Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Irrtümer der Demokratie

Volksvertreter rechtschaffen und weise sein kann, Warum, weiß niemand zu
sagen; aber es ist einmal so, obgleich die Tatsachen nur zu oft das Gegenteil
erweisen. So wühle man denn auch weiter. Weniger gleichgiltig ist es aber,
wer das passive Wahlrecht hat. Und da muß denn erreicht werden, daß dieses
Wahlrecht an Voraussetzungen gebunden wird, die eine Gewähr dafür bieten,
daß der Gewühlte auch fähig sei, das ihm übertragne Amt zu versehen. Eine
wirksame Kontrolle der Staatsverwaltung kann nur von dein ausgeübt werden,
der das Nötige davon versteht, der selbst schon Gelegenheit gehabt hat, an
der öffentlichen Verwaltung teilzunehmen und sich zu bewähren, also sowohl
die Bedürfnisse als auch die Grenzen kennt, bis zu denen ihnen im Rahmen
des ganzen Staatswesens Rechnung getragen werden kann. Das ist eine
Forderung, die jedermann einleuchten muß, der es sieht, wie die Parteien in
allen Lagern einander in den unvernünftigsten Forderuuge" an den Staat
hinaustreiben, ebensosehr ans Gründen der Demagogie wie aus Unwissen¬
heit auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung. Gewiß würde auch eine
solche Versammlung, weil sie eben aus Menschen bestünde und von Menschen
berufen wäre, kein Bild der Vollkommenheit bieten; aber sie würde einerseits
durch die Öffentlichkeit ihrer Kritik sehr wichtige Bürgschaften gegen den Mi߬
brauch der Regierungsgewalt bieten, weil sie nach oben und nach unten hin
unabhängiger wäre als die heutigen repräsentativen Versammlungen, die mit
ihrem Mnunesstolz vor Königsthronen Feilheit nach oben und Kriecherei nach
unten zu dem abstoßenden Charakterbild des modernen Parlamentarismus ver¬
binden. Anderseits würden sie wieder eine kräftige Entfaltung der politischen
Individualität möglich machen; die Fesseln würden gesprengt werden, mit
denen heute auch der fähige Staatsmann an den öden Felsen der Demokratie
geschmiedet ist. Das hat aber das "alte faule Europa" nötig, wenn es den
Wettbewerb mit dem Osten und dem Westen aufnehmen will. Die politische
Kraft der Nationen liegt aber niemals in den Massen, sondern in den poli¬
tischen Individualitäten. Der wirkliche Fortschritt zeigt sich nur dort, wo sich
Ideen mit renler Macht paaren; Ideen aber entspringen nur dem Intellekte
des Einzelnen. Wo sich die unerfüllten Wünsche und die Bedürfnisse eines
Volkes vou Jahrzehnten und Jnhrhnnderten ans dem Empfinden der Masse
auf das Gehirn eines Einzelnen konzentriere" und dort die von einem starke"
Willen getragne befreiende Idee auslösen, dort und nur dort tritt die Souve¬
ränität eines Volkes in die Erscheinung, die man törichterweise durch Gesetze
der blinden Masse und ihre", parlamentarischen Extrakt zuerkennen wollte.
Solche Menschen sind sicher das Produkt eiuer langen und bedeutungsvolle"
Entwicklung ihres Volkes, gerade darin" sind sie aber mehr als dieses, darum
ist aber auch alle Demokratie kulturwidrig, weil sie die freie Entwicklung der
Politischen Individualität hemmt, auf der aller Fortschritt beruht.




Die Irrtümer der Demokratie

Volksvertreter rechtschaffen und weise sein kann, Warum, weiß niemand zu
sagen; aber es ist einmal so, obgleich die Tatsachen nur zu oft das Gegenteil
erweisen. So wühle man denn auch weiter. Weniger gleichgiltig ist es aber,
wer das passive Wahlrecht hat. Und da muß denn erreicht werden, daß dieses
Wahlrecht an Voraussetzungen gebunden wird, die eine Gewähr dafür bieten,
daß der Gewühlte auch fähig sei, das ihm übertragne Amt zu versehen. Eine
wirksame Kontrolle der Staatsverwaltung kann nur von dein ausgeübt werden,
der das Nötige davon versteht, der selbst schon Gelegenheit gehabt hat, an
der öffentlichen Verwaltung teilzunehmen und sich zu bewähren, also sowohl
die Bedürfnisse als auch die Grenzen kennt, bis zu denen ihnen im Rahmen
des ganzen Staatswesens Rechnung getragen werden kann. Das ist eine
Forderung, die jedermann einleuchten muß, der es sieht, wie die Parteien in
allen Lagern einander in den unvernünftigsten Forderuuge» an den Staat
hinaustreiben, ebensosehr ans Gründen der Demagogie wie aus Unwissen¬
heit auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung. Gewiß würde auch eine
solche Versammlung, weil sie eben aus Menschen bestünde und von Menschen
berufen wäre, kein Bild der Vollkommenheit bieten; aber sie würde einerseits
durch die Öffentlichkeit ihrer Kritik sehr wichtige Bürgschaften gegen den Mi߬
brauch der Regierungsgewalt bieten, weil sie nach oben und nach unten hin
unabhängiger wäre als die heutigen repräsentativen Versammlungen, die mit
ihrem Mnunesstolz vor Königsthronen Feilheit nach oben und Kriecherei nach
unten zu dem abstoßenden Charakterbild des modernen Parlamentarismus ver¬
binden. Anderseits würden sie wieder eine kräftige Entfaltung der politischen
Individualität möglich machen; die Fesseln würden gesprengt werden, mit
denen heute auch der fähige Staatsmann an den öden Felsen der Demokratie
geschmiedet ist. Das hat aber das „alte faule Europa" nötig, wenn es den
Wettbewerb mit dem Osten und dem Westen aufnehmen will. Die politische
Kraft der Nationen liegt aber niemals in den Massen, sondern in den poli¬
tischen Individualitäten. Der wirkliche Fortschritt zeigt sich nur dort, wo sich
Ideen mit renler Macht paaren; Ideen aber entspringen nur dem Intellekte
des Einzelnen. Wo sich die unerfüllten Wünsche und die Bedürfnisse eines
Volkes vou Jahrzehnten und Jnhrhnnderten ans dem Empfinden der Masse
auf das Gehirn eines Einzelnen konzentriere» und dort die von einem starke»
Willen getragne befreiende Idee auslösen, dort und nur dort tritt die Souve¬
ränität eines Volkes in die Erscheinung, die man törichterweise durch Gesetze
der blinden Masse und ihre», parlamentarischen Extrakt zuerkennen wollte.
Solche Menschen sind sicher das Produkt eiuer langen und bedeutungsvolle»
Entwicklung ihres Volkes, gerade darin» sind sie aber mehr als dieses, darum
ist aber auch alle Demokratie kulturwidrig, weil sie die freie Entwicklung der
Politischen Individualität hemmt, auf der aller Fortschritt beruht.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240021"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Irrtümer der Demokratie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2392" prev="#ID_2391"> Volksvertreter rechtschaffen und weise sein kann, Warum, weiß niemand zu<lb/>
sagen; aber es ist einmal so, obgleich die Tatsachen nur zu oft das Gegenteil<lb/>
erweisen. So wühle man denn auch weiter. Weniger gleichgiltig ist es aber,<lb/>
wer das passive Wahlrecht hat. Und da muß denn erreicht werden, daß dieses<lb/>
Wahlrecht an Voraussetzungen gebunden wird, die eine Gewähr dafür bieten,<lb/>
daß der Gewühlte auch fähig sei, das ihm übertragne Amt zu versehen. Eine<lb/>
wirksame Kontrolle der Staatsverwaltung kann nur von dein ausgeübt werden,<lb/>
der das Nötige davon versteht, der selbst schon Gelegenheit gehabt hat, an<lb/>
der öffentlichen Verwaltung teilzunehmen und sich zu bewähren, also sowohl<lb/>
die Bedürfnisse als auch die Grenzen kennt, bis zu denen ihnen im Rahmen<lb/>
des ganzen Staatswesens Rechnung getragen werden kann. Das ist eine<lb/>
Forderung, die jedermann einleuchten muß, der es sieht, wie die Parteien in<lb/>
allen Lagern einander in den unvernünftigsten Forderuuge» an den Staat<lb/>
hinaustreiben, ebensosehr ans Gründen der Demagogie wie aus Unwissen¬<lb/>
heit auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung. Gewiß würde auch eine<lb/>
solche Versammlung, weil sie eben aus Menschen bestünde und von Menschen<lb/>
berufen wäre, kein Bild der Vollkommenheit bieten; aber sie würde einerseits<lb/>
durch die Öffentlichkeit ihrer Kritik sehr wichtige Bürgschaften gegen den Mi߬<lb/>
brauch der Regierungsgewalt bieten, weil sie nach oben und nach unten hin<lb/>
unabhängiger wäre als die heutigen repräsentativen Versammlungen, die mit<lb/>
ihrem Mnunesstolz vor Königsthronen Feilheit nach oben und Kriecherei nach<lb/>
unten zu dem abstoßenden Charakterbild des modernen Parlamentarismus ver¬<lb/>
binden. Anderseits würden sie wieder eine kräftige Entfaltung der politischen<lb/>
Individualität möglich machen; die Fesseln würden gesprengt werden, mit<lb/>
denen heute auch der fähige Staatsmann an den öden Felsen der Demokratie<lb/>
geschmiedet ist. Das hat aber das &#x201E;alte faule Europa" nötig, wenn es den<lb/>
Wettbewerb mit dem Osten und dem Westen aufnehmen will. Die politische<lb/>
Kraft der Nationen liegt aber niemals in den Massen, sondern in den poli¬<lb/>
tischen Individualitäten. Der wirkliche Fortschritt zeigt sich nur dort, wo sich<lb/>
Ideen mit renler Macht paaren; Ideen aber entspringen nur dem Intellekte<lb/>
des Einzelnen. Wo sich die unerfüllten Wünsche und die Bedürfnisse eines<lb/>
Volkes vou Jahrzehnten und Jnhrhnnderten ans dem Empfinden der Masse<lb/>
auf das Gehirn eines Einzelnen konzentriere» und dort die von einem starke»<lb/>
Willen getragne befreiende Idee auslösen, dort und nur dort tritt die Souve¬<lb/>
ränität eines Volkes in die Erscheinung, die man törichterweise durch Gesetze<lb/>
der blinden Masse und ihre», parlamentarischen Extrakt zuerkennen wollte.<lb/>
Solche Menschen sind sicher das Produkt eiuer langen und bedeutungsvolle»<lb/>
Entwicklung ihres Volkes, gerade darin» sind sie aber mehr als dieses, darum<lb/>
ist aber auch alle Demokratie kulturwidrig, weil sie die freie Entwicklung der<lb/>
Politischen Individualität hemmt, auf der aller Fortschritt beruht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Die Irrtümer der Demokratie Volksvertreter rechtschaffen und weise sein kann, Warum, weiß niemand zu sagen; aber es ist einmal so, obgleich die Tatsachen nur zu oft das Gegenteil erweisen. So wühle man denn auch weiter. Weniger gleichgiltig ist es aber, wer das passive Wahlrecht hat. Und da muß denn erreicht werden, daß dieses Wahlrecht an Voraussetzungen gebunden wird, die eine Gewähr dafür bieten, daß der Gewühlte auch fähig sei, das ihm übertragne Amt zu versehen. Eine wirksame Kontrolle der Staatsverwaltung kann nur von dein ausgeübt werden, der das Nötige davon versteht, der selbst schon Gelegenheit gehabt hat, an der öffentlichen Verwaltung teilzunehmen und sich zu bewähren, also sowohl die Bedürfnisse als auch die Grenzen kennt, bis zu denen ihnen im Rahmen des ganzen Staatswesens Rechnung getragen werden kann. Das ist eine Forderung, die jedermann einleuchten muß, der es sieht, wie die Parteien in allen Lagern einander in den unvernünftigsten Forderuuge» an den Staat hinaustreiben, ebensosehr ans Gründen der Demagogie wie aus Unwissen¬ heit auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung. Gewiß würde auch eine solche Versammlung, weil sie eben aus Menschen bestünde und von Menschen berufen wäre, kein Bild der Vollkommenheit bieten; aber sie würde einerseits durch die Öffentlichkeit ihrer Kritik sehr wichtige Bürgschaften gegen den Mi߬ brauch der Regierungsgewalt bieten, weil sie nach oben und nach unten hin unabhängiger wäre als die heutigen repräsentativen Versammlungen, die mit ihrem Mnunesstolz vor Königsthronen Feilheit nach oben und Kriecherei nach unten zu dem abstoßenden Charakterbild des modernen Parlamentarismus ver¬ binden. Anderseits würden sie wieder eine kräftige Entfaltung der politischen Individualität möglich machen; die Fesseln würden gesprengt werden, mit denen heute auch der fähige Staatsmann an den öden Felsen der Demokratie geschmiedet ist. Das hat aber das „alte faule Europa" nötig, wenn es den Wettbewerb mit dem Osten und dem Westen aufnehmen will. Die politische Kraft der Nationen liegt aber niemals in den Massen, sondern in den poli¬ tischen Individualitäten. Der wirkliche Fortschritt zeigt sich nur dort, wo sich Ideen mit renler Macht paaren; Ideen aber entspringen nur dem Intellekte des Einzelnen. Wo sich die unerfüllten Wünsche und die Bedürfnisse eines Volkes vou Jahrzehnten und Jnhrhnnderten ans dem Empfinden der Masse auf das Gehirn eines Einzelnen konzentriere» und dort die von einem starke» Willen getragne befreiende Idee auslösen, dort und nur dort tritt die Souve¬ ränität eines Volkes in die Erscheinung, die man törichterweise durch Gesetze der blinden Masse und ihre», parlamentarischen Extrakt zuerkennen wollte. Solche Menschen sind sicher das Produkt eiuer langen und bedeutungsvolle» Entwicklung ihres Volkes, gerade darin» sind sie aber mehr als dieses, darum ist aber auch alle Demokratie kulturwidrig, weil sie die freie Entwicklung der Politischen Individualität hemmt, auf der aller Fortschritt beruht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/465>, abgerufen am 28.07.2024.