Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gabriele d'Ammnzios Tote Stadt

Hot von jeher gesucht, das Geschäft der Bank auf eine möglichst breite Basis
zu stellen und hierzu die überseeischen Länder in hervorragenden: Maße heran-
zuziehn. Die steigende Entwicklung Deutschlands und die zunehmende Er¬
schließung der Welt ließen diesen Versuch vollauf gelingen und ermöglichte-:
svgcir in Jahren innerdeutscher Krisen eine Ausgleichung des Jahresergebnisses.

Gerade aber der zweite Grundsatz wurde bedeutend erschüttert werden
durch die Prinzipien der Publizität und der staatlichen Aufficht. Die Expan¬
sionspolitik, die die Stabilität der Baute:: am wirksamsten sichert, wäre durch
eine staatliche Aufsicht, die an den Buchstaben gesetzlicher Bestimmungen ge¬
bunden wäre, am meisten gefährdet.




Gabriele d'Annunzios Tote Atadt

abriele d'Annunzio gehört ohne allen Zweifel zu deu bedeutend¬
sten Dichtern des heutigen Italiens, obwohl er dort ebenso
heftige Gegner wie begeisterte Bewundrer findet. Bei uns ist
er wenig bekannt, und das hat mich feine guten Gründe. Er
_ ist zunächst eigentlich unübersetzbar, denn jede Übersetzung streift
den feinsten Schmelz von seinen Dichtungen ab, wie wenn man etwa den
^arbenstaub von einem Schmetterlingsflügel abstreift, sie zerstört den Zauber
Miier Sprache, auch seiner Prosa. Sodann ist er ganz und gar ein moderner
Italiener und stolz ein solcher, ein "Lateiner" zu sein; die Empfindnngs-
uud Vorstellungswelt und die Ausdrucksweise der romanischen Völker aber ist in
^ueler,,Beziehung nicht die unsrige, so sehr heute derselbe unheimliche Grundzug
^ "Übermenschentums" durch alle europäischen Litteraturen geht. Des Dichters
^"ldungsgang aber ist höchst persönlich, beinahe der eines Wunderkindes,
^denfalls eines ungewöhnlich frühreifen Menschen.

Am 12. März 1864 an Bord eines Schiffs auf dein Adriatischen Meere
^boren, verlebte er seine erste Jugend in Franeavilla al Marc, einer kleinen
^üstenstadt im nördlichsten Teile des frühern Königreichs Neapel. Er besuchte
^um 187Z bis 1880 das Collegio Cievguini in Prato bei Florenz; hier er-
^rb ^. ^ klassische Bildung, offenbarte aber auch schon sein dies-
e^sches Talent, indem er mit fünfzehn Jahren einen Band lyrischer Gedichte
^mavk.Ä) veröffentlichte. Die Kritik erkannte diese Leistung so an, daß er
'"t einen: Schlage berühmt wurde. Als er 1880 nach Rom kam, wurde er
'°'""'tUch von den Damen der stolzen römischen Aristokratie bewundert und
,^^ut, und er lernte Rom damals gründlich kennen, dieses Rom der acht-
Jnhre, "das in mancher Beziehung den: Rom der ersten Zeit des Sees-
" Mer Jahrhunderts ähnelte." Berauscht von warmen Huldigungen und
affinierten Genüssen kehrte er nach einigen Jahren in seine Heimat zurück;
bald ging er von der Lhrik zum Roman über, dessen erste, überaus
Gr


enzboten IV 1302 gg
Gabriele d'Ammnzios Tote Stadt

Hot von jeher gesucht, das Geschäft der Bank auf eine möglichst breite Basis
zu stellen und hierzu die überseeischen Länder in hervorragenden: Maße heran-
zuziehn. Die steigende Entwicklung Deutschlands und die zunehmende Er¬
schließung der Welt ließen diesen Versuch vollauf gelingen und ermöglichte-:
svgcir in Jahren innerdeutscher Krisen eine Ausgleichung des Jahresergebnisses.

Gerade aber der zweite Grundsatz wurde bedeutend erschüttert werden
durch die Prinzipien der Publizität und der staatlichen Aufficht. Die Expan¬
sionspolitik, die die Stabilität der Baute:: am wirksamsten sichert, wäre durch
eine staatliche Aufsicht, die an den Buchstaben gesetzlicher Bestimmungen ge¬
bunden wäre, am meisten gefährdet.




Gabriele d'Annunzios Tote Atadt

abriele d'Annunzio gehört ohne allen Zweifel zu deu bedeutend¬
sten Dichtern des heutigen Italiens, obwohl er dort ebenso
heftige Gegner wie begeisterte Bewundrer findet. Bei uns ist
er wenig bekannt, und das hat mich feine guten Gründe. Er
_ ist zunächst eigentlich unübersetzbar, denn jede Übersetzung streift
den feinsten Schmelz von seinen Dichtungen ab, wie wenn man etwa den
^arbenstaub von einem Schmetterlingsflügel abstreift, sie zerstört den Zauber
Miier Sprache, auch seiner Prosa. Sodann ist er ganz und gar ein moderner
Italiener und stolz ein solcher, ein „Lateiner" zu sein; die Empfindnngs-
uud Vorstellungswelt und die Ausdrucksweise der romanischen Völker aber ist in
^ueler,,Beziehung nicht die unsrige, so sehr heute derselbe unheimliche Grundzug
^ "Übermenschentums" durch alle europäischen Litteraturen geht. Des Dichters
^"ldungsgang aber ist höchst persönlich, beinahe der eines Wunderkindes,
^denfalls eines ungewöhnlich frühreifen Menschen.

Am 12. März 1864 an Bord eines Schiffs auf dein Adriatischen Meere
^boren, verlebte er seine erste Jugend in Franeavilla al Marc, einer kleinen
^üstenstadt im nördlichsten Teile des frühern Königreichs Neapel. Er besuchte
^um 187Z bis 1880 das Collegio Cievguini in Prato bei Florenz; hier er-
^rb ^. ^ klassische Bildung, offenbarte aber auch schon sein dies-
e^sches Talent, indem er mit fünfzehn Jahren einen Band lyrischer Gedichte
^mavk.Ä) veröffentlichte. Die Kritik erkannte diese Leistung so an, daß er
'"t einen: Schlage berühmt wurde. Als er 1880 nach Rom kam, wurde er
'°'""'tUch von den Damen der stolzen römischen Aristokratie bewundert und
,^^ut, und er lernte Rom damals gründlich kennen, dieses Rom der acht-
Jnhre, „das in mancher Beziehung den: Rom der ersten Zeit des Sees-
« Mer Jahrhunderts ähnelte." Berauscht von warmen Huldigungen und
affinierten Genüssen kehrte er nach einigen Jahren in seine Heimat zurück;
bald ging er von der Lhrik zum Roman über, dessen erste, überaus
Gr


enzboten IV 1302 gg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239271"/>
          <fw type="header" place="top"> Gabriele d'Ammnzios Tote Stadt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2347" prev="#ID_2346"> Hot von jeher gesucht, das Geschäft der Bank auf eine möglichst breite Basis<lb/>
zu stellen und hierzu die überseeischen Länder in hervorragenden: Maße heran-<lb/>
zuziehn. Die steigende Entwicklung Deutschlands und die zunehmende Er¬<lb/>
schließung der Welt ließen diesen Versuch vollauf gelingen und ermöglichte-:<lb/>
svgcir in Jahren innerdeutscher Krisen eine Ausgleichung des Jahresergebnisses.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2348"> Gerade aber der zweite Grundsatz wurde bedeutend erschüttert werden<lb/>
durch die Prinzipien der Publizität und der staatlichen Aufficht. Die Expan¬<lb/>
sionspolitik, die die Stabilität der Baute:: am wirksamsten sichert, wäre durch<lb/>
eine staatliche Aufsicht, die an den Buchstaben gesetzlicher Bestimmungen ge¬<lb/>
bunden wäre, am meisten gefährdet.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gabriele d'Annunzios Tote Atadt</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2349"> abriele d'Annunzio gehört ohne allen Zweifel zu deu bedeutend¬<lb/>
sten Dichtern des heutigen Italiens, obwohl er dort ebenso<lb/>
heftige Gegner wie begeisterte Bewundrer findet. Bei uns ist<lb/>
er wenig bekannt, und das hat mich feine guten Gründe. Er<lb/>
_ ist zunächst eigentlich unübersetzbar, denn jede Übersetzung streift<lb/>
den feinsten Schmelz von seinen Dichtungen ab, wie wenn man etwa den<lb/>
^arbenstaub von einem Schmetterlingsflügel abstreift, sie zerstört den Zauber<lb/>
Miier Sprache, auch seiner Prosa. Sodann ist er ganz und gar ein moderner<lb/>
Italiener und stolz ein solcher, ein &#x201E;Lateiner" zu sein; die Empfindnngs-<lb/>
uud Vorstellungswelt und die Ausdrucksweise der romanischen Völker aber ist in<lb/>
^ueler,,Beziehung nicht die unsrige, so sehr heute derselbe unheimliche Grundzug<lb/>
^ "Übermenschentums" durch alle europäischen Litteraturen geht. Des Dichters<lb/>
^"ldungsgang aber ist höchst persönlich, beinahe der eines Wunderkindes,<lb/>
^denfalls eines ungewöhnlich frühreifen Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2350" next="#ID_2351"> Am 12. März 1864 an Bord eines Schiffs auf dein Adriatischen Meere<lb/>
^boren, verlebte er seine erste Jugend in Franeavilla al Marc, einer kleinen<lb/>
^üstenstadt im nördlichsten Teile des frühern Königreichs Neapel. Er besuchte<lb/>
^um 187Z bis 1880 das Collegio Cievguini in Prato bei Florenz; hier er-<lb/>
^rb ^. ^ klassische Bildung, offenbarte aber auch schon sein dies-<lb/>
e^sches Talent, indem er mit fünfzehn Jahren einen Band lyrischer Gedichte<lb/>
^mavk.Ä) veröffentlichte.  Die Kritik erkannte diese Leistung so an, daß er<lb/>
'"t einen: Schlage berühmt wurde.  Als er 1880 nach Rom kam, wurde er<lb/>
'°'""'tUch von den Damen der stolzen römischen Aristokratie bewundert und<lb/>
,^^ut, und er lernte Rom damals gründlich kennen, dieses Rom der acht-<lb/>
Jnhre, &#x201E;das in mancher Beziehung den: Rom der ersten Zeit des Sees-<lb/>
« Mer Jahrhunderts ähnelte."  Berauscht von warmen Huldigungen und<lb/>
affinierten Genüssen kehrte er nach einigen Jahren in seine Heimat zurück;<lb/>
bald ging er von der Lhrik zum Roman über, dessen erste, überaus<lb/>
Gr</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> enzboten IV 1302 gg</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Gabriele d'Ammnzios Tote Stadt Hot von jeher gesucht, das Geschäft der Bank auf eine möglichst breite Basis zu stellen und hierzu die überseeischen Länder in hervorragenden: Maße heran- zuziehn. Die steigende Entwicklung Deutschlands und die zunehmende Er¬ schließung der Welt ließen diesen Versuch vollauf gelingen und ermöglichte-: svgcir in Jahren innerdeutscher Krisen eine Ausgleichung des Jahresergebnisses. Gerade aber der zweite Grundsatz wurde bedeutend erschüttert werden durch die Prinzipien der Publizität und der staatlichen Aufficht. Die Expan¬ sionspolitik, die die Stabilität der Baute:: am wirksamsten sichert, wäre durch eine staatliche Aufsicht, die an den Buchstaben gesetzlicher Bestimmungen ge¬ bunden wäre, am meisten gefährdet. Gabriele d'Annunzios Tote Atadt abriele d'Annunzio gehört ohne allen Zweifel zu deu bedeutend¬ sten Dichtern des heutigen Italiens, obwohl er dort ebenso heftige Gegner wie begeisterte Bewundrer findet. Bei uns ist er wenig bekannt, und das hat mich feine guten Gründe. Er _ ist zunächst eigentlich unübersetzbar, denn jede Übersetzung streift den feinsten Schmelz von seinen Dichtungen ab, wie wenn man etwa den ^arbenstaub von einem Schmetterlingsflügel abstreift, sie zerstört den Zauber Miier Sprache, auch seiner Prosa. Sodann ist er ganz und gar ein moderner Italiener und stolz ein solcher, ein „Lateiner" zu sein; die Empfindnngs- uud Vorstellungswelt und die Ausdrucksweise der romanischen Völker aber ist in ^ueler,,Beziehung nicht die unsrige, so sehr heute derselbe unheimliche Grundzug ^ "Übermenschentums" durch alle europäischen Litteraturen geht. Des Dichters ^"ldungsgang aber ist höchst persönlich, beinahe der eines Wunderkindes, ^denfalls eines ungewöhnlich frühreifen Menschen. Am 12. März 1864 an Bord eines Schiffs auf dein Adriatischen Meere ^boren, verlebte er seine erste Jugend in Franeavilla al Marc, einer kleinen ^üstenstadt im nördlichsten Teile des frühern Königreichs Neapel. Er besuchte ^um 187Z bis 1880 das Collegio Cievguini in Prato bei Florenz; hier er- ^rb ^. ^ klassische Bildung, offenbarte aber auch schon sein dies- e^sches Talent, indem er mit fünfzehn Jahren einen Band lyrischer Gedichte ^mavk.Ä) veröffentlichte. Die Kritik erkannte diese Leistung so an, daß er '"t einen: Schlage berühmt wurde. Als er 1880 nach Rom kam, wurde er '°'""'tUch von den Damen der stolzen römischen Aristokratie bewundert und ,^^ut, und er lernte Rom damals gründlich kennen, dieses Rom der acht- Jnhre, „das in mancher Beziehung den: Rom der ersten Zeit des Sees- « Mer Jahrhunderts ähnelte." Berauscht von warmen Huldigungen und affinierten Genüssen kehrte er nach einigen Jahren in seine Heimat zurück; bald ging er von der Lhrik zum Roman über, dessen erste, überaus Gr enzboten IV 1302 gg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/483>, abgerufen am 01.09.2024.