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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Nonumont-t (lorin-mi^o Ul8torio", ihre bisherige Leitung und Leistung

Oberleitung schon früh bestrebt gewesen, durch Ausbildung eines eigne" Organs,
durch Begründung der 8oiixtor<zö rorum vormanioMmu Fühlung mit weitern Kreisen
zu gewinnen; ober das Organ ist verkrüppelt, die Abteilung fristet nur ein kümmer¬
liches Dasein im Vergleich mit den übrigen, die in gedeihlicher Entwicklung be¬
griffen sind; und das geht, abgesehen von der abstoßenden lateinischen Einkleidung,
noch ans einen andern Grundmängel zurück.

Als nämlich Pertz 1839 den erste" Band der Leriptores rsrum 6örmauiea,rum
erscheinen ließ, hatte er gar keinen festen Plan für diese "Handausgaben der inter¬
essantesten und wichtigsten Geschichtschreiber," sondern nur die Absicht, gelegentlich
das eine oder das andre Werk, das für die große Ausgabe vorbereitet war, auch
"is Handausgabe drucken zu lassen. Bei diesem Verfahren konnte es nicht aus¬
bleiben, daß einerseits bet der Gleichgültigkeit, die bald den Handausgaben gegen¬
über einriß, bei weitem nicht alle Werke, die es verdienten, unter die Loriptoros
roi'um (?ErmiZ,ni(urna aufgenommen wurden, anderseits infolge einer unbegründeten
Vorliebe des Herausgebers geringe Ware in die Sammlung eingeschoben wurde
^ wie die ^shea vnutonis röAis, die Lobschrift eines französischen Mönchs auf
den dänischen König Knut, die dadurch ausgezeichnet ist, daß die Beziehungen
dieses Königs zu deu deutschen Kaisern Konrad dem Zweiten und Heinrich dem
Dritten absichtlich mit Stillschweigen übergangen sind! --, kurz, daß heute nach
mehr als sechzig Jahren die Lei-ixtorss rorum (Zu'ir^r>ioiU'v.in "och weit davon ent¬
fernt find, die Entwicklung der deutschen Geschichtschreibung, soweit sie schon in
dem großen Werke bearbeitet ist, auch nur mit den allerwichtigsten Werken zu be¬
legen. Wenn nun Dümmler, der diesen unhaltbaren Zustand der Senxtoros rsrnm
^ormanieÄi'UM unmöglich verkennen konnte, bald nach seinem Amtsantritt an den
preußischen Unterrichtsminister -- unbegreiflicherweise nicht auch an die andern
deutschen Unterrichtsminister -- mit dem erfreulichsten Erfolge die Bitte gerichtet
hat, den Lehrerbibliolheken der Gymnasien die Sorixtoros rsrum Avri"g,llicÄrv.in zur
Anschaffung zu empfehlen, so ergibt sich daraus, daß auch er diesen Handausgaben
eine weitere Verbreitung wünschte: er hat aber trotzdem unterlassen, einen sorgsam
erwogncn Plan aufzustellen für die Abteilung des ihm anvertraute" Werkes, der
die weiteste und segensvollste Wirkung beschieden sein könnte.

Denn da in unsern Literaturgeschichten nur die deutsche Dichtung, nicht auch
die deutsche Geschichtschreibung behandelt wird, so ist unsre Jugend leider daran
gewöhnt worden, die Zeit unsrer ersten Kaiser, aus der ja nur wenig Gedichte
überliefert sind, als eine geistig arme Periode verächtlich zu betrachten; und doch
sollte und könnte es schon in dem Unterricht über deutsche Literaturgeschichte dar¬
getan werden, daß es in jener Zeit eine zwar äußerlich lateinische, aber innerlich
echt deutsche Gcschichtsliteratur gibt, so reich und glänzend, wie sie kein andres
Volk für dieselbe Zeit aufweisen kann. Ferner aber dürfte es auch für deu Unter¬
richt in der deutschen Geschichte ein unschätzbarer Gewinn sein, wenn die Zeugen der
alten Kaiserzeit möglichst oft selber zu Worte kämen, wenn durch ihre Angaben
über die Kulturzustände ihrer Tage der Vortrag über die politische Entwicklung
unsers Volkes möglichst oft belebt würde. Ja es wäre erwünscht, die so geweckte
Teilnahme des lateinknndigen Schülers unmittelbar auf die zeitgenössische" Berichte
über die Taten Ottos des Großen, Heinrichs des Vierte" und Friedrich Barbarossas
zu leiten, ihm ein Werk der mittelalterlichen Geschichtschreibung zum häuslichen
Lesen etwa so zu empfehlen, wie vielleicht die historischen Schriften Snllusts seiner
Kenntnis vermittelt werden. Oder sollte man nur die verrotteten Zustände der
römischen Republik eiuer solchen Beachtung für wert halten, nicht aber die Verhält¬
nisse einer glänzenden Periode unsrer eignen Geschichte, "in der der Wille, das
Wort und das Schwert der dem deutscheu Volk entstammten Kaiser die Geschicke
des Abendlandes entschieden"?

Was um den Umfang der schon geleisteten Arbeit betrifft, so ist kaum jemals
ein Voranschlag ungeheuerlicher überschritten worden, als bei den Monumenten.
Während man anfangs hoffte, alle Arbeiten in etwa zwanzig Quartbäuden bewältigen


Die Nonumont-t (lorin-mi^o Ul8torio», ihre bisherige Leitung und Leistung

Oberleitung schon früh bestrebt gewesen, durch Ausbildung eines eigne» Organs,
durch Begründung der 8oiixtor<zö rorum vormanioMmu Fühlung mit weitern Kreisen
zu gewinnen; ober das Organ ist verkrüppelt, die Abteilung fristet nur ein kümmer¬
liches Dasein im Vergleich mit den übrigen, die in gedeihlicher Entwicklung be¬
griffen sind; und das geht, abgesehen von der abstoßenden lateinischen Einkleidung,
noch ans einen andern Grundmängel zurück.

Als nämlich Pertz 1839 den erste» Band der Leriptores rsrum 6örmauiea,rum
erscheinen ließ, hatte er gar keinen festen Plan für diese „Handausgaben der inter¬
essantesten und wichtigsten Geschichtschreiber," sondern nur die Absicht, gelegentlich
das eine oder das andre Werk, das für die große Ausgabe vorbereitet war, auch
"is Handausgabe drucken zu lassen. Bei diesem Verfahren konnte es nicht aus¬
bleiben, daß einerseits bet der Gleichgültigkeit, die bald den Handausgaben gegen¬
über einriß, bei weitem nicht alle Werke, die es verdienten, unter die Loriptoros
roi'um (?ErmiZ,ni(urna aufgenommen wurden, anderseits infolge einer unbegründeten
Vorliebe des Herausgebers geringe Ware in die Sammlung eingeschoben wurde
^ wie die ^shea vnutonis röAis, die Lobschrift eines französischen Mönchs auf
den dänischen König Knut, die dadurch ausgezeichnet ist, daß die Beziehungen
dieses Königs zu deu deutschen Kaisern Konrad dem Zweiten und Heinrich dem
Dritten absichtlich mit Stillschweigen übergangen sind! —, kurz, daß heute nach
mehr als sechzig Jahren die Lei-ixtorss rorum (Zu'ir^r>ioiU'v.in »och weit davon ent¬
fernt find, die Entwicklung der deutschen Geschichtschreibung, soweit sie schon in
dem großen Werke bearbeitet ist, auch nur mit den allerwichtigsten Werken zu be¬
legen. Wenn nun Dümmler, der diesen unhaltbaren Zustand der Senxtoros rsrnm
^ormanieÄi'UM unmöglich verkennen konnte, bald nach seinem Amtsantritt an den
preußischen Unterrichtsminister — unbegreiflicherweise nicht auch an die andern
deutschen Unterrichtsminister — mit dem erfreulichsten Erfolge die Bitte gerichtet
hat, den Lehrerbibliolheken der Gymnasien die Sorixtoros rsrum Avri»g,llicÄrv.in zur
Anschaffung zu empfehlen, so ergibt sich daraus, daß auch er diesen Handausgaben
eine weitere Verbreitung wünschte: er hat aber trotzdem unterlassen, einen sorgsam
erwogncn Plan aufzustellen für die Abteilung des ihm anvertraute» Werkes, der
die weiteste und segensvollste Wirkung beschieden sein könnte.

Denn da in unsern Literaturgeschichten nur die deutsche Dichtung, nicht auch
die deutsche Geschichtschreibung behandelt wird, so ist unsre Jugend leider daran
gewöhnt worden, die Zeit unsrer ersten Kaiser, aus der ja nur wenig Gedichte
überliefert sind, als eine geistig arme Periode verächtlich zu betrachten; und doch
sollte und könnte es schon in dem Unterricht über deutsche Literaturgeschichte dar¬
getan werden, daß es in jener Zeit eine zwar äußerlich lateinische, aber innerlich
echt deutsche Gcschichtsliteratur gibt, so reich und glänzend, wie sie kein andres
Volk für dieselbe Zeit aufweisen kann. Ferner aber dürfte es auch für deu Unter¬
richt in der deutschen Geschichte ein unschätzbarer Gewinn sein, wenn die Zeugen der
alten Kaiserzeit möglichst oft selber zu Worte kämen, wenn durch ihre Angaben
über die Kulturzustände ihrer Tage der Vortrag über die politische Entwicklung
unsers Volkes möglichst oft belebt würde. Ja es wäre erwünscht, die so geweckte
Teilnahme des lateinknndigen Schülers unmittelbar auf die zeitgenössische» Berichte
über die Taten Ottos des Großen, Heinrichs des Vierte» und Friedrich Barbarossas
zu leiten, ihm ein Werk der mittelalterlichen Geschichtschreibung zum häuslichen
Lesen etwa so zu empfehlen, wie vielleicht die historischen Schriften Snllusts seiner
Kenntnis vermittelt werden. Oder sollte man nur die verrotteten Zustände der
römischen Republik eiuer solchen Beachtung für wert halten, nicht aber die Verhält¬
nisse einer glänzenden Periode unsrer eignen Geschichte, „in der der Wille, das
Wort und das Schwert der dem deutscheu Volk entstammten Kaiser die Geschicke
des Abendlandes entschieden"?

Was um den Umfang der schon geleisteten Arbeit betrifft, so ist kaum jemals
ein Voranschlag ungeheuerlicher überschritten worden, als bei den Monumenten.
Während man anfangs hoffte, alle Arbeiten in etwa zwanzig Quartbäuden bewältigen


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[0549] Die Nonumont-t (lorin-mi^o Ul8torio», ihre bisherige Leitung und Leistung Oberleitung schon früh bestrebt gewesen, durch Ausbildung eines eigne» Organs, durch Begründung der 8oiixtor<zö rorum vormanioMmu Fühlung mit weitern Kreisen zu gewinnen; ober das Organ ist verkrüppelt, die Abteilung fristet nur ein kümmer¬ liches Dasein im Vergleich mit den übrigen, die in gedeihlicher Entwicklung be¬ griffen sind; und das geht, abgesehen von der abstoßenden lateinischen Einkleidung, noch ans einen andern Grundmängel zurück. Als nämlich Pertz 1839 den erste» Band der Leriptores rsrum 6örmauiea,rum erscheinen ließ, hatte er gar keinen festen Plan für diese „Handausgaben der inter¬ essantesten und wichtigsten Geschichtschreiber," sondern nur die Absicht, gelegentlich das eine oder das andre Werk, das für die große Ausgabe vorbereitet war, auch "is Handausgabe drucken zu lassen. Bei diesem Verfahren konnte es nicht aus¬ bleiben, daß einerseits bet der Gleichgültigkeit, die bald den Handausgaben gegen¬ über einriß, bei weitem nicht alle Werke, die es verdienten, unter die Loriptoros roi'um (?ErmiZ,ni(urna aufgenommen wurden, anderseits infolge einer unbegründeten Vorliebe des Herausgebers geringe Ware in die Sammlung eingeschoben wurde ^ wie die ^shea vnutonis röAis, die Lobschrift eines französischen Mönchs auf den dänischen König Knut, die dadurch ausgezeichnet ist, daß die Beziehungen dieses Königs zu deu deutschen Kaisern Konrad dem Zweiten und Heinrich dem Dritten absichtlich mit Stillschweigen übergangen sind! —, kurz, daß heute nach mehr als sechzig Jahren die Lei-ixtorss rorum (Zu'ir^r>ioiU'v.in »och weit davon ent¬ fernt find, die Entwicklung der deutschen Geschichtschreibung, soweit sie schon in dem großen Werke bearbeitet ist, auch nur mit den allerwichtigsten Werken zu be¬ legen. Wenn nun Dümmler, der diesen unhaltbaren Zustand der Senxtoros rsrnm ^ormanieÄi'UM unmöglich verkennen konnte, bald nach seinem Amtsantritt an den preußischen Unterrichtsminister — unbegreiflicherweise nicht auch an die andern deutschen Unterrichtsminister — mit dem erfreulichsten Erfolge die Bitte gerichtet hat, den Lehrerbibliolheken der Gymnasien die Sorixtoros rsrum Avri»g,llicÄrv.in zur Anschaffung zu empfehlen, so ergibt sich daraus, daß auch er diesen Handausgaben eine weitere Verbreitung wünschte: er hat aber trotzdem unterlassen, einen sorgsam erwogncn Plan aufzustellen für die Abteilung des ihm anvertraute» Werkes, der die weiteste und segensvollste Wirkung beschieden sein könnte. Denn da in unsern Literaturgeschichten nur die deutsche Dichtung, nicht auch die deutsche Geschichtschreibung behandelt wird, so ist unsre Jugend leider daran gewöhnt worden, die Zeit unsrer ersten Kaiser, aus der ja nur wenig Gedichte überliefert sind, als eine geistig arme Periode verächtlich zu betrachten; und doch sollte und könnte es schon in dem Unterricht über deutsche Literaturgeschichte dar¬ getan werden, daß es in jener Zeit eine zwar äußerlich lateinische, aber innerlich echt deutsche Gcschichtsliteratur gibt, so reich und glänzend, wie sie kein andres Volk für dieselbe Zeit aufweisen kann. Ferner aber dürfte es auch für deu Unter¬ richt in der deutschen Geschichte ein unschätzbarer Gewinn sein, wenn die Zeugen der alten Kaiserzeit möglichst oft selber zu Worte kämen, wenn durch ihre Angaben über die Kulturzustände ihrer Tage der Vortrag über die politische Entwicklung unsers Volkes möglichst oft belebt würde. Ja es wäre erwünscht, die so geweckte Teilnahme des lateinknndigen Schülers unmittelbar auf die zeitgenössische» Berichte über die Taten Ottos des Großen, Heinrichs des Vierte» und Friedrich Barbarossas zu leiten, ihm ein Werk der mittelalterlichen Geschichtschreibung zum häuslichen Lesen etwa so zu empfehlen, wie vielleicht die historischen Schriften Snllusts seiner Kenntnis vermittelt werden. Oder sollte man nur die verrotteten Zustände der römischen Republik eiuer solchen Beachtung für wert halten, nicht aber die Verhält¬ nisse einer glänzenden Periode unsrer eignen Geschichte, „in der der Wille, das Wort und das Schwert der dem deutscheu Volk entstammten Kaiser die Geschicke des Abendlandes entschieden"? Was um den Umfang der schon geleisteten Arbeit betrifft, so ist kaum jemals ein Voranschlag ungeheuerlicher überschritten worden, als bei den Monumenten. Während man anfangs hoffte, alle Arbeiten in etwa zwanzig Quartbäuden bewältigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/549>, abgerufen am 24.11.2024.