auch "och heute ein Volk mit starkem Unabhängigkeitssinn, mit starker Ab¬ neigung gegen die Befehle einer Zentralregierung und einer noch stärkern gegen das Steuerzahler. Sie zerfallen nach Art der schottischen Claus in Stämme, aber an die Stelle des Stammesoberhaupts tritt hier der Kalb, ein von der Negierung eingesetzter Beamter. Da die Hauptaufgabe des Kaids in der pünktlichen'Ablieferung der Steuern besteht, so äußert sich auch das Verhältnis zwischen Volk und Regierung vorwiegend in dem Zahlen oder sehr häufig in der Verweigerung der Steuern; diese Verweigerungen führen dann zu den Prügeleien zwischen Regierung und Stamm, die als ernste Aufstände die Runde durch die europäischen Zeitungen machen. Will man den Charakter des Landvolks beschreiben, so kann man sich leicht in Widersprüche verwickeln, wenigstens geht es dem flüchtigen Beobachter so. Man tut dem Landberber Wohl nicht Unrecht, wenn man von ihm sagt, daß er im allgemeinen von Natur aus dumm ist, und doch zeigt er sich in der Verfolgung seines Vorteils zäh, und auch der Geringste unter ihnen ist in Geldangelegenheiten äußerst findig. Das Familienleben ist stark entwickelt, die Bande der Familie und des Stammes sind die heiligsten, sie sind die Grundlage der politischen Ge¬ staltung. Die Stellung der Frau ist nicht ungünstig, die Frau ist zwar dem Minne untergeordnet, wird aber immer mit einer gewissen Ritterlichkeit be¬ handelt. Der Berber ist streitsüchtig, aber auch wieder ein gutmütiger Geselle, dessen liebstes Vergnügen Teetrinken, Singen und Musizieren sind. Diesen Freuden kann er sich nächtelang hingeben, uralte Volksgesänge von großer Mannigfaltigkeit werden mit nie gestillten Behagen zum Vortrage gebracht. Der Fremde, auch der Christ, wird gastfreundlich aufgenommen, und ganz einfache Leute spielen die Rolle des Wirts mit natürlichem Anstande. Trotzdem darf mau deu Berbern niemals ganz trauen, denn sie sind auch hinterlistig, ränkesüchtig, und gegen Leute, denen sie freundlich begegnen, in¬ trigieren und Hetzen sie hinterm Rücken. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Bevölkerung der Mitte zugänglicher ist als die des Nordens und des Südens, die Fesbewohner zeichnen sich durch Fanatismus aus. Der Körper¬ wuchs ist gut entwickelt, wenn auch etwas hager, die Durchschnittsgröße dürfte die des deutschen Volkes erreichen.
Der städtische Araber unterscheidet sich von dem ländlichen Berber nicht durch das Bewußtsein eines nationalen Unterschiedes, aber der Standesunterschied hat dafür gesorgt, daß die Unterschiede des Blutes uicht verwischt worden sind. Die Angehörigen der obern Kaste haben ein gut Teil spanischer Blutbeimischung, und ich' halte sie jeder geistigen Entwicklung für fähig. Sie stelle" sämtliche höhern Beamten, sowie die Religions- und die Rechtsgelehrten, vor allem aber sind sie Kaufleute, und zwar gute Kaufleute von ruhiger Überlegung, die ihren Vorteil zäh verfolgen. Sie sind zum Teil wohlhabend, ja reich, und einen gewissen Besitz kann man bei ihnen alleu finden. Lesen und schreiben können sie natürlich sämtlich, anch sind sie von einer großen Wißbegier. Ihr Benehmen ist von gutem Anstande, bei den bessern von ihnen von vollendeter Eleganz; dem Europäer kommen sie mit großer Liebenswürdigkeit entgegen, aber im Grunde ihres Herzens wünschen sie ihn dorthin, wo der Pfeffer wächst. Während
Marokko
auch „och heute ein Volk mit starkem Unabhängigkeitssinn, mit starker Ab¬ neigung gegen die Befehle einer Zentralregierung und einer noch stärkern gegen das Steuerzahler. Sie zerfallen nach Art der schottischen Claus in Stämme, aber an die Stelle des Stammesoberhaupts tritt hier der Kalb, ein von der Negierung eingesetzter Beamter. Da die Hauptaufgabe des Kaids in der pünktlichen'Ablieferung der Steuern besteht, so äußert sich auch das Verhältnis zwischen Volk und Regierung vorwiegend in dem Zahlen oder sehr häufig in der Verweigerung der Steuern; diese Verweigerungen führen dann zu den Prügeleien zwischen Regierung und Stamm, die als ernste Aufstände die Runde durch die europäischen Zeitungen machen. Will man den Charakter des Landvolks beschreiben, so kann man sich leicht in Widersprüche verwickeln, wenigstens geht es dem flüchtigen Beobachter so. Man tut dem Landberber Wohl nicht Unrecht, wenn man von ihm sagt, daß er im allgemeinen von Natur aus dumm ist, und doch zeigt er sich in der Verfolgung seines Vorteils zäh, und auch der Geringste unter ihnen ist in Geldangelegenheiten äußerst findig. Das Familienleben ist stark entwickelt, die Bande der Familie und des Stammes sind die heiligsten, sie sind die Grundlage der politischen Ge¬ staltung. Die Stellung der Frau ist nicht ungünstig, die Frau ist zwar dem Minne untergeordnet, wird aber immer mit einer gewissen Ritterlichkeit be¬ handelt. Der Berber ist streitsüchtig, aber auch wieder ein gutmütiger Geselle, dessen liebstes Vergnügen Teetrinken, Singen und Musizieren sind. Diesen Freuden kann er sich nächtelang hingeben, uralte Volksgesänge von großer Mannigfaltigkeit werden mit nie gestillten Behagen zum Vortrage gebracht. Der Fremde, auch der Christ, wird gastfreundlich aufgenommen, und ganz einfache Leute spielen die Rolle des Wirts mit natürlichem Anstande. Trotzdem darf mau deu Berbern niemals ganz trauen, denn sie sind auch hinterlistig, ränkesüchtig, und gegen Leute, denen sie freundlich begegnen, in¬ trigieren und Hetzen sie hinterm Rücken. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Bevölkerung der Mitte zugänglicher ist als die des Nordens und des Südens, die Fesbewohner zeichnen sich durch Fanatismus aus. Der Körper¬ wuchs ist gut entwickelt, wenn auch etwas hager, die Durchschnittsgröße dürfte die des deutschen Volkes erreichen.
Der städtische Araber unterscheidet sich von dem ländlichen Berber nicht durch das Bewußtsein eines nationalen Unterschiedes, aber der Standesunterschied hat dafür gesorgt, daß die Unterschiede des Blutes uicht verwischt worden sind. Die Angehörigen der obern Kaste haben ein gut Teil spanischer Blutbeimischung, und ich' halte sie jeder geistigen Entwicklung für fähig. Sie stelle» sämtliche höhern Beamten, sowie die Religions- und die Rechtsgelehrten, vor allem aber sind sie Kaufleute, und zwar gute Kaufleute von ruhiger Überlegung, die ihren Vorteil zäh verfolgen. Sie sind zum Teil wohlhabend, ja reich, und einen gewissen Besitz kann man bei ihnen alleu finden. Lesen und schreiben können sie natürlich sämtlich, anch sind sie von einer großen Wißbegier. Ihr Benehmen ist von gutem Anstande, bei den bessern von ihnen von vollendeter Eleganz; dem Europäer kommen sie mit großer Liebenswürdigkeit entgegen, aber im Grunde ihres Herzens wünschen sie ihn dorthin, wo der Pfeffer wächst. Während
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Marokko
auch „och heute ein Volk mit starkem Unabhängigkeitssinn, mit starker Ab¬
neigung gegen die Befehle einer Zentralregierung und einer noch stärkern
gegen das Steuerzahler. Sie zerfallen nach Art der schottischen Claus in
Stämme, aber an die Stelle des Stammesoberhaupts tritt hier der Kalb, ein
von der Negierung eingesetzter Beamter. Da die Hauptaufgabe des Kaids
in der pünktlichen'Ablieferung der Steuern besteht, so äußert sich auch das
Verhältnis zwischen Volk und Regierung vorwiegend in dem Zahlen oder sehr
häufig in der Verweigerung der Steuern; diese Verweigerungen führen dann
zu den Prügeleien zwischen Regierung und Stamm, die als ernste Aufstände
die Runde durch die europäischen Zeitungen machen. Will man den Charakter
des Landvolks beschreiben, so kann man sich leicht in Widersprüche verwickeln,
wenigstens geht es dem flüchtigen Beobachter so. Man tut dem Landberber
Wohl nicht Unrecht, wenn man von ihm sagt, daß er im allgemeinen von
Natur aus dumm ist, und doch zeigt er sich in der Verfolgung seines Vorteils
zäh, und auch der Geringste unter ihnen ist in Geldangelegenheiten äußerst
findig. Das Familienleben ist stark entwickelt, die Bande der Familie und
des Stammes sind die heiligsten, sie sind die Grundlage der politischen Ge¬
staltung. Die Stellung der Frau ist nicht ungünstig, die Frau ist zwar dem
Minne untergeordnet, wird aber immer mit einer gewissen Ritterlichkeit be¬
handelt. Der Berber ist streitsüchtig, aber auch wieder ein gutmütiger Geselle,
dessen liebstes Vergnügen Teetrinken, Singen und Musizieren sind. Diesen
Freuden kann er sich nächtelang hingeben, uralte Volksgesänge von großer
Mannigfaltigkeit werden mit nie gestillten Behagen zum Vortrage gebracht.
Der Fremde, auch der Christ, wird gastfreundlich aufgenommen, und ganz
einfache Leute spielen die Rolle des Wirts mit natürlichem Anstande.
Trotzdem darf mau deu Berbern niemals ganz trauen, denn sie sind auch
hinterlistig, ränkesüchtig, und gegen Leute, denen sie freundlich begegnen, in¬
trigieren und Hetzen sie hinterm Rücken. Im allgemeinen kann man sagen,
daß die Bevölkerung der Mitte zugänglicher ist als die des Nordens und des
Südens, die Fesbewohner zeichnen sich durch Fanatismus aus. Der Körper¬
wuchs ist gut entwickelt, wenn auch etwas hager, die Durchschnittsgröße dürfte
die des deutschen Volkes erreichen.
Der städtische Araber unterscheidet sich von dem ländlichen Berber nicht
durch das Bewußtsein eines nationalen Unterschiedes, aber der Standesunterschied
hat dafür gesorgt, daß die Unterschiede des Blutes uicht verwischt worden sind.
Die Angehörigen der obern Kaste haben ein gut Teil spanischer Blutbeimischung,
und ich' halte sie jeder geistigen Entwicklung für fähig. Sie stelle» sämtliche
höhern Beamten, sowie die Religions- und die Rechtsgelehrten, vor allem aber
sind sie Kaufleute, und zwar gute Kaufleute von ruhiger Überlegung, die ihren
Vorteil zäh verfolgen. Sie sind zum Teil wohlhabend, ja reich, und einen
gewissen Besitz kann man bei ihnen alleu finden. Lesen und schreiben können
sie natürlich sämtlich, anch sind sie von einer großen Wißbegier. Ihr Benehmen
ist von gutem Anstande, bei den bessern von ihnen von vollendeter Eleganz;
dem Europäer kommen sie mit großer Liebenswürdigkeit entgegen, aber im
Grunde ihres Herzens wünschen sie ihn dorthin, wo der Pfeffer wächst. Während
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/201>, abgerufen am 24.11.2024.
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