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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

eigen Einwanderung verschwindend. Auf Grund von Kolonisation kann also so wenig
eine Erwerbung amerikanischen Gebiets in Aussicht genommen werden wie auf jede
andre Weise.

In Deutschlands Interesse liegt die Unabhängigkeit Süd- und Mittel-
amerikas. Und darin begegnet es sich ganz dem englischen. Für die Vereinigten
Staaten hat Präsident Novsevelt in den beiden erwähnten Botschaften dasselbe
proklamiert. Er ist ein Ehrenmann, an seinen Worten darf man nicht zweifeln.
Etwas andres ist es, ob immer ein so besonnener Mann an der Spitze der großen
Republik flehn wird. Vvlksleidenschaften, wirksam angefacht, reißen in einer Re¬
publik, die sich aller zwei Jahre ein neues Repräsentantenhaus und aller vier Jahre
einen neuen Präsidenten giebt, leicht die offizielle Politik mit fort. Solche Leiden¬
schaften sind vorhanden. Seit dem raschen und glücklichen Kriege gegen Spanien
spielen Expansion und Imperialismus eine große Rolle im Sinnen und Trachten
des amerikanischen Volkes. Die schichzöllnerischen Großfabrikanten im Nordosten hatten
schon viel länger ihr panamerikanisches Programm. Sie wollen möglichst viele neue
Märkte erobern und durch ihre Zollgrenzen die europäische Konkurrenz davon aus¬
sperren. Die Blnineschen "Reziprozitätsverträge" waren Werkzeuge zu diesem Zweck.
Die Annexion Hawaiis, Portorikvs und der Philippinen hat noch vollständigere
Arbeit gemacht. Kuba wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur ganz vorübergehend
eine selbständige Existenz haben. So ist es denn sehr begreiflich, daß sich der
Blick einen weitern Horizont sucht.

Auch in Südamerika ist man für diese Dinge nicht blind geblieben. Der pan¬
amerikanische Gedanke hat dort keine Fortschritte gemacht; auch die "panamerikanische"
Ausstellung in Chicago und der "panamerikanische Kongreß" in Mexiko haben das
wachsende Mißtrauen nicht zu beschwichtigen vermocht. Nach der wirtschaftlichen
Bevormundung durch den Norden trägt man kein Verlangen. Mögen die nord-
amerikanischen Exporteure nnn durch "Reziprozitätsverträge" oder durch Annexion ihr
Absatzmonopol im Süden erhalten: die dortigen Konsumenten müssen alsdann ihre
Bedarfsartikel gerade so teuer bezahlen wie jetzt, aber wenn diese dann aus dem
Norden kommen, so liefern sie kein Geld in die Zvllknssen, und die Bürger Süd¬
amerikas müssen für ihre eignen Staatszwecke die Mittel dann auf andre Weise
aufbringen. Die Korruption ist ja leider auch in Südamerika wohlbekannt. Aber
am wenigsten kann man es leiden, wenn die bestechlichen Beamten und die be¬
trügerische" Lieferanten ihren Raub im fernen Lande verzehren. Die Besorgnisse
in Südamerika gehn aber noch viel weiter. Man fürchtet, daß die mächtige Union
unter dem Vorwande, den kleinen Schwestern im Süden helfen zu wollen, all¬
mählich die Stellung einer anerkannten Schutzniacht erlangt. Schon vor einigen
Jahren erregte es große Erbitterung im Süden, daß ein nordamerikanisches Kriegs¬
schiff den Amazonenstrom hinauffuhr, ohne zuvor die übliche und völkerrechtlich
sanktionierte Erlaubnisforderung bei der Landesregierung erledigt zu haben. Bei
einer Wiederholung in diesem Jahre hat man die Formalität allerdings peinlich
beobachtet. Dafür haben sich aber wichtigere Dinge am obern Ainnzvnenstrom,
vielmehr an seinem mächtigen Nebenfluß, dem Madeira, zugetragen. Es giebt dort
einen auf alleu Karten verzeichneten, im Stielerschen Atlas Bolivia zugeschriebnen
dreieckigen Zipfel Landes, der in Wahrheit zwischen Brasilien und Bolivia streitig
ist. Verschiedne Verträge zwischen den beiden Staaten, die die Sache ins reine
bringen sollten, verfehlten ihren Zweck. Seit dem vorigen Jahre organisieren sich
in Manaos, der Hauptstadt des brasilianischen Staates Amazonas, Banden, um
dieses Gebiet -- es nennt sich Acre -- für Brasilien zu gewinnen oder als selb¬
ständige Republik zu organisieren. An ihrer Spitze fleht Galvez, ein prachtvoller
Typus des südamerikanischen Cvndottiere. Ihm und seinen Banden ist es wohl
am meisten darum zu thun, bei ihren "Bcfreiungs"feldzügen Beute nu Gummi
elnstikum zu machen, das dort in großer Menge gewonnen wird und in deu
Haciendas vorrätig lagert. Der Staat Amazonas hat sträflicherweise und im
Gegensatz zur Zentralregierung in Rio de Janeiro die Unternehmung geduldet.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

eigen Einwanderung verschwindend. Auf Grund von Kolonisation kann also so wenig
eine Erwerbung amerikanischen Gebiets in Aussicht genommen werden wie auf jede
andre Weise.

In Deutschlands Interesse liegt die Unabhängigkeit Süd- und Mittel-
amerikas. Und darin begegnet es sich ganz dem englischen. Für die Vereinigten
Staaten hat Präsident Novsevelt in den beiden erwähnten Botschaften dasselbe
proklamiert. Er ist ein Ehrenmann, an seinen Worten darf man nicht zweifeln.
Etwas andres ist es, ob immer ein so besonnener Mann an der Spitze der großen
Republik flehn wird. Vvlksleidenschaften, wirksam angefacht, reißen in einer Re¬
publik, die sich aller zwei Jahre ein neues Repräsentantenhaus und aller vier Jahre
einen neuen Präsidenten giebt, leicht die offizielle Politik mit fort. Solche Leiden¬
schaften sind vorhanden. Seit dem raschen und glücklichen Kriege gegen Spanien
spielen Expansion und Imperialismus eine große Rolle im Sinnen und Trachten
des amerikanischen Volkes. Die schichzöllnerischen Großfabrikanten im Nordosten hatten
schon viel länger ihr panamerikanisches Programm. Sie wollen möglichst viele neue
Märkte erobern und durch ihre Zollgrenzen die europäische Konkurrenz davon aus¬
sperren. Die Blnineschen „Reziprozitätsverträge" waren Werkzeuge zu diesem Zweck.
Die Annexion Hawaiis, Portorikvs und der Philippinen hat noch vollständigere
Arbeit gemacht. Kuba wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur ganz vorübergehend
eine selbständige Existenz haben. So ist es denn sehr begreiflich, daß sich der
Blick einen weitern Horizont sucht.

Auch in Südamerika ist man für diese Dinge nicht blind geblieben. Der pan¬
amerikanische Gedanke hat dort keine Fortschritte gemacht; auch die „panamerikanische"
Ausstellung in Chicago und der „panamerikanische Kongreß" in Mexiko haben das
wachsende Mißtrauen nicht zu beschwichtigen vermocht. Nach der wirtschaftlichen
Bevormundung durch den Norden trägt man kein Verlangen. Mögen die nord-
amerikanischen Exporteure nnn durch „Reziprozitätsverträge" oder durch Annexion ihr
Absatzmonopol im Süden erhalten: die dortigen Konsumenten müssen alsdann ihre
Bedarfsartikel gerade so teuer bezahlen wie jetzt, aber wenn diese dann aus dem
Norden kommen, so liefern sie kein Geld in die Zvllknssen, und die Bürger Süd¬
amerikas müssen für ihre eignen Staatszwecke die Mittel dann auf andre Weise
aufbringen. Die Korruption ist ja leider auch in Südamerika wohlbekannt. Aber
am wenigsten kann man es leiden, wenn die bestechlichen Beamten und die be¬
trügerische» Lieferanten ihren Raub im fernen Lande verzehren. Die Besorgnisse
in Südamerika gehn aber noch viel weiter. Man fürchtet, daß die mächtige Union
unter dem Vorwande, den kleinen Schwestern im Süden helfen zu wollen, all¬
mählich die Stellung einer anerkannten Schutzniacht erlangt. Schon vor einigen
Jahren erregte es große Erbitterung im Süden, daß ein nordamerikanisches Kriegs¬
schiff den Amazonenstrom hinauffuhr, ohne zuvor die übliche und völkerrechtlich
sanktionierte Erlaubnisforderung bei der Landesregierung erledigt zu haben. Bei
einer Wiederholung in diesem Jahre hat man die Formalität allerdings peinlich
beobachtet. Dafür haben sich aber wichtigere Dinge am obern Ainnzvnenstrom,
vielmehr an seinem mächtigen Nebenfluß, dem Madeira, zugetragen. Es giebt dort
einen auf alleu Karten verzeichneten, im Stielerschen Atlas Bolivia zugeschriebnen
dreieckigen Zipfel Landes, der in Wahrheit zwischen Brasilien und Bolivia streitig
ist. Verschiedne Verträge zwischen den beiden Staaten, die die Sache ins reine
bringen sollten, verfehlten ihren Zweck. Seit dem vorigen Jahre organisieren sich
in Manaos, der Hauptstadt des brasilianischen Staates Amazonas, Banden, um
dieses Gebiet — es nennt sich Acre — für Brasilien zu gewinnen oder als selb¬
ständige Republik zu organisieren. An ihrer Spitze fleht Galvez, ein prachtvoller
Typus des südamerikanischen Cvndottiere. Ihm und seinen Banden ist es wohl
am meisten darum zu thun, bei ihren „Bcfreiungs"feldzügen Beute nu Gummi
elnstikum zu machen, das dort in großer Menge gewonnen wird und in deu
Haciendas vorrätig lagert. Der Staat Amazonas hat sträflicherweise und im
Gegensatz zur Zentralregierung in Rio de Janeiro die Unternehmung geduldet.


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[0750] Maßgebliches und Unmaßgebliches eigen Einwanderung verschwindend. Auf Grund von Kolonisation kann also so wenig eine Erwerbung amerikanischen Gebiets in Aussicht genommen werden wie auf jede andre Weise. In Deutschlands Interesse liegt die Unabhängigkeit Süd- und Mittel- amerikas. Und darin begegnet es sich ganz dem englischen. Für die Vereinigten Staaten hat Präsident Novsevelt in den beiden erwähnten Botschaften dasselbe proklamiert. Er ist ein Ehrenmann, an seinen Worten darf man nicht zweifeln. Etwas andres ist es, ob immer ein so besonnener Mann an der Spitze der großen Republik flehn wird. Vvlksleidenschaften, wirksam angefacht, reißen in einer Re¬ publik, die sich aller zwei Jahre ein neues Repräsentantenhaus und aller vier Jahre einen neuen Präsidenten giebt, leicht die offizielle Politik mit fort. Solche Leiden¬ schaften sind vorhanden. Seit dem raschen und glücklichen Kriege gegen Spanien spielen Expansion und Imperialismus eine große Rolle im Sinnen und Trachten des amerikanischen Volkes. Die schichzöllnerischen Großfabrikanten im Nordosten hatten schon viel länger ihr panamerikanisches Programm. Sie wollen möglichst viele neue Märkte erobern und durch ihre Zollgrenzen die europäische Konkurrenz davon aus¬ sperren. Die Blnineschen „Reziprozitätsverträge" waren Werkzeuge zu diesem Zweck. Die Annexion Hawaiis, Portorikvs und der Philippinen hat noch vollständigere Arbeit gemacht. Kuba wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur ganz vorübergehend eine selbständige Existenz haben. So ist es denn sehr begreiflich, daß sich der Blick einen weitern Horizont sucht. Auch in Südamerika ist man für diese Dinge nicht blind geblieben. Der pan¬ amerikanische Gedanke hat dort keine Fortschritte gemacht; auch die „panamerikanische" Ausstellung in Chicago und der „panamerikanische Kongreß" in Mexiko haben das wachsende Mißtrauen nicht zu beschwichtigen vermocht. Nach der wirtschaftlichen Bevormundung durch den Norden trägt man kein Verlangen. Mögen die nord- amerikanischen Exporteure nnn durch „Reziprozitätsverträge" oder durch Annexion ihr Absatzmonopol im Süden erhalten: die dortigen Konsumenten müssen alsdann ihre Bedarfsartikel gerade so teuer bezahlen wie jetzt, aber wenn diese dann aus dem Norden kommen, so liefern sie kein Geld in die Zvllknssen, und die Bürger Süd¬ amerikas müssen für ihre eignen Staatszwecke die Mittel dann auf andre Weise aufbringen. Die Korruption ist ja leider auch in Südamerika wohlbekannt. Aber am wenigsten kann man es leiden, wenn die bestechlichen Beamten und die be¬ trügerische» Lieferanten ihren Raub im fernen Lande verzehren. Die Besorgnisse in Südamerika gehn aber noch viel weiter. Man fürchtet, daß die mächtige Union unter dem Vorwande, den kleinen Schwestern im Süden helfen zu wollen, all¬ mählich die Stellung einer anerkannten Schutzniacht erlangt. Schon vor einigen Jahren erregte es große Erbitterung im Süden, daß ein nordamerikanisches Kriegs¬ schiff den Amazonenstrom hinauffuhr, ohne zuvor die übliche und völkerrechtlich sanktionierte Erlaubnisforderung bei der Landesregierung erledigt zu haben. Bei einer Wiederholung in diesem Jahre hat man die Formalität allerdings peinlich beobachtet. Dafür haben sich aber wichtigere Dinge am obern Ainnzvnenstrom, vielmehr an seinem mächtigen Nebenfluß, dem Madeira, zugetragen. Es giebt dort einen auf alleu Karten verzeichneten, im Stielerschen Atlas Bolivia zugeschriebnen dreieckigen Zipfel Landes, der in Wahrheit zwischen Brasilien und Bolivia streitig ist. Verschiedne Verträge zwischen den beiden Staaten, die die Sache ins reine bringen sollten, verfehlten ihren Zweck. Seit dem vorigen Jahre organisieren sich in Manaos, der Hauptstadt des brasilianischen Staates Amazonas, Banden, um dieses Gebiet — es nennt sich Acre — für Brasilien zu gewinnen oder als selb¬ ständige Republik zu organisieren. An ihrer Spitze fleht Galvez, ein prachtvoller Typus des südamerikanischen Cvndottiere. Ihm und seinen Banden ist es wohl am meisten darum zu thun, bei ihren „Bcfreiungs"feldzügen Beute nu Gummi elnstikum zu machen, das dort in großer Menge gewonnen wird und in deu Haciendas vorrätig lagert. Der Staat Amazonas hat sträflicherweise und im Gegensatz zur Zentralregierung in Rio de Janeiro die Unternehmung geduldet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/750>, abgerufen am 01.09.2024.