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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Nordafrikanische Streifzüge

auch von Spanien herüber zuströmten. Und so konnte ein Gelehrter vou
Bougie, der nach Bagdad kam, dort seine Vaterstadt also schildern: "Bagdad,
Kairo und alle morgenlündischeu Städte sind jetzt überflügelt. Keine ist zu
vergleichen mit En-Naceria (-^ Bougie), keine genießt wie sie zugleich die Vor¬
züge des Meeres, des Landes und der Wässer zahlreicher Quellen. Der Fluß
gleicht mit seinen Windungen einer silbernen Schlange. Glücklich ist, wer dort
lebt. Wenn du ins Land schaust, siehst du es geschmückt mit Grün, mit Blumen
und Früchten. Wenn dn das Meer betrachtest, bist du entzückt vom Anblick
der Wogen. O ihr, die ihr eine Beschreibung dieser Stadt verlangt, wünschet,
daß Gott eurer Familie und euern Kindern vergönne, dort zu wohnen!" --
Den zahllosen Christensklaven freilich, deren Lösegeld so hoch gestellt war, daß
sich nur wenige loskaufen konnten, erschien dieses Paradies in anderen Lichte,
und dumpf rasselten ihre Ketten durch die Straßen der Stadt, wenn sie zur
Arbeit zogen.

Als im Jahre 1314 der berühmte Mallorliner Rciimundns Lullus, der
Afrika christianisieren wollte, trotz seiner neunzig Jahre herüberfuhr und auf
dem Marktplatz von Bougie das Evangelium verkündigte, da wurde er von
den erbosten Rechtgläubigen gesteinigt und blieb für tot liegeu. Genueser
Handelsleute fanden ihn; trotz der vielen Wunden lebte er noch. Sie retteten
ihn aufs Schiff und fuhren auf Mccklorka zu, aber im Angesicht" Palmas,
der Hauptstadt der Insel, starb der Märtyrer. So hat auch diese Stadt wie
alle diese afrikanischen Städte ihre wassenklirrende und blutstarrende Geschichte,
die im Dämmerlicht bei den Karthagern beginnt und in das elektrische Licht
französischer Straßenbeleuchtung auslänft.

Als ich aus dem Wege zur Sahara zwischen Ain-Dame und Batna an
dein phramidenartigen Grab des Masinissa ("Medrasen") vorüberfuhr, das in
seiner einsamen und beherrschenden Lage, auf breitem Sattel zwischen zwei
Gebirgszügen, einen mächtigen Eindruck macht, da gedachte ich, wie dieser große
Barbar die Grenzen Numidicus von der Wüste bis zur reichen Landschaft von
Bougie auszudehnen verstanden hat. Im algerischen Lonvremuseum bestätigt
eine in Bougie gefundne Tafel mit der Inschrift: <not. lui. auZ. 3g.16i"re. (-- Oo-
loum ,7retia ^ug'usts. L-Mantium), daß das alte Lalctas eine der ersten in
Mauretanien gegründeten Kolonien gewesen ist, und die kostspieligen Wasser¬
leitungen, die Antoninus Pius hier bauen ließ, sind hente noch in ihren Resten
vorhanden. Ans dem Sattel El Hanaiat die Bogen) stehn noch achtzehn
bis 15 Meter hohe viereckige Säulen. Sogar einen Berg ließ der Bau¬
meister Nonius Datus durchbohren, um die Tudjaquelle von Lmnbessa hcrnmzu-
leiten; ein gefundner Cippus hat diese römische Leistung verewigt. Deutsches
Blut (Wandalen) tränkte auch diese Scholle.

Okba, der arabische Napoleon des siebenten Jahrhunderts n. Chr., an
dessen Grabstätte ich in der fern in der Sahara liegenden Oase Sidi Okba
stand, soll ans seinem Siegeszuge, der ihn im Fluge bis Tanger führte, hier
siegreich gekämpft haben. Die Fahne des Islams sank erst von den Zinnen
Bougies, als die Spanier im Jahre 1510 die Stadt erstürmten. Der Neffe
des damaligen Sultans von Bougie Abd-el-Aziz, der Prinz Mutes Abdullah,


Nordafrikanische Streifzüge

auch von Spanien herüber zuströmten. Und so konnte ein Gelehrter vou
Bougie, der nach Bagdad kam, dort seine Vaterstadt also schildern: „Bagdad,
Kairo und alle morgenlündischeu Städte sind jetzt überflügelt. Keine ist zu
vergleichen mit En-Naceria (-^ Bougie), keine genießt wie sie zugleich die Vor¬
züge des Meeres, des Landes und der Wässer zahlreicher Quellen. Der Fluß
gleicht mit seinen Windungen einer silbernen Schlange. Glücklich ist, wer dort
lebt. Wenn du ins Land schaust, siehst du es geschmückt mit Grün, mit Blumen
und Früchten. Wenn dn das Meer betrachtest, bist du entzückt vom Anblick
der Wogen. O ihr, die ihr eine Beschreibung dieser Stadt verlangt, wünschet,
daß Gott eurer Familie und euern Kindern vergönne, dort zu wohnen!" —
Den zahllosen Christensklaven freilich, deren Lösegeld so hoch gestellt war, daß
sich nur wenige loskaufen konnten, erschien dieses Paradies in anderen Lichte,
und dumpf rasselten ihre Ketten durch die Straßen der Stadt, wenn sie zur
Arbeit zogen.

Als im Jahre 1314 der berühmte Mallorliner Rciimundns Lullus, der
Afrika christianisieren wollte, trotz seiner neunzig Jahre herüberfuhr und auf
dem Marktplatz von Bougie das Evangelium verkündigte, da wurde er von
den erbosten Rechtgläubigen gesteinigt und blieb für tot liegeu. Genueser
Handelsleute fanden ihn; trotz der vielen Wunden lebte er noch. Sie retteten
ihn aufs Schiff und fuhren auf Mccklorka zu, aber im Angesicht« Palmas,
der Hauptstadt der Insel, starb der Märtyrer. So hat auch diese Stadt wie
alle diese afrikanischen Städte ihre wassenklirrende und blutstarrende Geschichte,
die im Dämmerlicht bei den Karthagern beginnt und in das elektrische Licht
französischer Straßenbeleuchtung auslänft.

Als ich aus dem Wege zur Sahara zwischen Ain-Dame und Batna an
dein phramidenartigen Grab des Masinissa („Medrasen") vorüberfuhr, das in
seiner einsamen und beherrschenden Lage, auf breitem Sattel zwischen zwei
Gebirgszügen, einen mächtigen Eindruck macht, da gedachte ich, wie dieser große
Barbar die Grenzen Numidicus von der Wüste bis zur reichen Landschaft von
Bougie auszudehnen verstanden hat. Im algerischen Lonvremuseum bestätigt
eine in Bougie gefundne Tafel mit der Inschrift: <not. lui. auZ. 3g.16i»re. (— Oo-
loum ,7retia ^ug'usts. L-Mantium), daß das alte Lalctas eine der ersten in
Mauretanien gegründeten Kolonien gewesen ist, und die kostspieligen Wasser¬
leitungen, die Antoninus Pius hier bauen ließ, sind hente noch in ihren Resten
vorhanden. Ans dem Sattel El Hanaiat die Bogen) stehn noch achtzehn
bis 15 Meter hohe viereckige Säulen. Sogar einen Berg ließ der Bau¬
meister Nonius Datus durchbohren, um die Tudjaquelle von Lmnbessa hcrnmzu-
leiten; ein gefundner Cippus hat diese römische Leistung verewigt. Deutsches
Blut (Wandalen) tränkte auch diese Scholle.

Okba, der arabische Napoleon des siebenten Jahrhunderts n. Chr., an
dessen Grabstätte ich in der fern in der Sahara liegenden Oase Sidi Okba
stand, soll ans seinem Siegeszuge, der ihn im Fluge bis Tanger führte, hier
siegreich gekämpft haben. Die Fahne des Islams sank erst von den Zinnen
Bougies, als die Spanier im Jahre 1510 die Stadt erstürmten. Der Neffe
des damaligen Sultans von Bougie Abd-el-Aziz, der Prinz Mutes Abdullah,


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[0292] Nordafrikanische Streifzüge auch von Spanien herüber zuströmten. Und so konnte ein Gelehrter vou Bougie, der nach Bagdad kam, dort seine Vaterstadt also schildern: „Bagdad, Kairo und alle morgenlündischeu Städte sind jetzt überflügelt. Keine ist zu vergleichen mit En-Naceria (-^ Bougie), keine genießt wie sie zugleich die Vor¬ züge des Meeres, des Landes und der Wässer zahlreicher Quellen. Der Fluß gleicht mit seinen Windungen einer silbernen Schlange. Glücklich ist, wer dort lebt. Wenn du ins Land schaust, siehst du es geschmückt mit Grün, mit Blumen und Früchten. Wenn dn das Meer betrachtest, bist du entzückt vom Anblick der Wogen. O ihr, die ihr eine Beschreibung dieser Stadt verlangt, wünschet, daß Gott eurer Familie und euern Kindern vergönne, dort zu wohnen!" — Den zahllosen Christensklaven freilich, deren Lösegeld so hoch gestellt war, daß sich nur wenige loskaufen konnten, erschien dieses Paradies in anderen Lichte, und dumpf rasselten ihre Ketten durch die Straßen der Stadt, wenn sie zur Arbeit zogen. Als im Jahre 1314 der berühmte Mallorliner Rciimundns Lullus, der Afrika christianisieren wollte, trotz seiner neunzig Jahre herüberfuhr und auf dem Marktplatz von Bougie das Evangelium verkündigte, da wurde er von den erbosten Rechtgläubigen gesteinigt und blieb für tot liegeu. Genueser Handelsleute fanden ihn; trotz der vielen Wunden lebte er noch. Sie retteten ihn aufs Schiff und fuhren auf Mccklorka zu, aber im Angesicht« Palmas, der Hauptstadt der Insel, starb der Märtyrer. So hat auch diese Stadt wie alle diese afrikanischen Städte ihre wassenklirrende und blutstarrende Geschichte, die im Dämmerlicht bei den Karthagern beginnt und in das elektrische Licht französischer Straßenbeleuchtung auslänft. Als ich aus dem Wege zur Sahara zwischen Ain-Dame und Batna an dein phramidenartigen Grab des Masinissa („Medrasen") vorüberfuhr, das in seiner einsamen und beherrschenden Lage, auf breitem Sattel zwischen zwei Gebirgszügen, einen mächtigen Eindruck macht, da gedachte ich, wie dieser große Barbar die Grenzen Numidicus von der Wüste bis zur reichen Landschaft von Bougie auszudehnen verstanden hat. Im algerischen Lonvremuseum bestätigt eine in Bougie gefundne Tafel mit der Inschrift: <not. lui. auZ. 3g.16i»re. (— Oo- loum ,7retia ^ug'usts. L-Mantium), daß das alte Lalctas eine der ersten in Mauretanien gegründeten Kolonien gewesen ist, und die kostspieligen Wasser¬ leitungen, die Antoninus Pius hier bauen ließ, sind hente noch in ihren Resten vorhanden. Ans dem Sattel El Hanaiat die Bogen) stehn noch achtzehn bis 15 Meter hohe viereckige Säulen. Sogar einen Berg ließ der Bau¬ meister Nonius Datus durchbohren, um die Tudjaquelle von Lmnbessa hcrnmzu- leiten; ein gefundner Cippus hat diese römische Leistung verewigt. Deutsches Blut (Wandalen) tränkte auch diese Scholle. Okba, der arabische Napoleon des siebenten Jahrhunderts n. Chr., an dessen Grabstätte ich in der fern in der Sahara liegenden Oase Sidi Okba stand, soll ans seinem Siegeszuge, der ihn im Fluge bis Tanger führte, hier siegreich gekämpft haben. Die Fahne des Islams sank erst von den Zinnen Bougies, als die Spanier im Jahre 1510 die Stadt erstürmten. Der Neffe des damaligen Sultans von Bougie Abd-el-Aziz, der Prinz Mutes Abdullah,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/292>, abgerufen am 27.11.2024.