Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Ein Scmimorurlaub in Pommern nach Rügen, über den Greifswalder Bodden weg ansetzenden Heuhupfers. Da die Schön und genußreich war ja die Fahrt durch den herrlichen Forst, an den Es gehört nicht hierher und kauu den Leser auch eigentlich kumm interessieren, Wenn Tante Nadiegeda und Onkel Rudolf dem Neffen gewähltere Genusse Grenzboten I 1903 65
Ein Scmimorurlaub in Pommern nach Rügen, über den Greifswalder Bodden weg ansetzenden Heuhupfers. Da die Schön und genußreich war ja die Fahrt durch den herrlichen Forst, an den Es gehört nicht hierher und kauu den Leser auch eigentlich kumm interessieren, Wenn Tante Nadiegeda und Onkel Rudolf dem Neffen gewähltere Genusse Grenzboten I 1903 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0673" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240229"/> <fw type="header" place="top"> Ein Scmimorurlaub in Pommern</fw><lb/> <p xml:id="ID_3591" prev="#ID_3590"> nach Rügen, über den Greifswalder Bodden weg ansetzenden Heuhupfers. Da die<lb/> Entfernung der Wolgnster Fähre von Zinnowitz kaum mehr als sieben bis acht<lb/> Kilometer beträgt, so war freilich nach dieser Seite hin das pommersche Festland<lb/> weit leichter zu erreichen, als wenn man sich — wie ich es in umgekehrter Richtung<lb/> getan hatte — von Forksdorf über Swinemünde nach Stettin hätte begeben wollen,<lb/> aber ein etwas abgelegnes Stückchen Land war das Forksche Hnlbinselchen doch,<lb/> und die sandigen Wege, auf denen der obendrein uicht schwer belndue Wagen oft<lb/> bis über die Hälfte der untern Radspeichen einsank, ließen mir die Entfernung<lb/> doppelt groß erscheinen, da nirgends von einem rascheru Fortkommen im Trabe die<lb/> Rede sein konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3592"> Schön und genußreich war ja die Fahrt durch den herrlichen Forst, an den<lb/> klaren Seen vorüber, aber auf die Dauer trotz der Unterhaltung mit Friedrich<lb/> Wilhelm, der sich mir ans meine Aufforderung mittelst eines gewandten Satzes und<lb/> einer Dreiviertelwendung wie eine Dame im Reitsattel gegenübergcsetzt hatte, merk-<lb/> würdig einschläfernd. Die Jnlisonne von einem wolkenlosen Himmel auf uns<lb/> herniederbretzelnd, die Windstille auch uicht von dem geringsten Luftzug unter¬<lb/> brochen, die Fauna, deren Bewegungen und Spiele unsre Aufmerksamkeit hätten<lb/> wachrufen können, im tiefsten Mittagsschlafe, Wilhelm Friedrich vor uns in seinem<lb/> Snttel desgleichen, und dazu ein Geräusch, dessen Eigentümlichkeit ich schwer ver¬<lb/> gessen werde, und dem ich den lethargischen Zustand, in den man verfiel, in erster<lb/> Reihe zuschreibe, das Herabrieseln des Sandes von den sich reihum laugsam aus<lb/> ihm herausarbeitenden Radspeichen: das alles zusammen war unwiderstehlich. Friedrich<lb/> Wilhelm riet mir, mich der Länge nach hinzulegen, nicht ans den Rücken, wie ich<lb/> es tat, sondern wie er sich ausdrückte, „auf den Bauch," damit mich die Sonne<lb/> nicht störe. Er wollte sich wieder in den Sattel setzen, der ihm, nach Wilhelm<lb/> Friedrichs festem und gesundem Schlummer zu urteilen, als sanfteste Wiege gewohnt<lb/> sein mochte, und wenn wir um der Stelle angekommen sein würden, wo der vor¬<lb/> sorgende Oheim, den er als den „gnädigen Herrn" bezeichnete, sich das Frühstück<lb/> gedacht hatte, „unter den sieben Buchen," wolle er mich, wenn ich beim stillhalten<lb/> des Wagens nicht ohnehin aufwache, wecken, sobald alles bereit sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_3593"> Es gehört nicht hierher und kauu den Leser auch eigentlich kumm interessieren,<lb/> aber einen zweiten solchen alle Lebenskräfte erneuernden, olympischen, göttlichen<lb/> Schlaf getan zu haben erinnere ich mich nicht. Wie lange konnte der Wagen wohl<lb/> schon gehalten haben, als es Friedrich Wilhelm und Wilhelm Friedrich endlich<lb/> gelang, mich davon zu überzeugen, daß es nicht später Abend war, und daß ich<lb/> nicht ans der Lindemannschen Matratze, sonder» ans dem allerdings kaum härtern<lb/> Wagenbrette lag? Jedenfalls Waren nicht bloß die Pferde schon versorgt, sondern auch<lb/> me weißen und die brannen Pakete sämtlich ausgepackt. Es konnte „losgehn" — und<lb/> ^ ging los! Die Schmausereien Gargantnas sinken gegen das, was an jenem<lb/> Morgen unter den sieben Buchen geleistet wurde, in den Staub. Der radikale<lb/> Grundsatz, daß alles draufgehu müsse, und daß nußer dem Papier, das man zurück¬<lb/> ließ, und dem Geschirr, das man mitnahm, nichts übrig bleiben dürfe, wurde zwar<lb/> nicht ausgesprochen, aber es wurde danach gehandelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_3594" next="#ID_3595"> Wenn Tante Nadiegeda und Onkel Rudolf dem Neffen gewähltere Genusse<lb/> bestimmt hatten als den beiden Ackerknechte». so war das ein vergebliches Beginnen<lb/> gewesen. Nach Abstreifnng der Hüllen, der weißen sowohl wie der brannen waren,<lb/> wie es am jüngsten Tage der Fall sein wird, vornehm und gering, Wurscht und<lb/> Wild. Schnaps und Rotwein einander gleich. Die beiden Alcibiadcsse, die den<lb/> Proviant ausgewickelt hatten und deshalb braun und weiß wohl unterscheiden konnten,<lb/> sperrten sich zwar ein wenig, wenn ich ihnen Weißgewesencs anbot, und suchten<lb/> mir abzureden wenn sich mein Geschmack zu Branngewesenem verirrte, aber sie<lb/> Aeßen doch schließlich mit sich reden, und des Oheims Bordeaux, der das Gewisse»<lb/> eines Heilige» in den Schlaf gelullt haben würde, mundete ihnen vortrefflich. Als<lb/> wir aufbrachen, hätte ein leidlicher Führer jede Schlacht mit uns gewinnen können,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1903 65</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0673]
Ein Scmimorurlaub in Pommern
nach Rügen, über den Greifswalder Bodden weg ansetzenden Heuhupfers. Da die
Entfernung der Wolgnster Fähre von Zinnowitz kaum mehr als sieben bis acht
Kilometer beträgt, so war freilich nach dieser Seite hin das pommersche Festland
weit leichter zu erreichen, als wenn man sich — wie ich es in umgekehrter Richtung
getan hatte — von Forksdorf über Swinemünde nach Stettin hätte begeben wollen,
aber ein etwas abgelegnes Stückchen Land war das Forksche Hnlbinselchen doch,
und die sandigen Wege, auf denen der obendrein uicht schwer belndue Wagen oft
bis über die Hälfte der untern Radspeichen einsank, ließen mir die Entfernung
doppelt groß erscheinen, da nirgends von einem rascheru Fortkommen im Trabe die
Rede sein konnte.
Schön und genußreich war ja die Fahrt durch den herrlichen Forst, an den
klaren Seen vorüber, aber auf die Dauer trotz der Unterhaltung mit Friedrich
Wilhelm, der sich mir ans meine Aufforderung mittelst eines gewandten Satzes und
einer Dreiviertelwendung wie eine Dame im Reitsattel gegenübergcsetzt hatte, merk-
würdig einschläfernd. Die Jnlisonne von einem wolkenlosen Himmel auf uns
herniederbretzelnd, die Windstille auch uicht von dem geringsten Luftzug unter¬
brochen, die Fauna, deren Bewegungen und Spiele unsre Aufmerksamkeit hätten
wachrufen können, im tiefsten Mittagsschlafe, Wilhelm Friedrich vor uns in seinem
Snttel desgleichen, und dazu ein Geräusch, dessen Eigentümlichkeit ich schwer ver¬
gessen werde, und dem ich den lethargischen Zustand, in den man verfiel, in erster
Reihe zuschreibe, das Herabrieseln des Sandes von den sich reihum laugsam aus
ihm herausarbeitenden Radspeichen: das alles zusammen war unwiderstehlich. Friedrich
Wilhelm riet mir, mich der Länge nach hinzulegen, nicht ans den Rücken, wie ich
es tat, sondern wie er sich ausdrückte, „auf den Bauch," damit mich die Sonne
nicht störe. Er wollte sich wieder in den Sattel setzen, der ihm, nach Wilhelm
Friedrichs festem und gesundem Schlummer zu urteilen, als sanfteste Wiege gewohnt
sein mochte, und wenn wir um der Stelle angekommen sein würden, wo der vor¬
sorgende Oheim, den er als den „gnädigen Herrn" bezeichnete, sich das Frühstück
gedacht hatte, „unter den sieben Buchen," wolle er mich, wenn ich beim stillhalten
des Wagens nicht ohnehin aufwache, wecken, sobald alles bereit sei.
Es gehört nicht hierher und kauu den Leser auch eigentlich kumm interessieren,
aber einen zweiten solchen alle Lebenskräfte erneuernden, olympischen, göttlichen
Schlaf getan zu haben erinnere ich mich nicht. Wie lange konnte der Wagen wohl
schon gehalten haben, als es Friedrich Wilhelm und Wilhelm Friedrich endlich
gelang, mich davon zu überzeugen, daß es nicht später Abend war, und daß ich
nicht ans der Lindemannschen Matratze, sonder» ans dem allerdings kaum härtern
Wagenbrette lag? Jedenfalls Waren nicht bloß die Pferde schon versorgt, sondern auch
me weißen und die brannen Pakete sämtlich ausgepackt. Es konnte „losgehn" — und
^ ging los! Die Schmausereien Gargantnas sinken gegen das, was an jenem
Morgen unter den sieben Buchen geleistet wurde, in den Staub. Der radikale
Grundsatz, daß alles draufgehu müsse, und daß nußer dem Papier, das man zurück¬
ließ, und dem Geschirr, das man mitnahm, nichts übrig bleiben dürfe, wurde zwar
nicht ausgesprochen, aber es wurde danach gehandelt.
Wenn Tante Nadiegeda und Onkel Rudolf dem Neffen gewähltere Genusse
bestimmt hatten als den beiden Ackerknechte». so war das ein vergebliches Beginnen
gewesen. Nach Abstreifnng der Hüllen, der weißen sowohl wie der brannen waren,
wie es am jüngsten Tage der Fall sein wird, vornehm und gering, Wurscht und
Wild. Schnaps und Rotwein einander gleich. Die beiden Alcibiadcsse, die den
Proviant ausgewickelt hatten und deshalb braun und weiß wohl unterscheiden konnten,
sperrten sich zwar ein wenig, wenn ich ihnen Weißgewesencs anbot, und suchten
mir abzureden wenn sich mein Geschmack zu Branngewesenem verirrte, aber sie
Aeßen doch schließlich mit sich reden, und des Oheims Bordeaux, der das Gewisse»
eines Heilige» in den Schlaf gelullt haben würde, mundete ihnen vortrefflich. Als
wir aufbrachen, hätte ein leidlicher Führer jede Schlacht mit uns gewinnen können,
Grenzboten I 1903 65
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |