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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Witwen- und Waisenversorgnng

Der Staat kann sich natürlich nicht zu dem Grundsatz bekenne:,, daß der
Beamte ohne Vermögen nicht heiraten soll. Aber er sagt sich bis jetzt: "Das
ist nun einmal so" -- und sieht zu, wie das Junggesellentum und leider auch
die Maitressenwirtschaft und die Ehen mit ganz ungebildeten Weibern zu¬
nehmen. Das ist gerade heute ganz und gar verkehrt und ein wahrer Hohn
auf das soziale Öl, mit dem gesalbt zu sein der moderne Staat -- Regierungen
und Parlamente -- so stolz ist. Die armen Geheimrath- und sonstigen
Beamtentöchter, deren Bestand unheimlich wächst, werfen sich mit Feuereifer
auf die bürgerliche oder nichtbürgerliche Frauenbewegung und greifen zu allen
möglichen Erwerbsarten, da der Hausfrauenberuf ihnen verschlossen ist. Wenn
sie stellenlos oder erwerbsunfähig werden, worauf sie meist verhältnismäßig
bald rechnen können, dann ist das Elend doppelt arg, und das Bettelbrot für
sie besonders hart und bitter. Mau mache doch wenigstens eine "Erhebung"
über diese ärmsten der Armen. Was da an Elend zu Tage kommen muß. schreit
Zum Himmel. Wenigstens für diese Armen, die erwerbsunfähigen Beamten¬
töchter und Bcmntenwitwen, junge und alte, schaffe man ausreichende, wenn
auch bescheidne "Wohlfahrtseinrichtungen," wie sie der Reichskanzler in Aus¬
sicht gestellt hat. Man gewähre ihnen Wohnung und Heizung und anständige
Pflege in Krankheit und den geringen Geldbetrag, den sie brauchen, um sich
vernünftig zu kleiden und sich satt zu essen, ohne Privatpersonen, von denen
sie Almosen erwarten können, mit Bettelbriefen lästig fallen und um den
Bart gehn zu müssen. Dem privaten freundschaftlichen Wohltun wird daneben
noch reichlich Raum bleiben- Nur um die Notdurft handelt es sich hier, für
die auch nicht annähernd gesorgt ist.

Dazu gehören noch lange nicht halb so viel Hunderttausende wie zu deu
Versprechungen des H 15 des Zolltarifgesetzes Millionen. Man soll die bessere
Versorgung der Witwen und der Waisen der Arbeiter nicht aä "ota. schreiben,
aber die bessere Versorgung der Beamtenwitwen und -Waisen hat den Vor¬
rang, sie muß als eilige Sache behandelt werden.

Wenn wir zu schwarz gemalt hätten, würden wir mit Freuden den Nach¬
weis, daß es gar nicht so schlimm steht, begrüßen und auch nur zu gern
unsern Irrtum eingestehn. Nur glaube man diesen Nachweis nicht damit
bringen zu können, daß man sich auf die schon jetzt in Bedürftigkeitsfüllen
gewährten Unterstützungen beruft. Die sind uns nicht unbekannt, anch nicht,
daß sie in manchen Fällen reichlich bemessen werden. Sie sind aber tatsächlich
der Masse der notleidenden, ganz oder teilweise auf Almosen angewiesenen
Beamtenwitwen und Beamtentöchter gegenüber nicht viel mehr als ein Tropfen
auf einen heißen Stein. Die Hinterbliebnen der Geistlichen und der Lehrer
rechnen wir mit ein, und natürlich dürfen die alten Notleidenden am wenigsten
deshalb ausgeschlossen werden, weil sie schon ein Menschenalter lang Not gelitten
haben. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Das Wort gilt hier ohne jedes
Wenn und Aber. Und daß der Wille da ist, daran dürfen wir doch nicht mehr
zweifeln.




Witwen- und Waisenversorgnng

Der Staat kann sich natürlich nicht zu dem Grundsatz bekenne:,, daß der
Beamte ohne Vermögen nicht heiraten soll. Aber er sagt sich bis jetzt: „Das
ist nun einmal so" — und sieht zu, wie das Junggesellentum und leider auch
die Maitressenwirtschaft und die Ehen mit ganz ungebildeten Weibern zu¬
nehmen. Das ist gerade heute ganz und gar verkehrt und ein wahrer Hohn
auf das soziale Öl, mit dem gesalbt zu sein der moderne Staat — Regierungen
und Parlamente — so stolz ist. Die armen Geheimrath- und sonstigen
Beamtentöchter, deren Bestand unheimlich wächst, werfen sich mit Feuereifer
auf die bürgerliche oder nichtbürgerliche Frauenbewegung und greifen zu allen
möglichen Erwerbsarten, da der Hausfrauenberuf ihnen verschlossen ist. Wenn
sie stellenlos oder erwerbsunfähig werden, worauf sie meist verhältnismäßig
bald rechnen können, dann ist das Elend doppelt arg, und das Bettelbrot für
sie besonders hart und bitter. Mau mache doch wenigstens eine „Erhebung"
über diese ärmsten der Armen. Was da an Elend zu Tage kommen muß. schreit
Zum Himmel. Wenigstens für diese Armen, die erwerbsunfähigen Beamten¬
töchter und Bcmntenwitwen, junge und alte, schaffe man ausreichende, wenn
auch bescheidne „Wohlfahrtseinrichtungen," wie sie der Reichskanzler in Aus¬
sicht gestellt hat. Man gewähre ihnen Wohnung und Heizung und anständige
Pflege in Krankheit und den geringen Geldbetrag, den sie brauchen, um sich
vernünftig zu kleiden und sich satt zu essen, ohne Privatpersonen, von denen
sie Almosen erwarten können, mit Bettelbriefen lästig fallen und um den
Bart gehn zu müssen. Dem privaten freundschaftlichen Wohltun wird daneben
noch reichlich Raum bleiben- Nur um die Notdurft handelt es sich hier, für
die auch nicht annähernd gesorgt ist.

Dazu gehören noch lange nicht halb so viel Hunderttausende wie zu deu
Versprechungen des H 15 des Zolltarifgesetzes Millionen. Man soll die bessere
Versorgung der Witwen und der Waisen der Arbeiter nicht aä »ota. schreiben,
aber die bessere Versorgung der Beamtenwitwen und -Waisen hat den Vor¬
rang, sie muß als eilige Sache behandelt werden.

Wenn wir zu schwarz gemalt hätten, würden wir mit Freuden den Nach¬
weis, daß es gar nicht so schlimm steht, begrüßen und auch nur zu gern
unsern Irrtum eingestehn. Nur glaube man diesen Nachweis nicht damit
bringen zu können, daß man sich auf die schon jetzt in Bedürftigkeitsfüllen
gewährten Unterstützungen beruft. Die sind uns nicht unbekannt, anch nicht,
daß sie in manchen Fällen reichlich bemessen werden. Sie sind aber tatsächlich
der Masse der notleidenden, ganz oder teilweise auf Almosen angewiesenen
Beamtenwitwen und Beamtentöchter gegenüber nicht viel mehr als ein Tropfen
auf einen heißen Stein. Die Hinterbliebnen der Geistlichen und der Lehrer
rechnen wir mit ein, und natürlich dürfen die alten Notleidenden am wenigsten
deshalb ausgeschlossen werden, weil sie schon ein Menschenalter lang Not gelitten
haben. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Das Wort gilt hier ohne jedes
Wenn und Aber. Und daß der Wille da ist, daran dürfen wir doch nicht mehr
zweifeln.




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[0199] Witwen- und Waisenversorgnng Der Staat kann sich natürlich nicht zu dem Grundsatz bekenne:,, daß der Beamte ohne Vermögen nicht heiraten soll. Aber er sagt sich bis jetzt: „Das ist nun einmal so" — und sieht zu, wie das Junggesellentum und leider auch die Maitressenwirtschaft und die Ehen mit ganz ungebildeten Weibern zu¬ nehmen. Das ist gerade heute ganz und gar verkehrt und ein wahrer Hohn auf das soziale Öl, mit dem gesalbt zu sein der moderne Staat — Regierungen und Parlamente — so stolz ist. Die armen Geheimrath- und sonstigen Beamtentöchter, deren Bestand unheimlich wächst, werfen sich mit Feuereifer auf die bürgerliche oder nichtbürgerliche Frauenbewegung und greifen zu allen möglichen Erwerbsarten, da der Hausfrauenberuf ihnen verschlossen ist. Wenn sie stellenlos oder erwerbsunfähig werden, worauf sie meist verhältnismäßig bald rechnen können, dann ist das Elend doppelt arg, und das Bettelbrot für sie besonders hart und bitter. Mau mache doch wenigstens eine „Erhebung" über diese ärmsten der Armen. Was da an Elend zu Tage kommen muß. schreit Zum Himmel. Wenigstens für diese Armen, die erwerbsunfähigen Beamten¬ töchter und Bcmntenwitwen, junge und alte, schaffe man ausreichende, wenn auch bescheidne „Wohlfahrtseinrichtungen," wie sie der Reichskanzler in Aus¬ sicht gestellt hat. Man gewähre ihnen Wohnung und Heizung und anständige Pflege in Krankheit und den geringen Geldbetrag, den sie brauchen, um sich vernünftig zu kleiden und sich satt zu essen, ohne Privatpersonen, von denen sie Almosen erwarten können, mit Bettelbriefen lästig fallen und um den Bart gehn zu müssen. Dem privaten freundschaftlichen Wohltun wird daneben noch reichlich Raum bleiben- Nur um die Notdurft handelt es sich hier, für die auch nicht annähernd gesorgt ist. Dazu gehören noch lange nicht halb so viel Hunderttausende wie zu deu Versprechungen des H 15 des Zolltarifgesetzes Millionen. Man soll die bessere Versorgung der Witwen und der Waisen der Arbeiter nicht aä »ota. schreiben, aber die bessere Versorgung der Beamtenwitwen und -Waisen hat den Vor¬ rang, sie muß als eilige Sache behandelt werden. Wenn wir zu schwarz gemalt hätten, würden wir mit Freuden den Nach¬ weis, daß es gar nicht so schlimm steht, begrüßen und auch nur zu gern unsern Irrtum eingestehn. Nur glaube man diesen Nachweis nicht damit bringen zu können, daß man sich auf die schon jetzt in Bedürftigkeitsfüllen gewährten Unterstützungen beruft. Die sind uns nicht unbekannt, anch nicht, daß sie in manchen Fällen reichlich bemessen werden. Sie sind aber tatsächlich der Masse der notleidenden, ganz oder teilweise auf Almosen angewiesenen Beamtenwitwen und Beamtentöchter gegenüber nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Die Hinterbliebnen der Geistlichen und der Lehrer rechnen wir mit ein, und natürlich dürfen die alten Notleidenden am wenigsten deshalb ausgeschlossen werden, weil sie schon ein Menschenalter lang Not gelitten haben. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Das Wort gilt hier ohne jedes Wenn und Aber. Und daß der Wille da ist, daran dürfen wir doch nicht mehr zweifeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/199>, abgerufen am 27.07.2024.