Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Katheder lind Ränzel im preußischen Protestantismus fordern, sei unmöglich. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom Ein großes Maß gute" Willens, weiser Mäßigung, pädagogischer Rück¬ Katheder lind Ränzel im preußischen Protestantismus fordern, sei unmöglich. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom Ein großes Maß gute« Willens, weiser Mäßigung, pädagogischer Rück¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239892"/> <fw type="header" place="top"> Katheder lind Ränzel im preußischen Protestantismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1671" prev="#ID_1670"> fordern, sei unmöglich. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom<lb/> .Kirchenregiment an den Glaubenstand der angehenden und amtierenden Geist¬<lb/> lichen gestellt würden, sei möglich. Und wie formuliert er diese Änderung<lb/> der Anforderungen an den Glaubenstand"? Nicht werde verlangt, daß die<lb/> Herren vom Kirchenregimeut ihre Überzeugung wandeln, daß sie den streng<lb/> orthodoxen Standpunkt, sofern sie auf ihm stehn, verlassen. Nur ,,Duldung"<lb/> solcher Anschauungen, wie sie auf den Universitäten als Ergebnisse wissenschaft¬<lb/> licher Forschung von streng religiös gesinnten Theologen vertreten würden, auch<lb/> bei den in das Pfarramt eintretenden angehenden Geistlichen sei es, was ver¬<lb/> langt werden dürfe. Mir scheint, dem treffend und scharf gestellten Problem wird<lb/> diese Antwort deun doch nicht ganz gerecht. Für die Befähigung zum geistlichen<lb/> Amt ist ein dreijähriges Studium der Theologie auf einer Universität und der<lb/> Nachweis der durch dieses Studium erlangten wissenschaftlichen Bildung die<lb/> erste und hauptsächlichste gesetzlich vorgeschriebue Voraussetzung. Und doch<lb/> soll diese wissenschaftliche Bildung, die Frucht des Studiums, die den Theologen<lb/> doch zum Theologen macht und sein ganzes Geistesleben beherrschen muß, im<lb/> geistlichen Amt, ans der Kanzel, vor dem Altar, im Unterricht und in der<lb/> Seelsorge nur auf eine, d. h. eine dem persönlichen Ermessen mehr oder weniger<lb/> überlassene „Duldung" der das Kirchenregimeut bildenden Obern — die<lb/> Lehmann als orthodox voraussetzt — rechnen dürfen? Im besten Falle vielleicht<lb/> mit dem Recht der Berufung an die Mehrheit der brandenburgischen Provinziell<lb/> Synode, die soeben fast einstimmig den Antrag Baethgen-Stöcker angenommen<lb/> hat? Das halte ich weder praktisch noch theoretisch für die richtige, dauernde<lb/> Lösung des Problems. Was nach der kircheugcsetzlicheu Lage — zu deren<lb/> Kennzeichnung ich den Hauptinhalt des Ordinationsgelübdes mitgeteilt habe —<lb/> an „Duldung" zu leisten möglich ist, das wird vielfach in weitgehendem<lb/> Maße schon jetzt geleistet, und aufrichtigen Dank zollen dafür die „liberalen"<lb/> protestantischen Theologen im Berliner Kirchendienst den wenigen hochgebildeten,<lb/> maßvollen und friedfertigen Persönlichkeiten, die diese Duldung trotz des un¬<lb/> duldsame» Drängens der orthodoxen Mehrheit in den Synoden, in den Ge¬<lb/> meinden, im „Klerus" und auch in kirchenregimentlichen Behörden noch immer<lb/> in vielen Fällen durchzusetzen vermögen. In vielen Fällen, aber nicht immer,<lb/> und am wenigsten auf die Dauer. So lauge die „Duldung" nicht kirchen¬<lb/> gesetzlich gesichert ist, so lange sie namentlich nicht auch in der Agende — nicht<lb/> nur in ihren Vorschriften über die Ordination — zur angemessenen Anerkennung<lb/> gelangt ist, ist und bleibt sie ein trauriger Notbehelf, durch den die Orthodoxie<lb/> nur immer wieder zu neuen Versuche«, auf das „Wort" pochend, reinen Tisch<lb/> zu mache«, ganz ihrem Geist die Alleinherrschaft zu verschaffen angespornt wird.<lb/> Wer den Fakultäten die wissenschaftliche Freiheit erhalten will, der darf auch<lb/> die durch sie wissenschaftlich gebildeten Theologen auf der Kanzel nicht dem<lb/> gute« oder nicht guten Willen der diese wissenschaftliche Bildung als unver¬<lb/> träglich mit dem Bestände der Kirche bekämpfenden Orthodoxie preisgeben. A«<lb/> die Stelle der Duldung muß die Gleichberechtigung treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1672" next="#ID_1673"> Ein großes Maß gute« Willens, weiser Mäßigung, pädagogischer Rück¬<lb/> sichten, aber vor allem auch festen Willens, lutherischer Energie gehört freilich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0336]
Katheder lind Ränzel im preußischen Protestantismus
fordern, sei unmöglich. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom
.Kirchenregiment an den Glaubenstand der angehenden und amtierenden Geist¬
lichen gestellt würden, sei möglich. Und wie formuliert er diese Änderung
der Anforderungen an den Glaubenstand"? Nicht werde verlangt, daß die
Herren vom Kirchenregimeut ihre Überzeugung wandeln, daß sie den streng
orthodoxen Standpunkt, sofern sie auf ihm stehn, verlassen. Nur ,,Duldung"
solcher Anschauungen, wie sie auf den Universitäten als Ergebnisse wissenschaft¬
licher Forschung von streng religiös gesinnten Theologen vertreten würden, auch
bei den in das Pfarramt eintretenden angehenden Geistlichen sei es, was ver¬
langt werden dürfe. Mir scheint, dem treffend und scharf gestellten Problem wird
diese Antwort deun doch nicht ganz gerecht. Für die Befähigung zum geistlichen
Amt ist ein dreijähriges Studium der Theologie auf einer Universität und der
Nachweis der durch dieses Studium erlangten wissenschaftlichen Bildung die
erste und hauptsächlichste gesetzlich vorgeschriebue Voraussetzung. Und doch
soll diese wissenschaftliche Bildung, die Frucht des Studiums, die den Theologen
doch zum Theologen macht und sein ganzes Geistesleben beherrschen muß, im
geistlichen Amt, ans der Kanzel, vor dem Altar, im Unterricht und in der
Seelsorge nur auf eine, d. h. eine dem persönlichen Ermessen mehr oder weniger
überlassene „Duldung" der das Kirchenregimeut bildenden Obern — die
Lehmann als orthodox voraussetzt — rechnen dürfen? Im besten Falle vielleicht
mit dem Recht der Berufung an die Mehrheit der brandenburgischen Provinziell
Synode, die soeben fast einstimmig den Antrag Baethgen-Stöcker angenommen
hat? Das halte ich weder praktisch noch theoretisch für die richtige, dauernde
Lösung des Problems. Was nach der kircheugcsetzlicheu Lage — zu deren
Kennzeichnung ich den Hauptinhalt des Ordinationsgelübdes mitgeteilt habe —
an „Duldung" zu leisten möglich ist, das wird vielfach in weitgehendem
Maße schon jetzt geleistet, und aufrichtigen Dank zollen dafür die „liberalen"
protestantischen Theologen im Berliner Kirchendienst den wenigen hochgebildeten,
maßvollen und friedfertigen Persönlichkeiten, die diese Duldung trotz des un¬
duldsame» Drängens der orthodoxen Mehrheit in den Synoden, in den Ge¬
meinden, im „Klerus" und auch in kirchenregimentlichen Behörden noch immer
in vielen Fällen durchzusetzen vermögen. In vielen Fällen, aber nicht immer,
und am wenigsten auf die Dauer. So lauge die „Duldung" nicht kirchen¬
gesetzlich gesichert ist, so lange sie namentlich nicht auch in der Agende — nicht
nur in ihren Vorschriften über die Ordination — zur angemessenen Anerkennung
gelangt ist, ist und bleibt sie ein trauriger Notbehelf, durch den die Orthodoxie
nur immer wieder zu neuen Versuche«, auf das „Wort" pochend, reinen Tisch
zu mache«, ganz ihrem Geist die Alleinherrschaft zu verschaffen angespornt wird.
Wer den Fakultäten die wissenschaftliche Freiheit erhalten will, der darf auch
die durch sie wissenschaftlich gebildeten Theologen auf der Kanzel nicht dem
gute« oder nicht guten Willen der diese wissenschaftliche Bildung als unver¬
träglich mit dem Bestände der Kirche bekämpfenden Orthodoxie preisgeben. A«
die Stelle der Duldung muß die Gleichberechtigung treten.
Ein großes Maß gute« Willens, weiser Mäßigung, pädagogischer Rück¬
sichten, aber vor allem auch festen Willens, lutherischer Energie gehört freilich
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