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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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König Lanrüi

für die Alexandrinerin und dem Wunsche, sich Amalasuutas Königreich nicht ent-
gehn zu lassen, hin- und hergebeutelt, ruft gegen Schluß des Aktes aus:


Vermauern soll man
Dies Zimmer. Wer vermauert mir das Herz
Vor der Erinnerung?

Der dritte Akt führt uns die Begegnung des Kaisers und der Königin vor.
Wie sich Wildenbruch außerordentlich gut auf alles versteht, was die Bühne und
das Theater heischen, so ist auch die Verteilung der Handlung auf die üblichen
fünf Akte merkwürdig glücklich. Jeder Akt hat sein eignes Gesicht und führt die
Handlung um eine deutlich erkennbare Staffel weiter; von einem Nachlassen der
Handlung oder von einer Verwirrung des Fadens ist nirgends die Rede.

Amalasunta, die weder Furcht noch Zögern kennt, hat die ihr im Hanse der
sieben Türme augebotne Gastfreundschaft angenommen. Wir finden sie, reich ge¬
kleidet, in einem mit byzantinischer Pracht ausgestatteten Saale des kaiserlichen
Palastes wieder. Durch die drei Bogenfenster des Prospekts strahlen um die Wette
der Himmel, das Meer nud Byzanz auf die Bühne, und Wildenbruch benutzt mit
erstaunlichem Aplomb eine Unterredung, die die Königin mit ihrem Botschafter
hat, dazu, daß ihr dieser von der begangnen "Rieseudummheit" Mitteilung macht.
Der Ehvertrag ist abgeschlossen, sagt er, obgleich der abgeschlossene Vertrag kein
Ehevertrag, sondern eine Schenkungsurkunde ist. Die Königin, die offenbar mehr
in den Wolken als auf der Erde lebt, und der die ihr über den Hals gekommene
Entscheidung nur deswegen etwas unbehaglich ist, weil damit jede Hoffnung auf
den schönen jungen, ihrem Herzen doch sehr nahe stehenden Goten zerstört ist, schwingt
sich nun auch auf ihr königliches Willensroß und nimmt den Graben mit ge¬
schlossenen Augen.


Was ich wollte,
Will ich noch heut!

(Sie ist die Stufen, die nach dem erhöhten Raum im Hintergrund führen, hinauf¬
gestiegen und "reckt" den Arm zum Fenster hinaus.)


(Sie meint Byzanz.)
Das da!
Und das gehört dir.

Theodnhad:

In diesem Augenblick verkünden das Geräusch von Schritten und Stimmen
und eine "feierlich schreitende" Musik die Ankunft Justinians, den -- eine scheinbar
ganz nebensächliche, aber auf der Bühne äußerst wirkungsvolle Veranstaltung --
Amalasunta empfängt, indem sie auf dem erhöhten Podium stehn bleibt, ohne ihm
entgegenzugehu, wie das nicht bloß die byzantinische Etikette, sondern wohl über¬
haupt die Sitte aller Länder erheischt haben dürfte, da sie als wohlanfgenvmmener
Gast in Byzanz weilt.

Die Winke Wtldenbruchs zur Anordnung dessen, ums auf der Bühne während
des Dialogs oder vor dessen Beginn geschehn soll, sind für sein feines Verständnis
des Effekts so bezeichnend, daß hier als Beispiel die ausführlichen Vorschriften
folgen sollen, die er am Anfang des zweiten Auftritts des dritten Akts für die
erste Begegnung Amalasuntas und Justinians gibt. Nebendinge, deren Erwähnung
den Leser befremdet, tun auf der Bühne oft überraschend gute Wirkung.

Von links -- heißt es -- kommen in feierlichem Aufzuge Knaben in langen
purpurrotem Seidenkleidern, Blumenkränze im Haar; dann die Senatoren Phokns,
Leontios, Zenon, Tribonian. Die Knaben stellen sich, sobald sie eingetreten sind,
in einer Reihe am Fuß der Stufen, mit dem Rücken gegen den Hintergrund auf.
Die Senatoren blicken, indem sie eintreten, umher, als wenn sie Amalasunta suchten;
nachdem sie diese auf den Stufen droben bemerkt haben, verneigen sie sich, wobei
man ihnen die Überraschung ansieht, sie dort oben zu sehen, dann gehn sie nach
rechts hinüber, zu Theodcchnd, der bei ihrem Eintritt rechts gestanden hat; dort


König Lanrüi

für die Alexandrinerin und dem Wunsche, sich Amalasuutas Königreich nicht ent-
gehn zu lassen, hin- und hergebeutelt, ruft gegen Schluß des Aktes aus:


Vermauern soll man
Dies Zimmer. Wer vermauert mir das Herz
Vor der Erinnerung?

Der dritte Akt führt uns die Begegnung des Kaisers und der Königin vor.
Wie sich Wildenbruch außerordentlich gut auf alles versteht, was die Bühne und
das Theater heischen, so ist auch die Verteilung der Handlung auf die üblichen
fünf Akte merkwürdig glücklich. Jeder Akt hat sein eignes Gesicht und führt die
Handlung um eine deutlich erkennbare Staffel weiter; von einem Nachlassen der
Handlung oder von einer Verwirrung des Fadens ist nirgends die Rede.

Amalasunta, die weder Furcht noch Zögern kennt, hat die ihr im Hanse der
sieben Türme augebotne Gastfreundschaft angenommen. Wir finden sie, reich ge¬
kleidet, in einem mit byzantinischer Pracht ausgestatteten Saale des kaiserlichen
Palastes wieder. Durch die drei Bogenfenster des Prospekts strahlen um die Wette
der Himmel, das Meer nud Byzanz auf die Bühne, und Wildenbruch benutzt mit
erstaunlichem Aplomb eine Unterredung, die die Königin mit ihrem Botschafter
hat, dazu, daß ihr dieser von der begangnen „Rieseudummheit" Mitteilung macht.
Der Ehvertrag ist abgeschlossen, sagt er, obgleich der abgeschlossene Vertrag kein
Ehevertrag, sondern eine Schenkungsurkunde ist. Die Königin, die offenbar mehr
in den Wolken als auf der Erde lebt, und der die ihr über den Hals gekommene
Entscheidung nur deswegen etwas unbehaglich ist, weil damit jede Hoffnung auf
den schönen jungen, ihrem Herzen doch sehr nahe stehenden Goten zerstört ist, schwingt
sich nun auch auf ihr königliches Willensroß und nimmt den Graben mit ge¬
schlossenen Augen.


Was ich wollte,
Will ich noch heut!

(Sie ist die Stufen, die nach dem erhöhten Raum im Hintergrund führen, hinauf¬
gestiegen und „reckt" den Arm zum Fenster hinaus.)


(Sie meint Byzanz.)
Das da!
Und das gehört dir.

Theodnhad:

In diesem Augenblick verkünden das Geräusch von Schritten und Stimmen
und eine „feierlich schreitende" Musik die Ankunft Justinians, den — eine scheinbar
ganz nebensächliche, aber auf der Bühne äußerst wirkungsvolle Veranstaltung —
Amalasunta empfängt, indem sie auf dem erhöhten Podium stehn bleibt, ohne ihm
entgegenzugehu, wie das nicht bloß die byzantinische Etikette, sondern wohl über¬
haupt die Sitte aller Länder erheischt haben dürfte, da sie als wohlanfgenvmmener
Gast in Byzanz weilt.

Die Winke Wtldenbruchs zur Anordnung dessen, ums auf der Bühne während
des Dialogs oder vor dessen Beginn geschehn soll, sind für sein feines Verständnis
des Effekts so bezeichnend, daß hier als Beispiel die ausführlichen Vorschriften
folgen sollen, die er am Anfang des zweiten Auftritts des dritten Akts für die
erste Begegnung Amalasuntas und Justinians gibt. Nebendinge, deren Erwähnung
den Leser befremdet, tun auf der Bühne oft überraschend gute Wirkung.

Von links — heißt es — kommen in feierlichem Aufzuge Knaben in langen
purpurrotem Seidenkleidern, Blumenkränze im Haar; dann die Senatoren Phokns,
Leontios, Zenon, Tribonian. Die Knaben stellen sich, sobald sie eingetreten sind,
in einer Reihe am Fuß der Stufen, mit dem Rücken gegen den Hintergrund auf.
Die Senatoren blicken, indem sie eintreten, umher, als wenn sie Amalasunta suchten;
nachdem sie diese auf den Stufen droben bemerkt haben, verneigen sie sich, wobei
man ihnen die Überraschung ansieht, sie dort oben zu sehen, dann gehn sie nach
rechts hinüber, zu Theodcchnd, der bei ihrem Eintritt rechts gestanden hat; dort


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[0610] König Lanrüi für die Alexandrinerin und dem Wunsche, sich Amalasuutas Königreich nicht ent- gehn zu lassen, hin- und hergebeutelt, ruft gegen Schluß des Aktes aus: Vermauern soll man Dies Zimmer. Wer vermauert mir das Herz Vor der Erinnerung? Der dritte Akt führt uns die Begegnung des Kaisers und der Königin vor. Wie sich Wildenbruch außerordentlich gut auf alles versteht, was die Bühne und das Theater heischen, so ist auch die Verteilung der Handlung auf die üblichen fünf Akte merkwürdig glücklich. Jeder Akt hat sein eignes Gesicht und führt die Handlung um eine deutlich erkennbare Staffel weiter; von einem Nachlassen der Handlung oder von einer Verwirrung des Fadens ist nirgends die Rede. Amalasunta, die weder Furcht noch Zögern kennt, hat die ihr im Hanse der sieben Türme augebotne Gastfreundschaft angenommen. Wir finden sie, reich ge¬ kleidet, in einem mit byzantinischer Pracht ausgestatteten Saale des kaiserlichen Palastes wieder. Durch die drei Bogenfenster des Prospekts strahlen um die Wette der Himmel, das Meer nud Byzanz auf die Bühne, und Wildenbruch benutzt mit erstaunlichem Aplomb eine Unterredung, die die Königin mit ihrem Botschafter hat, dazu, daß ihr dieser von der begangnen „Rieseudummheit" Mitteilung macht. Der Ehvertrag ist abgeschlossen, sagt er, obgleich der abgeschlossene Vertrag kein Ehevertrag, sondern eine Schenkungsurkunde ist. Die Königin, die offenbar mehr in den Wolken als auf der Erde lebt, und der die ihr über den Hals gekommene Entscheidung nur deswegen etwas unbehaglich ist, weil damit jede Hoffnung auf den schönen jungen, ihrem Herzen doch sehr nahe stehenden Goten zerstört ist, schwingt sich nun auch auf ihr königliches Willensroß und nimmt den Graben mit ge¬ schlossenen Augen. Was ich wollte, Will ich noch heut! (Sie ist die Stufen, die nach dem erhöhten Raum im Hintergrund führen, hinauf¬ gestiegen und „reckt" den Arm zum Fenster hinaus.) (Sie meint Byzanz.) Das da! Und das gehört dir. Theodnhad: In diesem Augenblick verkünden das Geräusch von Schritten und Stimmen und eine „feierlich schreitende" Musik die Ankunft Justinians, den — eine scheinbar ganz nebensächliche, aber auf der Bühne äußerst wirkungsvolle Veranstaltung — Amalasunta empfängt, indem sie auf dem erhöhten Podium stehn bleibt, ohne ihm entgegenzugehu, wie das nicht bloß die byzantinische Etikette, sondern wohl über¬ haupt die Sitte aller Länder erheischt haben dürfte, da sie als wohlanfgenvmmener Gast in Byzanz weilt. Die Winke Wtldenbruchs zur Anordnung dessen, ums auf der Bühne während des Dialogs oder vor dessen Beginn geschehn soll, sind für sein feines Verständnis des Effekts so bezeichnend, daß hier als Beispiel die ausführlichen Vorschriften folgen sollen, die er am Anfang des zweiten Auftritts des dritten Akts für die erste Begegnung Amalasuntas und Justinians gibt. Nebendinge, deren Erwähnung den Leser befremdet, tun auf der Bühne oft überraschend gute Wirkung. Von links — heißt es — kommen in feierlichem Aufzuge Knaben in langen purpurrotem Seidenkleidern, Blumenkränze im Haar; dann die Senatoren Phokns, Leontios, Zenon, Tribonian. Die Knaben stellen sich, sobald sie eingetreten sind, in einer Reihe am Fuß der Stufen, mit dem Rücken gegen den Hintergrund auf. Die Senatoren blicken, indem sie eintreten, umher, als wenn sie Amalasunta suchten; nachdem sie diese auf den Stufen droben bemerkt haben, verneigen sie sich, wobei man ihnen die Überraschung ansieht, sie dort oben zu sehen, dann gehn sie nach rechts hinüber, zu Theodcchnd, der bei ihrem Eintritt rechts gestanden hat; dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/610>, abgerufen am 24.11.2024.