Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Sie Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres ziehungen, z. B. man wird zufällig unter einen Vorgesetzten gestellt, der im Verschärft wird dieser Kampf aller gegen alle, wie man versucht ist, zu Inzwischen hat sich das vollständig geändert. Heute ist der Landrat, die Grenzboten I 1903 35
Sie Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres ziehungen, z. B. man wird zufällig unter einen Vorgesetzten gestellt, der im Verschärft wird dieser Kampf aller gegen alle, wie man versucht ist, zu Inzwischen hat sich das vollständig geändert. Heute ist der Landrat, die Grenzboten I 1903 35
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Sie Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres
ziehungen, z. B. man wird zufällig unter einen Vorgesetzten gestellt, der im
Gegensatz zu andern Vorgesetzten in Personalfragen einen großen Einfluß hat,
oder endlich der Zufall schlechthin: z, B, man erfahrt zufällig früher als andre
von der bevorstehenden Erledigung einer Stelle und kann so andern mit seiner
Bewerbung zuvorkommen; denn abweichend von andern Verwaltungen liebt
man es in der Verwaltung des Innern, die Personalangelegenheiten mit dem
tiefsten Geheimnis zu umgeben. Die Folge dieser Herrschaft des Zufalls ist,
daß immer mehr die Neigung und das Bestreben um sich greifen, das Fort¬
kommen nicht allein in tüchtigen Leistungen, sondern in solchen Beziehungen
zu suchen, wie ich sie geschildert habe. Daß dies ungünstig auf das persön¬
liche Verhältnis zwischen den Beamten einwirken muß, liegt auf der Hand,
Aber mich der Dienst leidet darunter. Niemand, der Landrat werden möchte,
will z. B. in der Schulabteilung arbeiten, weil das Kultusressort auf die
Personalaugelegenheiten der innern Verwaltung keinen Einfluß hat. Dagegen
sucht man Dezernate zu erlangen, die Gelegenheit geben, im Ressort des Innern
dienstlich bekannt zu werden, etwa das Kommunaldezernat und besonders das
Polizeidezernat. Ob es aber für die Allgemeinheit ersprießlich ist, wichtige
Dezernate nach solchen Erwägungen zu besetzen, dürfte doch fraglich sein.
Verschärft wird dieser Kampf aller gegen alle, wie man versucht ist, zu
sagen, dadurch, daß sich im Laufe des letzten Menschenalters das Verhältnis
des Landratsamts zu der Regierung vollständig verschoben hat. Früher
waren die Landräte in der überwiegenden Mehrheit angesessene Gutsbesitzer.
Wer diese Bedingung nicht erfüllte, hatte kaum Aussicht, Landrat zu werden.
Berufsbeamte gab es unter den Landräten nur wenig; Berufsbenmte, die weiter
wollten, rechneten darauf, in den Regierungen und in den höhern Behörden
in die Höhe zu kommen. So fand man denn auch früher in den höhern
Verwaltuugsstellungen der Oberregierungsräte, Regierungspräsidenten, Ober-
Präsidenten zahlreiche Herren, häufig von recht vornehmer Herkunft, die nicht
Landrüte gewesen waren. Dazu kommt, daß früher die Regierung wichtiger
war als der Landrat. Der angesessene Landrat, der, wie bemerkt worden ist,
die Mehrheit ausmachte, wohnte auf seinem Gute und kam nur ein- bis
zweimal in der Woche aus das Landratsamt, um die Schriftstücke zu „unter¬
hauen," die der Kreissekretür vorbereitet hatte. Da lag denn notwendigerweise
der Schwerpunkt der Verwaltung in den Regierungen, und die Tätigkeit bei diesen
konnte auch den in gutem Sinne strebsamen Dezernenten Befriedigung gewähren.
Inzwischen hat sich das vollständig geändert. Heute ist der Landrat, die
untere Verwaltungsbehörde in der Sprache der Reichsgesetze, wichtiger als
die Regierung. Seine Zuständigkeit ist außerordentlich erweitert, und nament¬
lich die Neuregelung der Kommunalverwaltung des Kreises durch die ver-
schiednen Kreisorduungen hat tüchtigen Lcmdrüten ein weites Feld selbständiger
Initiative auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens eröffnet.
Anderseits ist infolge dieser Geschäftsvermehrnng bei den Landratsämtern die
Neigung, Landrat zu werden, bei den kreiscingesessenen Großgrundbesitzern
geringer geworden, und damit für die Berufsbeamten die Aussicht, ein Land¬
ratsamt zu erlangen, gestiegen.
Grenzboten I 1903 35
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