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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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wegen des Leichtsinns oder der Feigheit weniger, das hat das Heer nicht ver¬
dient, das ist allzu schmerzlich. Das Heer wird im Innersten erbittert sein,
und die erniedrigte Nation, die jugendlich kühn und siegreich im Rate Europas
erscheinen konnte, wird unerbittlich sein lind wird gerecht sein."

Durch seine disziplinwidrige vorlaute Kritik der Operationen kam Govone
in den Ruf, ein unbequemer Tadler zu sein. Della Rocca wünschte, daß er
aus seinem Korps entfernt werde, und niemand wollte ihn haben. In Lamar-
moras und Cialdims Heer wies man ihn zurück. Es war davon die Rede,
seiner Division irgend "eine besondre Verwendung zu geben. Vorläufig sollte
sie nach Ferrara gehn. Doch kaum war er dort angelangt, so wurde er zum
Könige gerufen, der damals sein Hauptquartier in Ferrarn hatte, und der ihm
nun seine neue Bestimmung ankündigte. Er sollte sich nach Nikolsburg be¬
geben. Wie er mit Barral das preußische Bündnis abgeschlossen hatte, sollte
er nun auch dem Gesandten bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Seite
stehn. Das war um 19. Juli. Er ließ sich vou Ricasoli und Visconti-
Venosta seine Instruktionen geben und klagte auch ihnen gegenüber ohne
Umschweife über den fehlerhaften Kriegsplan und über den unfähigen Per-
sano, dessen Feigheit kein Geheimnis war.

Noch an demselben Abend, am Vorabend der unglücklichen Seeschlacht
von Lissa, reiste Govone über Paris und Berlin nach Nikolsburg, wo er am
20. Juli eintraf. Den Weisungen gemäß, die er in Ferrara empfangen hatte,
sollte er versuchen, den Abschluß eines Waffenstillstands aufzuhalten, damit
Italien die Möglichkeit gewänne, seine kriegerische Ehre wieder herzustellen-
Ihn traf das schmerzliche Los, zuerst das Gewicht der Vorwürfe zu empfinden,
die weniger wegen des Schlachtenuuglücks als wegen der elend Verlornen
Wochen nach Custozza auf Italien sielen. Abermals stieg eine Wolke von
Zank und Verdruß zwischen den Verbündeten auf. In Preußen war man
unwillig, daß die Italiener dem österreichischen Heer erlaubt hatten, unbehelligt
"ach Norden abzuziehn. Die Italiener umgekehrt waren empfindlich über den
Ton, worin sie über die Kriegführung belehrt und zurechtgewiesen worden
waren; auch Bernhardi hatte die Usedomsche "Stoß ins Herz-Depesche"
in der Form verletzend gefunden. Geradezu niederschmetternd aber wirkte
die Nachricht, daß Preußen jetzt wirklich die Einleitung zu Friedensver¬
handlungen traf, ohne auf Italien zu warten. Auch Usedom und Bern¬
hardi waren im ersten Augenblick betroffen über diesen Mangel an Rücksicht
gegen deu Verbündeten. Bismarck aber entgegnete kühl: "Wir halten uns
an den Vertrag; wenn wir fünf Tage ruhn, so tun wir nur, was die Ita¬
liener vier Wochen lang getan haben." Um so schmerzlicher war die plötz¬
liche Wendung für die Italiener, als sie nun wirklich entschlossen waren, rasch
und energisch'das Versäumte nachzuholen und in den entblößten ost^
Provinzen weiter und weiter vorzudringen, um sich für den Augenblick der
Waffenruhe einen möglichst günstigen Besitzstand zu sichern. Jetzt kam dieser
Entschluß zu spät.

Als Govone im Hauptquartier ankam, traf er eme Situation, an der
"indes mehr geändert werden konnte. Bismarck hatte schon drei Tage zuvor


wegen des Leichtsinns oder der Feigheit weniger, das hat das Heer nicht ver¬
dient, das ist allzu schmerzlich. Das Heer wird im Innersten erbittert sein,
und die erniedrigte Nation, die jugendlich kühn und siegreich im Rate Europas
erscheinen konnte, wird unerbittlich sein lind wird gerecht sein."

Durch seine disziplinwidrige vorlaute Kritik der Operationen kam Govone
in den Ruf, ein unbequemer Tadler zu sein. Della Rocca wünschte, daß er
aus seinem Korps entfernt werde, und niemand wollte ihn haben. In Lamar-
moras und Cialdims Heer wies man ihn zurück. Es war davon die Rede,
seiner Division irgend "eine besondre Verwendung zu geben. Vorläufig sollte
sie nach Ferrara gehn. Doch kaum war er dort angelangt, so wurde er zum
Könige gerufen, der damals sein Hauptquartier in Ferrarn hatte, und der ihm
nun seine neue Bestimmung ankündigte. Er sollte sich nach Nikolsburg be¬
geben. Wie er mit Barral das preußische Bündnis abgeschlossen hatte, sollte
er nun auch dem Gesandten bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Seite
stehn. Das war um 19. Juli. Er ließ sich vou Ricasoli und Visconti-
Venosta seine Instruktionen geben und klagte auch ihnen gegenüber ohne
Umschweife über den fehlerhaften Kriegsplan und über den unfähigen Per-
sano, dessen Feigheit kein Geheimnis war.

Noch an demselben Abend, am Vorabend der unglücklichen Seeschlacht
von Lissa, reiste Govone über Paris und Berlin nach Nikolsburg, wo er am
20. Juli eintraf. Den Weisungen gemäß, die er in Ferrara empfangen hatte,
sollte er versuchen, den Abschluß eines Waffenstillstands aufzuhalten, damit
Italien die Möglichkeit gewänne, seine kriegerische Ehre wieder herzustellen-
Ihn traf das schmerzliche Los, zuerst das Gewicht der Vorwürfe zu empfinden,
die weniger wegen des Schlachtenuuglücks als wegen der elend Verlornen
Wochen nach Custozza auf Italien sielen. Abermals stieg eine Wolke von
Zank und Verdruß zwischen den Verbündeten auf. In Preußen war man
unwillig, daß die Italiener dem österreichischen Heer erlaubt hatten, unbehelligt
»ach Norden abzuziehn. Die Italiener umgekehrt waren empfindlich über den
Ton, worin sie über die Kriegführung belehrt und zurechtgewiesen worden
waren; auch Bernhardi hatte die Usedomsche „Stoß ins Herz-Depesche"
in der Form verletzend gefunden. Geradezu niederschmetternd aber wirkte
die Nachricht, daß Preußen jetzt wirklich die Einleitung zu Friedensver¬
handlungen traf, ohne auf Italien zu warten. Auch Usedom und Bern¬
hardi waren im ersten Augenblick betroffen über diesen Mangel an Rücksicht
gegen deu Verbündeten. Bismarck aber entgegnete kühl: „Wir halten uns
an den Vertrag; wenn wir fünf Tage ruhn, so tun wir nur, was die Ita¬
liener vier Wochen lang getan haben." Um so schmerzlicher war die plötz¬
liche Wendung für die Italiener, als sie nun wirklich entschlossen waren, rasch
und energisch'das Versäumte nachzuholen und in den entblößten ost^
Provinzen weiter und weiter vorzudringen, um sich für den Augenblick der
Waffenruhe einen möglichst günstigen Besitzstand zu sichern. Jetzt kam dieser
Entschluß zu spät.

Als Govone im Hauptquartier ankam, traf er eme Situation, an der
"indes mehr geändert werden konnte. Bismarck hatte schon drei Tage zuvor


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[0139] wegen des Leichtsinns oder der Feigheit weniger, das hat das Heer nicht ver¬ dient, das ist allzu schmerzlich. Das Heer wird im Innersten erbittert sein, und die erniedrigte Nation, die jugendlich kühn und siegreich im Rate Europas erscheinen konnte, wird unerbittlich sein lind wird gerecht sein." Durch seine disziplinwidrige vorlaute Kritik der Operationen kam Govone in den Ruf, ein unbequemer Tadler zu sein. Della Rocca wünschte, daß er aus seinem Korps entfernt werde, und niemand wollte ihn haben. In Lamar- moras und Cialdims Heer wies man ihn zurück. Es war davon die Rede, seiner Division irgend "eine besondre Verwendung zu geben. Vorläufig sollte sie nach Ferrara gehn. Doch kaum war er dort angelangt, so wurde er zum Könige gerufen, der damals sein Hauptquartier in Ferrarn hatte, und der ihm nun seine neue Bestimmung ankündigte. Er sollte sich nach Nikolsburg be¬ geben. Wie er mit Barral das preußische Bündnis abgeschlossen hatte, sollte er nun auch dem Gesandten bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Seite stehn. Das war um 19. Juli. Er ließ sich vou Ricasoli und Visconti- Venosta seine Instruktionen geben und klagte auch ihnen gegenüber ohne Umschweife über den fehlerhaften Kriegsplan und über den unfähigen Per- sano, dessen Feigheit kein Geheimnis war. Noch an demselben Abend, am Vorabend der unglücklichen Seeschlacht von Lissa, reiste Govone über Paris und Berlin nach Nikolsburg, wo er am 20. Juli eintraf. Den Weisungen gemäß, die er in Ferrara empfangen hatte, sollte er versuchen, den Abschluß eines Waffenstillstands aufzuhalten, damit Italien die Möglichkeit gewänne, seine kriegerische Ehre wieder herzustellen- Ihn traf das schmerzliche Los, zuerst das Gewicht der Vorwürfe zu empfinden, die weniger wegen des Schlachtenuuglücks als wegen der elend Verlornen Wochen nach Custozza auf Italien sielen. Abermals stieg eine Wolke von Zank und Verdruß zwischen den Verbündeten auf. In Preußen war man unwillig, daß die Italiener dem österreichischen Heer erlaubt hatten, unbehelligt »ach Norden abzuziehn. Die Italiener umgekehrt waren empfindlich über den Ton, worin sie über die Kriegführung belehrt und zurechtgewiesen worden waren; auch Bernhardi hatte die Usedomsche „Stoß ins Herz-Depesche" in der Form verletzend gefunden. Geradezu niederschmetternd aber wirkte die Nachricht, daß Preußen jetzt wirklich die Einleitung zu Friedensver¬ handlungen traf, ohne auf Italien zu warten. Auch Usedom und Bern¬ hardi waren im ersten Augenblick betroffen über diesen Mangel an Rücksicht gegen deu Verbündeten. Bismarck aber entgegnete kühl: „Wir halten uns an den Vertrag; wenn wir fünf Tage ruhn, so tun wir nur, was die Ita¬ liener vier Wochen lang getan haben." Um so schmerzlicher war die plötz¬ liche Wendung für die Italiener, als sie nun wirklich entschlossen waren, rasch und energisch'das Versäumte nachzuholen und in den entblößten ost^ Provinzen weiter und weiter vorzudringen, um sich für den Augenblick der Waffenruhe einen möglichst günstigen Besitzstand zu sichern. Jetzt kam dieser Entschluß zu spät. Als Govone im Hauptquartier ankam, traf er eme Situation, an der "indes mehr geändert werden konnte. Bismarck hatte schon drei Tage zuvor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/139>, abgerufen am 27.11.2024.