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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Galizien

Lärm sie auch von sich macht, nicht auf breiter nationaler Grundlage beruht,
und ebensowenig die Herrschaft der Schlachta. Der Grundbesitz leidet nicht nur
unter der allgemeinen mißlichen Lage der Landwirtschaft, sondern auch an dem
althergebrachten Unverstand und der Leichtfertigkeit des adlichen Wirtschafts¬
betriebs. Der Großgrundbesitz verschuldet infolge dessen immer mehr, die
Grundrente sinkt immer tiefer, und die Masse der Bauern und der Landarbeiter
wird immer mehr ausgebeutet. Daher kamen auch während der letzten Ernte
die Arbeiterstreiks, zu deren Erregung es kaum besondrer nationaler oder
sozialistischer Agitationen bedürfte. Wer eben die Entwicklung des letzten Jahr¬
zehnts mit unbefangnen Angen überschaut, dein kann nicht entgehn, daß die
Schlachtzizcnherrschaft in Galizien den Höhepunkt überschritten hat. Dieser
war unter der Statthalterschaft des spätern Ministerpräsidenten Grafen Badeni
erreicht worden. Unter seinem Vorgänger, dem Statthalter Zaleski, war die
Beamtenlvtterei in allen Verwaltungszweigen geradezu zum Skandal geworden.
Die Abkömmlinge der feudalen Herren hatten ihre Unfähigkeit und Faulheit
wie ihren unstillbaren Hunger nach Lebensgenuß in Berufskreise eingeführt,
in denen pflichttreue Arbeit das erste Erfordernis ist. Sogar die Beamten
der Statthalterei kamen nie vor elf Uhr ins Bureau und ließen sich den Tag
über nur wenig Stunden dort sehen. Graf Kasimir Badeni erkannte, daß
der grenzenlose Leichtsinn, mit dem auch die ernstesten Dinge behandelt wurden,
die Adelsherrschaft untergraben mußte, und er griff ein. Schon die Forderung,
daß die Beamten der Statthalterei in Lemberg um neun Uhr früh im Bureau
zu erscheinen hätten, trug ihm den Ruf eines "eisernen Mannes" ein. Aber
sein Beispiel und sein Einfluß wirkten, und während der fast achtjährigen
Dauer seiner Statthalterschaft hatte Galizien den bisher unerhörten Ruf eines
geordnet verwalteten Landes erhalten. Dieser energische Pflichteifer, den man
freilich in andern Staaten schon von einem Kanzlcivorsteher fordert, hatte dem
Grafen Badeui rasch den Ruf eiues genialen Berwaltungsbeamten eingetragen,
und so konnte es gar nicht fehlen, daß er in Österreich, wo man schon so
lange nach dem rettenden Manne mit dem unfehlbaren Regiernngsrezept suchte,
auch Ministerpräsident wurde. Es ist mehr als hinreichend bekannt, daß er
sich hierzu als durchaus ungeeignet erwies und bald zum Spielball der slavisch-
klerikalen Majorität wurde. Aber eine Glanzzeit für das eitle Polentum war
seine Ministerzeit doch, und staunend sah die Reichshauptstadt bei einer Hochzeit
im Hause Badeui die ganze verschollne polnische Adelspracht mit Kontusch
und Krummsübel, Goldverzierungen an Gewand und Waffen, mit Diamanten
und Perlen in den Straßen Wiens an sich vorüberziehn. So weit war es
in Österreich schon gekommen. Aber nur wenig Monate darauf verkündete
die Polizei der bis zur Empörung erregten Bevölkerung von Wien eifrig und
verständnisinnig, daß der Kaiser das polnische Ministerium entlassen habe.

(Schluß folgt)




Galizien

Lärm sie auch von sich macht, nicht auf breiter nationaler Grundlage beruht,
und ebensowenig die Herrschaft der Schlachta. Der Grundbesitz leidet nicht nur
unter der allgemeinen mißlichen Lage der Landwirtschaft, sondern auch an dem
althergebrachten Unverstand und der Leichtfertigkeit des adlichen Wirtschafts¬
betriebs. Der Großgrundbesitz verschuldet infolge dessen immer mehr, die
Grundrente sinkt immer tiefer, und die Masse der Bauern und der Landarbeiter
wird immer mehr ausgebeutet. Daher kamen auch während der letzten Ernte
die Arbeiterstreiks, zu deren Erregung es kaum besondrer nationaler oder
sozialistischer Agitationen bedürfte. Wer eben die Entwicklung des letzten Jahr¬
zehnts mit unbefangnen Angen überschaut, dein kann nicht entgehn, daß die
Schlachtzizcnherrschaft in Galizien den Höhepunkt überschritten hat. Dieser
war unter der Statthalterschaft des spätern Ministerpräsidenten Grafen Badeni
erreicht worden. Unter seinem Vorgänger, dem Statthalter Zaleski, war die
Beamtenlvtterei in allen Verwaltungszweigen geradezu zum Skandal geworden.
Die Abkömmlinge der feudalen Herren hatten ihre Unfähigkeit und Faulheit
wie ihren unstillbaren Hunger nach Lebensgenuß in Berufskreise eingeführt,
in denen pflichttreue Arbeit das erste Erfordernis ist. Sogar die Beamten
der Statthalterei kamen nie vor elf Uhr ins Bureau und ließen sich den Tag
über nur wenig Stunden dort sehen. Graf Kasimir Badeni erkannte, daß
der grenzenlose Leichtsinn, mit dem auch die ernstesten Dinge behandelt wurden,
die Adelsherrschaft untergraben mußte, und er griff ein. Schon die Forderung,
daß die Beamten der Statthalterei in Lemberg um neun Uhr früh im Bureau
zu erscheinen hätten, trug ihm den Ruf eines „eisernen Mannes" ein. Aber
sein Beispiel und sein Einfluß wirkten, und während der fast achtjährigen
Dauer seiner Statthalterschaft hatte Galizien den bisher unerhörten Ruf eines
geordnet verwalteten Landes erhalten. Dieser energische Pflichteifer, den man
freilich in andern Staaten schon von einem Kanzlcivorsteher fordert, hatte dem
Grafen Badeui rasch den Ruf eiues genialen Berwaltungsbeamten eingetragen,
und so konnte es gar nicht fehlen, daß er in Österreich, wo man schon so
lange nach dem rettenden Manne mit dem unfehlbaren Regiernngsrezept suchte,
auch Ministerpräsident wurde. Es ist mehr als hinreichend bekannt, daß er
sich hierzu als durchaus ungeeignet erwies und bald zum Spielball der slavisch-
klerikalen Majorität wurde. Aber eine Glanzzeit für das eitle Polentum war
seine Ministerzeit doch, und staunend sah die Reichshauptstadt bei einer Hochzeit
im Hause Badeui die ganze verschollne polnische Adelspracht mit Kontusch
und Krummsübel, Goldverzierungen an Gewand und Waffen, mit Diamanten
und Perlen in den Straßen Wiens an sich vorüberziehn. So weit war es
in Österreich schon gekommen. Aber nur wenig Monate darauf verkündete
die Polizei der bis zur Empörung erregten Bevölkerung von Wien eifrig und
verständnisinnig, daß der Kaiser das polnische Ministerium entlassen habe.

(Schluß folgt)




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[0260] Galizien Lärm sie auch von sich macht, nicht auf breiter nationaler Grundlage beruht, und ebensowenig die Herrschaft der Schlachta. Der Grundbesitz leidet nicht nur unter der allgemeinen mißlichen Lage der Landwirtschaft, sondern auch an dem althergebrachten Unverstand und der Leichtfertigkeit des adlichen Wirtschafts¬ betriebs. Der Großgrundbesitz verschuldet infolge dessen immer mehr, die Grundrente sinkt immer tiefer, und die Masse der Bauern und der Landarbeiter wird immer mehr ausgebeutet. Daher kamen auch während der letzten Ernte die Arbeiterstreiks, zu deren Erregung es kaum besondrer nationaler oder sozialistischer Agitationen bedürfte. Wer eben die Entwicklung des letzten Jahr¬ zehnts mit unbefangnen Angen überschaut, dein kann nicht entgehn, daß die Schlachtzizcnherrschaft in Galizien den Höhepunkt überschritten hat. Dieser war unter der Statthalterschaft des spätern Ministerpräsidenten Grafen Badeni erreicht worden. Unter seinem Vorgänger, dem Statthalter Zaleski, war die Beamtenlvtterei in allen Verwaltungszweigen geradezu zum Skandal geworden. Die Abkömmlinge der feudalen Herren hatten ihre Unfähigkeit und Faulheit wie ihren unstillbaren Hunger nach Lebensgenuß in Berufskreise eingeführt, in denen pflichttreue Arbeit das erste Erfordernis ist. Sogar die Beamten der Statthalterei kamen nie vor elf Uhr ins Bureau und ließen sich den Tag über nur wenig Stunden dort sehen. Graf Kasimir Badeni erkannte, daß der grenzenlose Leichtsinn, mit dem auch die ernstesten Dinge behandelt wurden, die Adelsherrschaft untergraben mußte, und er griff ein. Schon die Forderung, daß die Beamten der Statthalterei in Lemberg um neun Uhr früh im Bureau zu erscheinen hätten, trug ihm den Ruf eines „eisernen Mannes" ein. Aber sein Beispiel und sein Einfluß wirkten, und während der fast achtjährigen Dauer seiner Statthalterschaft hatte Galizien den bisher unerhörten Ruf eines geordnet verwalteten Landes erhalten. Dieser energische Pflichteifer, den man freilich in andern Staaten schon von einem Kanzlcivorsteher fordert, hatte dem Grafen Badeui rasch den Ruf eiues genialen Berwaltungsbeamten eingetragen, und so konnte es gar nicht fehlen, daß er in Österreich, wo man schon so lange nach dem rettenden Manne mit dem unfehlbaren Regiernngsrezept suchte, auch Ministerpräsident wurde. Es ist mehr als hinreichend bekannt, daß er sich hierzu als durchaus ungeeignet erwies und bald zum Spielball der slavisch- klerikalen Majorität wurde. Aber eine Glanzzeit für das eitle Polentum war seine Ministerzeit doch, und staunend sah die Reichshauptstadt bei einer Hochzeit im Hause Badeui die ganze verschollne polnische Adelspracht mit Kontusch und Krummsübel, Goldverzierungen an Gewand und Waffen, mit Diamanten und Perlen in den Straßen Wiens an sich vorüberziehn. So weit war es in Österreich schon gekommen. Aber nur wenig Monate darauf verkündete die Polizei der bis zur Empörung erregten Bevölkerung von Wien eifrig und verständnisinnig, daß der Kaiser das polnische Ministerium entlassen habe. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/260>, abgerufen am 01.09.2024.