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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Marokko

Selbständigkeit Marokkos ein Ende zu machen. Solche Grenzstreitigkeiten
unterhält es immer; sie können nach Bedarf auch leicht geschaffen werden.
Die Republik begnügte sich, die Onsengrnppe Gurara in der Wüste und die
Oase Tafilelt am Atlas zu nehmen und den Sultan ihre Macht fühlen zu
lassen.

In Marokko selbst sind die Zustände so verworren, das; sie zu einem
Eingreifen geradezu auffordern. Sultan Mnlay Hassan hatte, als er am
6. Juni 1894 starb, sein Land einundzwanzig Jahre lang auf alte barbarische
Art regiert, aber doch eine gewisse Ordnung aufrecht erhalten. Er hatte die
Macht'zum Regieren. sein Sohn Abdul Asiz folgte ihm als ganz unreifer
Jüngling und war ein Spielball in der Hand der Wessire und der aus¬
wärtigen Vertreter, uuter denen namentlich der französische, gestützt ans den
französischen Leibarzt, einen großen Einfluß gewunn. Von einer geordneten
Wirtschaft kann in Marokko keine Rede sein, namentlich auch nicht von einer
finanziellen. Die Kosten der Hofhaltung bestreitet der Sultan, indem er in
eine leidlich wohlhabende Provinz einrückt und sich von ihr so lauge er¬
nähren läßt, bis sie ausgesogen ist und nichts mehr hergeben kann. Kleinere
">'d größere Aufstände sind an der Tagesordmmg. Sie werden grausam
unterdrückt. So baufällig der Thron des Sultans ist, so leicht er umgestürzt
werden kann, so ist doch zu erwarten, daß muselmanischer Fanatismus die
Bevölkerung eint, wenn eine christliche Macht das Land angreift. Frankreich
fürchtet sogar in einem solchen Falle eine unbequeme Erregung unter seinen
eignen islamitischen Atlasstämmen. Deshalb steckt im gegenwärtigen Regiment
wnner noch eine gewisse vis insrtms.

Einer Verbindung mehrerer Mächte wären diese Verhältnisse wohl weniger
gewachsen. An Projekten für eine solche hat es natürlich uicht gefehlt. Und
immer war Spanien dann in der glücklichen Lage, der Teil zu sein, dem
Geschenke von andrer Seite auf Marokkos Kosten mühelos in deu Schoß
fallen sollten. Ernstes Gewicht bekamen sie, als vor etwa einem Jahre der
frühere spanische Minister Silvela, Führer einer konservativen Gruppe in den
Eortes. sich für ein Abkommen mit Frankreich aussprach. Er hoffte, dann
s" viel vom Lande der scherifischen Sultaue für Spanien erlangen zu können,
daß eine ersprießliche kolonisatorische Thätigkeit darauf zu entfalten Ware.
Ceuta und eine Reihe andrer Punkte an der marokkanischen Mcktelmeerkuste.
die sogenannten Presidios. sind schon lange in spanischem Besitz. Von ehren
aus könnte man zum Atlas emporsteige", der wohlbcwüsserte Oasen, fruchtbare
Hochthäler und beackerbare Hochflächen in Menge hat. Frankreich sollte natnrluh
Tanger "ud einen sehr großen Teil des übrigen Landes erhalten. Anklang
fand Herr Silvela nicht/ Frankreich gegenüber sind die Spanier zu sehr von
dein tinieo O^imos beherrscht.

Vor kurzem hatte die Erörterung eines solchen Gedankens einen neue"
Anstoß genommen, obgleich Silvela noch immer auf die Opposition beschränkt
ist- Die' französische Republik berief einen ihrer bewährtesten und befähigtsten
Diplomaten, sserrn Cambon, ans Washington ab und setzte ihn nach Madrid.
Es lag nahe. °zu vermuten, daß eine so ungewöhnliche Verschiebung ans einen


Marokko

Selbständigkeit Marokkos ein Ende zu machen. Solche Grenzstreitigkeiten
unterhält es immer; sie können nach Bedarf auch leicht geschaffen werden.
Die Republik begnügte sich, die Onsengrnppe Gurara in der Wüste und die
Oase Tafilelt am Atlas zu nehmen und den Sultan ihre Macht fühlen zu
lassen.

In Marokko selbst sind die Zustände so verworren, das; sie zu einem
Eingreifen geradezu auffordern. Sultan Mnlay Hassan hatte, als er am
6. Juni 1894 starb, sein Land einundzwanzig Jahre lang auf alte barbarische
Art regiert, aber doch eine gewisse Ordnung aufrecht erhalten. Er hatte die
Macht'zum Regieren. sein Sohn Abdul Asiz folgte ihm als ganz unreifer
Jüngling und war ein Spielball in der Hand der Wessire und der aus¬
wärtigen Vertreter, uuter denen namentlich der französische, gestützt ans den
französischen Leibarzt, einen großen Einfluß gewunn. Von einer geordneten
Wirtschaft kann in Marokko keine Rede sein, namentlich auch nicht von einer
finanziellen. Die Kosten der Hofhaltung bestreitet der Sultan, indem er in
eine leidlich wohlhabende Provinz einrückt und sich von ihr so lauge er¬
nähren läßt, bis sie ausgesogen ist und nichts mehr hergeben kann. Kleinere
">'d größere Aufstände sind an der Tagesordmmg. Sie werden grausam
unterdrückt. So baufällig der Thron des Sultans ist, so leicht er umgestürzt
werden kann, so ist doch zu erwarten, daß muselmanischer Fanatismus die
Bevölkerung eint, wenn eine christliche Macht das Land angreift. Frankreich
fürchtet sogar in einem solchen Falle eine unbequeme Erregung unter seinen
eignen islamitischen Atlasstämmen. Deshalb steckt im gegenwärtigen Regiment
wnner noch eine gewisse vis insrtms.

Einer Verbindung mehrerer Mächte wären diese Verhältnisse wohl weniger
gewachsen. An Projekten für eine solche hat es natürlich uicht gefehlt. Und
immer war Spanien dann in der glücklichen Lage, der Teil zu sein, dem
Geschenke von andrer Seite auf Marokkos Kosten mühelos in deu Schoß
fallen sollten. Ernstes Gewicht bekamen sie, als vor etwa einem Jahre der
frühere spanische Minister Silvela, Führer einer konservativen Gruppe in den
Eortes. sich für ein Abkommen mit Frankreich aussprach. Er hoffte, dann
s" viel vom Lande der scherifischen Sultaue für Spanien erlangen zu können,
daß eine ersprießliche kolonisatorische Thätigkeit darauf zu entfalten Ware.
Ceuta und eine Reihe andrer Punkte an der marokkanischen Mcktelmeerkuste.
die sogenannten Presidios. sind schon lange in spanischem Besitz. Von ehren
aus könnte man zum Atlas emporsteige«, der wohlbcwüsserte Oasen, fruchtbare
Hochthäler und beackerbare Hochflächen in Menge hat. Frankreich sollte natnrluh
Tanger »ud einen sehr großen Teil des übrigen Landes erhalten. Anklang
fand Herr Silvela nicht/ Frankreich gegenüber sind die Spanier zu sehr von
dein tinieo O^imos beherrscht.

Vor kurzem hatte die Erörterung eines solchen Gedankens einen neue»
Anstoß genommen, obgleich Silvela noch immer auf die Opposition beschränkt
ist- Die' französische Republik berief einen ihrer bewährtesten und befähigtsten
Diplomaten, sserrn Cambon, ans Washington ab und setzte ihn nach Madrid.
Es lag nahe. °zu vermuten, daß eine so ungewöhnliche Verschiebung ans einen


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[0077] Marokko Selbständigkeit Marokkos ein Ende zu machen. Solche Grenzstreitigkeiten unterhält es immer; sie können nach Bedarf auch leicht geschaffen werden. Die Republik begnügte sich, die Onsengrnppe Gurara in der Wüste und die Oase Tafilelt am Atlas zu nehmen und den Sultan ihre Macht fühlen zu lassen. In Marokko selbst sind die Zustände so verworren, das; sie zu einem Eingreifen geradezu auffordern. Sultan Mnlay Hassan hatte, als er am 6. Juni 1894 starb, sein Land einundzwanzig Jahre lang auf alte barbarische Art regiert, aber doch eine gewisse Ordnung aufrecht erhalten. Er hatte die Macht'zum Regieren. sein Sohn Abdul Asiz folgte ihm als ganz unreifer Jüngling und war ein Spielball in der Hand der Wessire und der aus¬ wärtigen Vertreter, uuter denen namentlich der französische, gestützt ans den französischen Leibarzt, einen großen Einfluß gewunn. Von einer geordneten Wirtschaft kann in Marokko keine Rede sein, namentlich auch nicht von einer finanziellen. Die Kosten der Hofhaltung bestreitet der Sultan, indem er in eine leidlich wohlhabende Provinz einrückt und sich von ihr so lauge er¬ nähren läßt, bis sie ausgesogen ist und nichts mehr hergeben kann. Kleinere ">'d größere Aufstände sind an der Tagesordmmg. Sie werden grausam unterdrückt. So baufällig der Thron des Sultans ist, so leicht er umgestürzt werden kann, so ist doch zu erwarten, daß muselmanischer Fanatismus die Bevölkerung eint, wenn eine christliche Macht das Land angreift. Frankreich fürchtet sogar in einem solchen Falle eine unbequeme Erregung unter seinen eignen islamitischen Atlasstämmen. Deshalb steckt im gegenwärtigen Regiment wnner noch eine gewisse vis insrtms. Einer Verbindung mehrerer Mächte wären diese Verhältnisse wohl weniger gewachsen. An Projekten für eine solche hat es natürlich uicht gefehlt. Und immer war Spanien dann in der glücklichen Lage, der Teil zu sein, dem Geschenke von andrer Seite auf Marokkos Kosten mühelos in deu Schoß fallen sollten. Ernstes Gewicht bekamen sie, als vor etwa einem Jahre der frühere spanische Minister Silvela, Führer einer konservativen Gruppe in den Eortes. sich für ein Abkommen mit Frankreich aussprach. Er hoffte, dann s" viel vom Lande der scherifischen Sultaue für Spanien erlangen zu können, daß eine ersprießliche kolonisatorische Thätigkeit darauf zu entfalten Ware. Ceuta und eine Reihe andrer Punkte an der marokkanischen Mcktelmeerkuste. die sogenannten Presidios. sind schon lange in spanischem Besitz. Von ehren aus könnte man zum Atlas emporsteige«, der wohlbcwüsserte Oasen, fruchtbare Hochthäler und beackerbare Hochflächen in Menge hat. Frankreich sollte natnrluh Tanger »ud einen sehr großen Teil des übrigen Landes erhalten. Anklang fand Herr Silvela nicht/ Frankreich gegenüber sind die Spanier zu sehr von dein tinieo O^imos beherrscht. Vor kurzem hatte die Erörterung eines solchen Gedankens einen neue» Anstoß genommen, obgleich Silvela noch immer auf die Opposition beschränkt ist- Die' französische Republik berief einen ihrer bewährtesten und befähigtsten Diplomaten, sserrn Cambon, ans Washington ab und setzte ihn nach Madrid. Es lag nahe. °zu vermuten, daß eine so ungewöhnliche Verschiebung ans einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/77>, abgerufen am 01.09.2024.