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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Häresie gestempelten Behauptung entgegengesetzt ist, wird nicht gesagt, und die meisten
dieser Sätze haben mehr als ein Gegenteil. Gerade die vier berüchtigtsten Sätze
nun sind oder vielmehr ihre Verwerfung ist ganz harmlos, wie die Übersetzungen
ins nichtkatholische, die wir dahinter einklammern, schlagend darthun. 1. In unsrer
Zeit ist es nicht mehr zuträglich, daß die katholische Religion mit Ausschluß aller
übrigen als einzige Staatsreligion gelte. (In unsrer Zeit ist es nicht mehr zu¬
träglich, daß die lutherische Religion in Sachsen, Braunschweig und Mecklenburg
als Staatsreligion gilt.) 2. Darum ist es zu loben, daß in gewissen katholischen
Ländern den Einwandrern andrer Religionen erlaubt wird, ihren Kultus öffent¬
lich auszuüben. (Darum wäre es zu loben, wenn die genannten drei Staaten den
Katholiken die unbeschränkte öffentliche Ausübung ihres Kultus erlauben.) 3. Denn
es ist falsch, daß die gesetzlich anerkannte Freiheit eines jeden, jede beliebige Meinung
öffentlich auszusprechen, die Sitten und Gesinnungen der Völker verderbe. (Denn
es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Freiheit, den Sozialismus, Anarchismus
und alle beliebigen Sekteulehren öffentlich zu verbreiten, irgend welchen Schaden
anrichte.) 4. Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, mit dem
Liberalismus und mit der modernen Bildung aussöhnen und verständigen. (Die
preußische Regierung und die Kreuzzeitung können und sollen sich mit Eugen Richter,
mit Bebel, mit Häckel und Nietzsche aussöhnen und verständigen. Daß im Syllabus
weder der technische Fortschritt noch die moderne Schulbildung gemeint sein kann,
geht daraus hervor, daß die Katholiken unter Führung ihrer geistlichen Häupter
soviel Gebrauch davon machen, als sie nur irgend können.) -- Nun etwas für die
Katholiken! Einer von Ehrhards Kritikern schreibt: "Statt der kleinlauten Auf¬
forderung, sich selbst zu prüfen, hätte E., wenn er etwas leisten wollte, lant und
offen den Ruf an die Protestnuten richten sollen, zur Mutter aller Christen, zur
heiligen katholischen Kirche zurückzukehren." Welche Verblendung, sich einzubilden,
es werde mich nur ein einziger verständiger Protestant der Einladung zum Ein¬
tritt in eine Kirche folgen, die solche Früchte zeitigt, wie wir sie in den romanischen
Ländern und in Österreich reifen sehen! Der katholischen Kirche als einer gro߬
artigen Institution, die gewaltige Aufgaben gelöst und dabei, wie es das Schicksal
menschlicher Institutionen zu sein pflegt, im Guten wie im Bösen Großes voll¬
bracht hat, weigern wir die geziemende Ehrfurcht nicht; aber wenn sie sich heute
als Retterin aus sozialen und politischen Nöten empfiehlt, so macht sie sich lächer¬
lich, und wenn sie uns gar die Gnade Gottes und das ewige Leben verbürgen
will, begeht sie Gotteslästerung; daß sie, wo ihre Geistlichen ihre Schuldigkeit thun,
die Wahrheiten, Tröstungen und nützlichen Übungen, die uns zur Gnade Gottes
und zum ewigen Leben verhelfen können, ebenso wirksam vermittelt wie die übrigen
Kirchen und Sekten, bestreiten wir ihr nicht.

Zwei Gründe bestimmen uns, an dieser Stelle das vor kurzem erschienene
Buch eines evangelischen Verfassers zu erwähnen: Materialien zum Verständnis
und zur Kritik des katholischen Sozialismus von Ine. tksol. G. Traub.
(Zweites Heft der von I. F. Lehmnnns Verlag in München herausgegebnen
Sammlung: Geschichtswahrheiten; zwanglose Hefte zur Aufklärung über konfessionelle
Zeit- und Streitfragen.) Der Verfasser stellt die katholische Gesellschaftslehre dar,
deren Großartigkeit, Harmonie und Geschlossenheit er anerkennt, kritisiert sie und
berichtet sodann über einige geschichtliche Dokumente (Schriften von Ketteler und
Hitze, die Schulen von Angers und Lüttich, die päpstlichen Enzykliker) und über
die sozialen Organisationen der Katholiken (Gesellen-, Arbeiter-, Bauern-, Gewerk-
vereine). Einmal bedeutet die Schrift einen Schritt zur Verständigung von pro¬
testantischer Seite; dann aber ladet sie zu einem Blick auf die sozialen Zustände der
katholischen Länder ein, der sofort davon überzeugt, wie eitel der Anspruch der
Kurie ist, die Völker retten zu wollen; sie kann froh sein, wenn sie selbst von den
Völkern, nicht am wenigsten von den protestantischen, ans der Falle, in der sie
sich selbst gefangen hat, erlöst wird. Die katholische Kirche hat die schönste soziale
Theorie, aber die katholischen Völker üben die elendeste soziale Praxis. Wenn die


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Häresie gestempelten Behauptung entgegengesetzt ist, wird nicht gesagt, und die meisten
dieser Sätze haben mehr als ein Gegenteil. Gerade die vier berüchtigtsten Sätze
nun sind oder vielmehr ihre Verwerfung ist ganz harmlos, wie die Übersetzungen
ins nichtkatholische, die wir dahinter einklammern, schlagend darthun. 1. In unsrer
Zeit ist es nicht mehr zuträglich, daß die katholische Religion mit Ausschluß aller
übrigen als einzige Staatsreligion gelte. (In unsrer Zeit ist es nicht mehr zu¬
träglich, daß die lutherische Religion in Sachsen, Braunschweig und Mecklenburg
als Staatsreligion gilt.) 2. Darum ist es zu loben, daß in gewissen katholischen
Ländern den Einwandrern andrer Religionen erlaubt wird, ihren Kultus öffent¬
lich auszuüben. (Darum wäre es zu loben, wenn die genannten drei Staaten den
Katholiken die unbeschränkte öffentliche Ausübung ihres Kultus erlauben.) 3. Denn
es ist falsch, daß die gesetzlich anerkannte Freiheit eines jeden, jede beliebige Meinung
öffentlich auszusprechen, die Sitten und Gesinnungen der Völker verderbe. (Denn
es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Freiheit, den Sozialismus, Anarchismus
und alle beliebigen Sekteulehren öffentlich zu verbreiten, irgend welchen Schaden
anrichte.) 4. Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, mit dem
Liberalismus und mit der modernen Bildung aussöhnen und verständigen. (Die
preußische Regierung und die Kreuzzeitung können und sollen sich mit Eugen Richter,
mit Bebel, mit Häckel und Nietzsche aussöhnen und verständigen. Daß im Syllabus
weder der technische Fortschritt noch die moderne Schulbildung gemeint sein kann,
geht daraus hervor, daß die Katholiken unter Führung ihrer geistlichen Häupter
soviel Gebrauch davon machen, als sie nur irgend können.) — Nun etwas für die
Katholiken! Einer von Ehrhards Kritikern schreibt: „Statt der kleinlauten Auf¬
forderung, sich selbst zu prüfen, hätte E., wenn er etwas leisten wollte, lant und
offen den Ruf an die Protestnuten richten sollen, zur Mutter aller Christen, zur
heiligen katholischen Kirche zurückzukehren." Welche Verblendung, sich einzubilden,
es werde mich nur ein einziger verständiger Protestant der Einladung zum Ein¬
tritt in eine Kirche folgen, die solche Früchte zeitigt, wie wir sie in den romanischen
Ländern und in Österreich reifen sehen! Der katholischen Kirche als einer gro߬
artigen Institution, die gewaltige Aufgaben gelöst und dabei, wie es das Schicksal
menschlicher Institutionen zu sein pflegt, im Guten wie im Bösen Großes voll¬
bracht hat, weigern wir die geziemende Ehrfurcht nicht; aber wenn sie sich heute
als Retterin aus sozialen und politischen Nöten empfiehlt, so macht sie sich lächer¬
lich, und wenn sie uns gar die Gnade Gottes und das ewige Leben verbürgen
will, begeht sie Gotteslästerung; daß sie, wo ihre Geistlichen ihre Schuldigkeit thun,
die Wahrheiten, Tröstungen und nützlichen Übungen, die uns zur Gnade Gottes
und zum ewigen Leben verhelfen können, ebenso wirksam vermittelt wie die übrigen
Kirchen und Sekten, bestreiten wir ihr nicht.

Zwei Gründe bestimmen uns, an dieser Stelle das vor kurzem erschienene
Buch eines evangelischen Verfassers zu erwähnen: Materialien zum Verständnis
und zur Kritik des katholischen Sozialismus von Ine. tksol. G. Traub.
(Zweites Heft der von I. F. Lehmnnns Verlag in München herausgegebnen
Sammlung: Geschichtswahrheiten; zwanglose Hefte zur Aufklärung über konfessionelle
Zeit- und Streitfragen.) Der Verfasser stellt die katholische Gesellschaftslehre dar,
deren Großartigkeit, Harmonie und Geschlossenheit er anerkennt, kritisiert sie und
berichtet sodann über einige geschichtliche Dokumente (Schriften von Ketteler und
Hitze, die Schulen von Angers und Lüttich, die päpstlichen Enzykliker) und über
die sozialen Organisationen der Katholiken (Gesellen-, Arbeiter-, Bauern-, Gewerk-
vereine). Einmal bedeutet die Schrift einen Schritt zur Verständigung von pro¬
testantischer Seite; dann aber ladet sie zu einem Blick auf die sozialen Zustände der
katholischen Länder ein, der sofort davon überzeugt, wie eitel der Anspruch der
Kurie ist, die Völker retten zu wollen; sie kann froh sein, wenn sie selbst von den
Völkern, nicht am wenigsten von den protestantischen, ans der Falle, in der sie
sich selbst gefangen hat, erlöst wird. Die katholische Kirche hat die schönste soziale
Theorie, aber die katholischen Völker üben die elendeste soziale Praxis. Wenn die


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[0060] Maßgebliches und Unmaßgebliches Häresie gestempelten Behauptung entgegengesetzt ist, wird nicht gesagt, und die meisten dieser Sätze haben mehr als ein Gegenteil. Gerade die vier berüchtigtsten Sätze nun sind oder vielmehr ihre Verwerfung ist ganz harmlos, wie die Übersetzungen ins nichtkatholische, die wir dahinter einklammern, schlagend darthun. 1. In unsrer Zeit ist es nicht mehr zuträglich, daß die katholische Religion mit Ausschluß aller übrigen als einzige Staatsreligion gelte. (In unsrer Zeit ist es nicht mehr zu¬ träglich, daß die lutherische Religion in Sachsen, Braunschweig und Mecklenburg als Staatsreligion gilt.) 2. Darum ist es zu loben, daß in gewissen katholischen Ländern den Einwandrern andrer Religionen erlaubt wird, ihren Kultus öffent¬ lich auszuüben. (Darum wäre es zu loben, wenn die genannten drei Staaten den Katholiken die unbeschränkte öffentliche Ausübung ihres Kultus erlauben.) 3. Denn es ist falsch, daß die gesetzlich anerkannte Freiheit eines jeden, jede beliebige Meinung öffentlich auszusprechen, die Sitten und Gesinnungen der Völker verderbe. (Denn es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Freiheit, den Sozialismus, Anarchismus und alle beliebigen Sekteulehren öffentlich zu verbreiten, irgend welchen Schaden anrichte.) 4. Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und mit der modernen Bildung aussöhnen und verständigen. (Die preußische Regierung und die Kreuzzeitung können und sollen sich mit Eugen Richter, mit Bebel, mit Häckel und Nietzsche aussöhnen und verständigen. Daß im Syllabus weder der technische Fortschritt noch die moderne Schulbildung gemeint sein kann, geht daraus hervor, daß die Katholiken unter Führung ihrer geistlichen Häupter soviel Gebrauch davon machen, als sie nur irgend können.) — Nun etwas für die Katholiken! Einer von Ehrhards Kritikern schreibt: „Statt der kleinlauten Auf¬ forderung, sich selbst zu prüfen, hätte E., wenn er etwas leisten wollte, lant und offen den Ruf an die Protestnuten richten sollen, zur Mutter aller Christen, zur heiligen katholischen Kirche zurückzukehren." Welche Verblendung, sich einzubilden, es werde mich nur ein einziger verständiger Protestant der Einladung zum Ein¬ tritt in eine Kirche folgen, die solche Früchte zeitigt, wie wir sie in den romanischen Ländern und in Österreich reifen sehen! Der katholischen Kirche als einer gro߬ artigen Institution, die gewaltige Aufgaben gelöst und dabei, wie es das Schicksal menschlicher Institutionen zu sein pflegt, im Guten wie im Bösen Großes voll¬ bracht hat, weigern wir die geziemende Ehrfurcht nicht; aber wenn sie sich heute als Retterin aus sozialen und politischen Nöten empfiehlt, so macht sie sich lächer¬ lich, und wenn sie uns gar die Gnade Gottes und das ewige Leben verbürgen will, begeht sie Gotteslästerung; daß sie, wo ihre Geistlichen ihre Schuldigkeit thun, die Wahrheiten, Tröstungen und nützlichen Übungen, die uns zur Gnade Gottes und zum ewigen Leben verhelfen können, ebenso wirksam vermittelt wie die übrigen Kirchen und Sekten, bestreiten wir ihr nicht. Zwei Gründe bestimmen uns, an dieser Stelle das vor kurzem erschienene Buch eines evangelischen Verfassers zu erwähnen: Materialien zum Verständnis und zur Kritik des katholischen Sozialismus von Ine. tksol. G. Traub. (Zweites Heft der von I. F. Lehmnnns Verlag in München herausgegebnen Sammlung: Geschichtswahrheiten; zwanglose Hefte zur Aufklärung über konfessionelle Zeit- und Streitfragen.) Der Verfasser stellt die katholische Gesellschaftslehre dar, deren Großartigkeit, Harmonie und Geschlossenheit er anerkennt, kritisiert sie und berichtet sodann über einige geschichtliche Dokumente (Schriften von Ketteler und Hitze, die Schulen von Angers und Lüttich, die päpstlichen Enzykliker) und über die sozialen Organisationen der Katholiken (Gesellen-, Arbeiter-, Bauern-, Gewerk- vereine). Einmal bedeutet die Schrift einen Schritt zur Verständigung von pro¬ testantischer Seite; dann aber ladet sie zu einem Blick auf die sozialen Zustände der katholischen Länder ein, der sofort davon überzeugt, wie eitel der Anspruch der Kurie ist, die Völker retten zu wollen; sie kann froh sein, wenn sie selbst von den Völkern, nicht am wenigsten von den protestantischen, ans der Falle, in der sie sich selbst gefangen hat, erlöst wird. Die katholische Kirche hat die schönste soziale Theorie, aber die katholischen Völker üben die elendeste soziale Praxis. Wenn die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/60>, abgerufen am 01.09.2024.