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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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einen Angriff von allen vier Seiten zugleich voraus, und einen solchen hat
die Schweiz doch schwerlich zu befürchten.

Ihre strategische Bedeutung hat also die Gvtthardstraße in ihrer ganzen
Ausdehnung bewahrt, ihre Verkehrsbedeutung nur für den Neisebetrieb, und
auch für diesen nur bis Hospenthal; die Strecke von dort aus über den eigent¬
lichen Paß nach Airolo und weiter ist heute verödet, wird aber als Heer¬
straße noch gut unterhalten. Den Punkt, wo sie von der Furknstraße ab¬
zweigt, bezeichnet die alte Sust, ein massives Gebäude mit Eckturm und kleinen
vergitterten Fenstern unter breitem Ziegeldach, das den Stierkopf von Uri
über dem Thore trügt und jetzt zum Zeughaus eingerichtet ist. Von hier aus
ersteigt die Straße in langen Kehren den Grashang des linken Ufers der
Gotthardreuß, hoch über dein schäumenden Flusse, der hier in enger Schlucht
nach dem Urserenthcilc durchbricht. Auf derselben Seite lief der alte, jetzt
wenig mehr kenntliche Saumpfad, der Weg Goethes und Suworows. Nach
einer starken Viertelstunde langsamen Anstiegs rücken die Thalwände ganz eng
zusammen; hier, am "Stäubencgg," stürzt die Reuß in zwei schönen Wasser¬
fällen herab. Eine scharfe Biegung, und der zweite Teil der Paßstraße, der
Gcunsbvden, beginnt, ein langgestrecktes, breites, ödes, baumloses Thal, von
steilen, felsigen Hunger eingefaßt, die rechts vom Winterhorn (Pizzo Orsino),
links vom Gamsstock henmterkommen, von Wildwassern zerrissen, von Geröll
bedeckt, hier und da mit Gras und Moos bestanden, zwischen denen die
Gletscherbäche weißschäumend herniedersickern; auf der linken Seite stürzt durch
ein Seitenthal vom Guspisgletscher am Pizzo Centrnle, der in der Lücke sicht¬
bar wird, ein prächtiger Wasserfall herab, offenbar derselbe, den Goethe 1775
und 1797 besonders hervorhebt. Durch die breite, grasbewachsene, steinüber¬
säte Thalsohle, alten Gletscherboden, fließt die Reuß als ein schmaler, oft
geteilter Bach. Dort zieht auch dicht am Wasser und deshalb oft zerrissen der
schmale Saumweg dahin als ein etwas aufgemauerter, gepflasterter, mit Gras
überwachsener Pfad, offenbar den Steinschlägen und Lawinen viel mehr aus¬
gesetzt als die moderne Straße, die wesentlich höher an der westlichen Thal¬
wand hinläuft. Nur das Läuten dort unten weidender Rinder unterbricht
die tiefe Stille dieses vereinsamten Wegs, wie zu Goethes Zeit "der Saum¬
rosse Klingeln"; aber die ö)de der ernsten, düstern Landschaft wirkte fast mehr
auf ihn als auf uns moderne Menschen; der Gamsbvden, oder wie er es 1775
fälschlich nennt, "das steinichte Livinerthal," kam ihm öde vor, wie das "Thal
des Todes," und er sah es erschreckt "mit Gebeinen besäet." In der That waren
diese sogenannten "Felder" damals gefürchtet wegen der Lawinengefahr. Der Ein¬
druck wird gesteigert durch die Abgeschlossenheit des Thals; nur geradeaus in
der Ferne ragen die blauen Zacken und die weißen Schneefelder der Fibbia,
einer der höchsten Erhebungen des Gotthardstocks, in den Himmel auf, auch
bei ganz klarem Wetter von leichten Wölkchen umflattert, die sich namentlich
unter den heißen Strahlen der Mittagssonne von den Eis- und Schneeflächen
lösen; Goethe aber hatte, als er zum erstenmal hier durchzog, "Sturmwind
und Wolken."

Bei einem alten Schirmhaus (Ccmtoniera), das jetzt als Zeughaus dient
und seit kurzem ein bescheidnes Wirtshaus neben sich hat, biegt die Straße
um eine Felsenecke und steigt in einer großen Schleife höher an dem westlichen
AbHange hinauf. Hier verengert sich der Gamsboden zum "Mätteli" (1791 Meter),
und auch hier ist der Saumweg unten an der Reuß meist vollkommen kenntlich.
Je höher hinauf, desto schöner entfalten sich die Rückblicke nach Norden; vom
Grau zu dunkelm Blau und zartem Violett wechseln die Tinten der wie
Kulissen vorspringenden und aufstrebenden Bergrücken, aber die Luft wird
immer frischer, und dicht an der Straße beginnen sich Schneeflecken zu zeigen.
Sichtbar nähert sie sich der Paßhöhe. Wieder rücken die Thalwände eng zu-


Am Se. Gotthard

einen Angriff von allen vier Seiten zugleich voraus, und einen solchen hat
die Schweiz doch schwerlich zu befürchten.

Ihre strategische Bedeutung hat also die Gvtthardstraße in ihrer ganzen
Ausdehnung bewahrt, ihre Verkehrsbedeutung nur für den Neisebetrieb, und
auch für diesen nur bis Hospenthal; die Strecke von dort aus über den eigent¬
lichen Paß nach Airolo und weiter ist heute verödet, wird aber als Heer¬
straße noch gut unterhalten. Den Punkt, wo sie von der Furknstraße ab¬
zweigt, bezeichnet die alte Sust, ein massives Gebäude mit Eckturm und kleinen
vergitterten Fenstern unter breitem Ziegeldach, das den Stierkopf von Uri
über dem Thore trügt und jetzt zum Zeughaus eingerichtet ist. Von hier aus
ersteigt die Straße in langen Kehren den Grashang des linken Ufers der
Gotthardreuß, hoch über dein schäumenden Flusse, der hier in enger Schlucht
nach dem Urserenthcilc durchbricht. Auf derselben Seite lief der alte, jetzt
wenig mehr kenntliche Saumpfad, der Weg Goethes und Suworows. Nach
einer starken Viertelstunde langsamen Anstiegs rücken die Thalwände ganz eng
zusammen; hier, am „Stäubencgg," stürzt die Reuß in zwei schönen Wasser¬
fällen herab. Eine scharfe Biegung, und der zweite Teil der Paßstraße, der
Gcunsbvden, beginnt, ein langgestrecktes, breites, ödes, baumloses Thal, von
steilen, felsigen Hunger eingefaßt, die rechts vom Winterhorn (Pizzo Orsino),
links vom Gamsstock henmterkommen, von Wildwassern zerrissen, von Geröll
bedeckt, hier und da mit Gras und Moos bestanden, zwischen denen die
Gletscherbäche weißschäumend herniedersickern; auf der linken Seite stürzt durch
ein Seitenthal vom Guspisgletscher am Pizzo Centrnle, der in der Lücke sicht¬
bar wird, ein prächtiger Wasserfall herab, offenbar derselbe, den Goethe 1775
und 1797 besonders hervorhebt. Durch die breite, grasbewachsene, steinüber¬
säte Thalsohle, alten Gletscherboden, fließt die Reuß als ein schmaler, oft
geteilter Bach. Dort zieht auch dicht am Wasser und deshalb oft zerrissen der
schmale Saumweg dahin als ein etwas aufgemauerter, gepflasterter, mit Gras
überwachsener Pfad, offenbar den Steinschlägen und Lawinen viel mehr aus¬
gesetzt als die moderne Straße, die wesentlich höher an der westlichen Thal¬
wand hinläuft. Nur das Läuten dort unten weidender Rinder unterbricht
die tiefe Stille dieses vereinsamten Wegs, wie zu Goethes Zeit „der Saum¬
rosse Klingeln"; aber die ö)de der ernsten, düstern Landschaft wirkte fast mehr
auf ihn als auf uns moderne Menschen; der Gamsbvden, oder wie er es 1775
fälschlich nennt, „das steinichte Livinerthal," kam ihm öde vor, wie das „Thal
des Todes," und er sah es erschreckt „mit Gebeinen besäet." In der That waren
diese sogenannten „Felder" damals gefürchtet wegen der Lawinengefahr. Der Ein¬
druck wird gesteigert durch die Abgeschlossenheit des Thals; nur geradeaus in
der Ferne ragen die blauen Zacken und die weißen Schneefelder der Fibbia,
einer der höchsten Erhebungen des Gotthardstocks, in den Himmel auf, auch
bei ganz klarem Wetter von leichten Wölkchen umflattert, die sich namentlich
unter den heißen Strahlen der Mittagssonne von den Eis- und Schneeflächen
lösen; Goethe aber hatte, als er zum erstenmal hier durchzog, „Sturmwind
und Wolken."

Bei einem alten Schirmhaus (Ccmtoniera), das jetzt als Zeughaus dient
und seit kurzem ein bescheidnes Wirtshaus neben sich hat, biegt die Straße
um eine Felsenecke und steigt in einer großen Schleife höher an dem westlichen
AbHange hinauf. Hier verengert sich der Gamsboden zum „Mätteli" (1791 Meter),
und auch hier ist der Saumweg unten an der Reuß meist vollkommen kenntlich.
Je höher hinauf, desto schöner entfalten sich die Rückblicke nach Norden; vom
Grau zu dunkelm Blau und zartem Violett wechseln die Tinten der wie
Kulissen vorspringenden und aufstrebenden Bergrücken, aber die Luft wird
immer frischer, und dicht an der Straße beginnen sich Schneeflecken zu zeigen.
Sichtbar nähert sie sich der Paßhöhe. Wieder rücken die Thalwände eng zu-


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[0550] Am Se. Gotthard einen Angriff von allen vier Seiten zugleich voraus, und einen solchen hat die Schweiz doch schwerlich zu befürchten. Ihre strategische Bedeutung hat also die Gvtthardstraße in ihrer ganzen Ausdehnung bewahrt, ihre Verkehrsbedeutung nur für den Neisebetrieb, und auch für diesen nur bis Hospenthal; die Strecke von dort aus über den eigent¬ lichen Paß nach Airolo und weiter ist heute verödet, wird aber als Heer¬ straße noch gut unterhalten. Den Punkt, wo sie von der Furknstraße ab¬ zweigt, bezeichnet die alte Sust, ein massives Gebäude mit Eckturm und kleinen vergitterten Fenstern unter breitem Ziegeldach, das den Stierkopf von Uri über dem Thore trügt und jetzt zum Zeughaus eingerichtet ist. Von hier aus ersteigt die Straße in langen Kehren den Grashang des linken Ufers der Gotthardreuß, hoch über dein schäumenden Flusse, der hier in enger Schlucht nach dem Urserenthcilc durchbricht. Auf derselben Seite lief der alte, jetzt wenig mehr kenntliche Saumpfad, der Weg Goethes und Suworows. Nach einer starken Viertelstunde langsamen Anstiegs rücken die Thalwände ganz eng zusammen; hier, am „Stäubencgg," stürzt die Reuß in zwei schönen Wasser¬ fällen herab. Eine scharfe Biegung, und der zweite Teil der Paßstraße, der Gcunsbvden, beginnt, ein langgestrecktes, breites, ödes, baumloses Thal, von steilen, felsigen Hunger eingefaßt, die rechts vom Winterhorn (Pizzo Orsino), links vom Gamsstock henmterkommen, von Wildwassern zerrissen, von Geröll bedeckt, hier und da mit Gras und Moos bestanden, zwischen denen die Gletscherbäche weißschäumend herniedersickern; auf der linken Seite stürzt durch ein Seitenthal vom Guspisgletscher am Pizzo Centrnle, der in der Lücke sicht¬ bar wird, ein prächtiger Wasserfall herab, offenbar derselbe, den Goethe 1775 und 1797 besonders hervorhebt. Durch die breite, grasbewachsene, steinüber¬ säte Thalsohle, alten Gletscherboden, fließt die Reuß als ein schmaler, oft geteilter Bach. Dort zieht auch dicht am Wasser und deshalb oft zerrissen der schmale Saumweg dahin als ein etwas aufgemauerter, gepflasterter, mit Gras überwachsener Pfad, offenbar den Steinschlägen und Lawinen viel mehr aus¬ gesetzt als die moderne Straße, die wesentlich höher an der westlichen Thal¬ wand hinläuft. Nur das Läuten dort unten weidender Rinder unterbricht die tiefe Stille dieses vereinsamten Wegs, wie zu Goethes Zeit „der Saum¬ rosse Klingeln"; aber die ö)de der ernsten, düstern Landschaft wirkte fast mehr auf ihn als auf uns moderne Menschen; der Gamsbvden, oder wie er es 1775 fälschlich nennt, „das steinichte Livinerthal," kam ihm öde vor, wie das „Thal des Todes," und er sah es erschreckt „mit Gebeinen besäet." In der That waren diese sogenannten „Felder" damals gefürchtet wegen der Lawinengefahr. Der Ein¬ druck wird gesteigert durch die Abgeschlossenheit des Thals; nur geradeaus in der Ferne ragen die blauen Zacken und die weißen Schneefelder der Fibbia, einer der höchsten Erhebungen des Gotthardstocks, in den Himmel auf, auch bei ganz klarem Wetter von leichten Wölkchen umflattert, die sich namentlich unter den heißen Strahlen der Mittagssonne von den Eis- und Schneeflächen lösen; Goethe aber hatte, als er zum erstenmal hier durchzog, „Sturmwind und Wolken." Bei einem alten Schirmhaus (Ccmtoniera), das jetzt als Zeughaus dient und seit kurzem ein bescheidnes Wirtshaus neben sich hat, biegt die Straße um eine Felsenecke und steigt in einer großen Schleife höher an dem westlichen AbHange hinauf. Hier verengert sich der Gamsboden zum „Mätteli" (1791 Meter), und auch hier ist der Saumweg unten an der Reuß meist vollkommen kenntlich. Je höher hinauf, desto schöner entfalten sich die Rückblicke nach Norden; vom Grau zu dunkelm Blau und zartem Violett wechseln die Tinten der wie Kulissen vorspringenden und aufstrebenden Bergrücken, aber die Luft wird immer frischer, und dicht an der Straße beginnen sich Schneeflecken zu zeigen. Sichtbar nähert sie sich der Paßhöhe. Wieder rücken die Thalwände eng zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/550>, abgerufen am 01.09.2024.