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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Gruft Lurtius

Stehbahn ist!" Endlich, im Juni 1843, gelingt die Habilitation, und zwar
glänzend. "Der Herr gibt mir guten Mut, so wird er anch Gedeihen geben,
soviel es gut ist."

Die nun folgenden Briefe lassen leicht erkennen, daß hinter dem Mut
des angehenden Gelehrten eine ungewöhnliche, aus dem Vollen wissenschaft¬
licher Plane aufsteigende Kraft steht, ebenso aber auch, daß seine Zukunft einst¬
weilen ganz auf die eigne Kraft gestellt sein wird; von irgendwelcher Förde¬
rung oder gar Protektion der einflußreichen Fachgenossen ist dn nichts zu
spüren. Böckhs allezeit kühles Temperament ist ja auch anderweit bekannt.
Der "liebe" Meineke war nur Direktor am Joachimsthal. Der Geograph
Ritter erweist sich als väterlicher Gönner und führt ihn bei Alexander von
Humboldt ein. "Eine solche reine, anspruchslose Güte bei soviel Wissen und
solchem Ruhm findet man bei keinem andern Gelehrten vereinigt, nur Brandes
ist darin eine ähnliche Natur."

Der nächste Winter brachte einen folgenreichen Tag. Am 10. Februar 1844
hielt der junge Privatdozent in der Singakademie vor dem ganzen gebildeten
Berlin und dem versammelten Hose einen Vortrag, über den sein Schwager
Kurt von Schlözer, der nachmalige Gesandte beim Vatikan, in einem aus¬
führlichen Briefe nach Lübeck berichtet. Es war ein Nennen und Laufen von
allen Plätzen und Straßen nach den Linden zu, daß man glaubte, es sei
Feuer, die königlichen Equipagen hatten trotz unaufhörlichen Schreiens der
.Kutscher kaum Platz, durch die drängende Menge zu kommen, eine Schwadron
von Gendarmen war aufgestellt, damit die Menschen in ihrer Aufregung nicht
das Haus stürmten. Drinnen fing ein neues Stoßen und Drängen an, die
wenigsten konnten ihre Plätze finden, die Damen schrieen laut um Hilfe, ohn¬
mächtige wurden hinaufgebracht, sogar in der königlichen Loge herrschte die
größte Unordnung. "Unter allem Lärmen, Drängen, Rufen und Schreien
stand ein Mann ruhig in der Mitte des Saals auf einer kleinen Erhöhung.
Anverwandten Blickes sah er nach der ihm gegenüber befindlichen königlichen
Loge. Plötzlich ließen sich der König und seine Gemahlin nieder. Im ganzen
Saale herrschte die tiefste Ruhe. Durch den König war das Zeichen zum An¬
fang gegeben. Jetzt bestieg Ernst die Rednerbühne, entfaltete das Papier, und
mit leiser Stimme begann er zu reden, aber die tiefe Ruhe, die unter der eben
noch so bewegten Menge herrschte, ließ auch die Fernstehenden jedes Wort
deutlich hören. Wie ein Kaiser, nein wie ein junger Gott stand der edle
Jüngling da. Tausende von Lorgnetten waren ans ihn gerichtet, die Damen
waren wie verrückt. Die einen weideten sich am Anblick seines Antlitzes,
während die andern mit größter Aufmerksamkeit seinen Worten folgten, um
nur keins zu verliere", alle waren wie bezaubert durch den himmlischen Vor¬
trag. Immer lebhafter und feuriger wurde seine Rede. Anfänglich, in der
ersten Befangenheit, hatte er viel nach dein Papier gesucht, dann warf er das
lästige Konzept beiseite, und nnn entfaltete sich die ganze Kraft seiner Rede.
Wie bezauberte er die ganze Versammlung! .Kein Geflüster der sonst so schwatz¬
haften Berlinerinnen unterbrach die Ruhe, alles hörte und staunte. Bald beschrieb
er in den lieblichste" Formen das Fest der Pannthenäen, bald deutete er Sinn-


Gruft Lurtius

Stehbahn ist!" Endlich, im Juni 1843, gelingt die Habilitation, und zwar
glänzend. „Der Herr gibt mir guten Mut, so wird er anch Gedeihen geben,
soviel es gut ist."

Die nun folgenden Briefe lassen leicht erkennen, daß hinter dem Mut
des angehenden Gelehrten eine ungewöhnliche, aus dem Vollen wissenschaft¬
licher Plane aufsteigende Kraft steht, ebenso aber auch, daß seine Zukunft einst¬
weilen ganz auf die eigne Kraft gestellt sein wird; von irgendwelcher Förde¬
rung oder gar Protektion der einflußreichen Fachgenossen ist dn nichts zu
spüren. Böckhs allezeit kühles Temperament ist ja auch anderweit bekannt.
Der „liebe" Meineke war nur Direktor am Joachimsthal. Der Geograph
Ritter erweist sich als väterlicher Gönner und führt ihn bei Alexander von
Humboldt ein. „Eine solche reine, anspruchslose Güte bei soviel Wissen und
solchem Ruhm findet man bei keinem andern Gelehrten vereinigt, nur Brandes
ist darin eine ähnliche Natur."

Der nächste Winter brachte einen folgenreichen Tag. Am 10. Februar 1844
hielt der junge Privatdozent in der Singakademie vor dem ganzen gebildeten
Berlin und dem versammelten Hose einen Vortrag, über den sein Schwager
Kurt von Schlözer, der nachmalige Gesandte beim Vatikan, in einem aus¬
führlichen Briefe nach Lübeck berichtet. Es war ein Nennen und Laufen von
allen Plätzen und Straßen nach den Linden zu, daß man glaubte, es sei
Feuer, die königlichen Equipagen hatten trotz unaufhörlichen Schreiens der
.Kutscher kaum Platz, durch die drängende Menge zu kommen, eine Schwadron
von Gendarmen war aufgestellt, damit die Menschen in ihrer Aufregung nicht
das Haus stürmten. Drinnen fing ein neues Stoßen und Drängen an, die
wenigsten konnten ihre Plätze finden, die Damen schrieen laut um Hilfe, ohn¬
mächtige wurden hinaufgebracht, sogar in der königlichen Loge herrschte die
größte Unordnung. „Unter allem Lärmen, Drängen, Rufen und Schreien
stand ein Mann ruhig in der Mitte des Saals auf einer kleinen Erhöhung.
Anverwandten Blickes sah er nach der ihm gegenüber befindlichen königlichen
Loge. Plötzlich ließen sich der König und seine Gemahlin nieder. Im ganzen
Saale herrschte die tiefste Ruhe. Durch den König war das Zeichen zum An¬
fang gegeben. Jetzt bestieg Ernst die Rednerbühne, entfaltete das Papier, und
mit leiser Stimme begann er zu reden, aber die tiefe Ruhe, die unter der eben
noch so bewegten Menge herrschte, ließ auch die Fernstehenden jedes Wort
deutlich hören. Wie ein Kaiser, nein wie ein junger Gott stand der edle
Jüngling da. Tausende von Lorgnetten waren ans ihn gerichtet, die Damen
waren wie verrückt. Die einen weideten sich am Anblick seines Antlitzes,
während die andern mit größter Aufmerksamkeit seinen Worten folgten, um
nur keins zu verliere«, alle waren wie bezaubert durch den himmlischen Vor¬
trag. Immer lebhafter und feuriger wurde seine Rede. Anfänglich, in der
ersten Befangenheit, hatte er viel nach dein Papier gesucht, dann warf er das
lästige Konzept beiseite, und nnn entfaltete sich die ganze Kraft seiner Rede.
Wie bezauberte er die ganze Versammlung! .Kein Geflüster der sonst so schwatz¬
haften Berlinerinnen unterbrach die Ruhe, alles hörte und staunte. Bald beschrieb
er in den lieblichste» Formen das Fest der Pannthenäen, bald deutete er Sinn-


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[0592] Gruft Lurtius Stehbahn ist!" Endlich, im Juni 1843, gelingt die Habilitation, und zwar glänzend. „Der Herr gibt mir guten Mut, so wird er anch Gedeihen geben, soviel es gut ist." Die nun folgenden Briefe lassen leicht erkennen, daß hinter dem Mut des angehenden Gelehrten eine ungewöhnliche, aus dem Vollen wissenschaft¬ licher Plane aufsteigende Kraft steht, ebenso aber auch, daß seine Zukunft einst¬ weilen ganz auf die eigne Kraft gestellt sein wird; von irgendwelcher Förde¬ rung oder gar Protektion der einflußreichen Fachgenossen ist dn nichts zu spüren. Böckhs allezeit kühles Temperament ist ja auch anderweit bekannt. Der „liebe" Meineke war nur Direktor am Joachimsthal. Der Geograph Ritter erweist sich als väterlicher Gönner und führt ihn bei Alexander von Humboldt ein. „Eine solche reine, anspruchslose Güte bei soviel Wissen und solchem Ruhm findet man bei keinem andern Gelehrten vereinigt, nur Brandes ist darin eine ähnliche Natur." Der nächste Winter brachte einen folgenreichen Tag. Am 10. Februar 1844 hielt der junge Privatdozent in der Singakademie vor dem ganzen gebildeten Berlin und dem versammelten Hose einen Vortrag, über den sein Schwager Kurt von Schlözer, der nachmalige Gesandte beim Vatikan, in einem aus¬ führlichen Briefe nach Lübeck berichtet. Es war ein Nennen und Laufen von allen Plätzen und Straßen nach den Linden zu, daß man glaubte, es sei Feuer, die königlichen Equipagen hatten trotz unaufhörlichen Schreiens der .Kutscher kaum Platz, durch die drängende Menge zu kommen, eine Schwadron von Gendarmen war aufgestellt, damit die Menschen in ihrer Aufregung nicht das Haus stürmten. Drinnen fing ein neues Stoßen und Drängen an, die wenigsten konnten ihre Plätze finden, die Damen schrieen laut um Hilfe, ohn¬ mächtige wurden hinaufgebracht, sogar in der königlichen Loge herrschte die größte Unordnung. „Unter allem Lärmen, Drängen, Rufen und Schreien stand ein Mann ruhig in der Mitte des Saals auf einer kleinen Erhöhung. Anverwandten Blickes sah er nach der ihm gegenüber befindlichen königlichen Loge. Plötzlich ließen sich der König und seine Gemahlin nieder. Im ganzen Saale herrschte die tiefste Ruhe. Durch den König war das Zeichen zum An¬ fang gegeben. Jetzt bestieg Ernst die Rednerbühne, entfaltete das Papier, und mit leiser Stimme begann er zu reden, aber die tiefe Ruhe, die unter der eben noch so bewegten Menge herrschte, ließ auch die Fernstehenden jedes Wort deutlich hören. Wie ein Kaiser, nein wie ein junger Gott stand der edle Jüngling da. Tausende von Lorgnetten waren ans ihn gerichtet, die Damen waren wie verrückt. Die einen weideten sich am Anblick seines Antlitzes, während die andern mit größter Aufmerksamkeit seinen Worten folgten, um nur keins zu verliere«, alle waren wie bezaubert durch den himmlischen Vor¬ trag. Immer lebhafter und feuriger wurde seine Rede. Anfänglich, in der ersten Befangenheit, hatte er viel nach dein Papier gesucht, dann warf er das lästige Konzept beiseite, und nnn entfaltete sich die ganze Kraft seiner Rede. Wie bezauberte er die ganze Versammlung! .Kein Geflüster der sonst so schwatz¬ haften Berlinerinnen unterbrach die Ruhe, alles hörte und staunte. Bald beschrieb er in den lieblichste» Formen das Fest der Pannthenäen, bald deutete er Sinn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/592>, abgerufen am 24.11.2024.