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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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ihrer Nester meinen Horst banen, und ein Tag wird kommen, wo es vom
Fuße der Alpen bis zum sizilischen Meere keine andre Herrschaft mehr
geben wird als die meine. Und ich weiß wirklich nicht, welches von den
dreien mir mehr Vergnügen machen wird, die elenden französischen und deutschen
Barbaren verjagen, die Herzöge, Prinzen und Podcstas hängen, über ein so
schönes Reich herrschen." Die Bauern und die Bürger gewinnt er für sich,
indem er strenge Mannszucht hüte und nicht duldet, daß sich seine Soldaten
an ihnen vergreifen. Bauern schinden, den Spaß mögen sich die italienischen
Landsknechte in Deutschland erlauben, nicht in der Heimat. In den Lagern
sind wir Zeugen, wie die Condottieri, die Abgesandten Cesars und der übrigen
großen und kleinen Mächte miteinander feilschen und einander betrügen, sich
bald über die greuelvolle, für sie aber sehr interessante Kriegführung, bei der
immer nur die Wehrlosen, niemals die Söldlinge bluten, bald über Literatur
und Kunst unterhalten. Denn die Kerle sind alle Kunstkenner geworden und
imstande, sich mit einem Gemälde, mit einem Schmuck, der Kunstwert hat,
bestechen und übertölpeln zu lassen; Bravi lesen den Plutarch und ergötzen
sich dabei zur Abwechslung an neu erfundnen Methoden des Meuchelmords.
Franz von Frankreich wird ungeduldig, weil sich seine Tölpel nicht rasch
genug bilden lassen; seine Maitresse lernt besser. In den Kirchen sehen wir,
wie es die schwatzenden Domherren, die Ablaßkrämer, die Hausierer, die Kuppler,
die Ehebrecherinnen, die Verschwörer treiben. Cesare vollführt seinen großen
Streich und läßt die Coudottieri hängen, die ihm vertrauensvoll ins Garn
gegangen sind. Nachdem er an ihrer Wut, ihrem Gebrüll und ihrem Todes-
röcheln sein Herz erfrischt hat, plaudert er mit Machiavelli über Virgil und
schwärmt bei süßer Musik ästhetisch. Mit dem Vater bereitet er die Ver¬
giftung der unbequemen Kardinäle vor, aber unglücklicherweise hat der Papst,
was ihm sonst nie passiert, seinen Talisman nicht bei sich, ein goldnes
Büchschen mit einer kousekrierten Hostie, und so werden denn die Flaschen
verwechselt: Alexander und Cesar trinken den Giftwein. Mit den Füßen
stampfen fluchende Packträger den aufgedunsenen Leichnam des Papstes in den
Sarg hinein. Cesars kräftiger Körper überwindet das Gift, aber seine letzten
Anschläge mißlingen, und wir sehen ihn in finstrer, kalter Nacht, seinem
spanischen Gefängnis entkommen, in der Uniform eines gemeinen Soldaten
sterben. Sein Freund und getreuer Diener Michele ruft ihm nach: "Zertreten
in? Kot wie ein Wurm . . . er, der stolzeste der Dämonen! Tausend Millionen
Teufel! . . . Bleiben wir nicht hier; kommt uns Wärmen!"

In tiefem Gram gedenkt seine fromme Schwägerin, die verwitwete Her¬
zogin von Gambia, der Greuel ihres Hauses, während ihre Tochter Isabella
meint: "Ich hasse diese böse Welt nicht, von der man mir erzählt; sie er¬
schreckt mich nicht; sie ist mir nichts. Sie umgibt mich vielleicht, aber sie ver¬
mag nichts über mich, und wenn ich an sie denke, so kommt es über mich wie
eine reine Freude, weil ich erkenne, daß ich nichts gemein habe weder mit dem,
was sie liebt, noch mit dem, was sie null." Der Vertraute der beiden Frauen
aber, ein Mönch, erwidert: "So entnehmet ihr beide denselben Gegenständen
eine ganz verschiedne Nahrung für das Gemüt. Ihr, edle Fran -- die schlüge


ihrer Nester meinen Horst banen, und ein Tag wird kommen, wo es vom
Fuße der Alpen bis zum sizilischen Meere keine andre Herrschaft mehr
geben wird als die meine. Und ich weiß wirklich nicht, welches von den
dreien mir mehr Vergnügen machen wird, die elenden französischen und deutschen
Barbaren verjagen, die Herzöge, Prinzen und Podcstas hängen, über ein so
schönes Reich herrschen." Die Bauern und die Bürger gewinnt er für sich,
indem er strenge Mannszucht hüte und nicht duldet, daß sich seine Soldaten
an ihnen vergreifen. Bauern schinden, den Spaß mögen sich die italienischen
Landsknechte in Deutschland erlauben, nicht in der Heimat. In den Lagern
sind wir Zeugen, wie die Condottieri, die Abgesandten Cesars und der übrigen
großen und kleinen Mächte miteinander feilschen und einander betrügen, sich
bald über die greuelvolle, für sie aber sehr interessante Kriegführung, bei der
immer nur die Wehrlosen, niemals die Söldlinge bluten, bald über Literatur
und Kunst unterhalten. Denn die Kerle sind alle Kunstkenner geworden und
imstande, sich mit einem Gemälde, mit einem Schmuck, der Kunstwert hat,
bestechen und übertölpeln zu lassen; Bravi lesen den Plutarch und ergötzen
sich dabei zur Abwechslung an neu erfundnen Methoden des Meuchelmords.
Franz von Frankreich wird ungeduldig, weil sich seine Tölpel nicht rasch
genug bilden lassen; seine Maitresse lernt besser. In den Kirchen sehen wir,
wie es die schwatzenden Domherren, die Ablaßkrämer, die Hausierer, die Kuppler,
die Ehebrecherinnen, die Verschwörer treiben. Cesare vollführt seinen großen
Streich und läßt die Coudottieri hängen, die ihm vertrauensvoll ins Garn
gegangen sind. Nachdem er an ihrer Wut, ihrem Gebrüll und ihrem Todes-
röcheln sein Herz erfrischt hat, plaudert er mit Machiavelli über Virgil und
schwärmt bei süßer Musik ästhetisch. Mit dem Vater bereitet er die Ver¬
giftung der unbequemen Kardinäle vor, aber unglücklicherweise hat der Papst,
was ihm sonst nie passiert, seinen Talisman nicht bei sich, ein goldnes
Büchschen mit einer kousekrierten Hostie, und so werden denn die Flaschen
verwechselt: Alexander und Cesar trinken den Giftwein. Mit den Füßen
stampfen fluchende Packträger den aufgedunsenen Leichnam des Papstes in den
Sarg hinein. Cesars kräftiger Körper überwindet das Gift, aber seine letzten
Anschläge mißlingen, und wir sehen ihn in finstrer, kalter Nacht, seinem
spanischen Gefängnis entkommen, in der Uniform eines gemeinen Soldaten
sterben. Sein Freund und getreuer Diener Michele ruft ihm nach: „Zertreten
in? Kot wie ein Wurm . . . er, der stolzeste der Dämonen! Tausend Millionen
Teufel! . . . Bleiben wir nicht hier; kommt uns Wärmen!"

In tiefem Gram gedenkt seine fromme Schwägerin, die verwitwete Her¬
zogin von Gambia, der Greuel ihres Hauses, während ihre Tochter Isabella
meint: „Ich hasse diese böse Welt nicht, von der man mir erzählt; sie er¬
schreckt mich nicht; sie ist mir nichts. Sie umgibt mich vielleicht, aber sie ver¬
mag nichts über mich, und wenn ich an sie denke, so kommt es über mich wie
eine reine Freude, weil ich erkenne, daß ich nichts gemein habe weder mit dem,
was sie liebt, noch mit dem, was sie null." Der Vertraute der beiden Frauen
aber, ein Mönch, erwidert: „So entnehmet ihr beide denselben Gegenständen
eine ganz verschiedne Nahrung für das Gemüt. Ihr, edle Fran — die schlüge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/40>, abgerufen am 24.11.2024.