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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Es fragt sich allerdings, wie lange Ferid Pascha auf seinem hohen Posten
verbleiben wird, wenn die Mächte nicht dauernd die Verfolgung des makedonischer
Neformplanes scharf im Auge behalten. Für näher absehbare Zeit ist diese Möglich¬
keit ja ziemlich ausgeschlossen, und wenn unter dem neuen Großvezierat nach den
Reformplänen auch die entsprechende Gesetzgebung und administrative Neuregelung
mit Beschleunigung und Ernsthaftigkeit ins Werk gesetzt würde, so könnte für Make¬
donien schon etwas Positives Herauskommen.

Vorläufig ist nur das Reformprogramm der Hohen Pforte leider ganz lücken¬
haft und unzulänglich, indem es teils "Neuerungen" treffen will, die längst Gesetz
sind oder sein sollen (z. B. die Hinzuziehung von Christen zu gewissen Gerichts¬
und Verwaltungskörperschaften), und indem es ferner nebensächliche Dinge betont,
die wichtigsten hingegen -- dio dö-si-ot agM -- mit Schweigen übergeht! So
die Praxis der Eintreibung des "Zehnten," der Abgabe, die die christlichen
Bauern, die "Rajah" (d. h. türkisch "Herde"), nachdem sie an die muselmännischen
Bcys und Agas, die Grundbesitzer, ein Drittel ihres Gewinns entrichtet haben,
noch an die Regierung steuern müssen. Diese zieht den Zehnten nicht etwa durch
ihre Organe nach sachgemäßer Veranschlagung oder gar nach Selbsteinschätzung
der Zensiten ein, sondern sie vergibt das Recht der Steuereinziehung für die ein¬
zelnen Bezirke in förmlicher Auktion wieder an die moslemitischen Herren, die
meistenteils die Muftis der betreffenden Bezirke sind. Wer aber den von den
"Rajah" zu entrichtenden Zehnten abzuschätzen hat, ist kein Geringerer als der --
Feldhüter, der natürlich ganz im Sinne des genannten Gestrengen "abschätzt" --
xs,r orärs an Noutti! ... Da ist es denn nichts weniger als eine Ausnahme, daß
dem christlichen Bauern von dem türkischen Machthaber als "Zehnter" ein Drittel, die
Hälfte oder auch alles von seinem verdienten Hab und Gut abgenommen wird.

Eine weitere brennende Frage, eine Quelle fortwährender schwerer Beunruhi¬
gungen, ja blutiger Vergewaltigungen der arbeitenden christlichen dnrch die Weniger
arbeitsame aber umso händelsüchtigere albanesische Bevölkerung und sogar dnrch An¬
gehörige der Sarasowscheu und Zontschewschen bnlgarisch-makedonischer Komitees ist
das Verbot des Waffentragens für die Christen, sowie die Nichtanerkennung der
serbischen Nationalität in Makedonien und dem dazugehörigen Altserbien, obwohl
die weitüberwiegende Mehrzahl der Bewohner dieser Gebiete, über 1^ Millionen,
serbischen Stammes sind! Es braucht auf die UnHaltbarkeit dieser Zustände wohl nicht
besonders hingewiesen zu werden, da sie durch die blutigen Zusammenstöße in jenen
Gegenden und die Massenflucht der Rechtlosen und Wehrlosen über die Grenze,
die aller paar Tage der Draht meldet, genugsam illustriert wird.

Diese Mißstände sind es jedenfalls, die vor allem schleunige Abhilfe er¬
heischen! Im übrigen wird Wohl auf keiner der außenstehenden Seiten verkannt
werden können -- und zwar im Interesse des internationalen Friedens --, daß für
die Gegenwart die Erhaltung des territorialen und landesherrlichen se-roh o.ne>,
unter Einführung und Durchführung der oben betonten Verwaltnngsreformen, der
einzig und allein zu verfolgende Zweck jeder Vorstellung und sonstigen diplo¬
matischen Aktion sein kann. Auf diese Reformen müßte allerdings mit allem Nach¬
druck gedrungen werden.

Ju der "Peterburgskija Wjedomosti" hat nun der russische Politiker Fürst
Uchtomski dieser Tage einen Artikel veröffentlicht, der, wenn als nichts andres,
so doch als beachtenswertes Symptom dafür anzusehen ist, daß die russische Politik
wegen Makedoniens in der Tat ganz Positives im Sinne hat. Fürst Uchtomski
gibt dem Wunsche Ausdruck, man möge in Deutschland einsehen, daß Rußland der
Vergewaltigung christlich-slavischer Brüder in der Türkei nicht untätig zusehen
könne, und er hofft, daß Deutschland den Russen wegen Makedoniens "in der
nächsten Zukunft nicht eine bittere Enttäuschung bereiten werde, ähnlich der des
Berliner Vertrags." Nun, das von dem russischen Politiker gewünschte deutsche "Ein¬
sehe"" ist wohl schon vorhanden. Und auch eine "bittere Enttäuschung" wird Deutsch¬
land dein Nachbarn, mit dem es schon so lange in Frieden lebt, sicher nicht be-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Es fragt sich allerdings, wie lange Ferid Pascha auf seinem hohen Posten
verbleiben wird, wenn die Mächte nicht dauernd die Verfolgung des makedonischer
Neformplanes scharf im Auge behalten. Für näher absehbare Zeit ist diese Möglich¬
keit ja ziemlich ausgeschlossen, und wenn unter dem neuen Großvezierat nach den
Reformplänen auch die entsprechende Gesetzgebung und administrative Neuregelung
mit Beschleunigung und Ernsthaftigkeit ins Werk gesetzt würde, so könnte für Make¬
donien schon etwas Positives Herauskommen.

Vorläufig ist nur das Reformprogramm der Hohen Pforte leider ganz lücken¬
haft und unzulänglich, indem es teils „Neuerungen" treffen will, die längst Gesetz
sind oder sein sollen (z. B. die Hinzuziehung von Christen zu gewissen Gerichts¬
und Verwaltungskörperschaften), und indem es ferner nebensächliche Dinge betont,
die wichtigsten hingegen — dio dö-si-ot agM — mit Schweigen übergeht! So
die Praxis der Eintreibung des „Zehnten," der Abgabe, die die christlichen
Bauern, die „Rajah" (d. h. türkisch „Herde"), nachdem sie an die muselmännischen
Bcys und Agas, die Grundbesitzer, ein Drittel ihres Gewinns entrichtet haben,
noch an die Regierung steuern müssen. Diese zieht den Zehnten nicht etwa durch
ihre Organe nach sachgemäßer Veranschlagung oder gar nach Selbsteinschätzung
der Zensiten ein, sondern sie vergibt das Recht der Steuereinziehung für die ein¬
zelnen Bezirke in förmlicher Auktion wieder an die moslemitischen Herren, die
meistenteils die Muftis der betreffenden Bezirke sind. Wer aber den von den
„Rajah" zu entrichtenden Zehnten abzuschätzen hat, ist kein Geringerer als der —
Feldhüter, der natürlich ganz im Sinne des genannten Gestrengen „abschätzt" —
xs,r orärs an Noutti! ... Da ist es denn nichts weniger als eine Ausnahme, daß
dem christlichen Bauern von dem türkischen Machthaber als „Zehnter" ein Drittel, die
Hälfte oder auch alles von seinem verdienten Hab und Gut abgenommen wird.

Eine weitere brennende Frage, eine Quelle fortwährender schwerer Beunruhi¬
gungen, ja blutiger Vergewaltigungen der arbeitenden christlichen dnrch die Weniger
arbeitsame aber umso händelsüchtigere albanesische Bevölkerung und sogar dnrch An¬
gehörige der Sarasowscheu und Zontschewschen bnlgarisch-makedonischer Komitees ist
das Verbot des Waffentragens für die Christen, sowie die Nichtanerkennung der
serbischen Nationalität in Makedonien und dem dazugehörigen Altserbien, obwohl
die weitüberwiegende Mehrzahl der Bewohner dieser Gebiete, über 1^ Millionen,
serbischen Stammes sind! Es braucht auf die UnHaltbarkeit dieser Zustände wohl nicht
besonders hingewiesen zu werden, da sie durch die blutigen Zusammenstöße in jenen
Gegenden und die Massenflucht der Rechtlosen und Wehrlosen über die Grenze,
die aller paar Tage der Draht meldet, genugsam illustriert wird.

Diese Mißstände sind es jedenfalls, die vor allem schleunige Abhilfe er¬
heischen! Im übrigen wird Wohl auf keiner der außenstehenden Seiten verkannt
werden können — und zwar im Interesse des internationalen Friedens —, daß für
die Gegenwart die Erhaltung des territorialen und landesherrlichen se-roh o.ne>,
unter Einführung und Durchführung der oben betonten Verwaltnngsreformen, der
einzig und allein zu verfolgende Zweck jeder Vorstellung und sonstigen diplo¬
matischen Aktion sein kann. Auf diese Reformen müßte allerdings mit allem Nach¬
druck gedrungen werden.

Ju der „Peterburgskija Wjedomosti" hat nun der russische Politiker Fürst
Uchtomski dieser Tage einen Artikel veröffentlicht, der, wenn als nichts andres,
so doch als beachtenswertes Symptom dafür anzusehen ist, daß die russische Politik
wegen Makedoniens in der Tat ganz Positives im Sinne hat. Fürst Uchtomski
gibt dem Wunsche Ausdruck, man möge in Deutschland einsehen, daß Rußland der
Vergewaltigung christlich-slavischer Brüder in der Türkei nicht untätig zusehen
könne, und er hofft, daß Deutschland den Russen wegen Makedoniens „in der
nächsten Zukunft nicht eine bittere Enttäuschung bereiten werde, ähnlich der des
Berliner Vertrags." Nun, das von dem russischen Politiker gewünschte deutsche „Ein¬
sehe»" ist wohl schon vorhanden. Und auch eine „bittere Enttäuschung" wird Deutsch¬
land dein Nachbarn, mit dem es schon so lange in Frieden lebt, sicher nicht be-


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[0439] Maßgebliches und Unmaßgebliches Es fragt sich allerdings, wie lange Ferid Pascha auf seinem hohen Posten verbleiben wird, wenn die Mächte nicht dauernd die Verfolgung des makedonischer Neformplanes scharf im Auge behalten. Für näher absehbare Zeit ist diese Möglich¬ keit ja ziemlich ausgeschlossen, und wenn unter dem neuen Großvezierat nach den Reformplänen auch die entsprechende Gesetzgebung und administrative Neuregelung mit Beschleunigung und Ernsthaftigkeit ins Werk gesetzt würde, so könnte für Make¬ donien schon etwas Positives Herauskommen. Vorläufig ist nur das Reformprogramm der Hohen Pforte leider ganz lücken¬ haft und unzulänglich, indem es teils „Neuerungen" treffen will, die längst Gesetz sind oder sein sollen (z. B. die Hinzuziehung von Christen zu gewissen Gerichts¬ und Verwaltungskörperschaften), und indem es ferner nebensächliche Dinge betont, die wichtigsten hingegen — dio dö-si-ot agM — mit Schweigen übergeht! So die Praxis der Eintreibung des „Zehnten," der Abgabe, die die christlichen Bauern, die „Rajah" (d. h. türkisch „Herde"), nachdem sie an die muselmännischen Bcys und Agas, die Grundbesitzer, ein Drittel ihres Gewinns entrichtet haben, noch an die Regierung steuern müssen. Diese zieht den Zehnten nicht etwa durch ihre Organe nach sachgemäßer Veranschlagung oder gar nach Selbsteinschätzung der Zensiten ein, sondern sie vergibt das Recht der Steuereinziehung für die ein¬ zelnen Bezirke in förmlicher Auktion wieder an die moslemitischen Herren, die meistenteils die Muftis der betreffenden Bezirke sind. Wer aber den von den „Rajah" zu entrichtenden Zehnten abzuschätzen hat, ist kein Geringerer als der — Feldhüter, der natürlich ganz im Sinne des genannten Gestrengen „abschätzt" — xs,r orärs an Noutti! ... Da ist es denn nichts weniger als eine Ausnahme, daß dem christlichen Bauern von dem türkischen Machthaber als „Zehnter" ein Drittel, die Hälfte oder auch alles von seinem verdienten Hab und Gut abgenommen wird. Eine weitere brennende Frage, eine Quelle fortwährender schwerer Beunruhi¬ gungen, ja blutiger Vergewaltigungen der arbeitenden christlichen dnrch die Weniger arbeitsame aber umso händelsüchtigere albanesische Bevölkerung und sogar dnrch An¬ gehörige der Sarasowscheu und Zontschewschen bnlgarisch-makedonischer Komitees ist das Verbot des Waffentragens für die Christen, sowie die Nichtanerkennung der serbischen Nationalität in Makedonien und dem dazugehörigen Altserbien, obwohl die weitüberwiegende Mehrzahl der Bewohner dieser Gebiete, über 1^ Millionen, serbischen Stammes sind! Es braucht auf die UnHaltbarkeit dieser Zustände wohl nicht besonders hingewiesen zu werden, da sie durch die blutigen Zusammenstöße in jenen Gegenden und die Massenflucht der Rechtlosen und Wehrlosen über die Grenze, die aller paar Tage der Draht meldet, genugsam illustriert wird. Diese Mißstände sind es jedenfalls, die vor allem schleunige Abhilfe er¬ heischen! Im übrigen wird Wohl auf keiner der außenstehenden Seiten verkannt werden können — und zwar im Interesse des internationalen Friedens —, daß für die Gegenwart die Erhaltung des territorialen und landesherrlichen se-roh o.ne>, unter Einführung und Durchführung der oben betonten Verwaltnngsreformen, der einzig und allein zu verfolgende Zweck jeder Vorstellung und sonstigen diplo¬ matischen Aktion sein kann. Auf diese Reformen müßte allerdings mit allem Nach¬ druck gedrungen werden. Ju der „Peterburgskija Wjedomosti" hat nun der russische Politiker Fürst Uchtomski dieser Tage einen Artikel veröffentlicht, der, wenn als nichts andres, so doch als beachtenswertes Symptom dafür anzusehen ist, daß die russische Politik wegen Makedoniens in der Tat ganz Positives im Sinne hat. Fürst Uchtomski gibt dem Wunsche Ausdruck, man möge in Deutschland einsehen, daß Rußland der Vergewaltigung christlich-slavischer Brüder in der Türkei nicht untätig zusehen könne, und er hofft, daß Deutschland den Russen wegen Makedoniens „in der nächsten Zukunft nicht eine bittere Enttäuschung bereiten werde, ähnlich der des Berliner Vertrags." Nun, das von dem russischen Politiker gewünschte deutsche „Ein¬ sehe»" ist wohl schon vorhanden. Und auch eine „bittere Enttäuschung" wird Deutsch¬ land dein Nachbarn, mit dem es schon so lange in Frieden lebt, sicher nicht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/439>, abgerufen am 27.07.2024.