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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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gefordert hatte, denn die Kurie sieht in Frankreich trotz alledem nach wie vor
ihre Schutzmacht und rechnet offenbar auf einen Wechsel der Negierung, der
die radikale Partei wieder verdrängen kann. Was sind für diese päpstliche
Politik, die gewohnt ist mit Jahrhunderte" zu rechnen, schon die Staatsformen,
geschweige die wechselnden Ministerien der französischen Verlcgcnheitsrepublit!

Zwischen den beiden großen Bündnissen, die Festcuropn beherrschen, steht
England. Wohl hat der südafrikanische Krieg arge Schwächen seines Heer¬
wesens bloßgelegt, aber das Reich hat viel größere Massen ins Feld stellen
können, als man anfangs annehmen zu dürfen glaubte, und die Flotte be¬
währte sich wieder als die stärkste Kraft des Landes, denn ihre Überlegenheit
machte jede auswärtige Intervention unmöglich und sicherte das von Truppen
fast ganz entblößte Mutterland. Dazu zeigte die Nation ein Maß von Zähigkeit
und Opferbereitschaft, das ihr nur zum Ruhme gereicht, und die Kolonien
fühlten sich mit dem Mutterlande enger verbunden, als man ihnen zugetraut
hatte. So gelang es endlich, die Buren niederzuringen, Südafrika unter bri¬
tischer Flagge zu einigen; das letzte Nachspiel des zweihnndertfünfzigjährigen
Kampfes zwischen Angelsachsen und Niederländern hat mit dem Siege Eng¬
lands geendet, trotz der leidenschaftlichen Sympathien Europas für die Buren,
trotz aller Ausbrüche des Hasses gegen England. Eine Macht, die das durch¬
gesetzt hat, geht gekräftigt aus dem schweren Kampfe hervor. Sie hat während
dieser Jahre allerdings ihre alte Vorherrschaft in Ostasien verloren; sie hat
im wichtigsten Teile Chinas, im Jcmgtsetal, den Grundsatz der offnen Tür
anerkennen müssen und ist mir im Bunde mit Deutschland imstande gewesen,
der russischen Politik entgegen zu treten. Aber sie hat auch während des Buren¬
krieges den äußersten Osten nicht aus dein Auge gelassen und durch das
Bündnis mit Japan dem russisch-französischen Zweibund ein starkes Gegen¬
gewicht gegeben. Da England zugleich die Vormauern Indiens nach der allein
gefährdeten Seite, nach Afghanistan hin, unermüdlich verstärkt, und die Russen,
je weiter sie in Zentralasicn vordringen, desto mehr erkennen, daß es sehr
schwierig sein wird, ein ansehnliches Heer in schlagfertigen Zustande nach
Indien zu bringen, so ist das Gleichgewicht der Machte in Asien wahrend des
abgelaufnen Jahres noch befestigt worden.

Mit dieser britischen Macht in möglichst gutem Vernehmen zu stehn, soweit
dem unsre Interessen nicht widersprechen, ist doch wohl eine Hauptaufgabe der
deutscheu Politik. Ihre Lösung ist durch die bei uns herrschende Burenbegeiste¬
rung gerade nicht erleichtert worden, und dem feindseligen Tone unsrer Presse
antworteten nicht minder feindselige Äußerungen vou der andern Seite des
Kanals, wo es bekanntlich genug Leute gibt, die Deutschland durch eine Ver¬
ständigung Englands mit Rußland und Frankreich isolieren möchten, um unsre
unbequeme wirtschaftliche Konkurrenz niederzuhalten, und die durch die Haltung
des größten Teils der deutschen Tagespresse vou ihren Bestrebungen wahr¬
haftig uicht abgeschreckt werden konnten. Jetzt ist die Bureubegeisternng, die
am 18. Oktober beim Empfange der drei Generale in Berlin ihren Höhepunkt
erreichte, entschieden im Abflauen. Das Idealbild, das man sich vou diesen
südafrikanischen Niederländern gemacht hatte, beginnt unter dem Eindruck ihrer


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gefordert hatte, denn die Kurie sieht in Frankreich trotz alledem nach wie vor
ihre Schutzmacht und rechnet offenbar auf einen Wechsel der Negierung, der
die radikale Partei wieder verdrängen kann. Was sind für diese päpstliche
Politik, die gewohnt ist mit Jahrhunderte» zu rechnen, schon die Staatsformen,
geschweige die wechselnden Ministerien der französischen Verlcgcnheitsrepublit!

Zwischen den beiden großen Bündnissen, die Festcuropn beherrschen, steht
England. Wohl hat der südafrikanische Krieg arge Schwächen seines Heer¬
wesens bloßgelegt, aber das Reich hat viel größere Massen ins Feld stellen
können, als man anfangs annehmen zu dürfen glaubte, und die Flotte be¬
währte sich wieder als die stärkste Kraft des Landes, denn ihre Überlegenheit
machte jede auswärtige Intervention unmöglich und sicherte das von Truppen
fast ganz entblößte Mutterland. Dazu zeigte die Nation ein Maß von Zähigkeit
und Opferbereitschaft, das ihr nur zum Ruhme gereicht, und die Kolonien
fühlten sich mit dem Mutterlande enger verbunden, als man ihnen zugetraut
hatte. So gelang es endlich, die Buren niederzuringen, Südafrika unter bri¬
tischer Flagge zu einigen; das letzte Nachspiel des zweihnndertfünfzigjährigen
Kampfes zwischen Angelsachsen und Niederländern hat mit dem Siege Eng¬
lands geendet, trotz der leidenschaftlichen Sympathien Europas für die Buren,
trotz aller Ausbrüche des Hasses gegen England. Eine Macht, die das durch¬
gesetzt hat, geht gekräftigt aus dem schweren Kampfe hervor. Sie hat während
dieser Jahre allerdings ihre alte Vorherrschaft in Ostasien verloren; sie hat
im wichtigsten Teile Chinas, im Jcmgtsetal, den Grundsatz der offnen Tür
anerkennen müssen und ist mir im Bunde mit Deutschland imstande gewesen,
der russischen Politik entgegen zu treten. Aber sie hat auch während des Buren¬
krieges den äußersten Osten nicht aus dein Auge gelassen und durch das
Bündnis mit Japan dem russisch-französischen Zweibund ein starkes Gegen¬
gewicht gegeben. Da England zugleich die Vormauern Indiens nach der allein
gefährdeten Seite, nach Afghanistan hin, unermüdlich verstärkt, und die Russen,
je weiter sie in Zentralasicn vordringen, desto mehr erkennen, daß es sehr
schwierig sein wird, ein ansehnliches Heer in schlagfertigen Zustande nach
Indien zu bringen, so ist das Gleichgewicht der Machte in Asien wahrend des
abgelaufnen Jahres noch befestigt worden.

Mit dieser britischen Macht in möglichst gutem Vernehmen zu stehn, soweit
dem unsre Interessen nicht widersprechen, ist doch wohl eine Hauptaufgabe der
deutscheu Politik. Ihre Lösung ist durch die bei uns herrschende Burenbegeiste¬
rung gerade nicht erleichtert worden, und dem feindseligen Tone unsrer Presse
antworteten nicht minder feindselige Äußerungen vou der andern Seite des
Kanals, wo es bekanntlich genug Leute gibt, die Deutschland durch eine Ver¬
ständigung Englands mit Rußland und Frankreich isolieren möchten, um unsre
unbequeme wirtschaftliche Konkurrenz niederzuhalten, und die durch die Haltung
des größten Teils der deutschen Tagespresse vou ihren Bestrebungen wahr¬
haftig uicht abgeschreckt werden konnten. Jetzt ist die Bureubegeisternng, die
am 18. Oktober beim Empfange der drei Generale in Berlin ihren Höhepunkt
erreichte, entschieden im Abflauen. Das Idealbild, das man sich vou diesen
südafrikanischen Niederländern gemacht hatte, beginnt unter dem Eindruck ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/12>, abgerufen am 24.11.2024.