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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Verwaltung
D Carl Ulonau on

is der Geheime Regierungsrat von Massow im Jahre 1894 an
den Verhältnissen der allgemeinen Staatsverwaltung Preußens
eine herbe Kritik übte/°) die Grunde des herrschenden Bureau¬
kratismus, der Langsamkeit des Geschäftsganges und der nutz¬
losen Vielschreiberei darlegte und sehr beachtenswerte Vorschläge
für eine Reform machte, da hat der Schreiber dieses Aufsatzes und mit ihm
vielleicht mancher Wohlmeinende geglaubt, daß diese Anregungen die Veranlassung
zu zeitgemäßen Verbesserungen geben würden. In einem Aufsatze der Grenz¬
boten wurde damals sogar gesagt, daß die Gesellschaft von allen guten Geistern
verlassen sein müßte, wenn sie an diesem Buche stumpfsinnig vorüberginge.
Es ist aber alles beim alten geblieben, nicht einmal der Versuch ist gemacht
worden, die preußische Verwaltung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen. Die
Klagen über die Mängel dieser Verwaltung sind allerdings niemals verstummt,
von Zeit zu Zeit gelangen sie in die Presse, aber im allgemeinen beschäftigt man
sich nur wenig mit diesen Dingen, die doch eigentlich jeden angehn. Das
Publikum erträgt es geduldig, wenn es Wochen-, oft monatelang auf einen
Bescheid warten muß. Während alles vorwärts drängt, das Leben sich immer
intensiver gestaltet, und Zeitersparnis auch bei uus Geld bedeutet, nimmt man
es ruhig hin, daß die Staatsverwaltung als ein Anachronismus fortbesteht,
als ob das so sein müßte. Im Parlament haben allerdings einige Abgeordnete
mehrfach auf die Notwendigkeit einer Reform hingewiesen, besonders Freiherr
von Zedlitz ist für eine weitgehende Dezentralisation eingetreten, aber mit be-
sonderen Nachdruck ist auch das uicht geschehn, und jedenfalls hat es keinen
Erfolg gehabt. In Preußen sind bisher alle Impulse vom Königtum aus¬
gegangen, die preußische" Könige aber, deren Vorfahren die Verwaltung ge¬
schaffen und groß gemacht haben, sind seit einem Jahrhundert etwa neben ihrer
vornehmsten Aufgabe, der Sorge für die Wehrhaftigkeit des Volks, durch die
Politik und die Fülle von Pflichten, die an sie herantreten, so in Anspruch
genommen, daß die Beziehungen zwischen dem Monarchen und der Verwaltung



*) von Mnssow, Reform oder Revolution, Kap. VII.
Grenzboten t 1903S6


Zur Reform der preußischen Verwaltung
D Carl Ulonau on

is der Geheime Regierungsrat von Massow im Jahre 1894 an
den Verhältnissen der allgemeinen Staatsverwaltung Preußens
eine herbe Kritik übte/°) die Grunde des herrschenden Bureau¬
kratismus, der Langsamkeit des Geschäftsganges und der nutz¬
losen Vielschreiberei darlegte und sehr beachtenswerte Vorschläge
für eine Reform machte, da hat der Schreiber dieses Aufsatzes und mit ihm
vielleicht mancher Wohlmeinende geglaubt, daß diese Anregungen die Veranlassung
zu zeitgemäßen Verbesserungen geben würden. In einem Aufsatze der Grenz¬
boten wurde damals sogar gesagt, daß die Gesellschaft von allen guten Geistern
verlassen sein müßte, wenn sie an diesem Buche stumpfsinnig vorüberginge.
Es ist aber alles beim alten geblieben, nicht einmal der Versuch ist gemacht
worden, die preußische Verwaltung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen. Die
Klagen über die Mängel dieser Verwaltung sind allerdings niemals verstummt,
von Zeit zu Zeit gelangen sie in die Presse, aber im allgemeinen beschäftigt man
sich nur wenig mit diesen Dingen, die doch eigentlich jeden angehn. Das
Publikum erträgt es geduldig, wenn es Wochen-, oft monatelang auf einen
Bescheid warten muß. Während alles vorwärts drängt, das Leben sich immer
intensiver gestaltet, und Zeitersparnis auch bei uus Geld bedeutet, nimmt man
es ruhig hin, daß die Staatsverwaltung als ein Anachronismus fortbesteht,
als ob das so sein müßte. Im Parlament haben allerdings einige Abgeordnete
mehrfach auf die Notwendigkeit einer Reform hingewiesen, besonders Freiherr
von Zedlitz ist für eine weitgehende Dezentralisation eingetreten, aber mit be-
sonderen Nachdruck ist auch das uicht geschehn, und jedenfalls hat es keinen
Erfolg gehabt. In Preußen sind bisher alle Impulse vom Königtum aus¬
gegangen, die preußische» Könige aber, deren Vorfahren die Verwaltung ge¬
schaffen und groß gemacht haben, sind seit einem Jahrhundert etwa neben ihrer
vornehmsten Aufgabe, der Sorge für die Wehrhaftigkeit des Volks, durch die
Politik und die Fülle von Pflichten, die an sie herantreten, so in Anspruch
genommen, daß die Beziehungen zwischen dem Monarchen und der Verwaltung



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[0445] [Abbildung] Zur Reform der preußischen Verwaltung D Carl Ulonau on is der Geheime Regierungsrat von Massow im Jahre 1894 an den Verhältnissen der allgemeinen Staatsverwaltung Preußens eine herbe Kritik übte/°) die Grunde des herrschenden Bureau¬ kratismus, der Langsamkeit des Geschäftsganges und der nutz¬ losen Vielschreiberei darlegte und sehr beachtenswerte Vorschläge für eine Reform machte, da hat der Schreiber dieses Aufsatzes und mit ihm vielleicht mancher Wohlmeinende geglaubt, daß diese Anregungen die Veranlassung zu zeitgemäßen Verbesserungen geben würden. In einem Aufsatze der Grenz¬ boten wurde damals sogar gesagt, daß die Gesellschaft von allen guten Geistern verlassen sein müßte, wenn sie an diesem Buche stumpfsinnig vorüberginge. Es ist aber alles beim alten geblieben, nicht einmal der Versuch ist gemacht worden, die preußische Verwaltung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen. Die Klagen über die Mängel dieser Verwaltung sind allerdings niemals verstummt, von Zeit zu Zeit gelangen sie in die Presse, aber im allgemeinen beschäftigt man sich nur wenig mit diesen Dingen, die doch eigentlich jeden angehn. Das Publikum erträgt es geduldig, wenn es Wochen-, oft monatelang auf einen Bescheid warten muß. Während alles vorwärts drängt, das Leben sich immer intensiver gestaltet, und Zeitersparnis auch bei uus Geld bedeutet, nimmt man es ruhig hin, daß die Staatsverwaltung als ein Anachronismus fortbesteht, als ob das so sein müßte. Im Parlament haben allerdings einige Abgeordnete mehrfach auf die Notwendigkeit einer Reform hingewiesen, besonders Freiherr von Zedlitz ist für eine weitgehende Dezentralisation eingetreten, aber mit be- sonderen Nachdruck ist auch das uicht geschehn, und jedenfalls hat es keinen Erfolg gehabt. In Preußen sind bisher alle Impulse vom Königtum aus¬ gegangen, die preußische» Könige aber, deren Vorfahren die Verwaltung ge¬ schaffen und groß gemacht haben, sind seit einem Jahrhundert etwa neben ihrer vornehmsten Aufgabe, der Sorge für die Wehrhaftigkeit des Volks, durch die Politik und die Fülle von Pflichten, die an sie herantreten, so in Anspruch genommen, daß die Beziehungen zwischen dem Monarchen und der Verwaltung *) von Mnssow, Reform oder Revolution, Kap. VII. Grenzboten t 1903S6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/445>, abgerufen am 24.11.2024.