß, der auch
dem Kleinsten eine hingebende Aufmerksamkeit schenkt und liebevoll in seine Scheuern
sammelt, was ihm erreichbar ist, allein eine einwandsfreie Leistung verbürgte, müßte
dem Verfasser der Preis zugesprochen werden. Denn sogar der vorliegende starke
Band genügt ihm noch nicht für seinen Zweck, sondern auch Sauers Euphorion
und Max Kochs Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte bringen weitere Nach¬
träge. Aber auch hier heißt es wieder: Weniger wäre entschieden mehr gewesen,
d. h. statt der nicht selten ungebührlich überwuchernden Einzelheiten sähe man lieber
eine gedrängte Zusammenfassung, statt des Strebens nach absoluter Vollständigkeit
lieber eine Betonung des Charakteristischen und Wertvollen. Schon die in der
Vorrede gegebne bibliographische Aufzählung, wo Gutes und Schlechtes, Selbstän¬
diges und Kompiliertes nachbarlich nebeneinander genannt wird, ist recht bezeichnend.
Aber auch in der Darstellung selbst werden die Breite und die Umständlichkeit
stellenweis fast unerträglich. Man erhält zwar eine Summe lehrreicher Einzel¬
beobachtungen vorgelegt; aber zu einem wirklichen Gesamtbild der dichterischen Per¬
sönlichkeit kommt es trotz wiederholter Rekapitulationen eben doch nicht recht. Das
muß sich der Leser erst Schüffen. Sieht mau aber von diesem Grundmängel in der
Anlage der Arbeit ub, so muß man anerkennen, daß man viel daraus lernen kann.
Denn der Verfasser kennt nicht nur die einschlägige Literatur genau, sondern hat
auch das Archiv des „Tunnels über der Spree" genau durchforscht. Am ge¬
lungensten erscheinen mir die Darlegungen über die episch-lyrische Poesie des
Grafen von Strachwitz, sowie die Hinweise auf literarische Anregungen und Nach¬
wirkungen auf zeitgenössische und spätere Dichter. Überhaupt zeigt der Verfasser
im Stoffgeschichtlichen eine anerkennuugswerte Belesenheit, die ihn freilich auch zu
unverhältnismäßig zahlreichen Abschweifungen verleitet. Auch der chronologische
und textkritische Anhang, der zugleich ein paar ungedruckte Gedichte mit enthält,
verdient Beachtung.

Eine durchaus beifallswerte Leistung sehe ich in der Abhandlung von Hartwig
Jeß über August Friedrich Ernst Langbein und seine Verserzählungen,
die das XXI. Heft bietet (VIII, 181 S.). Ihn interessiert der Nadeberger Belletrist
vor allem als eine nicht unwichtige Übergangserscheinung in der Entwicklungs-
geschichte der deutschen Verserzählung. Aber er bringt noch weit mehr. Nicht nur,
daß er zum erstenmal in straffer Konzentrierung eine wirklich kritische Skizze von
Langbeins Leben und Charakter entwirft, die Bibliographie seiner Schriften sorg¬
fältigst revidiert und durch ein überaus reichhaltiges Quellenverzeichnis über den
kompilatorischen Charakter der Langbeinschen Dichtung aufklärt, soudern er gibt zugleich
auch eine eindringende Darstellung seiner poetischen Technik im weitesten Sinne,
indem er dabei in erfreulichem Gegensatz zu Tielo den Blick immer auf das
Wesentliche richtet. Nur das Kapitel, wo er Langbein als Dichter seiner Zeit be¬
trachtet, gibt mir zu ein paar Bemerkungen Anlaß. Einmal unterschätzt er ent¬
schieden Langbeins kulturgeschichtliche Bedeutung, der doch in der Gesellschaftskritik
des obersächsischen Publikums manche sehr charakteristischen Beobachtungen zum besten
gibt. Er knüpft da unmittelbar an Rabener an. Anderseits vermisse ich einen
Hinweis auf die ausgiebige Polemik gegen Heinrich Campes Sprachncnerungen,
von der die Prosaschriften Langbeins allerorten Zeugnis ablegen. Ja, er hat ge¬
radezu ebenso wie Jean Paul eine nicht unbeträchtliche Zahl von Campes Ver¬
deutschungsvorschlägen mit in Kurs gesetzt durch seine satirischen Glossen. Über¬
haupt sei bei der Gelegenheit zugleich darauf hingewiesen, welche Fundgrube für
obersächsische Vulgarismen und volkstümliche Redensarten Langbeins Schriften sind.
<x>. T. Der Verfasser gibt selbst eine Reihe Proben davon.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Lerlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0696] Literatur Abhandlung in keinem rechten Verhältnis z»in behandelten Stoffe steht. Wenigstens versichert er ausdrücklich, daß es ihm um eine möglichst erschöpfende Behandlung seines Gegenstandes zu tun gewesen sei. Und wenn unermüdlicher Fleiß, der auch dem Kleinsten eine hingebende Aufmerksamkeit schenkt und liebevoll in seine Scheuern sammelt, was ihm erreichbar ist, allein eine einwandsfreie Leistung verbürgte, müßte dem Verfasser der Preis zugesprochen werden. Denn sogar der vorliegende starke Band genügt ihm noch nicht für seinen Zweck, sondern auch Sauers Euphorion und Max Kochs Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte bringen weitere Nach¬ träge. Aber auch hier heißt es wieder: Weniger wäre entschieden mehr gewesen, d. h. statt der nicht selten ungebührlich überwuchernden Einzelheiten sähe man lieber eine gedrängte Zusammenfassung, statt des Strebens nach absoluter Vollständigkeit lieber eine Betonung des Charakteristischen und Wertvollen. Schon die in der Vorrede gegebne bibliographische Aufzählung, wo Gutes und Schlechtes, Selbstän¬ diges und Kompiliertes nachbarlich nebeneinander genannt wird, ist recht bezeichnend. Aber auch in der Darstellung selbst werden die Breite und die Umständlichkeit stellenweis fast unerträglich. Man erhält zwar eine Summe lehrreicher Einzel¬ beobachtungen vorgelegt; aber zu einem wirklichen Gesamtbild der dichterischen Per¬ sönlichkeit kommt es trotz wiederholter Rekapitulationen eben doch nicht recht. Das muß sich der Leser erst Schüffen. Sieht mau aber von diesem Grundmängel in der Anlage der Arbeit ub, so muß man anerkennen, daß man viel daraus lernen kann. Denn der Verfasser kennt nicht nur die einschlägige Literatur genau, sondern hat auch das Archiv des „Tunnels über der Spree" genau durchforscht. Am ge¬ lungensten erscheinen mir die Darlegungen über die episch-lyrische Poesie des Grafen von Strachwitz, sowie die Hinweise auf literarische Anregungen und Nach¬ wirkungen auf zeitgenössische und spätere Dichter. Überhaupt zeigt der Verfasser im Stoffgeschichtlichen eine anerkennuugswerte Belesenheit, die ihn freilich auch zu unverhältnismäßig zahlreichen Abschweifungen verleitet. Auch der chronologische und textkritische Anhang, der zugleich ein paar ungedruckte Gedichte mit enthält, verdient Beachtung. Eine durchaus beifallswerte Leistung sehe ich in der Abhandlung von Hartwig Jeß über August Friedrich Ernst Langbein und seine Verserzählungen, die das XXI. Heft bietet (VIII, 181 S.). Ihn interessiert der Nadeberger Belletrist vor allem als eine nicht unwichtige Übergangserscheinung in der Entwicklungs- geschichte der deutschen Verserzählung. Aber er bringt noch weit mehr. Nicht nur, daß er zum erstenmal in straffer Konzentrierung eine wirklich kritische Skizze von Langbeins Leben und Charakter entwirft, die Bibliographie seiner Schriften sorg¬ fältigst revidiert und durch ein überaus reichhaltiges Quellenverzeichnis über den kompilatorischen Charakter der Langbeinschen Dichtung aufklärt, soudern er gibt zugleich auch eine eindringende Darstellung seiner poetischen Technik im weitesten Sinne, indem er dabei in erfreulichem Gegensatz zu Tielo den Blick immer auf das Wesentliche richtet. Nur das Kapitel, wo er Langbein als Dichter seiner Zeit be¬ trachtet, gibt mir zu ein paar Bemerkungen Anlaß. Einmal unterschätzt er ent¬ schieden Langbeins kulturgeschichtliche Bedeutung, der doch in der Gesellschaftskritik des obersächsischen Publikums manche sehr charakteristischen Beobachtungen zum besten gibt. Er knüpft da unmittelbar an Rabener an. Anderseits vermisse ich einen Hinweis auf die ausgiebige Polemik gegen Heinrich Campes Sprachncnerungen, von der die Prosaschriften Langbeins allerorten Zeugnis ablegen. Ja, er hat ge¬ radezu ebenso wie Jean Paul eine nicht unbeträchtliche Zahl von Campes Ver¬ deutschungsvorschlägen mit in Kurs gesetzt durch seine satirischen Glossen. Über¬ haupt sei bei der Gelegenheit zugleich darauf hingewiesen, welche Fundgrube für obersächsische Vulgarismen und volkstümliche Redensarten Langbeins Schriften sind. <x>. T. Der Verfasser gibt selbst eine Reihe Proben davon. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Lerlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/696>, abgerufen am 24.11.2024.