Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

bat um eine städtische Subvention. Das Schicksal dieser Petition war von vorn¬
herein klar. Der Herr Bürgermeister hätte nicht nötig gehabt, in großen Tönen
von dem Arbeitergroschen zu reden, der nicht zum Besten einer begüterten Minder¬
heit ausgegeben werden dürfe, und Herr Pfaffe hätte nicht nötig gehabt, an die
reaktionären Ketten zu erinnern, unter denen man früher geseufzt hatte. Die Peti¬
tion wurde abgelehnt, und als die Stndtväter der regierenden Partei mit Hoch¬
gefühl die Nathaustrepve hinabstiegen, geschah es in dem erhebenden Bewußtsein,
den Geldsäcken und Dicknnsen einen Schlag versetzt zu haben, den sie fühlten. Denn
nnn mußte die Privatschule eingehn.

In der That, die Schule löste sich ans. Bald darauf verzogen drei wohl¬
habende Familien, ihrer Kinder wegen, die sie nicht in Pension geben wollten. Und
andre schickten sich an, zu folgen.

Immer lausen lassen, was sich nicht halten läßt, sagte der Bürgermeister bei
seinem siebenten Glase Bier. Aber der Stadtkämmerer stellte mit Betrübnis das
schöne Steuereiukommen, das nun verloren ging, in Abzug und fragte sich ver¬
geblich, wie der Ausfall zu decken sei, wenn das so weitergehe. Denn in der That,
der städtische Etat hatte in kurzer Zeit ein ganz andres Gesicht bekommen. Die
schönen Zeiten, wo man noch Überschüsse hatte und einen Nvtgrvschen sparte, waren
längst vorüber. Man stak in Schulden bis über die Ohren und seufzte unter
schwere" Steuern. Und man hatte doch gar nichts sonderliches ausgegeben. Die
Verwaltung war doch in den besten Händen gewesen. Wer war der Schuldige?

Der Bankrott der Handschuhfabrik von Maier und Süßholz, der einen neuen
empfindlichen Steueransfall brachte und viele Arbeiter brotlos machte, verschlimmerte
noch die Lage.

Der Herr Bürgermeister ließ sich durch alles das nicht anfechten. Er trank
mit seinen Freunden alle Abende sein reichliches Teil Bier, spielte den Großartigen
und vermehrte seine Schulden. Man borgte ihm noch, und somit war er zufrieden.
Giugs nicht mehr in Polkenrvde, dann wo anders. Sich grane Haare wachsen zu lassen,
dazu nur er der Mann nicht. Aber der alte Leißring sah in dieser Zeit seit zwanzig
Jahren zum erstenmal nicht früh nach dem Wetter. Er hatte die Nacht nicht ge¬
schlafen, lag krank zu Bett, und seine Haushälterin suchte ihn mit Kamillenthee zu
trösten. Ach, sein Leiden war mit Kamillenthee nicht zu heilen, es saß in seinem
empfindlichsten Organ, in seinem Portemonnaie. Der Bankrott von Meier und
Süßholz kostete ihm manches Tausend, und wer wußte, was noch kam? Und Schlegel¬
milch machte zwar wie alle Morgen seinen Laden auf, aber er seufzte über schlechte
Zeiten.

Der Bankrott war nicht ein zufälliges oder durch besondre Fehler verschuldetes
Ereignis, sondern eine Folge davon, daß Amerika durch seine Schutzzvllgcsetzgcbnng
dem Auslande den amerikanischen Markt verschloß. Wie verhielt sich nun die Arbeiter¬
schaft dieser schwierigen Lage gegenüber?

Gegen die amerikanische Verzollung war nur auszukommen, wenn zu verhältnis¬
mäßig billigen Preisen möglichst gute Ware produziert wurde. Nur die wertvollsten
Sorten vermochten den Zoll zu tragen, und nur mit ihnen konnte man den Kon¬
kurrenzkampf aufnehmen, weil man in Amerika gute Handschuhe in dem Preise und
der Güte des deutscheu Fabrikats nicht herzustellen vermochte. Gute Ware setzt
gute Arbeiter voraus. Aber der Arbeiter hatte keine Lust, sich Mühe zu geben oder
auf die Wünsche des Fabrikanten Rücksicht zu nehmen. Was ging ihn denn der
Fabrikant an? Der Fabrikant, von dein mau annahm, daß er immer die Tasche
voll Geld habe und nur aus Geiz und Bosheit die Arbeiter drücke, war da zum
Lvhnzahleu und mußte mit der Arbeit, wie sie der Arbeiter zu liefern für gut fand,
zufrieden sein. Daß ein Fabrikat überhaupt nur dann absetzbar sei, wenn es eine
bestimmte Güte und bestimmten Preis habe, das kam ihnen nicht in den Sinn, das
sagte ihnen auch keiner ihrer Führer. Und wenn es der Fabrikant sagte, nannte
man es Mumpitz. M"n feierte seinen Sonntag, machte blauen Montag, bequemte


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

bat um eine städtische Subvention. Das Schicksal dieser Petition war von vorn¬
herein klar. Der Herr Bürgermeister hätte nicht nötig gehabt, in großen Tönen
von dem Arbeitergroschen zu reden, der nicht zum Besten einer begüterten Minder¬
heit ausgegeben werden dürfe, und Herr Pfaffe hätte nicht nötig gehabt, an die
reaktionären Ketten zu erinnern, unter denen man früher geseufzt hatte. Die Peti¬
tion wurde abgelehnt, und als die Stndtväter der regierenden Partei mit Hoch¬
gefühl die Nathaustrepve hinabstiegen, geschah es in dem erhebenden Bewußtsein,
den Geldsäcken und Dicknnsen einen Schlag versetzt zu haben, den sie fühlten. Denn
nnn mußte die Privatschule eingehn.

In der That, die Schule löste sich ans. Bald darauf verzogen drei wohl¬
habende Familien, ihrer Kinder wegen, die sie nicht in Pension geben wollten. Und
andre schickten sich an, zu folgen.

Immer lausen lassen, was sich nicht halten läßt, sagte der Bürgermeister bei
seinem siebenten Glase Bier. Aber der Stadtkämmerer stellte mit Betrübnis das
schöne Steuereiukommen, das nun verloren ging, in Abzug und fragte sich ver¬
geblich, wie der Ausfall zu decken sei, wenn das so weitergehe. Denn in der That,
der städtische Etat hatte in kurzer Zeit ein ganz andres Gesicht bekommen. Die
schönen Zeiten, wo man noch Überschüsse hatte und einen Nvtgrvschen sparte, waren
längst vorüber. Man stak in Schulden bis über die Ohren und seufzte unter
schwere» Steuern. Und man hatte doch gar nichts sonderliches ausgegeben. Die
Verwaltung war doch in den besten Händen gewesen. Wer war der Schuldige?

Der Bankrott der Handschuhfabrik von Maier und Süßholz, der einen neuen
empfindlichen Steueransfall brachte und viele Arbeiter brotlos machte, verschlimmerte
noch die Lage.

Der Herr Bürgermeister ließ sich durch alles das nicht anfechten. Er trank
mit seinen Freunden alle Abende sein reichliches Teil Bier, spielte den Großartigen
und vermehrte seine Schulden. Man borgte ihm noch, und somit war er zufrieden.
Giugs nicht mehr in Polkenrvde, dann wo anders. Sich grane Haare wachsen zu lassen,
dazu nur er der Mann nicht. Aber der alte Leißring sah in dieser Zeit seit zwanzig
Jahren zum erstenmal nicht früh nach dem Wetter. Er hatte die Nacht nicht ge¬
schlafen, lag krank zu Bett, und seine Haushälterin suchte ihn mit Kamillenthee zu
trösten. Ach, sein Leiden war mit Kamillenthee nicht zu heilen, es saß in seinem
empfindlichsten Organ, in seinem Portemonnaie. Der Bankrott von Meier und
Süßholz kostete ihm manches Tausend, und wer wußte, was noch kam? Und Schlegel¬
milch machte zwar wie alle Morgen seinen Laden auf, aber er seufzte über schlechte
Zeiten.

Der Bankrott war nicht ein zufälliges oder durch besondre Fehler verschuldetes
Ereignis, sondern eine Folge davon, daß Amerika durch seine Schutzzvllgcsetzgcbnng
dem Auslande den amerikanischen Markt verschloß. Wie verhielt sich nun die Arbeiter¬
schaft dieser schwierigen Lage gegenüber?

Gegen die amerikanische Verzollung war nur auszukommen, wenn zu verhältnis¬
mäßig billigen Preisen möglichst gute Ware produziert wurde. Nur die wertvollsten
Sorten vermochten den Zoll zu tragen, und nur mit ihnen konnte man den Kon¬
kurrenzkampf aufnehmen, weil man in Amerika gute Handschuhe in dem Preise und
der Güte des deutscheu Fabrikats nicht herzustellen vermochte. Gute Ware setzt
gute Arbeiter voraus. Aber der Arbeiter hatte keine Lust, sich Mühe zu geben oder
auf die Wünsche des Fabrikanten Rücksicht zu nehmen. Was ging ihn denn der
Fabrikant an? Der Fabrikant, von dein mau annahm, daß er immer die Tasche
voll Geld habe und nur aus Geiz und Bosheit die Arbeiter drücke, war da zum
Lvhnzahleu und mußte mit der Arbeit, wie sie der Arbeiter zu liefern für gut fand,
zufrieden sein. Daß ein Fabrikat überhaupt nur dann absetzbar sei, wenn es eine
bestimmte Güte und bestimmten Preis habe, das kam ihnen nicht in den Sinn, das
sagte ihnen auch keiner ihrer Führer. Und wenn es der Fabrikant sagte, nannte
man es Mumpitz. M"n feierte seinen Sonntag, machte blauen Montag, bequemte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239236"/>
            <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2230" prev="#ID_2229"> bat um eine städtische Subvention. Das Schicksal dieser Petition war von vorn¬<lb/>
herein klar. Der Herr Bürgermeister hätte nicht nötig gehabt, in großen Tönen<lb/>
von dem Arbeitergroschen zu reden, der nicht zum Besten einer begüterten Minder¬<lb/>
heit ausgegeben werden dürfe, und Herr Pfaffe hätte nicht nötig gehabt, an die<lb/>
reaktionären Ketten zu erinnern, unter denen man früher geseufzt hatte. Die Peti¬<lb/>
tion wurde abgelehnt, und als die Stndtväter der regierenden Partei mit Hoch¬<lb/>
gefühl die Nathaustrepve hinabstiegen, geschah es in dem erhebenden Bewußtsein,<lb/>
den Geldsäcken und Dicknnsen einen Schlag versetzt zu haben, den sie fühlten. Denn<lb/>
nnn mußte die Privatschule eingehn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2231"> In der That, die Schule löste sich ans. Bald darauf verzogen drei wohl¬<lb/>
habende Familien, ihrer Kinder wegen, die sie nicht in Pension geben wollten. Und<lb/>
andre schickten sich an, zu folgen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2232"> Immer lausen lassen, was sich nicht halten läßt, sagte der Bürgermeister bei<lb/>
seinem siebenten Glase Bier. Aber der Stadtkämmerer stellte mit Betrübnis das<lb/>
schöne Steuereiukommen, das nun verloren ging, in Abzug und fragte sich ver¬<lb/>
geblich, wie der Ausfall zu decken sei, wenn das so weitergehe. Denn in der That,<lb/>
der städtische Etat hatte in kurzer Zeit ein ganz andres Gesicht bekommen. Die<lb/>
schönen Zeiten, wo man noch Überschüsse hatte und einen Nvtgrvschen sparte, waren<lb/>
längst vorüber. Man stak in Schulden bis über die Ohren und seufzte unter<lb/>
schwere» Steuern. Und man hatte doch gar nichts sonderliches ausgegeben. Die<lb/>
Verwaltung war doch in den besten Händen gewesen. Wer war der Schuldige?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2233"> Der Bankrott der Handschuhfabrik von Maier und Süßholz, der einen neuen<lb/>
empfindlichen Steueransfall brachte und viele Arbeiter brotlos machte, verschlimmerte<lb/>
noch die Lage.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2234"> Der Herr Bürgermeister ließ sich durch alles das nicht anfechten. Er trank<lb/>
mit seinen Freunden alle Abende sein reichliches Teil Bier, spielte den Großartigen<lb/>
und vermehrte seine Schulden. Man borgte ihm noch, und somit war er zufrieden.<lb/>
Giugs nicht mehr in Polkenrvde, dann wo anders. Sich grane Haare wachsen zu lassen,<lb/>
dazu nur er der Mann nicht. Aber der alte Leißring sah in dieser Zeit seit zwanzig<lb/>
Jahren zum erstenmal nicht früh nach dem Wetter. Er hatte die Nacht nicht ge¬<lb/>
schlafen, lag krank zu Bett, und seine Haushälterin suchte ihn mit Kamillenthee zu<lb/>
trösten. Ach, sein Leiden war mit Kamillenthee nicht zu heilen, es saß in seinem<lb/>
empfindlichsten Organ, in seinem Portemonnaie. Der Bankrott von Meier und<lb/>
Süßholz kostete ihm manches Tausend, und wer wußte, was noch kam? Und Schlegel¬<lb/>
milch machte zwar wie alle Morgen seinen Laden auf, aber er seufzte über schlechte<lb/>
Zeiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2235"> Der Bankrott war nicht ein zufälliges oder durch besondre Fehler verschuldetes<lb/>
Ereignis, sondern eine Folge davon, daß Amerika durch seine Schutzzvllgcsetzgcbnng<lb/>
dem Auslande den amerikanischen Markt verschloß. Wie verhielt sich nun die Arbeiter¬<lb/>
schaft dieser schwierigen Lage gegenüber?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2236" next="#ID_2237"> Gegen die amerikanische Verzollung war nur auszukommen, wenn zu verhältnis¬<lb/>
mäßig billigen Preisen möglichst gute Ware produziert wurde. Nur die wertvollsten<lb/>
Sorten vermochten den Zoll zu tragen, und nur mit ihnen konnte man den Kon¬<lb/>
kurrenzkampf aufnehmen, weil man in Amerika gute Handschuhe in dem Preise und<lb/>
der Güte des deutscheu Fabrikats nicht herzustellen vermochte. Gute Ware setzt<lb/>
gute Arbeiter voraus. Aber der Arbeiter hatte keine Lust, sich Mühe zu geben oder<lb/>
auf die Wünsche des Fabrikanten Rücksicht zu nehmen. Was ging ihn denn der<lb/>
Fabrikant an? Der Fabrikant, von dein mau annahm, daß er immer die Tasche<lb/>
voll Geld habe und nur aus Geiz und Bosheit die Arbeiter drücke, war da zum<lb/>
Lvhnzahleu und mußte mit der Arbeit, wie sie der Arbeiter zu liefern für gut fand,<lb/>
zufrieden sein. Daß ein Fabrikat überhaupt nur dann absetzbar sei, wenn es eine<lb/>
bestimmte Güte und bestimmten Preis habe, das kam ihnen nicht in den Sinn, das<lb/>
sagte ihnen auch keiner ihrer Führer. Und wenn es der Fabrikant sagte, nannte<lb/>
man es Mumpitz. M"n feierte seinen Sonntag, machte blauen Montag, bequemte</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben bat um eine städtische Subvention. Das Schicksal dieser Petition war von vorn¬ herein klar. Der Herr Bürgermeister hätte nicht nötig gehabt, in großen Tönen von dem Arbeitergroschen zu reden, der nicht zum Besten einer begüterten Minder¬ heit ausgegeben werden dürfe, und Herr Pfaffe hätte nicht nötig gehabt, an die reaktionären Ketten zu erinnern, unter denen man früher geseufzt hatte. Die Peti¬ tion wurde abgelehnt, und als die Stndtväter der regierenden Partei mit Hoch¬ gefühl die Nathaustrepve hinabstiegen, geschah es in dem erhebenden Bewußtsein, den Geldsäcken und Dicknnsen einen Schlag versetzt zu haben, den sie fühlten. Denn nnn mußte die Privatschule eingehn. In der That, die Schule löste sich ans. Bald darauf verzogen drei wohl¬ habende Familien, ihrer Kinder wegen, die sie nicht in Pension geben wollten. Und andre schickten sich an, zu folgen. Immer lausen lassen, was sich nicht halten läßt, sagte der Bürgermeister bei seinem siebenten Glase Bier. Aber der Stadtkämmerer stellte mit Betrübnis das schöne Steuereiukommen, das nun verloren ging, in Abzug und fragte sich ver¬ geblich, wie der Ausfall zu decken sei, wenn das so weitergehe. Denn in der That, der städtische Etat hatte in kurzer Zeit ein ganz andres Gesicht bekommen. Die schönen Zeiten, wo man noch Überschüsse hatte und einen Nvtgrvschen sparte, waren längst vorüber. Man stak in Schulden bis über die Ohren und seufzte unter schwere» Steuern. Und man hatte doch gar nichts sonderliches ausgegeben. Die Verwaltung war doch in den besten Händen gewesen. Wer war der Schuldige? Der Bankrott der Handschuhfabrik von Maier und Süßholz, der einen neuen empfindlichen Steueransfall brachte und viele Arbeiter brotlos machte, verschlimmerte noch die Lage. Der Herr Bürgermeister ließ sich durch alles das nicht anfechten. Er trank mit seinen Freunden alle Abende sein reichliches Teil Bier, spielte den Großartigen und vermehrte seine Schulden. Man borgte ihm noch, und somit war er zufrieden. Giugs nicht mehr in Polkenrvde, dann wo anders. Sich grane Haare wachsen zu lassen, dazu nur er der Mann nicht. Aber der alte Leißring sah in dieser Zeit seit zwanzig Jahren zum erstenmal nicht früh nach dem Wetter. Er hatte die Nacht nicht ge¬ schlafen, lag krank zu Bett, und seine Haushälterin suchte ihn mit Kamillenthee zu trösten. Ach, sein Leiden war mit Kamillenthee nicht zu heilen, es saß in seinem empfindlichsten Organ, in seinem Portemonnaie. Der Bankrott von Meier und Süßholz kostete ihm manches Tausend, und wer wußte, was noch kam? Und Schlegel¬ milch machte zwar wie alle Morgen seinen Laden auf, aber er seufzte über schlechte Zeiten. Der Bankrott war nicht ein zufälliges oder durch besondre Fehler verschuldetes Ereignis, sondern eine Folge davon, daß Amerika durch seine Schutzzvllgcsetzgcbnng dem Auslande den amerikanischen Markt verschloß. Wie verhielt sich nun die Arbeiter¬ schaft dieser schwierigen Lage gegenüber? Gegen die amerikanische Verzollung war nur auszukommen, wenn zu verhältnis¬ mäßig billigen Preisen möglichst gute Ware produziert wurde. Nur die wertvollsten Sorten vermochten den Zoll zu tragen, und nur mit ihnen konnte man den Kon¬ kurrenzkampf aufnehmen, weil man in Amerika gute Handschuhe in dem Preise und der Güte des deutscheu Fabrikats nicht herzustellen vermochte. Gute Ware setzt gute Arbeiter voraus. Aber der Arbeiter hatte keine Lust, sich Mühe zu geben oder auf die Wünsche des Fabrikanten Rücksicht zu nehmen. Was ging ihn denn der Fabrikant an? Der Fabrikant, von dein mau annahm, daß er immer die Tasche voll Geld habe und nur aus Geiz und Bosheit die Arbeiter drücke, war da zum Lvhnzahleu und mußte mit der Arbeit, wie sie der Arbeiter zu liefern für gut fand, zufrieden sein. Daß ein Fabrikat überhaupt nur dann absetzbar sei, wenn es eine bestimmte Güte und bestimmten Preis habe, das kam ihnen nicht in den Sinn, das sagte ihnen auch keiner ihrer Führer. Und wenn es der Fabrikant sagte, nannte man es Mumpitz. M"n feierte seinen Sonntag, machte blauen Montag, bequemte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/448>, abgerufen am 01.09.2024.