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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

Ich laufe jetzt und hoffe, daß er sich vom Feuer auch uicht so schnell hat losreißen
tonnen und vielleicht noch nicht da ist. Adieu. Seien Sie klug, und gehn Sie
nach Hanse.

Während der letzten Worte lief er schon. Ich hörte in der Dunkelheit uur
seine Absätze auf dem Pflaster klappern.

Mich ergriff Ekel über diese Gewissenlosigkeit. Der Mensch trug die Dieust-
uniform, bezog seinen Gehalt und benutzte sogar einen so schrecklichen Anlaß
wie eine Feuersbrunst, um gewissenlos deu Dienst zu ver . . .

Ich blieb mitten in dem Gedanken stecken. Ich fühlte, wie das Blut mir zu
Kopf stieg. Und ich? Hatten wir diesesmal nicht ganz gleich gehandelt? Ich
biß trotzig die Zähne aufeinander und ging entschlossen vorwärts. Ich wollte
wenigstens nachträglich alles einholen. was ich versäumt hatte, und gewissenhaft die
Runde durch mein ganzes Revier machen. Die schlaflose Nacht sollte meine Strafe sein
und mein Vergehn ausgleichen.

Ich führte meinen Vorsatz aus. Kein Winkel meines Stadtteils blieb unbesucht.
Ich sah und lernte viel in dieser Nacht. Ich erschien bei den Posten unerwartet.
Sie waren überzeugt, daß nach dem Rundzange des Wachtmeisters, und nachdem
einige Stunden nach dem Erlöschen des Feuers verflossen waren, niemand sie
beunruhigen würde. Ich fand die meisten Posten in festem Schlafe auf Haus¬
treppen und hinter Zannecken. Einen der diensthabenden Schutzleute konnte ich
nirgends in der Nähe seines Standorts ausfindig machen. Ich ließ aber nicht
locker, sammelte von den benachbarten Posten die nötigen Auskünfte und holte
ihn richtig im Nebenstadtteile in seiner Wohnung ans dem Bette von der Seite
seiner Frau.

Während ich so die Marktseite des Stadtteils absuchte, hatte ich es nur
mit Posten stehenden Polizeileuten zu tun. Die Einwohnerschaft lag in tiefem
Schlafe. Die Häuser und die Höfe waren geschlossen. Nirgends brannte Licht. Als
ich mich aber dem Rande der Stadt näherte und zuletzt die andre Hälfte des
Stadtteils, die Sandfelde, betrat, gab es ein bunteres Bild. Die wenigen zur Nacht
hierher kommandiertcu Schutzleute hatte keine fest angewiesenen Stände. Jeder
von thuen mußte mehrere Straßen beaufsichtigen, und zu diesem Zwecke waren ihm
einige vou deu Hausbesitzern straßenweise besoldete Nachtwächter beigegeben. Die
Häuser waren meist nur jämmerliche Hütten, zwischen denen sich Gemüsegärten,
unbebaute Plätze und lange Zäune hinzogen. Die Straßen waren ungepflastert
und schlängelten sich bergan und bergab. Wenn sich jetzt im Spätherbst bei dem
Regenwetter überhaupt die Möglichkeit bot, die niedriger liegenden Straßen zu
passieren, so war das dem Sande zu verdanken, der hier der Boden war. In
einigen Straßen faud ich Nachtwächter, indem ich ans ihre Schnarre oder auf ihr
Schnarchen zuging, in andern nicht. Einen Schutzmann bekam ich zu Gesicht. Einen
zweiten entdeckte ich auf einer Bank neben einer Haustür ausgestreckt, wo er seelen-
vergnügt bald ein Liedchen summte, bald sprach und herzlich lachte, obgleich er
allein war. Er verbreitete auf zehn Schritte Branniweingeruch, konnte aber, als
ich ihn anrief, fest auf den Füßen stehn und antwortete ziemlich geläufig. Er be¬
hauptete, er habe schon seit einer Woche keinen Branntwein im Munde gehabt,
und spielte deu Beleidigten. Tiefer in den Snndbergcn begegnete ich taumelnden
Betrunknen, die auf meinen Befehl, sich nach Hause zu packen, grob wurden oder
weinend um Verzeihung baten. Einzelne kaum bekleidete Weiber sangen mit heiserer
Stimme unanständige Lieder und beantworteten meine Ermahnungen mit den scham¬
losesten Ausdrücken. Hier und da war eine Schenke oder Trinkbnde geöffnet, und
die zechenden, meist zerlumpten Gäste sahen mich tückisch und drohend an, wenn ich
sie verjagte und dem Wirte bei Strafe befahl, die Tür sofort zu schließen. Ich
traf eines ans unheimliche Gestalten, die mir scheu auswichen und sich so schnell
wie möglich unsichtbar zu machen suchten. Einigemal geriet ich sogar an Exem¬
plare, die mich trotzig auranuteu und auf meinen Anruf mit einem Fluche ant-


Feuer!

Ich laufe jetzt und hoffe, daß er sich vom Feuer auch uicht so schnell hat losreißen
tonnen und vielleicht noch nicht da ist. Adieu. Seien Sie klug, und gehn Sie
nach Hanse.

Während der letzten Worte lief er schon. Ich hörte in der Dunkelheit uur
seine Absätze auf dem Pflaster klappern.

Mich ergriff Ekel über diese Gewissenlosigkeit. Der Mensch trug die Dieust-
uniform, bezog seinen Gehalt und benutzte sogar einen so schrecklichen Anlaß
wie eine Feuersbrunst, um gewissenlos deu Dienst zu ver . . .

Ich blieb mitten in dem Gedanken stecken. Ich fühlte, wie das Blut mir zu
Kopf stieg. Und ich? Hatten wir diesesmal nicht ganz gleich gehandelt? Ich
biß trotzig die Zähne aufeinander und ging entschlossen vorwärts. Ich wollte
wenigstens nachträglich alles einholen. was ich versäumt hatte, und gewissenhaft die
Runde durch mein ganzes Revier machen. Die schlaflose Nacht sollte meine Strafe sein
und mein Vergehn ausgleichen.

Ich führte meinen Vorsatz aus. Kein Winkel meines Stadtteils blieb unbesucht.
Ich sah und lernte viel in dieser Nacht. Ich erschien bei den Posten unerwartet.
Sie waren überzeugt, daß nach dem Rundzange des Wachtmeisters, und nachdem
einige Stunden nach dem Erlöschen des Feuers verflossen waren, niemand sie
beunruhigen würde. Ich fand die meisten Posten in festem Schlafe auf Haus¬
treppen und hinter Zannecken. Einen der diensthabenden Schutzleute konnte ich
nirgends in der Nähe seines Standorts ausfindig machen. Ich ließ aber nicht
locker, sammelte von den benachbarten Posten die nötigen Auskünfte und holte
ihn richtig im Nebenstadtteile in seiner Wohnung ans dem Bette von der Seite
seiner Frau.

Während ich so die Marktseite des Stadtteils absuchte, hatte ich es nur
mit Posten stehenden Polizeileuten zu tun. Die Einwohnerschaft lag in tiefem
Schlafe. Die Häuser und die Höfe waren geschlossen. Nirgends brannte Licht. Als
ich mich aber dem Rande der Stadt näherte und zuletzt die andre Hälfte des
Stadtteils, die Sandfelde, betrat, gab es ein bunteres Bild. Die wenigen zur Nacht
hierher kommandiertcu Schutzleute hatte keine fest angewiesenen Stände. Jeder
von thuen mußte mehrere Straßen beaufsichtigen, und zu diesem Zwecke waren ihm
einige vou deu Hausbesitzern straßenweise besoldete Nachtwächter beigegeben. Die
Häuser waren meist nur jämmerliche Hütten, zwischen denen sich Gemüsegärten,
unbebaute Plätze und lange Zäune hinzogen. Die Straßen waren ungepflastert
und schlängelten sich bergan und bergab. Wenn sich jetzt im Spätherbst bei dem
Regenwetter überhaupt die Möglichkeit bot, die niedriger liegenden Straßen zu
passieren, so war das dem Sande zu verdanken, der hier der Boden war. In
einigen Straßen faud ich Nachtwächter, indem ich ans ihre Schnarre oder auf ihr
Schnarchen zuging, in andern nicht. Einen Schutzmann bekam ich zu Gesicht. Einen
zweiten entdeckte ich auf einer Bank neben einer Haustür ausgestreckt, wo er seelen-
vergnügt bald ein Liedchen summte, bald sprach und herzlich lachte, obgleich er
allein war. Er verbreitete auf zehn Schritte Branniweingeruch, konnte aber, als
ich ihn anrief, fest auf den Füßen stehn und antwortete ziemlich geläufig. Er be¬
hauptete, er habe schon seit einer Woche keinen Branntwein im Munde gehabt,
und spielte deu Beleidigten. Tiefer in den Snndbergcn begegnete ich taumelnden
Betrunknen, die auf meinen Befehl, sich nach Hause zu packen, grob wurden oder
weinend um Verzeihung baten. Einzelne kaum bekleidete Weiber sangen mit heiserer
Stimme unanständige Lieder und beantworteten meine Ermahnungen mit den scham¬
losesten Ausdrücken. Hier und da war eine Schenke oder Trinkbnde geöffnet, und
die zechenden, meist zerlumpten Gäste sahen mich tückisch und drohend an, wenn ich
sie verjagte und dem Wirte bei Strafe befahl, die Tür sofort zu schließen. Ich
traf eines ans unheimliche Gestalten, die mir scheu auswichen und sich so schnell
wie möglich unsichtbar zu machen suchten. Einigemal geriet ich sogar an Exem¬
plare, die mich trotzig auranuteu und auf meinen Anruf mit einem Fluche ant-


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[0302] Feuer! Ich laufe jetzt und hoffe, daß er sich vom Feuer auch uicht so schnell hat losreißen tonnen und vielleicht noch nicht da ist. Adieu. Seien Sie klug, und gehn Sie nach Hanse. Während der letzten Worte lief er schon. Ich hörte in der Dunkelheit uur seine Absätze auf dem Pflaster klappern. Mich ergriff Ekel über diese Gewissenlosigkeit. Der Mensch trug die Dieust- uniform, bezog seinen Gehalt und benutzte sogar einen so schrecklichen Anlaß wie eine Feuersbrunst, um gewissenlos deu Dienst zu ver . . . Ich blieb mitten in dem Gedanken stecken. Ich fühlte, wie das Blut mir zu Kopf stieg. Und ich? Hatten wir diesesmal nicht ganz gleich gehandelt? Ich biß trotzig die Zähne aufeinander und ging entschlossen vorwärts. Ich wollte wenigstens nachträglich alles einholen. was ich versäumt hatte, und gewissenhaft die Runde durch mein ganzes Revier machen. Die schlaflose Nacht sollte meine Strafe sein und mein Vergehn ausgleichen. Ich führte meinen Vorsatz aus. Kein Winkel meines Stadtteils blieb unbesucht. Ich sah und lernte viel in dieser Nacht. Ich erschien bei den Posten unerwartet. Sie waren überzeugt, daß nach dem Rundzange des Wachtmeisters, und nachdem einige Stunden nach dem Erlöschen des Feuers verflossen waren, niemand sie beunruhigen würde. Ich fand die meisten Posten in festem Schlafe auf Haus¬ treppen und hinter Zannecken. Einen der diensthabenden Schutzleute konnte ich nirgends in der Nähe seines Standorts ausfindig machen. Ich ließ aber nicht locker, sammelte von den benachbarten Posten die nötigen Auskünfte und holte ihn richtig im Nebenstadtteile in seiner Wohnung ans dem Bette von der Seite seiner Frau. Während ich so die Marktseite des Stadtteils absuchte, hatte ich es nur mit Posten stehenden Polizeileuten zu tun. Die Einwohnerschaft lag in tiefem Schlafe. Die Häuser und die Höfe waren geschlossen. Nirgends brannte Licht. Als ich mich aber dem Rande der Stadt näherte und zuletzt die andre Hälfte des Stadtteils, die Sandfelde, betrat, gab es ein bunteres Bild. Die wenigen zur Nacht hierher kommandiertcu Schutzleute hatte keine fest angewiesenen Stände. Jeder von thuen mußte mehrere Straßen beaufsichtigen, und zu diesem Zwecke waren ihm einige vou deu Hausbesitzern straßenweise besoldete Nachtwächter beigegeben. Die Häuser waren meist nur jämmerliche Hütten, zwischen denen sich Gemüsegärten, unbebaute Plätze und lange Zäune hinzogen. Die Straßen waren ungepflastert und schlängelten sich bergan und bergab. Wenn sich jetzt im Spätherbst bei dem Regenwetter überhaupt die Möglichkeit bot, die niedriger liegenden Straßen zu passieren, so war das dem Sande zu verdanken, der hier der Boden war. In einigen Straßen faud ich Nachtwächter, indem ich ans ihre Schnarre oder auf ihr Schnarchen zuging, in andern nicht. Einen Schutzmann bekam ich zu Gesicht. Einen zweiten entdeckte ich auf einer Bank neben einer Haustür ausgestreckt, wo er seelen- vergnügt bald ein Liedchen summte, bald sprach und herzlich lachte, obgleich er allein war. Er verbreitete auf zehn Schritte Branniweingeruch, konnte aber, als ich ihn anrief, fest auf den Füßen stehn und antwortete ziemlich geläufig. Er be¬ hauptete, er habe schon seit einer Woche keinen Branntwein im Munde gehabt, und spielte deu Beleidigten. Tiefer in den Snndbergcn begegnete ich taumelnden Betrunknen, die auf meinen Befehl, sich nach Hause zu packen, grob wurden oder weinend um Verzeihung baten. Einzelne kaum bekleidete Weiber sangen mit heiserer Stimme unanständige Lieder und beantworteten meine Ermahnungen mit den scham¬ losesten Ausdrücken. Hier und da war eine Schenke oder Trinkbnde geöffnet, und die zechenden, meist zerlumpten Gäste sahen mich tückisch und drohend an, wenn ich sie verjagte und dem Wirte bei Strafe befahl, die Tür sofort zu schließen. Ich traf eines ans unheimliche Gestalten, die mir scheu auswichen und sich so schnell wie möglich unsichtbar zu machen suchten. Einigemal geriet ich sogar an Exem¬ plare, die mich trotzig auranuteu und auf meinen Anruf mit einem Fluche ant-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/302>, abgerufen am 28.07.2024.