nikern zu verlangen oder seine Verheiratung vom Hinterlegen einer Knution, wie beim Offizier, abhängig zu machen, kann niemand einfallen, und wünschen kann man sicher nicht, daß in diesem wichtigen Teile des gebildeten Mittel¬ standes der Cölibcit und die wilde Ehe oder auch das Heiraten von ungebil¬ deten Weibern nach vorangcgangner wilder Ehe noch häusiger wird, als es schon ist. Tatsache ist es, daß das Elend, das die erwerbsnnfähigen Witwen und Waisen vermögenloscr Angestellter zu erwarten haben, viel schmerzlicher ist als das Elend, dem die der öffentlichen Armenpflege verfallenen Witwen und Waisen der Durchschnittslohnarbeiter entgegengehn. Wenn neuerdings unter den Angestellten das Verlangen lant wird, durch Reichsgesetz eine Zwangs- versichernng zur Versorgung der Hinterbliebnen eingeführt zu sehen, so ist das nur natürlich. Aber durch Prämien der Angestellten allein wird der Zweck schwerlich in genügendem Umfange erreicht werden. Ob bei der notorischen finanziellen Leistungsfähigkeit der kaufmännischen und der industriellen Unter¬ nehmerschaft dafür ein nennenswerter Zuschuß aus Staatsmitteln angebracht wäre, scheint uns mehr als zweifelhaft. Wohl aber könnten die in den Handels¬ kammern vertretnen Kaufleute und Industriellen zur Schaffung von Wohl- fahrtseinrichtungen für die standesgemäße Witwen- und Waisenversorgung ihrer gebildeten Angestellten angehalten werden. Was bisher in dieser Richtung von einzelnen Unternehmern freiwillig geschehn ist -- so anerkennenswert es auch sein mag --, hat dem allgemeinen dringenden Bedürfnis gegenüber nur eine verschwindende Bedeutung. Die sich leider häufenden Fälle widerrecht¬ licher Eingriffe der Angestellten in das Vermögen der Unternehmungen, denen sie zu dienen verpflichtet sind, sollten der Unternehmerschaft die Angen über die UnHaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands öffnen. Das Verlangen, sich Neben¬ einnahmen zu verschaffen, entspringt doch viel weniger oft ans der tadelns¬ werten Sucht nach unberechtigten Wohlleben, als aus der bittern Notwendig¬ keit, ein Vermögen für die Hinterbliebnen zu erwerben, wie es die Chefs als ihre selbstverständliche Pflicht betrachten. Wo aber solche Nebeneinnahmen zur Vermögensbildnng führen sollen, dn ist die Gefahr gewagter Spekulationen und verbrecherischer Manipulationen gerade für die kaufmännischen Angestellten unheimlich groß. Nur ein kleiner Teil der Fülle von Untreue Bediensteter, die dem Unternehmer bekannt werden, kommt an die große Glocke, und nur ein kleiner Teil der überhaupt vorkommenden Fälle wird den Unternehmern bekannt. Die Unehrlichkeit ans Not kommt schon jetzt sehr oft vor. Und doch brauchen Handel und Industrie einen ehrlichen Beamtenstand am aller- nötigsten. Auch die peinlichste, verletzendste Ausübung von allen möglichen Kontrollmaßregeln kann nur sehr wenig helfen. Not tut vor allem die Milderung der furchtbaren Sorge, die auf dem Angestellten lastet, was aus den Seinen wird, wenn er stirbt. Kein Wunder, wenn der heutige Zustand der Sozinldemokratie gerade in den Privatbeamten einen stark wachsenden Zu¬ wachs gebildeter Leute in die Arme treibt. Leider kann in absehbarer Zeit von der Unternehmerschaft noch keine genügende Initiative erwartet werden, und deshalb ist die Initiative des Staats unerläßlich. Das öffentliche Inter¬ esse verlangt sie ganz dringend. Wenn der Reichskanzler die Notwendigkeit
!Vienen- und Ivaisenversorgung
nikern zu verlangen oder seine Verheiratung vom Hinterlegen einer Knution, wie beim Offizier, abhängig zu machen, kann niemand einfallen, und wünschen kann man sicher nicht, daß in diesem wichtigen Teile des gebildeten Mittel¬ standes der Cölibcit und die wilde Ehe oder auch das Heiraten von ungebil¬ deten Weibern nach vorangcgangner wilder Ehe noch häusiger wird, als es schon ist. Tatsache ist es, daß das Elend, das die erwerbsnnfähigen Witwen und Waisen vermögenloscr Angestellter zu erwarten haben, viel schmerzlicher ist als das Elend, dem die der öffentlichen Armenpflege verfallenen Witwen und Waisen der Durchschnittslohnarbeiter entgegengehn. Wenn neuerdings unter den Angestellten das Verlangen lant wird, durch Reichsgesetz eine Zwangs- versichernng zur Versorgung der Hinterbliebnen eingeführt zu sehen, so ist das nur natürlich. Aber durch Prämien der Angestellten allein wird der Zweck schwerlich in genügendem Umfange erreicht werden. Ob bei der notorischen finanziellen Leistungsfähigkeit der kaufmännischen und der industriellen Unter¬ nehmerschaft dafür ein nennenswerter Zuschuß aus Staatsmitteln angebracht wäre, scheint uns mehr als zweifelhaft. Wohl aber könnten die in den Handels¬ kammern vertretnen Kaufleute und Industriellen zur Schaffung von Wohl- fahrtseinrichtungen für die standesgemäße Witwen- und Waisenversorgung ihrer gebildeten Angestellten angehalten werden. Was bisher in dieser Richtung von einzelnen Unternehmern freiwillig geschehn ist — so anerkennenswert es auch sein mag —, hat dem allgemeinen dringenden Bedürfnis gegenüber nur eine verschwindende Bedeutung. Die sich leider häufenden Fälle widerrecht¬ licher Eingriffe der Angestellten in das Vermögen der Unternehmungen, denen sie zu dienen verpflichtet sind, sollten der Unternehmerschaft die Angen über die UnHaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands öffnen. Das Verlangen, sich Neben¬ einnahmen zu verschaffen, entspringt doch viel weniger oft ans der tadelns¬ werten Sucht nach unberechtigten Wohlleben, als aus der bittern Notwendig¬ keit, ein Vermögen für die Hinterbliebnen zu erwerben, wie es die Chefs als ihre selbstverständliche Pflicht betrachten. Wo aber solche Nebeneinnahmen zur Vermögensbildnng führen sollen, dn ist die Gefahr gewagter Spekulationen und verbrecherischer Manipulationen gerade für die kaufmännischen Angestellten unheimlich groß. Nur ein kleiner Teil der Fülle von Untreue Bediensteter, die dem Unternehmer bekannt werden, kommt an die große Glocke, und nur ein kleiner Teil der überhaupt vorkommenden Fälle wird den Unternehmern bekannt. Die Unehrlichkeit ans Not kommt schon jetzt sehr oft vor. Und doch brauchen Handel und Industrie einen ehrlichen Beamtenstand am aller- nötigsten. Auch die peinlichste, verletzendste Ausübung von allen möglichen Kontrollmaßregeln kann nur sehr wenig helfen. Not tut vor allem die Milderung der furchtbaren Sorge, die auf dem Angestellten lastet, was aus den Seinen wird, wenn er stirbt. Kein Wunder, wenn der heutige Zustand der Sozinldemokratie gerade in den Privatbeamten einen stark wachsenden Zu¬ wachs gebildeter Leute in die Arme treibt. Leider kann in absehbarer Zeit von der Unternehmerschaft noch keine genügende Initiative erwartet werden, und deshalb ist die Initiative des Staats unerläßlich. Das öffentliche Inter¬ esse verlangt sie ganz dringend. Wenn der Reichskanzler die Notwendigkeit
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nikern zu verlangen oder seine Verheiratung vom Hinterlegen einer Knution,
wie beim Offizier, abhängig zu machen, kann niemand einfallen, und wünschen
kann man sicher nicht, daß in diesem wichtigen Teile des gebildeten Mittel¬
standes der Cölibcit und die wilde Ehe oder auch das Heiraten von ungebil¬
deten Weibern nach vorangcgangner wilder Ehe noch häusiger wird, als es
schon ist. Tatsache ist es, daß das Elend, das die erwerbsnnfähigen Witwen
und Waisen vermögenloscr Angestellter zu erwarten haben, viel schmerzlicher ist
als das Elend, dem die der öffentlichen Armenpflege verfallenen Witwen und
Waisen der Durchschnittslohnarbeiter entgegengehn. Wenn neuerdings unter
den Angestellten das Verlangen lant wird, durch Reichsgesetz eine Zwangs-
versichernng zur Versorgung der Hinterbliebnen eingeführt zu sehen, so ist das
nur natürlich. Aber durch Prämien der Angestellten allein wird der Zweck
schwerlich in genügendem Umfange erreicht werden. Ob bei der notorischen
finanziellen Leistungsfähigkeit der kaufmännischen und der industriellen Unter¬
nehmerschaft dafür ein nennenswerter Zuschuß aus Staatsmitteln angebracht
wäre, scheint uns mehr als zweifelhaft. Wohl aber könnten die in den Handels¬
kammern vertretnen Kaufleute und Industriellen zur Schaffung von Wohl-
fahrtseinrichtungen für die standesgemäße Witwen- und Waisenversorgung ihrer
gebildeten Angestellten angehalten werden. Was bisher in dieser Richtung
von einzelnen Unternehmern freiwillig geschehn ist — so anerkennenswert es
auch sein mag —, hat dem allgemeinen dringenden Bedürfnis gegenüber nur
eine verschwindende Bedeutung. Die sich leider häufenden Fälle widerrecht¬
licher Eingriffe der Angestellten in das Vermögen der Unternehmungen, denen
sie zu dienen verpflichtet sind, sollten der Unternehmerschaft die Angen über die
UnHaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands öffnen. Das Verlangen, sich Neben¬
einnahmen zu verschaffen, entspringt doch viel weniger oft ans der tadelns¬
werten Sucht nach unberechtigten Wohlleben, als aus der bittern Notwendig¬
keit, ein Vermögen für die Hinterbliebnen zu erwerben, wie es die Chefs als
ihre selbstverständliche Pflicht betrachten. Wo aber solche Nebeneinnahmen
zur Vermögensbildnng führen sollen, dn ist die Gefahr gewagter Spekulationen
und verbrecherischer Manipulationen gerade für die kaufmännischen Angestellten
unheimlich groß. Nur ein kleiner Teil der Fülle von Untreue Bediensteter,
die dem Unternehmer bekannt werden, kommt an die große Glocke, und nur
ein kleiner Teil der überhaupt vorkommenden Fälle wird den Unternehmern
bekannt. Die Unehrlichkeit ans Not kommt schon jetzt sehr oft vor. Und
doch brauchen Handel und Industrie einen ehrlichen Beamtenstand am aller-
nötigsten. Auch die peinlichste, verletzendste Ausübung von allen möglichen
Kontrollmaßregeln kann nur sehr wenig helfen. Not tut vor allem die
Milderung der furchtbaren Sorge, die auf dem Angestellten lastet, was aus
den Seinen wird, wenn er stirbt. Kein Wunder, wenn der heutige Zustand
der Sozinldemokratie gerade in den Privatbeamten einen stark wachsenden Zu¬
wachs gebildeter Leute in die Arme treibt. Leider kann in absehbarer Zeit
von der Unternehmerschaft noch keine genügende Initiative erwartet werden,
und deshalb ist die Initiative des Staats unerläßlich. Das öffentliche Inter¬
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/194>, abgerufen am 24.11.2024.
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