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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

konservativen Partei Schwierigkeiten, und was schon bisher ausnahmsweise geschah,
wird künftig immer häufiger geschehn, daß bei den Wahlen der Kandidat des Bundes
der Landwirte gegen den Kandidaten uicht nur des Kartells der Ordnungsparteien,
sondern sogar gegen den der konservativen Partei aufgestellt wird. Und was hier
schon auf dem Lande zur Tatsache geworden ist, das wird sich in den Städten
wiederholen, wenn der Bund der Kaufleute zur Macht gekommen sein wird. So
wird die Zukunft die Zeit des Kampfes der radikale" wirtschaftlichen Interessen¬
vertretungen sein. .

^
Wer wollte das Ende dieser Entwicklung mit Bestimmtheit voraussagen?
Leidenschaftlicher als der Kampf der jetzigen politischen Parteien wird dieser Kampf
der wirtschaftlichen Interessen werden. Keine menschliche Macht wird sich dem ge¬
waltigen Strome dieser neuen Entwicklung widersetzen können. Dem Staate aber
wird die Aufgabe entsteh", ihn in das Bett eines nutzbringenden Laufes einzu¬
dämmen. Wie aber das allgemeine gleiche Wahlrecht durch und mit den jetzigen
politischen Parteien entstanden ist. so wird es mit diesen auch wieder fallen. An
seine Stelle wird die gesetzlich geordnete Vertretung der wirtschaftlichen Interessen
treten. Dann wird an Stelle leidenschaftlichen Kampfes friedliche Auseinander-
setzung der verschiednen wirtschaftlichen Interessen treten. An Stelle der aus all¬
gemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertreter eine Ständevertretung aller Berufs-
stnnde. Wohl mag mancher diesem Zukunstsbilde gegenüber an der Möglichkeit
seiner Verwirklichung zweifeln. Wie vor allem soll die Schwierigkeit überwunden
werden, jedem Stande eine seiner Bedeutung für die Allgemeinheit entsprechende
Vertretung zu verschaffen? Aber liegt nicht schon eine Organisation fast unsrer
gesamten industriellen Bevölkerung in den Berufsgenossenschaften vor? Haben nicht
schon die Handwerker in den Gewerbekammern eine Organisation gefunden? Alle
diese und ähnliche Organisationen bieten schon heute, wenn sie auch zunächst für
andre Zwecke geschaffen wurden, gleichwohl eine geeignete Grundlage, ans der
schließlich eine Ständevertretung in dem bezeichneten modernen Sinne aufgebaut
werden konnte Aber würde eine solche Vertretung wirtschaftlicher Interessen auch
sähig sein, das Wohl der Gesamtheit zu fördern? Würde sie uicht des Idealismus
gänzlich bar sein, ohne den schließlich auch der Staat verkommen muß, wie der
Einzelne? Man kann den Zweifeln, die sich in diesen Fragen ausdrücken, nicht
besser begegnen als durch die Gegenfrage: Gibt das jetzige Wahlrecht eine Gewähr
dafür, daß das Ergebnis der Wahlen dem Wohle der Gesamtheit entspricht?
hat der Reichstag sich immer nur von idealer vaterländischer Gesinnung leiten
lassen? In jedem Gemeinwesen erheben die verschiedeusten, oft hart aneinander¬
stoßenden Interessen den berechtigten Anspruch auf Schutz. Dem allgemeinen Wohle
kann deshalb nnr in der Weise gedient werden, daß in der Politik eine Mittel¬
linie gefunden wird, die sich von den Extremen der widerstreitenden Interessen
gleich weit entfernt hält. Deshalb muß die gesunde Politik bei jeder Maßnahme
die Gesamtheit aller Interessen ins Auge fassen, muß das Gewicht dieser Inter¬
essen untereinander abmessen. Würde diese unendlich schwierige Aufgabe nicht
wesentlich erleichtert werden, Wenn der Reichstag das getreue Spiegelbild dieser
Jnteressengesamtheit wäre? Während jetzt jede Wahl ein Kampf ist, worin lebe
Partei, unbekümmert um das Gesamtwohl, möglichst viele Mandate 5" erobern
sucht, würde dann in jedem Beruf nur das edlere Streben leben, das Glied des
Standes zu wählen, das an. fähigsten, am tüchtigsten erscheint, die Interessen des
Standes zu wahrem Wenn so aus jeden- Berufsstaude die tüchtigsten und fähigsten
Männer erwählt würden, welche Summe nationaler Intelligenz wurde sich dann
"n Reichstag vereinigen! ... . .

^.....^.Sollte die neue Entwicklung unsrer innern politischen Verhältnisse wirklich zum
Untergang des allgemeinen gleichen Wahlrechts führen und es dnrch eine moderne
Vertretung aller Berufsstaude ersetzen, kein Gebildeter würde ihm eine Träne nach¬
weine", kein gerecht Urteilender würde eine solche Neugestaltung verdammen können.


v. U.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

konservativen Partei Schwierigkeiten, und was schon bisher ausnahmsweise geschah,
wird künftig immer häufiger geschehn, daß bei den Wahlen der Kandidat des Bundes
der Landwirte gegen den Kandidaten uicht nur des Kartells der Ordnungsparteien,
sondern sogar gegen den der konservativen Partei aufgestellt wird. Und was hier
schon auf dem Lande zur Tatsache geworden ist, das wird sich in den Städten
wiederholen, wenn der Bund der Kaufleute zur Macht gekommen sein wird. So
wird die Zukunft die Zeit des Kampfes der radikale» wirtschaftlichen Interessen¬
vertretungen sein. .

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Wer wollte das Ende dieser Entwicklung mit Bestimmtheit voraussagen?
Leidenschaftlicher als der Kampf der jetzigen politischen Parteien wird dieser Kampf
der wirtschaftlichen Interessen werden. Keine menschliche Macht wird sich dem ge¬
waltigen Strome dieser neuen Entwicklung widersetzen können. Dem Staate aber
wird die Aufgabe entsteh», ihn in das Bett eines nutzbringenden Laufes einzu¬
dämmen. Wie aber das allgemeine gleiche Wahlrecht durch und mit den jetzigen
politischen Parteien entstanden ist. so wird es mit diesen auch wieder fallen. An
seine Stelle wird die gesetzlich geordnete Vertretung der wirtschaftlichen Interessen
treten. Dann wird an Stelle leidenschaftlichen Kampfes friedliche Auseinander-
setzung der verschiednen wirtschaftlichen Interessen treten. An Stelle der aus all¬
gemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertreter eine Ständevertretung aller Berufs-
stnnde. Wohl mag mancher diesem Zukunstsbilde gegenüber an der Möglichkeit
seiner Verwirklichung zweifeln. Wie vor allem soll die Schwierigkeit überwunden
werden, jedem Stande eine seiner Bedeutung für die Allgemeinheit entsprechende
Vertretung zu verschaffen? Aber liegt nicht schon eine Organisation fast unsrer
gesamten industriellen Bevölkerung in den Berufsgenossenschaften vor? Haben nicht
schon die Handwerker in den Gewerbekammern eine Organisation gefunden? Alle
diese und ähnliche Organisationen bieten schon heute, wenn sie auch zunächst für
andre Zwecke geschaffen wurden, gleichwohl eine geeignete Grundlage, ans der
schließlich eine Ständevertretung in dem bezeichneten modernen Sinne aufgebaut
werden konnte Aber würde eine solche Vertretung wirtschaftlicher Interessen auch
sähig sein, das Wohl der Gesamtheit zu fördern? Würde sie uicht des Idealismus
gänzlich bar sein, ohne den schließlich auch der Staat verkommen muß, wie der
Einzelne? Man kann den Zweifeln, die sich in diesen Fragen ausdrücken, nicht
besser begegnen als durch die Gegenfrage: Gibt das jetzige Wahlrecht eine Gewähr
dafür, daß das Ergebnis der Wahlen dem Wohle der Gesamtheit entspricht?
hat der Reichstag sich immer nur von idealer vaterländischer Gesinnung leiten
lassen? In jedem Gemeinwesen erheben die verschiedeusten, oft hart aneinander¬
stoßenden Interessen den berechtigten Anspruch auf Schutz. Dem allgemeinen Wohle
kann deshalb nnr in der Weise gedient werden, daß in der Politik eine Mittel¬
linie gefunden wird, die sich von den Extremen der widerstreitenden Interessen
gleich weit entfernt hält. Deshalb muß die gesunde Politik bei jeder Maßnahme
die Gesamtheit aller Interessen ins Auge fassen, muß das Gewicht dieser Inter¬
essen untereinander abmessen. Würde diese unendlich schwierige Aufgabe nicht
wesentlich erleichtert werden, Wenn der Reichstag das getreue Spiegelbild dieser
Jnteressengesamtheit wäre? Während jetzt jede Wahl ein Kampf ist, worin lebe
Partei, unbekümmert um das Gesamtwohl, möglichst viele Mandate 5» erobern
sucht, würde dann in jedem Beruf nur das edlere Streben leben, das Glied des
Standes zu wählen, das an. fähigsten, am tüchtigsten erscheint, die Interessen des
Standes zu wahrem Wenn so aus jeden- Berufsstaude die tüchtigsten und fähigsten
Männer erwählt würden, welche Summe nationaler Intelligenz wurde sich dann
"n Reichstag vereinigen! ... . .

^.....^.Sollte die neue Entwicklung unsrer innern politischen Verhältnisse wirklich zum
Untergang des allgemeinen gleichen Wahlrechts führen und es dnrch eine moderne
Vertretung aller Berufsstaude ersetzen, kein Gebildeter würde ihm eine Träne nach¬
weine«, kein gerecht Urteilender würde eine solche Neugestaltung verdammen können.


v. U.
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[0627] Maßgebliches und Unmaßgebliches konservativen Partei Schwierigkeiten, und was schon bisher ausnahmsweise geschah, wird künftig immer häufiger geschehn, daß bei den Wahlen der Kandidat des Bundes der Landwirte gegen den Kandidaten uicht nur des Kartells der Ordnungsparteien, sondern sogar gegen den der konservativen Partei aufgestellt wird. Und was hier schon auf dem Lande zur Tatsache geworden ist, das wird sich in den Städten wiederholen, wenn der Bund der Kaufleute zur Macht gekommen sein wird. So wird die Zukunft die Zeit des Kampfes der radikale» wirtschaftlichen Interessen¬ vertretungen sein. . ^ Wer wollte das Ende dieser Entwicklung mit Bestimmtheit voraussagen? Leidenschaftlicher als der Kampf der jetzigen politischen Parteien wird dieser Kampf der wirtschaftlichen Interessen werden. Keine menschliche Macht wird sich dem ge¬ waltigen Strome dieser neuen Entwicklung widersetzen können. Dem Staate aber wird die Aufgabe entsteh», ihn in das Bett eines nutzbringenden Laufes einzu¬ dämmen. Wie aber das allgemeine gleiche Wahlrecht durch und mit den jetzigen politischen Parteien entstanden ist. so wird es mit diesen auch wieder fallen. An seine Stelle wird die gesetzlich geordnete Vertretung der wirtschaftlichen Interessen treten. Dann wird an Stelle leidenschaftlichen Kampfes friedliche Auseinander- setzung der verschiednen wirtschaftlichen Interessen treten. An Stelle der aus all¬ gemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertreter eine Ständevertretung aller Berufs- stnnde. Wohl mag mancher diesem Zukunstsbilde gegenüber an der Möglichkeit seiner Verwirklichung zweifeln. Wie vor allem soll die Schwierigkeit überwunden werden, jedem Stande eine seiner Bedeutung für die Allgemeinheit entsprechende Vertretung zu verschaffen? Aber liegt nicht schon eine Organisation fast unsrer gesamten industriellen Bevölkerung in den Berufsgenossenschaften vor? Haben nicht schon die Handwerker in den Gewerbekammern eine Organisation gefunden? Alle diese und ähnliche Organisationen bieten schon heute, wenn sie auch zunächst für andre Zwecke geschaffen wurden, gleichwohl eine geeignete Grundlage, ans der schließlich eine Ständevertretung in dem bezeichneten modernen Sinne aufgebaut werden konnte Aber würde eine solche Vertretung wirtschaftlicher Interessen auch sähig sein, das Wohl der Gesamtheit zu fördern? Würde sie uicht des Idealismus gänzlich bar sein, ohne den schließlich auch der Staat verkommen muß, wie der Einzelne? Man kann den Zweifeln, die sich in diesen Fragen ausdrücken, nicht besser begegnen als durch die Gegenfrage: Gibt das jetzige Wahlrecht eine Gewähr dafür, daß das Ergebnis der Wahlen dem Wohle der Gesamtheit entspricht? hat der Reichstag sich immer nur von idealer vaterländischer Gesinnung leiten lassen? In jedem Gemeinwesen erheben die verschiedeusten, oft hart aneinander¬ stoßenden Interessen den berechtigten Anspruch auf Schutz. Dem allgemeinen Wohle kann deshalb nnr in der Weise gedient werden, daß in der Politik eine Mittel¬ linie gefunden wird, die sich von den Extremen der widerstreitenden Interessen gleich weit entfernt hält. Deshalb muß die gesunde Politik bei jeder Maßnahme die Gesamtheit aller Interessen ins Auge fassen, muß das Gewicht dieser Inter¬ essen untereinander abmessen. Würde diese unendlich schwierige Aufgabe nicht wesentlich erleichtert werden, Wenn der Reichstag das getreue Spiegelbild dieser Jnteressengesamtheit wäre? Während jetzt jede Wahl ein Kampf ist, worin lebe Partei, unbekümmert um das Gesamtwohl, möglichst viele Mandate 5» erobern sucht, würde dann in jedem Beruf nur das edlere Streben leben, das Glied des Standes zu wählen, das an. fähigsten, am tüchtigsten erscheint, die Interessen des Standes zu wahrem Wenn so aus jeden- Berufsstaude die tüchtigsten und fähigsten Männer erwählt würden, welche Summe nationaler Intelligenz wurde sich dann "n Reichstag vereinigen! ... . . ^.....^.Sollte die neue Entwicklung unsrer innern politischen Verhältnisse wirklich zum Untergang des allgemeinen gleichen Wahlrechts führen und es dnrch eine moderne Vertretung aller Berufsstaude ersetzen, kein Gebildeter würde ihm eine Träne nach¬ weine«, kein gerecht Urteilender würde eine solche Neugestaltung verdammen können. v. U.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/627>, abgerufen am 27.07.2024.