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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelms I. und Bismarcks Stellung zur Reichsgründung

haben,") Oder hat Busch vielleicht much diese aus dem damals uoch gar nicht
vorhandnen Manuskript der Gedanken und Erinnerungen abgeschrieben?

Über den weitern Verlauf der Angelegenheit werden dann manche neue
Einzelheiten mitgeteilt, die übrigens das schon feststehende Bild nicht wesent¬
lich ändern. Fast dramatisch gestalten sich nach dem eingehenden Bericht des
Großherzogs von Baden (452 ff,, vergl. Dove, Großherzog Friedrich S. 165 f.)
die Schlußszenen: wie König Wilhelm noch in der letzten Beratung am
17. Januar 1871 erregt auf dem Titel ".Kaiser von Deutschland" bestand,
Bismarck uach seiner Abmachung mit den bayrischen Ministern an dem
"Deutschen Kaiser" festhielt, wie dieser Widerspruch überhaupt an diesem Tage
nicht geschlichtet wurde, und der König noch am Morgen des 18. Januar un¬
mittelbar vor der Proklamation dem Großherzog von Baden sagen ließ, es
bleibe beim "Kaiser von Deutschland"; wie dieser im letzten Augenblick noch
eine Verständigung versuchte, und da sie ihm nicht gelang, sein Hoch schlecht¬
weg auf "Kaiser Wilhelm" ausbrachte. Warum Lorenz zum Schlüsse die
Erzählung Bismarcks (Gedanken und Erinnerungen II, 122), der Kaiser habe
ihn nach der Proklamation "ignoriert," bestreitet, weil der dicht dabei stehende
Herzog von Meiningen davon "nicht das mindeste bemerkt" habe, gehört
wieder zu seinen Sonderbarkeiten, denn es ist schlechterdings nicht einzusehen,
warum hier das negative Zeugnis des ganz unbeteiligten Fürsten eine größere
Beweiskraft haben sollte, als das positive des sehr stark beteiligten und schmerz¬
lich betroffnen Bismarck.

Die beiden letzten Kapitel (Versailles und der Friede, Der Abschluß der
Reichsgründung und die allgemeine politische Lage) bringen wieder einzelne
neue Züge in das Bild, fallen aber teilweise einigermaßen aus dem Thema
heraus. Jedenfalls ist das Ergebnis des Buchs nicht das von Lorenz be¬
absichtigte; er hat manches neue beigebracht und einzelnes berichtigt, aber die
Umwertung der politisch-historischen Werte, eine Revision des geschichtlichen
Urteils zu Ungunsten Bismarcks ist ihm nicht gelungen. Der Weisheit letzter
Schluß wird hier für alle Zeiten der Satz bleiben: eine kleine Gruppe großer,
starker Charaktere hat in fortgesetzten! Ringen miteinander das neue Reich ge¬
schaffen, und jeder hat etwas von seinem Wesen in diese Schöpfung hinein¬
gebracht, der eine mehr, der andre weniger, der Meister des Werks aber bleibt
Fürst, Bismarck.





Nach den Angaben eines damaligen Regimentsadjutanten, der sich erinnert, diese Stelle
passiert zu haben, ist es eine Straße südlich von Beaumont; das Gespräch kann also nur in den
letzten Tagen vor der Schlacht bei Beaumont stattgefunden haben. Die oben erwähnten Orts¬
angaben widersprechen sich nur scheinbar, denn die Allee führte über eine von schmalen Gräben
quer durchschnittne Wiese, und die Stäbe ritten oft, da die Straße von Kolonnen besetzt war, neben
dieser auf der Wiese, Busch erwähnt in dieser Gegend "eine Chaussee mit italienischen Pappeln"
(l, 132, vergl. S. 140).
Wilhelms I. und Bismarcks Stellung zur Reichsgründung

haben,") Oder hat Busch vielleicht much diese aus dem damals uoch gar nicht
vorhandnen Manuskript der Gedanken und Erinnerungen abgeschrieben?

Über den weitern Verlauf der Angelegenheit werden dann manche neue
Einzelheiten mitgeteilt, die übrigens das schon feststehende Bild nicht wesent¬
lich ändern. Fast dramatisch gestalten sich nach dem eingehenden Bericht des
Großherzogs von Baden (452 ff,, vergl. Dove, Großherzog Friedrich S. 165 f.)
die Schlußszenen: wie König Wilhelm noch in der letzten Beratung am
17. Januar 1871 erregt auf dem Titel „.Kaiser von Deutschland" bestand,
Bismarck uach seiner Abmachung mit den bayrischen Ministern an dem
„Deutschen Kaiser" festhielt, wie dieser Widerspruch überhaupt an diesem Tage
nicht geschlichtet wurde, und der König noch am Morgen des 18. Januar un¬
mittelbar vor der Proklamation dem Großherzog von Baden sagen ließ, es
bleibe beim „Kaiser von Deutschland"; wie dieser im letzten Augenblick noch
eine Verständigung versuchte, und da sie ihm nicht gelang, sein Hoch schlecht¬
weg auf „Kaiser Wilhelm" ausbrachte. Warum Lorenz zum Schlüsse die
Erzählung Bismarcks (Gedanken und Erinnerungen II, 122), der Kaiser habe
ihn nach der Proklamation „ignoriert," bestreitet, weil der dicht dabei stehende
Herzog von Meiningen davon „nicht das mindeste bemerkt" habe, gehört
wieder zu seinen Sonderbarkeiten, denn es ist schlechterdings nicht einzusehen,
warum hier das negative Zeugnis des ganz unbeteiligten Fürsten eine größere
Beweiskraft haben sollte, als das positive des sehr stark beteiligten und schmerz¬
lich betroffnen Bismarck.

Die beiden letzten Kapitel (Versailles und der Friede, Der Abschluß der
Reichsgründung und die allgemeine politische Lage) bringen wieder einzelne
neue Züge in das Bild, fallen aber teilweise einigermaßen aus dem Thema
heraus. Jedenfalls ist das Ergebnis des Buchs nicht das von Lorenz be¬
absichtigte; er hat manches neue beigebracht und einzelnes berichtigt, aber die
Umwertung der politisch-historischen Werte, eine Revision des geschichtlichen
Urteils zu Ungunsten Bismarcks ist ihm nicht gelungen. Der Weisheit letzter
Schluß wird hier für alle Zeiten der Satz bleiben: eine kleine Gruppe großer,
starker Charaktere hat in fortgesetzten! Ringen miteinander das neue Reich ge¬
schaffen, und jeder hat etwas von seinem Wesen in diese Schöpfung hinein¬
gebracht, der eine mehr, der andre weniger, der Meister des Werks aber bleibt
Fürst, Bismarck.





Nach den Angaben eines damaligen Regimentsadjutanten, der sich erinnert, diese Stelle
passiert zu haben, ist es eine Straße südlich von Beaumont; das Gespräch kann also nur in den
letzten Tagen vor der Schlacht bei Beaumont stattgefunden haben. Die oben erwähnten Orts¬
angaben widersprechen sich nur scheinbar, denn die Allee führte über eine von schmalen Gräben
quer durchschnittne Wiese, und die Stäbe ritten oft, da die Straße von Kolonnen besetzt war, neben
dieser auf der Wiese, Busch erwähnt in dieser Gegend „eine Chaussee mit italienischen Pappeln"
(l, 132, vergl. S. 140).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/648>, abgerufen am 01.09.2024.