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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ganz natürlich machen, und der Gewinn wäre der, daß sich die Vertreter der Kon¬
fessionen wieder näher kommen und sich achten lernen würden. Das alles ist ja
durch den jahrelangen Kampf verloren gegangen.

Freilich hat man von protestantischer Seite vorgehalten: "Erst muß Rom seine
Prinzipien gegenüber dem Protestantismus einer Revision unterziehn, dann erst
kann es seinen Klerus zur Duldung erziehn, und daun erst kann Friede werden."
Das ist nu und für sich ganz richtig. Aber wenn wir Protestanten darauf warten
wollen, dann können wir lauge warten. Im übrigen ist ja die Praxis der katho¬
lischen Kirche nicht so fürchterlich. Wenn, wie vor einigen Togen, bei der Ein¬
weihung einer evangelischen Kirche gleich mehrere katholische Priester zugegen sind,
so ist doch da wenigstens von einer Zurücksetzung oder Nichtachtung des Protestan¬
tismus wahrhaftig keine Rede.

Die Frage, wer an die Spitze der neuen Liga treten und wer zu Mitgliedern
geworben werden soll, kann man auch leicht beantworten. Keinesfalls die Geist¬
lichkeit. Die protestantischen wenigstens scheinen, vereinzelte Ausnahmen abgerechnet,
herzlich wenig Lust zur Sache zu verspüre"; nud die katholischen würden vermutlich
von ihren Ordinariaten kaum die Erlaubnis zur Mitthätigkeit erhalte". Dann
aber ist es Sache der protestantischen und der katholischen Bürger und Beamten, den
Plan weiter zu verfolge", und daß es da nicht an nationalgesinntcn Männern fehlt,
das ist uns zweifellos.

Die ganze Bewegung, die erst in diesen Monate" begönne" hat, geht von
Mittel- und Norddeutschlnnd aus. Es ist vor allem der Herausgeber der Zeitschrift
"Die christliche Welt," I)r. Rade, der diese Schwenkung, wie wir glauben, zu Nutz
und Frommen des deutschen Volks gemacht hat.

Muß es denn immer das Schicksal des Südens sein, daß wir erst nachhinken?
Können wir nicht gleich mithalten? Allerdings hat unser Nürnberg, das ziemlich
fern vom konfessionellen Kriegsschauplatz steht, heute und morgen keine Veranlassung,
die Friedensglvcke zu läuten. Anders aber sind die Verhältnisse im südlichen
Bayern. Dort ist die Stimmung sehr günstig. Wie wir hören regt es sich schon
in Städten wie München und Augsburg, und wir können nur wünschen, daß
dort die Bewegung uicht verfärbe, sondern rasch um sich greife. Noch ist es Zeit,
daß vieles gut gemacht wird.

Es war kein Geringerer als der Vorkämpfer des "Evangelischen Bundes,"
der verstorbne Professor Or. Beyschlag, der in einer Versammlung 1887 erklärte:
"Eine Kirche, die ihre Mnelons und Pascals, ihre seiner, ja auch ihre Sedluitzky,
Amalie v. Lasciulx und Döllinger hervorbringen, wenn auch uicht immer bis ans
Ende festhalten kann, ist des göttlichen Geistes noch "icht bar und ledig." Auf
diese Tonart müsse" wir alle wieder ""fre Instrumente stimmen lernen, dann
wird eine Vereinigung nicht zu lauge ans sich warten lassen, und der Bund wird
gute Früchte tragen, ihm selbst zur Ehre, der Kirche zum Heil, dem Vaterlande
zum Nutzen.


Julius Schiller




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart w Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ganz natürlich machen, und der Gewinn wäre der, daß sich die Vertreter der Kon¬
fessionen wieder näher kommen und sich achten lernen würden. Das alles ist ja
durch den jahrelangen Kampf verloren gegangen.

Freilich hat man von protestantischer Seite vorgehalten: „Erst muß Rom seine
Prinzipien gegenüber dem Protestantismus einer Revision unterziehn, dann erst
kann es seinen Klerus zur Duldung erziehn, und daun erst kann Friede werden."
Das ist nu und für sich ganz richtig. Aber wenn wir Protestanten darauf warten
wollen, dann können wir lauge warten. Im übrigen ist ja die Praxis der katho¬
lischen Kirche nicht so fürchterlich. Wenn, wie vor einigen Togen, bei der Ein¬
weihung einer evangelischen Kirche gleich mehrere katholische Priester zugegen sind,
so ist doch da wenigstens von einer Zurücksetzung oder Nichtachtung des Protestan¬
tismus wahrhaftig keine Rede.

Die Frage, wer an die Spitze der neuen Liga treten und wer zu Mitgliedern
geworben werden soll, kann man auch leicht beantworten. Keinesfalls die Geist¬
lichkeit. Die protestantischen wenigstens scheinen, vereinzelte Ausnahmen abgerechnet,
herzlich wenig Lust zur Sache zu verspüre«; nud die katholischen würden vermutlich
von ihren Ordinariaten kaum die Erlaubnis zur Mitthätigkeit erhalte». Dann
aber ist es Sache der protestantischen und der katholischen Bürger und Beamten, den
Plan weiter zu verfolge», und daß es da nicht an nationalgesinntcn Männern fehlt,
das ist uns zweifellos.

Die ganze Bewegung, die erst in diesen Monate» begönne« hat, geht von
Mittel- und Norddeutschlnnd aus. Es ist vor allem der Herausgeber der Zeitschrift
„Die christliche Welt," I)r. Rade, der diese Schwenkung, wie wir glauben, zu Nutz
und Frommen des deutschen Volks gemacht hat.

Muß es denn immer das Schicksal des Südens sein, daß wir erst nachhinken?
Können wir nicht gleich mithalten? Allerdings hat unser Nürnberg, das ziemlich
fern vom konfessionellen Kriegsschauplatz steht, heute und morgen keine Veranlassung,
die Friedensglvcke zu läuten. Anders aber sind die Verhältnisse im südlichen
Bayern. Dort ist die Stimmung sehr günstig. Wie wir hören regt es sich schon
in Städten wie München und Augsburg, und wir können nur wünschen, daß
dort die Bewegung uicht verfärbe, sondern rasch um sich greife. Noch ist es Zeit,
daß vieles gut gemacht wird.

Es war kein Geringerer als der Vorkämpfer des „Evangelischen Bundes,"
der verstorbne Professor Or. Beyschlag, der in einer Versammlung 1887 erklärte:
„Eine Kirche, die ihre Mnelons und Pascals, ihre seiner, ja auch ihre Sedluitzky,
Amalie v. Lasciulx und Döllinger hervorbringen, wenn auch uicht immer bis ans
Ende festhalten kann, ist des göttlichen Geistes noch »icht bar und ledig." Auf
diese Tonart müsse» wir alle wieder »»fre Instrumente stimmen lernen, dann
wird eine Vereinigung nicht zu lauge ans sich warten lassen, und der Bund wird
gute Früchte tragen, ihm selbst zur Ehre, der Kirche zum Heil, dem Vaterlande
zum Nutzen.


Julius Schiller




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart w Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/758>, abgerufen am 01.09.2024.