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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Das Goldne VUcß

Denn es wird uns erzählt, daß sie einen Nlicßritter in Gewahrsam bringen
ließ, ohne daß dessen Verurteilung durch das Ordenskapitel erfolgt war. Diese
Nichtachtung ihrer Privilegien hatte die Vließritter aufgebracht. Die Statt¬
halterin, der sie darüber offizielle Vorstellungen machten, fragte höhnisch, was
sie denn aus ihren Statuten, die sie nach eignem Gutdünken auslegten, noch
alles für Sonderrechte herleiten wollten? Wenn sie, statt eine Frau zu sein,
ein Mnuu wäre, so würde sie die Statuten herbeiholen und sich durch die
Ritter vom Blatte Vorsingen lassen.

Die seit der Gründung deS Ordens damals schon vergangnen hundert¬
unddreißig Jahre hatten, wie man auch hieraus sieht, seine Stellung gegenüber
dem Herrscher, der zugleich sein Großmeister war, wesentlich geändert. Nach
dein Tode Karls des Kühnen in der Schlacht bei Nancy (am 5. Januar 1477)
hatte statutengemäß Maximilian als Gemahl des "Früuleius von Burgund"
die Großmeisterstelle übernommen, und unter ihm wie unter seinem Enkel
Karl dem Fünften war dem Orden seine bevorzugte Stellung erhalten geblieben.
Freilich war durch die Abtretung des Herzogtums Burgund im Frieden zu
Cambrai (vom 5. August 1529) die alte Residenz der burgundischen Herzöge
in französischen Besitz gekommen, und nach der oben erwähnten Anschauung
des Kapitels Hütte damit auch das Grvßmeistertum des Ordens von Karl
auf Franz den Ersten übergehn müssen, aber der Begriff Burgund, insoweit
darunter das von den Herzögen von Burgund und namentlich von Philipp
dem Kühnen und dessen Enkel Philipp dem Guten gegründete Reich verstanden
wurde, war doch weniger eng begrenzt, als das Kapitel geglaubt hatte. Da
er auch Flandern und die Niederlande, die Karl geblieben waren, umfaßte,
und es neben dein an Frankreich abgetretenen Herzogtnm Burgund auch einen
burgundischen Kreis gab, der zu der habsburgischen Hausmacht gehörte, und
wo tatsächlich mehr als in Dijon die Wiege des Ordens gestanden hatte, so
war hinreichend Grund dafür vorhanden, daß der Kaiser das Großmeistertnm
des Goldner Vließes behielt und es auf seinen Sohn Philipp den Zweiten
vererbte.

Dieser zähe und um Auskunftsmittel nie verlegne, aber überall da, wo
es sich um einen weitern Ausblick handelte, merkwürdig beschränkte und kurz¬
sichtige Despot hat deun auch an die Schöpfung Philipps des Guten seine
schwerfällige Hand gelegt und aus dem unabhängige", tatenfreudigen Ritter¬
orden etwas höfisch beschränktes gemacht, das den modernen Orden, die nur
Gunstbezeigungen und im besten Fall Bcrdienstanerkennungcn sind, schon um
vieles ähnlicher ist. Er zeichnete dnrch die Verleihung des Goldner Vließes
mit Vorliebe seine spanischen Staats- und Hofleute aus. Man erfährt, daß
sich die Vließritter in Madrid und in Aranjuez wie die Granden erster Klasse
in der Gegenwart des Königs bedecken durften, und daß ihnen der unam-'
gemeldete Zutritt zu den Audienz- und Staatsgemüchern der königlichen Paläste
erlaubt war. Die in einem der großen Handbücher in etwas zu allgemeiner
Fassung abgedruckte Behauptung, die Vließritter hätten ohne Unterschied zu
allen Gemächern des Palastes Zutritt gehabt, konnte einen allerdings ans den
Gedanken bringen, ihre Stellung sei der der Eunuchen im Serail ähnlich ge-


Das Goldne VUcß

Denn es wird uns erzählt, daß sie einen Nlicßritter in Gewahrsam bringen
ließ, ohne daß dessen Verurteilung durch das Ordenskapitel erfolgt war. Diese
Nichtachtung ihrer Privilegien hatte die Vließritter aufgebracht. Die Statt¬
halterin, der sie darüber offizielle Vorstellungen machten, fragte höhnisch, was
sie denn aus ihren Statuten, die sie nach eignem Gutdünken auslegten, noch
alles für Sonderrechte herleiten wollten? Wenn sie, statt eine Frau zu sein,
ein Mnuu wäre, so würde sie die Statuten herbeiholen und sich durch die
Ritter vom Blatte Vorsingen lassen.

Die seit der Gründung deS Ordens damals schon vergangnen hundert¬
unddreißig Jahre hatten, wie man auch hieraus sieht, seine Stellung gegenüber
dem Herrscher, der zugleich sein Großmeister war, wesentlich geändert. Nach
dein Tode Karls des Kühnen in der Schlacht bei Nancy (am 5. Januar 1477)
hatte statutengemäß Maximilian als Gemahl des „Früuleius von Burgund"
die Großmeisterstelle übernommen, und unter ihm wie unter seinem Enkel
Karl dem Fünften war dem Orden seine bevorzugte Stellung erhalten geblieben.
Freilich war durch die Abtretung des Herzogtums Burgund im Frieden zu
Cambrai (vom 5. August 1529) die alte Residenz der burgundischen Herzöge
in französischen Besitz gekommen, und nach der oben erwähnten Anschauung
des Kapitels Hütte damit auch das Grvßmeistertum des Ordens von Karl
auf Franz den Ersten übergehn müssen, aber der Begriff Burgund, insoweit
darunter das von den Herzögen von Burgund und namentlich von Philipp
dem Kühnen und dessen Enkel Philipp dem Guten gegründete Reich verstanden
wurde, war doch weniger eng begrenzt, als das Kapitel geglaubt hatte. Da
er auch Flandern und die Niederlande, die Karl geblieben waren, umfaßte,
und es neben dein an Frankreich abgetretenen Herzogtnm Burgund auch einen
burgundischen Kreis gab, der zu der habsburgischen Hausmacht gehörte, und
wo tatsächlich mehr als in Dijon die Wiege des Ordens gestanden hatte, so
war hinreichend Grund dafür vorhanden, daß der Kaiser das Großmeistertnm
des Goldner Vließes behielt und es auf seinen Sohn Philipp den Zweiten
vererbte.

Dieser zähe und um Auskunftsmittel nie verlegne, aber überall da, wo
es sich um einen weitern Ausblick handelte, merkwürdig beschränkte und kurz¬
sichtige Despot hat deun auch an die Schöpfung Philipps des Guten seine
schwerfällige Hand gelegt und aus dem unabhängige», tatenfreudigen Ritter¬
orden etwas höfisch beschränktes gemacht, das den modernen Orden, die nur
Gunstbezeigungen und im besten Fall Bcrdienstanerkennungcn sind, schon um
vieles ähnlicher ist. Er zeichnete dnrch die Verleihung des Goldner Vließes
mit Vorliebe seine spanischen Staats- und Hofleute aus. Man erfährt, daß
sich die Vließritter in Madrid und in Aranjuez wie die Granden erster Klasse
in der Gegenwart des Königs bedecken durften, und daß ihnen der unam-'
gemeldete Zutritt zu den Audienz- und Staatsgemüchern der königlichen Paläste
erlaubt war. Die in einem der großen Handbücher in etwas zu allgemeiner
Fassung abgedruckte Behauptung, die Vließritter hätten ohne Unterschied zu
allen Gemächern des Palastes Zutritt gehabt, konnte einen allerdings ans den
Gedanken bringen, ihre Stellung sei der der Eunuchen im Serail ähnlich ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/32>, abgerufen am 27.07.2024.