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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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König Tcmrin

Licht meiner Nächte!

(ruft der Kaiser aus und stürzt vor Theodora nieder.)

Du in meinem Tag
Nacht, die mich trunken macht! Mein Hell und Dunkel,
Mein Ernst und Scherz, Mischung der Lebensgeister,
Wie ich sie brauche! Meine Wirklichkeit!


Die Gipfelhöhn der Welt genügen den, Kaiser, der viel von Fleisch und Blut
hält, nicht: er zieht das, was ihm Theodora zu bieten imstande ist, vor, und da
sie mit der bisherigen, bei dem wankelmütigen Charakter des Kaisers doppelt ge¬
fährlichen Stellung nicht zufrieden ist, so verspricht er, sich mit ihr zu vermählen.
Soweit läßt sich gegen Justinians Entschließung, wenn ihm Theodora als Gemahlin
nicht zu schlecht dünkt, wenig einwenden; das Überweib konnte, da man nicht einig
geworden war, in Ruhe und Frieden wieder abreisen, und wenn sie um den ver¬
hältnismäßig billigen Preis eines erlittnen halben Schiffbrnchs zu der Überzeugung
käme, daß es mit den sich wie Adler über dem Meere begegnenden Seelen leicht
seine Gefahren hat, und daß es auch für Königinnen geratner ist, den festen Boden
der Wirklichkeit nicht zu verlassen, so könnte sie sich über das, was ihr die ge¬
machte Erfahrung gekostet hat, kaum beschweren.

Aber ein solcher friedlicher Ausgang konnte einem Weibe wie Theodora nicht
behagen. Sie hatte erfahren, in welchen verächtlichen Ausdrücken Amalasnnta von
ihr in Gegenwart der beiden Gesandten gesprochen hatte: nur die rücksichtsloseste
Verhöhnung und eine widerrechtliche Beraubung ihrer Nebenbuhlerin konnte ihrem
weiblichen Rachedurst genügen. Wie es ihr gelingt, den Kaiser, dem sie wie an
Mut und Klugheit, so auch an Ruchlosigkeit überlegen ist, dahin zu bringen, daß
er auf ihre Pläne und Wünsche eingeht und sich ohne zwingende Notwendigkeit
zu Maßnahmen verleiten läßt, die man als das schmutzigste des schmutzigen be¬
zeichnen muß, kann einem nur plausibel gemacht werden, wenn man den zweiten
Auftritt des vierte" Aktes liest oder vorzüglich aufgeführt sieht. Das Spiel, das
die Alexandrinern: mit den leidenschaftlichen Gefühlen des Kaisers treibt, und die
Motive, durch die er sich bestimmen läßt, liegen auf so heißem, unheimlichem Boden,
daß auch der Wunsch Wildenbruchs, uns die Sache annehmbar darzustellen, und
sein unverkennbares Geschick, Bedenkliches unter rhetorischen Blüten zu verbergen,
nicht ausreichen und uns kein im Shakespearischen Sinne wahrscheinliches Bild
menschlicher Verkommenheit zeigen. Anderseits wird freilich durch das Übermaß
von Erbärmlichkeit, mit dem wir das elende Paar behaftet fehen, ein Gefühl in
uns hervorgerufen, das ich mich noch bei keinem andern Stück empfunden zu haben
erinnere, und das ich als die befriedigende Empfindung einer besondern Art tragischer
Sühne bezeichnen möchte. Das kaiserliche Paar trifft, nachdem die beiden sich an
Niedrigkeit der Gesinnung und gemeiner Gewalttat das äußerste haben zu schulden
kommen lassen, keine andre Strafe, als daß man sie den einen mit dem andern ver¬
koppelt weiß, und -- sie sind beide so schlecht und so verächtlich, daß einem diese
Strafe zu genügen scheint. Was man am Ende des vierten Aktes von ihren Plänen
erfährt, ist, daß die für die Vermählung Justinians mit Amalasnnta getroffnen Vor¬
bereitungen für des Kaisers und Theodoras Hochzeitsfeier Verwendung finden sollen,
daß man den der Gotenkvnigin anzuwenden Schimpf dadurch zu verschärfen ge¬
denkt, daß man sie bis zum letzten Augenblick in dem Glauben läßt, es handle sich
um ihre Vermählung, und daß man ihr endlich auf Grund des von Theodnhad
unterzeichneten Dokuments ihre Staaten entreißen will. Daß man sich auch sonst von
dem elenden Paar des äußersten zu gewärtigen hat, erfährt man schon jetzt.

Gibst du sie? fragt Theodora, indem sie Amalasnnta meint und als selbst¬
verständlich voraussetzt, daß sie, die rachgierige Rivalin, die Empfängerin ist.

Geh -- sie gehört dir, sagt Justinian und wird für dieses Opfer durch
einen Ausbruch leidenschaftlicher Zärtlichkeit belohnt, dessen Wiedergabe an die Ob¬
jektivität der Schauspielerin wie der Zuschauerinnen hohe Anforderungen stellt.


König Tcmrin

Licht meiner Nächte!

(ruft der Kaiser aus und stürzt vor Theodora nieder.)

Du in meinem Tag
Nacht, die mich trunken macht! Mein Hell und Dunkel,
Mein Ernst und Scherz, Mischung der Lebensgeister,
Wie ich sie brauche! Meine Wirklichkeit!


Die Gipfelhöhn der Welt genügen den, Kaiser, der viel von Fleisch und Blut
hält, nicht: er zieht das, was ihm Theodora zu bieten imstande ist, vor, und da
sie mit der bisherigen, bei dem wankelmütigen Charakter des Kaisers doppelt ge¬
fährlichen Stellung nicht zufrieden ist, so verspricht er, sich mit ihr zu vermählen.
Soweit läßt sich gegen Justinians Entschließung, wenn ihm Theodora als Gemahlin
nicht zu schlecht dünkt, wenig einwenden; das Überweib konnte, da man nicht einig
geworden war, in Ruhe und Frieden wieder abreisen, und wenn sie um den ver¬
hältnismäßig billigen Preis eines erlittnen halben Schiffbrnchs zu der Überzeugung
käme, daß es mit den sich wie Adler über dem Meere begegnenden Seelen leicht
seine Gefahren hat, und daß es auch für Königinnen geratner ist, den festen Boden
der Wirklichkeit nicht zu verlassen, so könnte sie sich über das, was ihr die ge¬
machte Erfahrung gekostet hat, kaum beschweren.

Aber ein solcher friedlicher Ausgang konnte einem Weibe wie Theodora nicht
behagen. Sie hatte erfahren, in welchen verächtlichen Ausdrücken Amalasnnta von
ihr in Gegenwart der beiden Gesandten gesprochen hatte: nur die rücksichtsloseste
Verhöhnung und eine widerrechtliche Beraubung ihrer Nebenbuhlerin konnte ihrem
weiblichen Rachedurst genügen. Wie es ihr gelingt, den Kaiser, dem sie wie an
Mut und Klugheit, so auch an Ruchlosigkeit überlegen ist, dahin zu bringen, daß
er auf ihre Pläne und Wünsche eingeht und sich ohne zwingende Notwendigkeit
zu Maßnahmen verleiten läßt, die man als das schmutzigste des schmutzigen be¬
zeichnen muß, kann einem nur plausibel gemacht werden, wenn man den zweiten
Auftritt des vierte» Aktes liest oder vorzüglich aufgeführt sieht. Das Spiel, das
die Alexandrinern: mit den leidenschaftlichen Gefühlen des Kaisers treibt, und die
Motive, durch die er sich bestimmen läßt, liegen auf so heißem, unheimlichem Boden,
daß auch der Wunsch Wildenbruchs, uns die Sache annehmbar darzustellen, und
sein unverkennbares Geschick, Bedenkliches unter rhetorischen Blüten zu verbergen,
nicht ausreichen und uns kein im Shakespearischen Sinne wahrscheinliches Bild
menschlicher Verkommenheit zeigen. Anderseits wird freilich durch das Übermaß
von Erbärmlichkeit, mit dem wir das elende Paar behaftet fehen, ein Gefühl in
uns hervorgerufen, das ich mich noch bei keinem andern Stück empfunden zu haben
erinnere, und das ich als die befriedigende Empfindung einer besondern Art tragischer
Sühne bezeichnen möchte. Das kaiserliche Paar trifft, nachdem die beiden sich an
Niedrigkeit der Gesinnung und gemeiner Gewalttat das äußerste haben zu schulden
kommen lassen, keine andre Strafe, als daß man sie den einen mit dem andern ver¬
koppelt weiß, und — sie sind beide so schlecht und so verächtlich, daß einem diese
Strafe zu genügen scheint. Was man am Ende des vierten Aktes von ihren Plänen
erfährt, ist, daß die für die Vermählung Justinians mit Amalasnnta getroffnen Vor¬
bereitungen für des Kaisers und Theodoras Hochzeitsfeier Verwendung finden sollen,
daß man den der Gotenkvnigin anzuwenden Schimpf dadurch zu verschärfen ge¬
denkt, daß man sie bis zum letzten Augenblick in dem Glauben läßt, es handle sich
um ihre Vermählung, und daß man ihr endlich auf Grund des von Theodnhad
unterzeichneten Dokuments ihre Staaten entreißen will. Daß man sich auch sonst von
dem elenden Paar des äußersten zu gewärtigen hat, erfährt man schon jetzt.

Gibst du sie? fragt Theodora, indem sie Amalasnnta meint und als selbst¬
verständlich voraussetzt, daß sie, die rachgierige Rivalin, die Empfängerin ist.

Geh — sie gehört dir, sagt Justinian und wird für dieses Opfer durch
einen Ausbruch leidenschaftlicher Zärtlichkeit belohnt, dessen Wiedergabe an die Ob¬
jektivität der Schauspielerin wie der Zuschauerinnen hohe Anforderungen stellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/614>, abgerufen am 24.11.2024.